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Einleitung

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SIND PFLANZEN INTELLIGENT? Gelingt es ihnen, Probleme zu lösen? Können sie mit ihrer Umgebung, anderen Pflanzen, Insekten und höheren Tieren kommunizieren? Oder sind sie doch nur passive Organismen, unfähig zu Empfindungen und von individuellem, geschweige denn sozialem Verhalten meilenweit entfernt?

Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir zunächst bis ins alte Griechenland zurückgehen. Denn schon die Philosophen der Antike haben sich mit solchen Fragen beschäftigt und in ihren Denkschulen darüber gestritten, ob Pflanzen eine Seele besitzen oder nicht. Doch welche Argumente führten sie ins Feld? Und warum konnten selbst die neuzeitlichen Naturwissenschaften den Streit nicht endgültig beilegen? Überraschenderweise ähneln die heutigen Argumente häufig denen der Antike: Sie gründen weniger auf wissenschaftlichen Erkenntnissen als vielmehr auf dem »gesunden Menschenverstand« und zahllosen Vorurteilen, die unsere Kultur seit Jahrtausenden prägen.

Auf den ersten Blick mag die Pflanzenwelt wenig komplex erscheinen, aber im Laufe der Jahrhunderte hat sich immer wieder der Gedanke Bahn gebrochen, dass Pflanzen empfindsame Organismen seien, die über kommunikative Fähigkeiten, ein Sozialleben und raffinierte Problemlösungsstrategien verfügen. Kurzum: über Intelligenz. Philosophen und Wissenschaftler von Platon bis Demokrit, von Linné bis Darwin oder Fechner bis Bose – die unterschiedlichen Jahrhunderten und kulturellen Kontexten angehörten? – gelangten zu ein und demselben Schluss: dass Pflanzen wesentlich raffiniertere Fähigkeiten besitzen als häufig angenommen.

Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts konnten sich die Vertreter dieser Ansicht lediglich auf ihre – wenngleich geniale – Intuition berufen. In den letzten fünfzig Jahren hat die Wissenschaft jedoch zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen, die die Pflanzenwelt in einem neuen Licht erscheinen lassen. Damit beschäftigen wir uns im ersten Kapitel. Wir werden sehen, dass die Argumente derer, die Pflanzen jegliche Intelligenz absprechen, bis heute nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, sondern vor allem auf vorgefassten Meinungen, die in unserer Kultur seit Jahrtausenden fest verankert sind. Doch die Zeit scheint reif für einen Paradigmenwechsel. Angesichts der Fülle an wissenschaftlichen Studien setzt sich heute langsam die Meinung durch, dass Pflanzen nicht nur imstande sind, sorgfältig abzuwägen und Entscheidungen zu fällen, sondern auch Lern- und Erinnerungsvermögen besitzen. Nach hitzigen Debatten hat die Schweiz sogar vor wenigen Jahren als weltweit erstes Land die Würde der Pflanzen gesetzlich geschützt.

Doch was sind Pflanzen genau? Wie sind sie beschaffen? Obwohl der Mensch – seit Anbeginn der Menschheit – mit ihnen Seite an Seite lebt, kann er keineswegs behaupten, sie besonders gut zu kennen. Allerdings ist dies nicht nur auf Probleme wissenschaftlicher oder kultureller Art zurückzuführen, die eigentliche Ursache liegt tiefer: in der unterschiedlichen Evolutionsgeschichte von Tier- und Pflanzenreich.

Wie andere Tiere auch, besitzt der Mensch spezifische Organe und ist als Lebewesen unteilbar. Weil Pflanzen aber sesshafte Organismen sind, die sich nicht von der Stelle rühren, haben sie sich evolutionsgeschichtlich anders entwickelt und einen modular aufgebauten Körper ohne spezifische Organe ausgebildet. Die Körperfunktionen von Pflanzen sind also nicht in speziellen Organen angesiedelt, sondern im ganzen Körper verteilt. Der Grund liegt auf der Hand: Pflanzen müssten sonst unweigerlich sterben, wenn ein gefräßiger Pflanzenfresser eins ihrer Organe verschlingen würde.

Der fundamentale Unterschied zwischen Tier- und Pflanzenreich erklärt auch, warum wir die Pflanzen bis heute nicht wirklich kennen und nicht als intelligente Wesen wahrnehmen. Wie es dazu kommen konnte, erörtern wir im zweiten Kapitel. Wir sehen dort, dass Pflanzen selbst massive Schädigungen überleben, weil sie, anders als wir, teilbar sind und zahlreiche »Kommandozentralen« sowie eine Netzstruktur besitzen, die dem Internet nicht so unähnlich ist. Schon in naher Zukunft könnte es sich allerdings als wichtig erweisen, dass wir uns mit den Pflanzen besser vertraut machen. Denn unser Überleben hängt letztendlich von ihnen ab. Nicht nur, dass es uns ohne Pflanzen gar nicht gäbe – denn ohne Fotosynthese hätte sich der Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen, nie gebildet. Pflanzen stehen auch am Anfang unserer Nahrungskette, und ihnen verdanken wir – was wir gerne vergessen – unsere Energieressourcen, die fossilen Brennstoffe, auf denen unsere Zivilisation seit Jahrtausenden aufbaut. Pflanzen sind für uns Nahrung, Arzneimittel, Energiereserve und Produktionsmaterial, also ein wertvoller Rohstoff, auf den wir auf Gedeih und Verderb angewiesen sind – und von dem unsere künftige wissenschaftliche und technologische Entwicklung in zunehmendem Maße abhängt.

Im dritten Kapitel stellen wir schließlich fest, dass Pflanzen über alle fünf Sinne verfügen: Sie können sehen, hören, schmecken, riechen und fühlen. Freilich sind ihre Sinne »pflanzlicher« Art, doch deshalb keineswegs weniger zuverlässig. Könnte man folglich sagen, dass Pflanzen uns in diesem Punkt ähneln? Nein. Pflanzen sind viel empfindungsfähiger als wir und besitzen neben unseren fünf mindestens fünfzehn weitere Sinne. So können sie etwa Schwerkraft, elektromagnetische Felder und Feuchtigkeit wahrnehmen und berechnen oder das Konzentrationsgefälle zahlreicher chemischer Stoffe analysieren.

Anders als vielfach angenommen, bestehen die grössten Ähnlichkeiten zwischen Pflanzen- und Tierreich wahrscheinlich im sozialen Bereich. Wir beleuchten im vierten Kapitel nicht nur, wie sich Pflanzen mit ihren Sinnen in der Welt orientieren, sondern auch, wie sie mit Nachbarpflanzen, mit Insekten und anderen Tieren interagieren und über chemische Moleküle kommunizieren und Informationen austauschen. Pflanzen reden miteinander. Sie erkennen Verwandte. Und sie haben Charakter: Nicht anders als in der Tierwelt gibt es opportunistische und großzügige, grundehrliche oder verschlagene Pflanzen. Pflanzen belohnen, wer ihnen Gutes tut, und bestrafen, wer ihnen schaden will.

Wie kann da noch jemand abstreiten, dass sie intelligent sind? Letztendlich handelt es sich dabei um eine Definitionsfrage, darum, wie wir den Begriff Intelligenz interpretieren. Im fünften Kapitel werden wir erläutern, warum man unter Intelligenz die »Fähigkeit zur Problemlösung« verstehen kann und warum Pflanzen sich, laut dieser Definition, gegenüber Schwierigkeiten im Leben nicht nur intelligent, sondern geradezu genial verhalten. Auch ohne ein Gehirn in unserem Sinne reagieren sie adäquat auf äußere Reize und sind sich ihrer selbst und ihrer Umwelt bewusst – auch wenn »bewusst« im Zusammenhang mit Pflanzen zugegebenermaßen etwas seltsam klingt.

Dass Pflanzen wesentlich raffiniertere Organismen sind als gemeinhin angenommen, konnte Charles Darwin als Erster durch wissenschaftlich gesicherte, quantifizierbare Daten belegen. Heute, beinah eineinhalb Jahrhunderte später, beweisen zahlreiche Forschungen, dass höher entwickelte Pflanzen tatsächlich »Intelligenz« besitzen: Sie empfangen Signale aus ihrer Umgebung, verarbeiten die erhaltenen Informationen und kalkulieren, welche Lösung ihr Überleben am besten sichert. Und damit nicht genug. Sie verfügen auch über eine sogenannte »Schwarmintelligenz«, die es ihnen ermöglicht, nicht nur als Einzelne, sondern als Gruppe bestimmte Verhaltensweisen zu entwickeln. Damit zeigen sie ein ähnliches Verhalten wie Ameisenvölker, Fisch- oder Vogelschwärme.

Nüchtern betrachtet, würde das Pflanzenreich hervorragend ohne uns auskommen. Die Menschheit dagegen wäre ohne Pflanzen zum baldigen Aussterben verdammt. Dennoch kennen beinahe alle Sprachen Wörter wie »dahinvegetieren«, die ein Leben bezeichnen, das auf die rudimentärsten Bedürfnisse reduziert ist.

Was heißt hier vegetieren? Wenn Pflanzen sprechen könnten, würden sie uns das vielleicht als Erstes fragen.

Die Intelligenz der Pflanzen

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