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Hausmannskost

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Geboren wurde ich im Jahre Eintausendneunhundertzweiundsechzig nach Christus in Ostdeutschland, in der damaligen DDR. Ich wuchs auf dem Land auf, in einem kleinen Dorf nördlich der Leipziger Tieflandsbucht. Ja, ich wurde im letzten Jahrtausend geboren, bin aber ganz und gar nicht von gestern, ich lebe in der Realität.

Als ich zur Welt kam gab es noch keine Kühlschränke für alle und gleich gar keine Gefrierschränke. Die Lebensmittel wurden kühl und dunkel in Speisekammern aufbewahrt. Haltbar wurden sie durch Einkochen nach Weck, Einwecken, gemacht. Obst, Gemüse, Fleisch – alles wurde eingeweckt. Aber auch wurden Lebensmittel geräuchert oder in Lake eingelegt. Alles auf natürliche Art. Gewürzt wurde mit natürlichen Gewürzen wie Salz und Pfeffer, Kümmel, getrockneten Paprika, Zwiebel, Knoblauch, Thymian, Majoran und vielen anderen einheimischen Gartenkräutern. Aber auch Zucker, Essig, Öl und Senf waren in den heimischen Küchen zum Würzen vertreten und sehr beliebt. Alles was im Garten, auf dem Feld, auf dem Balkon oder in Blumenkästen auf dem Fensterbrett wuchs war billig und selbst erzeugt. Alles was aus dem Ausland zu uns kam, wurde teuer eingekauft, im Tausch gehandelt und war aus diesem Grund auch im Verkauf teuer. Viel Geld hatten die Menschen in den 60-er und 70-er Jahren nicht zu Verfügung. Trotzdem konnte jeder sich die Gewürze leisten. Diese Gewürze kamen aus anderen Ländern des RGW, also aus dem sozialistischen Wirtschaftsgebiet, also befreundete Länder und Handelspartner. Richtig teuer wurde es, wenn die Waren aus den Ländern des NSW exportiert wurden. Das kostete der kleinen DDR Devisen oder andere Waren, auch Konsumgüter. Aber, auch diese Gewürze konnten wir uns leisten. Andere Gewürze, gute gehobene Gewürze wurden ab den 80-er Jahren im „d“ – delikat – Handel für sehr teures Geld verkauft. Selbst dort kauften wir ein. In Westdeutschland exportierte man die Gewürze auch aus dem Ausland. Die harte Währung war vorhanden und der Handel florierte ganz getreu dem Motto: die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Das brachte die Gewürze sehr billig ins Land und wurde billig an den Endverbraucher weiterverkauft. Alles für den Profit. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen kennen wir alle durch die marxistischen Theorien. Diese Theorien wollten nicht verstanden werden und konnten teilweise auch nicht wegen ihrer Interpretation verstanden werden. Aber eins ist Fakt, ob wir es komisch oder ernst nehmen, Karl Morx, Friedrich Engel(s) und Wolodja Uljanow hatten schon Recht, waren nur kompliziert zu verstehen. Die Aktualität ist immer noch vorhanden, egal ob vorgestern, gestern oder heute. Die marxistischen Theorien werden auch morgen noch aktuell sein, selbst bei unserem Essen – in Form von Profitgier einzelner.

Wir bewohnten ein großes Zimmer und zwei kleine Zimmer. Das Größere der kleinen Zimmer bekam Omi als Schlafzimmer, das kleiner Zimmer war das Elternschlafzimmer und der Stellplatz meines Kinderbettchens. Das große Zimmer war der Korridor, Küche, Bad und Wohnzimmer in einem. Das Klo war ein Naturklo gleich neben dem Misthaufen, schräg über den mit Kopfstein gepflasterten Hof, wo wir zur Miete wohnten. Omi ihr Zimmer war beheizbar durch einen kleinen Kanonenofen, das Schlafzimmer hatte keinen Ofen. Dafür gab es im Winter schöne Eisblumen am Einfachfenster, eiskalte Betten und glitzernden Reif am Morgen an den gemalerten und mit Ornamenten gewalzten Wänden.

Tag und Nacht bekam der Kohleherd in der Küche Holz und Knorpel zum Brennen, das Feuer durfte nicht ausgehen. Da schliefen Mami, Papi und ich in dem großen Zimmer, damit meine Windel mir nicht einfror. Ich hatte keine Einmalwindel, das gab es da noch nicht. Ich trug zeitgemäß eine Baumwolleinlage, eine Windel aus Baumwolle, eine Spreizeinlage und eine Windelhose aus wasserabweisender Folie. Und ich war genau so glücklich damit, wie meine Familie.

Und genau dieser Ofen spendete nicht nur Wärme für den Raum, sondern er war auch ein wunderbares Kochgerät. Es konnte alles richtig schonend gekocht, gegart, werden. Man brauchte einfach zum Kochen keine Zusätze, alle und auch wir kochten mit dem was vorrätig war, mit dem was Keller, „Speis“ und Schuppen so hergaben. Auch konnte man nicht einfach so in einen Supermarkt gehen und alles einkaufen. Das gab es nicht. Trotzdem waren wir glücklich, denn wir hatten einen Dorfkonsum, einen HO - Tante Emma – Laden, zwei Bäcker und einen Fleischer. Regelmäßig kam auch noch der „Fliegende Konsum“ ins Dorf oder man lief die 3 Kilometer in den Nachbarort, dort gab es ein Landwarenhaus. Viel besser war natürlich alles das, was man selbst herstellen, ernten oder schlachten konnte. Und sportlich mußte man auch noch sein, denn oftmals lief das Vieh davon und flüchtete über den Hof.

Ich hatte es da schon etwas besser. Ich bekam die Muttermilch aus der Direktvermarktung. Das war echt gut, direkt von meiner Mama. Als ich größer wurde, reichte mir das natürlich nicht mehr und ich bekam echte Milch von der Kuh und dann Brei in allen Formen und Farben. Die Zeit strich ins Land und ich genoss eine hervorragende medizinische Versorgung. Tante Maria, die Gemeindeschwester, stammte auch aus Böhmen, dem Sudetenland und aus Papas Nebenort, hatte an mir einen Narren gefressen. Wir mochten uns beide und sie ging bei uns ein und aus. Aber auch Dr. Martin mochte mich und auch Schwester Maria. Sie war ganz stolz auf mich und zeigte es auch. Das Geräusch, wenn sie mit ihrem Moped Simson SR 1 angerauscht kam erkannte ich sofort, strampelte aufgeregt, schaute zur Türe bis sie diese nun endlich öffnete. Möhrenbrei, Kartoffelbrei, Haferbrei, Grießbrei, geriebene Möhren, geriebene Äpfel – ich konnte es nicht mehr sehen und verweigerte die komplette Nahrung. Wozu hatte ich denn eine Zunge, damit konnte man ja alles schön zur Freude von Omi, Mami und Papi wieder raus schieben. Mami verzweifelte und Tante Maria fasste einen Beschluss, mit den Worten, wie meine Mami immer erzählte: „Mein Freund, warte ab, mit mir nicht.“ Dann ging sie ab zu ihrem Moped und brachte ein Paket mit. Wir bekamen viel von ihr, Hausgeschlachtetes, Obst, Gemüse, Kartoffeln, Eier, alles was zum Leben benötigt wurde. Tante Maria teilte alles und immer. Sie bat Mama um eine Schnitte, ein Brettchen und ein Messer. Von einer halben Schnitte schnitt sie den Rand ab und bestrich das Brot mit Gehacktes. Gehacktes frisch vom Schwein, frisch auf den Tisch. Mami konnte es nicht glauben. In kleine Schäfchen geschnitten schob es Tante Maria mir in den Mund. Erst verdrehte ich die Augen, dann wurden diese groß und größer und ich fand Gefallen daran. Ratzfatz war die halbe Schnitte verputzt und Maria musste aufpassen, das ich ihr nicht in die Finger biss, wenn sie nicht schnell genug war. Mir hat es geschmeckt, alle waren wieder glücklich und der Grundstein für eine Zeit ohne Brei war gelegt. Von nun an erklärte ich Milch, Möhren und Brei eine Abfahrt. Schwester Maria erzählte das alles schon Dr. Martin, meinem Arzt. In der nächsten Sprechstunde erzählte ihm Mami auch von der Milchverweigerung. Der Doktor sagte darauf nur: Geben Sie ihm jeden Tag zwei Stückchen Vollmilch-Schokolade, dann hat er seine Milch. Der Doktor war mein Freund! Von nun an bekam ich täglich 2 Stückchen Vollmilch-Schokolade. Sie bestand damals aus Vollmilch, Kakao, Kakaobutter und Zucker. Also aus reinen Zutaten. Mir fehlte es an nichts und mir ging es gut. Ich wuchs wie jedes andere Kind und hatte nach dem Windelabwurf auch eine schöne Figur, ich war schlank. Egal wo ich mit meiner Mama erschien sagten immer die Tanten: Ach ist das ein hübscher Junge, wie die Mama. Das ging runter wie reines Öl.

Bei uns wurde alles selber gekocht aus reinen Zutaten. Am liebsten mochte ich Hühnerbrühe, Hühnersuppe mit Fadennudeln oder Hühnerklein mit Muschelnudeln. Buchstabennudeln gab es damals bei uns noch nicht. Oder vielleicht das russische Alphabet, keine Ahnung, denn ich konnte noch nicht lesen. Papa hielt ein paar Hühner und auch Kaninchen. Im Winter gab es oft Kaninchen-Braten am Sonntag. Aber auch Enten und Gänse an den Feiertagen. Die bekamen wir von den Bauern teilweise im Tausch, wie es auf dem Dorf so üblich war. Als ich unterwegs war, also Mama mit mir schwanger ging, mußte Papi sehr oft Hühner schlachten. Wenn die schlecht oder nicht mehr legten, kamen die Hühner in den Topf. Mami liebte während der Schwangerschaft Hühnerbrühe und Hühnersuppe. Omi kochte gleich große Töpfe, denn es war ja kein Problem. Die Hühner konnten so richtig schön am Rand des Kohleherdes auskochen. Im Sommer gab es in unseren Dachzimmern brütende Hitze im Gebälk. Da hatten wir einen zweiflammigen Propangaskocher zum Kochen stehen. Also die Hühnersuppe war gerettet und wurde mir mit in die Wiege gelegt. Ich mag für mein Leben gerne Hühnersuppe. Fertiggerichte kannten wir damals nicht. Alles wurde selber zubereitet und den Menschen ging es gut. Welch ein Wunder. Mitte der 1960-er Jahre zogen wir vom Dorf in die Kreisstadt und in eine Neubauwohnung. Der Neubau verzögerte sich, weil Ulbricht erst einmal seine Mauer in Berlin bauen mußte. Und in der Küche stand wieder so ein schöner Herd, ein geteilter Herd. Links waren 2 Flammen und darunter eine Backröhre für Stadtgas. Auf der rechten Herdseite war der Kohleteil mit Feuerloch, Aschekasten und oben das hohe Ofenrohr. Im Winter heizte Mami den Herd und tagsüber legte Omi immer wieder Brikett oder Knorpel nach. Schön warm war es in der Küche. Rechts neben dem Ofenrohr stand immer eine Emaille-Kanne mit warmen Muckefuck, Malzkaffee. Er war aus reinem Schrot und Zichorie, einfach lecker und warm und er ging nie aus. Links neben dem Ofenrohr stand der kleine Topf mit dem Teesieb zum Teebrühen. Am Herdrand stand der Emaille-Pfeifkessel für heißes Wasser. Wir liebten den herrlichen Kräutertee aus dem Erzgebirge. Im Sommer wurde Tee und Muckefuck auf den Gasflammen gekocht, allerdings bleiben die Kanne und der Topf am gleichen Ort stehen, darin waren die leckeren kalten Getränke. Durstlöscher!

Und auch jetzt wurde weiter wie immer gekocht. Gekocht mit normalen Zutaten, alles selber zubereitet. Wir hatten und haben eine wundervolle einfache Küche, eine Küche mit Hausmannskost, ganz bodenständig. Mami und Omi kochten die gute ostpreußische Küche und Papi brachte die böhmische Küche mit in unseren Haushalt.

Essen für´n Arsch

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