Читать книгу Essen für´n Arsch - Steffen Kabela - Страница 4
Streßreduzierter Haushalt
ОглавлениеAnfang der 1970-er Jahre wurde es einfacher für die Küchen, für die Hausfrauen und -männer. Die Industrie, die Wirtschaft, holte auf in Ostdeutschland. Die altbekannten Zutaten zum Kochen standen nun in neuer Qualität in den Regalen des Einzelhandels. Für viele Zutaten fehlte dem Osten schlichtweg das Geld und wir mussten alle sparen. Auch die Schokoladenindustrie mußte sich etwas einfallen lassen. In Miltitz gab es ein großes Werk, es stellte Aromen her. Diese waren so beliebt, dass der größte Teil ins Ausland verkauft wurde, Devisenbringend. In der Schokoladenfabrik wurde zum Beispiel Erbspürree gekocht und mit Aroma versehen. Das wurde dann in eine Vollmilchpraline eingespritzt, und man erhielt ein Messe ausgezeichnetes Produkt mit dem Namen „Die fruchtigen Zwölf – Ananas“, dieses Produkt gab es in vielen Geschmacksrichtungen. Es schadete aber niemanden. Nüsse waren bei uns knapp, wir verwendeten Pfirsichkerne, veredelten diese und brachen sie in Stückchen. Es waren die Nüsse auf den Nußbergen mit Alkoholfüllung. Auch das schadete niemanden. Entweder liebte man sie oder man hasste sie. Wir kauften sie nicht. Unsere Läden füllten sich mit Büchsen und Dosen, Fischbüchsen, Fischsoljanka, Bohnen und anderes Gemüse, Obst. Aber auch kamen jetzt die Suppina – Tütensuppen in den Handel, Tempo – Erbsen und – Linsen, Suppenwürze und Brühwürfel. Sie sollten die Suppen verfeinern, das Essen verfeinern. Sie taten es auch und überwürzten alles. Es war das blanke Salz. Auch gab es als Suppina – Tütensuppe Hühnersuppe mit Fadennudeln zu kaufen. Man konnte sie nicht genießen, es ging einfach nicht. Die Suppina – Tütensuppen waren echt legendär. Allerdings die Tempo – Gerichte, es waren nur Zutaten, keine Fertiggerichte kauften auch wir gerne. Dadurch ersparten wir uns das zeitaufwendige wässern der Hülsenfrüchte.
Sehr lecker kamen die Fischbüchsen daher, in Öl oder Tomatensoße. Sie waren rein ohne viele und chemische Zutaten. Dafür gab es sie bei uns oftmals als Bückwaren unter dem Ladentisch, waren eine rare Delikatesse. Sie gingen fort, fort für die harte Währung in den Westen. So auch unsere leckere Schokolade, bestehend aus Kakao, Zucker, echter Kakaobutter.
Die moderne Hausfrau oder der moderne Hausmann kochten in Ostdeutschland alles selber am heimischen Herd. Dafür hatte unsere Industrie gesorgt, im speziellen die Konsumgüterproduktion. Alle Haushalte konnten sich jetzt Kühlschränke leisten, Kühlschränke mit Gefrierfach und auch Gefriertruhen. Und wer die reiche Westtante hatte, bekam alles Schöne aus dem Genex-Katalog.
Die kleinen Helferlein zogen in unsere Küchen ein, Kochtöpfe mit dicken Stahlböden, Schnellkochtöpfe, Küchenmaschinen, Mixer, Grillgeräte und vieles mehr. Hatte man Glück oder Vitamin „B“, also Beziehung, klappte alles schneller. Auch ich schenke meiner Mama im Frühjahr 1988 eine tolle Küchenmaschine „berlinett“ für 450 Mark der DDR. Zwei Jahre später konnte ich diese Küchenmaschine im „Quelle“ – Katalog bei Grete Schickedanz für 79,99 DM kaufen – da bekommt Kochen eine ganz andere Bedeutung. Nach 30 Jahren hatte diese Küchenmaschine ihr Leben ausgehaucht. Das war noch Qualität!
Wir, also unsere Familie, war glücklich. Wir hatten ein Dach über unserem Kopf, hatten es warm und hatten zu Essen. Wir hatten uns. Mehr kann man dazu nicht sagen.
Und da gab es noch etwas ganz wesentliches! Wenn man es hatte, war es schön, sogar sehr schön, wenn man es nicht hatte, war es allerdings auch gut: die Westverwandtschaft. Meine Patentante lebte in Bonn, die andere Patentante und Cousine meines Papi in Marktredwitz und Omi ihre Freundin, Tante Fuchs, in Norderstedt. Das waren unsere Kontakte in den goldenen Westen. Mami ihr Cousin lebte mit seiner Familie in München, Tanten und Onkels aus Ostpreußen lebten in Stade und Umgebung. Allerdings gab es dorthin keinen Kontakt. Das Telefon war zwar bereits erfunden, aber wir hatten es nicht und für uns war auch kein Anschluß vorgesehen. Also Briefwechsel und auch die persönlichen Treffen hier in Ostdeutschland und der Tschechei. Anders war es für uns nicht möglich, der „Eiserne Vorhand“ blieb für unsere Familie geschlossen.
Um andere Lebensmittel zu bekommen, andere Geschmäcker kennenzulernen blieb uns nur der Gang in ein „Magazin“, dem Russen-Konsum, der Einkauf im „potraviny samoobluha“ in Papas Heimat Böhmen, der Tschechei oder im Fress-Ex „d delikat“ für teure Aluchips. Es gab noch eine Alternative, jeder gelernte DDR – Bürger kennt es und weiß es, hatte es oder auch nicht. Selbst an den einhundertprozentigen Genossen ging es nicht vorbei: das Westpaket oder auch Care-Paket. Es wurde geliebt und auch gerne gesehen. Gebraucht wurde es nicht, Hunger leidete niemand in Ostdeutschland. Wenn es klingelt und die Postfrau stand an der Tür und wollte 20 Pfennige, dann war es da, das Paket aus dem Westen mit dem ganz eigenen Duft und den vielen Köstlichkeiten. Die ganze Familie versammelte sich um das Paket und das Auspacken wurde zelebriert. Es tat auch noch etwas Gutes, was wir allerdings erst sehr spät erfuhren: es war von der Steuer absetzbar!
Wir bekamen Westpakete zu den Feiertagen wie Ostern und Weihnachten, aber auch zu Geburtstage. Ab und zu kam auch mal ein Paket zwischendurch an. Omis Freundin schickte ihr zum Geburtstag 10 Westmark. Die brachten wir in den „Intershop“ und kauften für Omi den gewünschten löslichen Kaffee und Schokolade, für den Enkel ein kleines Glas „nutella“, für Mami Schokolade und für Papi eine Schachtel Zigaretten. Für die 30, 40 Pfennige Rückgeld gab es kleine Täfelchen Schokolade. Tante Silvi packte bei ihrem Besuch im Osten dann immer Plastebeutel zurecht, die wir Familienmitglieder bekamen, mit Schokolade, Feinstrumpfhosen, Kaffee, Zigaretten, Sechsämtertropfen, Fischbüchse und andere Leckereien. Die Pakete waren auch immer sehr schön gepackt, zu Weihnachten sogar alles einzeln in herrlichem Weihnachtspapier eingeschlagen. Darin waren die Leckereien für die Feiertage und Geschenke. Ich erinnere mich noch gut an die Schokolade im Staniolpapier und dem lila Umschlagpapier mit der schönen Kuh darauf, dargestellt vor den hohen Bergen. Aber auch die Schokoladentafeln mit den schönen Stückchen und dem Mohr darauf. Der Mohr auf der Schokolade – genau, heute der farbige Migrant in orientalischer Tracht. Und die Schokolade schmeckte, sie war lecker aus Kakao, Kakaobutter und Zucker. Sie wurde einfach nur genossen. Und dann der schöne Weihnachtskalender, die Pea-Mischung aus dem Supermarkt mit dem Aufdruck „Böhme“. Da war doch was, genau „Böhme“, so hieß unsere Schokoladenfabrik doch auch einmal im Ort. Und „Böhme“ war bekannte und gute Schokolade. Genau diese Pea-Mischung wurde auch noch hier hergestellt und in den Westen exportiert. Im Care-Paket sahen wir sie wieder, die gute Weitgereiste. Für das Frühstück waren die Scheibletten und das Frühstücksfleisch in der Büchse im Paket, für das Abendbrot die Ölsardinen und die harte Wurst, für den Nachtisch zum Mittag die Paradies-Creme vom Dr. Oetker und die dazugehörige Schlagsahne in Pulverform. Große Augen machten wir bei den Suppen und Soßen. Hühnersuppe mit Fadennudeln, Champignon-Creme-Suppe, Spargelcremesuppe, Rindfleischsuppe mit Nudeln, Tomatensuppe mit Croutons, alles in der Tüte oder in den kleinen Kartons im Doppelpack von einem anderen Hersteller mit Hühnersuppe, Frühlingssuppe, Ochsenschwanzsuppe, Rindfleischsuppe oder Tomatensuppe. Und dann noch die leckeren Saucen, Bratensauce, Rindersauce, Helle Sauce. Alles war lecker, super lecker und löste große Freude aus.
Von unseren Traditionen an den Festen wichen wir allerdings nicht ab. Diese Traditionen waren für uns wichtig und heilig. Kompromisse gingen wir schon ein. Als Nachtisch kam die leckere Dr. Oetker Paradies Creme auf den Tisch und die rundete das Festtagsmenü ab. Mit dabei: unser eingewecktes Kompott.
Auch die schönen kleinen brauen Gläser mit der bunten Aufschrift und den schönen Schraubdeckeln dürfen wir nicht vergessen. Darin war die leckere „Klare Hühner – Bouillon“. Sie schmeckte ganz vorzüglich, einfach lecker und gut. Der Tag eiskalt und schneereich oder regnerisch und trüb – nichts war besser, nach der Arbeit zu Hause eine Tasse von der leckeren Bouillon, einen Löffel gekörnte Bouillon in den Pott, kochendes Wasser darüber, umrühren und genießen. Dazu eine Schnitte frisches Brot mit guter Butter. Danke M… und K…! Aber auch selbst gekochte Suppen wurden einfach leckerer mit den herrlich aromatischen Brühwürfeln. Es schmeckte dadurch zwar alles gleich, aber gleich westdeutsch gut. Es war eben von Drüben und das schmeckte lecker.
Und noch besser schmeckte es mit der Würzflüssigkeit in der viereckigen Flaschen mit dem gelben Etikett und der roten Tülle. Ein paar Tropfen davon in die Suppe und der Tag begann! Genauso jetzt neu im Westpaket das gelbe Würzsalz. Plastikstreuer in gelb und ein roter Deckel. Ich liebte dieses Würzsalz.
Omi ließ Schmer aus für Griebenschmalz. Es wird immer in meiner Erinnerung bleiben, es war einfach nur ein extremer Genuß. Eine Schnitte frisches Brot, darauf das Fett mit den Grieben, Salz darüber fertig. Papi machte es vor, mit ein paar Tropfen Würze schmeckte es noch viel besser.
Aber auch eine Scheibe Weißbrot mit frischer Butter und ein Ei darauf aufgeschnitten schmeckte noch viel leckerer mit dem herrlichen Würzsalz.
Wir teilten alles in unserer kleinen Familie und genossen alles gemeinsam, es war schon wie ein Ritual. Omi sagte immer: Ach, was der Westen alles so Schönes hat und das schmeckt so gut. Spargelsuppe, man schmeckte den herrlichen Spargel und den Schmand. Viel frischer Spargel war in der Suppe und die Rahm richtig frisch. Wie kam das alles nur in die Tüte, fragten wird uns. So viele Champignons in der Tütensuppe, man sah richtig die Stückchen und dann das Aroma! In der Frühlingssuppe das viele gesunde Gemüse und in der Tomatensuppe spürte man so richtig die Sonne und die Reife der Tomaten aus dem Süden. Auch die Ochsenschwanzsuppe war einfach nur Genuß pur.
Ein Rindvieh aß das andere Rindvieh – der Schummel war zwar klar, aber wir ahnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, das wir zu den Ochsen gemacht wurden und waren.
Und genau so ging es immer weiter. Wir kochten, also Omi in der Woche und Mama am Wochenende, ganz natürlich unser Essen, täglich frisch. Wir kochten sehr wirtschaftlich, Suppe, Eintöpfe, wurde gleich ein großer Topf gekocht. Je öfter Eintöpfe gewärmt wurden, um so leckerer schmeckten sie. Omi und Mama kochten ganz phantastisch und ich lernte von ihnen die leckere Küche.
Egal wie, ganz zum Abschluß kam der große Genuß. Bei uns gab es kein -ich-, nein wir teilten alles. Egal was es war, die leckeren Süßigkeiten für den bunten Teller zu Weihnachten, die gefüllten Ostereier an Ostern oder die Schokoladen und Pralinen. Selbst der Riegel Mars, Nuts, Bounty oder Raider kam unters Messer. Nur Papa rauchte seine Westzigaretten selber, es roch dann immer nach Weite und Freiheit durch HB, Camel, Ernte 23 und Co, und später stank es gen Himmel. Ich rauchte auch manchmal eine Zigarette mit Papa, eine Kaugummi- oder Schokoladenzigarette. Sie waren oft mit im Westpaket, aber wir kauften sie auch in Böhmen ein. Sie waren nicht teuer, kosteten ein paar Heller, aber es gab sie dort.