Читать книгу Mission Brüderchen - Stella Fink - Страница 6
4
ОглавлениеAls könne sie jeden Augenblick wie ein aktiver Vulkan ausbrechen und uns mit glühend heißer Lava den Ausweg versperren, verbaut Lenny und mir jemand von innen die Tür meines Elternhauses. Mit verschränkten Armen, vollkommen genervt und stocksauer steht sie da und verdreht, kaum dass sie mich sieht, die Augen: Paula. Nur einen Moment, bevor wir das Haus verlassen wollten, ist sie hereingekommen. Eigentlich wollten wir weiter zum Bahnhof, Lenny hat mir seine Hilfe versprochen. Mit Paulas Aufkreuzen habe ich nicht gerechnet. Jetzt muss ich mich vor ihr auch noch rechtfertigen. Dabei habe ich doch nur Gutes im Sinn.
»So, du kleine Kröte, da wunderst du dich, dass ich schon zurück bin, was?«, faucht Paula mich an. »Ich hab den Bus genommen. Auf den letzten Metern von der nächsten Haltestelle aus hab ich dann auch noch einen Absatz von meinen Schuhen verloren. Ich bin genervt hoch drei. Nur weil Fräulein Wanda wieder ihre Extratouren macht. Unsere Eltern waren echt enttäuscht von dir. Und wer darf dir hinterherrennen? Na klar, ich! Also überlege dir gut, was du jetzt machst.«
Wir betrachten ihre hochhackigen Treter. »Das tut mir leid, Paula.« Ihrem Blick nach interessiert sie das wenig. Dennoch muss ich ihr klarmachen, wie wichtig mein Plan ist. Und das am besten, ohne ihr nur die kleinste Kleinigkeit zu verraten.
Ihr Gesichtsausdruck lässt nun keinen Zweifel: Paula will Antworten. »Also, was soll das? Warum bist aus dem Auto gesprungen?«
Mir fällt auf die Schnelle nichts Überzeugenderes ein, als: »Wir planen eine Überraschung für Mama und Papa.«
Paula grinst. Sie hält es für eine Ausrede. »Ausgerechnet jetzt, wenn sie ins Krankenhaus fahren, soso.« Ihr Augenmerk richtet sich auf Lenny, der erstaunlich locker bleibt, und dann auf meinen vollgepackten Rucksack. »Was macht er eigentlich hier? Und wo wollt ihr hin?«
Ihr Ton schüchtert mich ein, aber ich lasse mich nicht beirren. Zu wichtig ist mein Vorhaben. »Ich kann es dir nicht sagen, Paula. Nicht jetzt.« Ich greife nach ihrer Hand. »Bitte, trau mir doch einmal etwas zu. Nur einmal! Es dreht sich wirklich nur um eine Überraschung für unser Brüderchen.«
Sie schaut mir tief in die Augen. Als wolle sie herausfinden, ob ein Funken Ernst in meiner Aussage lag. »Und was sage ich unseren Eltern?«
»Sag ihnen nur, dass es für unser Geschwisterchen ist.« Beim nächsten Satz wundere ich mich selbst über meine Ausdrucksweise und die Überzeugung, die in meinen Worten liegt: »Dass es für seine Zukunft unerlässlich ist.« Ich merke, wie Lenny mich beeindruckt ansieht, Paula eher befremdlich.
»Hast du sie noch alle, Wanda? Was erwartest du jetzt von mir? Ich soll dich zu Mareike verfrachten, und nicht irgendeinen irren Plan von dir unterstützen.« Sie wird wütend. »Überhaut, wer hat Mama damals gesteckt, dass ich mit dem Typen aus der Rockerclique herumgeknutscht habe? Und auf seinem Motorrad mitgefahren bin? Da hast du auch nicht dichtgehalten.«
»Ja, aber du weißt doch gar nicht, warum!«
»Was, warum?«
Wieso ich gepetzt habe, will sie wissen. Mama kannte den Grund und meinte nur, dass ich das richtig gemacht habe. Doch Paula kannte nicht die ganze Geschichte.
Noch immer sieht sie mich böse an. Jetzt ist auch schon alles egal, sie wird mich sowieso nicht unterstützen, leuchtet mir ein.
»Und dass ich beim Herumtoben dein Smartphone fast geschrottet …« Noch im Satz fällt mir ein, dass ich ihr das noch gar nicht gestanden habe.
»Ach, deshalb geht die Kamera nicht mehr. Aha, gut zu wissen.« Paula löst ihre Hand aus meiner, wendet sich ab, will gehen. »Mach doch, was du willst!«, blafft sie mich an.
Wenn ich ihr nun noch beichten würde, dass ich ihr Tablet im Rucksack habe, würde sie total durchdrehen. Aber ich brauche es auf der Zugfahrt nach Berlin. Es ist klüger, das nicht zu erwähnen. Ich würde es hüten wie meinen Augapfel, beschließe ich. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Erklärungen. Und auch nicht für ausführliche Entschuldigungen.
»Sorry, Schwesterherz«, sage ich zu Paula, halte sie am Arm fest, stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse sie auf die Wange. »Ich erkläre dir später alles. Bitte halte mich auf dem Laufenden, wenn unser Brüderchen auf dem Weg ist.« Dann schnappe ich mir Lennys Hand und zerre ihn an Paula vorbei aus der Wohnung.
Paula ruft mir noch etwas zu, als wir die Straße entlang rennen. »Kann ich mich auf dich verlassen, dass du nicht wieder irgendeinen Unsinn anrichtest?«
Ich werde ihr noch die Wahrheit über diesen Rocker erzählen, nehme ich mir fest vor. Mal sehen, ob sie dann immer noch so sauer auf mich ist.