Читать книгу Eine zugige Existenz - Stephan Franke - Страница 6

Auch die Suche nach Wahrheit und Sinn ist meine Sache nicht, dafür könnt ihr aber eine Menge über den gezielten Einsatz alkoholischer Getränke von mir lernen.

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Um euch ein Bild von meiner Person zu machen und in der Hoffnung, bei euch damit ein wenig Verständnis für meine Bahnfahrliebhaberei zu erzeugen, sollte ich euch noch schildern, wie ich später auch in beruflicher Hinsicht mit viel Umsicht und etwas Cleverness jedes Ziel zu meiden suchte.

Doch vorher genehmige ich mir eine kleine alkoholische Stärkung. Dazu müsste ich euch vielleicht noch erklären, dass ich in vielfältigen Selbstversuchen herausgefunden habe, dass der Genuss von Alkoholika einerseits eine stärkende Wirkung hat, andererseits aber auch sehr geeignet ist, den menschlichen Geist in der Vermeidung von Zielsetzungen jedweder Art zu unterstützen. Pharmazeutisch gesprochen kann Alkohol (wenn richtig, also mit mannhaftem Schluck dosiert) auch als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnet werden - steht genügend zur Verfügung, könnte man auch von einem Nahrungsersatzmittel sprechen.

Eine dritte, mir jedoch weitgehend unangenehm erscheinende Wirkung mancher prozenthaltiger Getränke, liegt in der Unterstützung bei Grübeleien und Sinnsuchen verschiedenster Art (Sinn der Arbeit, Sinn der Liebe, Sinn des Lebens, Sinn von Bausparverträgen …). Da ich jede Sinnhaftigkeit genauso wie alle Arten von Zielen konsequent ablehne, ist mir dieser Effekt des Alkohols höchst unangenehm. Aber fatalerweise kann es schon mal bei einer unbedachten Verkostung dazu kommen, dass es nicht zu der erwünschten Wirkung der Stärkung und Zielvermeidung kommt, sondern dass sich plötzlich quasi durch die Hintertür des Hirns sinnsuchende Gedanken einschleichen. Dann ist höchste Wachsamkeit angesagt!

Als sofortige Gegenmaßnahme ist ein beherztes Wegspülen mit Hochprozentigem unbedingt und ohne Zeitverzögerung angezeigt. Dabei darf in dieser Notsituation auf persönliche Geschmackspräferenzen keine Rücksicht genommen werden – egal was gerade greifbar ist, ob Weinbrand, Wodka oder Jägermeister, in dieser akuten Gefahrensituation ist jedes Mittel recht, sofern es in ausreichender Menge zur Verfügung steht.

Hat sich dann eine ausreichend stabile alkoholinduzierte Immunität gegen Sinnfragen jedweder Art eingestellt, ist eine gründliche Ursachenforschung angezeigt. Welches Getränk erzeugte diese fatale unerwünschte Nebenwirkung? Aus akribisch geplanten und durchgeführten Versuchsreihen habe ich den Schluss gezogen: hütet euch vor Rotwein! Ganz besonders vor dem französischer Provenienz. Jedes Getränk soll mir recht sein, der stärkende Obstler genauso wie das gelassen machende Starkbier, der milde stimmende Weinbrand wie der fidele Jagertee – aber um Gotteswillen, lasst die Finger vom Rotwein! Er macht euch zu Sinnsuchern, er benebelt euren Geist derart, dass ihr nicht davor zurückschrecken werdet, den Sinn eurer Ehe oder von Bundestagswahlen verstehen zu wollen. Wenn ihr dem Roten verfallt, werdet ihr mit dem Sinnsuchen nicht eher aufhören, bis ihr in der Gosse oder in einem Vereinsvorstand landet.

Ihr merkt, dass ich mich langsam selbst in Rage schreibe – dabei ist das eigentlich das Letzte, was ich möchte. Gut, dann also von mir aus: trinkt was ihr wollt, ich werde euch sowieso nicht daran hindern können und manche Erfahrung muss wahrscheinlich jeder selbst machen, ist nicht mein Problem. Ich für meinen Teil werde mich jetzt erstmal mit einer Flasche Doppelbock erden. Diese kleine Achtsamkeitsübung hat mir schon so manches Mal geholfen, der Macht der überschäumenden Emotionen einen Riegel vorzuschieben.

Ich gehe zum Kühlschrank, nehme eine gut gekühlte Flasche, schenke mir das erste Glas ein, nehme einen Schluck und schon stellt sich augenblicklich die gewünschte Gelassenheit ein. Wie albern war es, euch von der schädlichen Wirkung des Rotweins überzeugen zu wollen. Niemanden will ich von nichts überzeugen (oder war das jetzt eine doppelte Verneinung? – aber ich denke ihr seid intelligent genug, dass ihr schon wisst, was ich sagen möchte), denn eins ist nun mal klar und für den hellsichtigen Geist unbestreitbar: jeder Überzeugungsarbeit haftet unweigerlich der üble, ja pestilenzartige Beigeschmack von Sinn und Ziel an.

Nein, das Überzeugen ist meine Sache nicht. Ich möchte nur ganz schlicht von meinen Beobachtungen und Erfahrungen berichten und zwar ausschließlich deshalb, weil es mir Freude macht. Es bereitet mir einfach viel Vergnügen, wenn ich daran denke, wie ihr mit weit geöffneten Augen und Ohren meine Berichte lest und mit gerötetem Hals und weichen Knien merkt: so hängt das also in Wahrheit alles zusammen – und ich dachte immer das wäre alles ganz anders.

Ja, die Wahrheit ist manchmal wie ein fetter Schweinsbraten, man stopft und stopft gierig davon in sich hinein, kann gar nicht genug bekommen und muss sich erbrechen. Ist dann auch das letzte Stückchen Wahrheit wieder hinausgewürgt, geht es einem besser. Man fühlt sich leichter und unbeschwert, nimmt sich vor, dass einem das sobald nicht wieder passieren soll, das mit der Wahrheitsschlingerei. Denn ohne diese schwer verdauliche Kost lebt es sich doch entschieden leichter.

Wo ich gerade von dem leidigen Thema Wahrheit spreche, fällt mir ein, dass diese sich bisweilen geradezu penetrant aufdrängt, auch wenn man eigentlich wenig Interesse an ihr hat. Ich werde euch dazu in der nächsten Folge noch eine ganz erstaunliche Begebenheit erzählen – und seid bitte nicht ungeduldig, in Kürze wird auch unsere Bahnfahrt beginnen. Da fällt mir noch etwas ein: von meinem beruflichen Werdegang wollte ich euch eigentlich in dieser Folge berichten, aber so kann es gehen, kaum hat man sich ein Ziel gesteckt, hat man es auch schon wieder vergessen. Jedoch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, darüber werde ich später noch Außerordentliches zu berichten wissen!

Eine zugige Existenz

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