Читать книгу Eine zugige Existenz - Stephan Franke - Страница 8

Ich muss mich euch unbedingt noch vorstellen und darüber aufklären, wieso mein Name immer wieder mit einer großen Erfindung in Verbindung gebracht wird.

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Zu meinem großen Entsetzen fällt mir gerade ein, dass ich mich euch noch gar nicht vorgestellt habe. Das ist mir richtig peinlich. Da wisst ihr schon so einiges über mich und die verschlungenen Pfade meines Lebens, kennt bis jetzt aber noch nicht meinen Namen. Dieser Missstand muss schleunigst behoben werden. Also darf ich mich jetzt vorstellen, mein Name ist Kevin Maria Strassberg.

Diesem Versäumnis ist wahrscheinlich auch geschuldet, dass immer wieder behauptet wird, mein Name sei Stephan Franke. Eine geradezu lächerliche Verwechslung! Herr Franke ist mir nur weitläufig bekannt und er vertritt in den entscheidenden Fragen, eine gänzlich andere Lebensphilosophie als ich. Unter uns: wir sind derart verschieden, dass mir eine nähere Bekanntschaft eher unangenehm wäre.

Erstens fährt er nie Bahn und scheint mir ein Bahntotalverweigerer miesester Natur zu sein. Zweitens ist er überzeugter Abstinenzler, so seine feste Selbsteinschätzung, die ich jedoch gerne mal kritisch hinterfragen würde. Außerdem ist er im Gegensatz zu mir verheiratet. Auf seinen Ehestand angesprochen, redet er stets bedeutungsvoll von glücklich verheiratet. Eine wahrlich abgedroschene Phrase, die ich nie in den Mund nehmen würde und die ein weiterer Grund dafür ist, von dem sogenannten Bund fürs Leben weitesten Abstand zu halten. Überhaupt ist ja alles, was mit Bund zusammenhängt, zu meiden: Bundespolizei, Bundeswertpapiere, Bundestagswahlen, Kniebundhosen und Bunte Abende.

Einmal habe ich sogar Frankes Frau getroffen. „Sie sind also die glücklich verheiratete Frau Franke“, hatte ich sie begrüßt. Darauf sie, den Blick somnambul in die Ferne gerichtet: „Glücklich ist ein großes Wort.“ Worauf sie aufsteht, mit großen Schritten den Raum verlässt und die Toilette aufsucht. Sie litt seinerzeit unter einer hartnäckigen Magen-Darm-Infektion.

Übrigens lasse ich mich auch gerne mit Vornamen ansprechen. Aber bitte weder mit Kevin noch mit Maria. Ich hasse meine Eltern noch heute für diesen doppelten Fehlgriff. Nennt mich einfach K.M., von mir aus auch mit englischem Tonfall key-äm, falls euch das weltläufiger erscheint.

Bei meinem Nachnamen Strassberg denkt ihr alle sicher sofort an – na woran wohl? Jetzt nicht direkt weiterlesen, sondern bitte mal kurz innehalten und nachdenken. So, jetzt kommt’s euch allmählich – klar, ihr denkt an die weltberühmten Gebrüder Strassberg. Mit diesen bin ich jedoch weder verwandt noch verschwägert.

Wie ihr alle wisst, hatten die Strassberg-Brüder vor ca. 30 Jahren dieses Ding erfunden, das sie schlagartig berühmt gemacht hat. Ich komm‘ jetzt momentan leider nicht auf den Namen dieser Erfindung. Aber ihr wisst ja sicher, wovon ich spreche. Gleich hab ichs wieder, einen Moment nur. Es war dieses Gerät, bestehend aus mehreren Zahnrädern, einem Trichter und einem konischen Drehknopf mit Skala, das erst sehr viel Lärm machte und dann explodierte. Vorher hat es aber noch wunderschöne Farben produziert, eine wahre Pracht, direkt ein Farbenwunder. Sollte eine praktische Anwendung von Goethes Farbenlehre sein, nur eben entschieden zu laut und sehr explosionsgefährlich.

Letztlich scheiterte daran auch die Vermarktung und nach mehreren Explosionen auf Weihnachtsmärkten und Wohltätigkeitsveranstaltungen wurden die Gebrüder Strassberg zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach Verbüßung ihrer Strafe sind sie bis heute noch gern gesehene Gäste in Talkshows zu den Themen Sicherer Umgang mit Farben oder Genialität und Herstellerhaftung.

Ja glaubt ihr, ich käm jetzt auf den Namen dieser Erfindung? Es ist verflixt, immer wenn man sich unbedingt an etwas erinnern will, fällte es einem partout nicht ein. Vielleicht könnte mir einer von euch da aushelfen, bitte schreibt mir, wie diese Erfindung, die ihr alle kennt, heißt.

Übrigens, nur am Rande bemerkt: das ging mir als Kind auch schon so, dass ich gerade dann, wenn ich einen Namen ganz dringend benutzen wollte, er mir um’s Verrecken nicht einfiel. Z. B. kam ich einmal von der Schule nach Hause und wollte diese liebe Frau, die immer so wunderbares Mittagessen für mich kocht, höflich mit Namen begrüßen. „Guten Tag liebe … .“ Da war’s wieder, ihr Name war wie weggeblasen! In meiner Not sagte ich: „Guten Tag liebe Köchin.“ Sie lachte und sagte, ich könne sie ruhig Mama nennen.

Habe mir ihren Namen direkt in mein Merkheft geschrieben. Dort stand schon in Schönschrift Papa. Jetzt galt es nur ein System zu finden, um die Namen nicht dauernd zu verwechseln. Im Laufe der Zeit wurde das Merkheft immer umfangreicher: Tante Elisabeth, Onkel Klaus, Herr Virnich (unser Nachbar), Frau Nawratil (meine Lehrerin) usw. Die Merkheftmethode funktionierte ganz prima. Nur wenn ich sehr aufgeregt war, verwechselte ich schon mal zwei Namen. Meine Lehrerin ermahnte meine Eltern deshalb einmal auf einem Elternsprechtag: „Wenn ihr Kevin Maria mich noch einmal Onkel Klaus nennt, muss er auf eine Sonderschule.“

Das blieb mir jedoch erspart, in diesem Punkt arbeitete ich sehr hart an mir. Immer wenn ich meine Lehrerin doch mal wieder irrtümlich mit Onkel ansprach, besann ich mich blitzschnell eines Besseren und kriegt noch die Kurve zu Onkel Nawratil. Da sie durchaus auch über maskuline Züge verfügte, konnte sie mit dieser Notlösung offenbar leben.

Eine zugige Existenz

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