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1.5 Wo stehen wir heute?

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Gesellschaftlicher Wandel kann für das Recht nicht ohne Folgen bleiben. Drei ‚Epochen‘ oder ‚Modelle‘ wären innerhalb der Familienrechtsgeschichte zu unterscheiden: An erster Stelle steht das „patriarchalische Ernährermodell“, auf dem auch das Familienrecht des BGB in der Fassung vom 1. Januar 1900 noch beruht. Daran schließt sich im 20. Jahrhundert das formal „egalitäre Ernährermodell“, welches nach der Wende zum 21. Jahrhundert durch neue materiale Wertvorstellungen überholt zu werden scheint. Der Hauptunterschied dieser drei ‚Modelle‘ liegt darin, dass sie verschiedene Lösungen für das Problem geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung vorsehen.

Nach dem „patriarchalischen Ernährermodell “ ist die Frau zur Haushaltsführung bzw. zur Pflege und Erziehung der Kinder verpflichtet. Sie muss diese Leistungen unentgeltlich erbringen, was die Verfasser des BGB mit dem Argument rechtfertigen, dass der Mann die „ehelichen Lasten allein zu tragen“ habe (7.4.2, S. 211). Die Arbeitsteilung der Geschlechter steht also unter der Prämisse, dass der außerhäuslich erwerbstätige Mann zur Leistung von Barunterhalt und die Frau zur unentgeltlichen Erbringung „häuslicher Dienste“ verpflichtet ist. Diese Art von ‚Austausch‘ oder ‚Reziprozität‘ ist freilich nicht egalitär, sondern hierarchisch

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strukturiert. Es herrscht der Grundsatz ‚wer zahlt, befiehlt‘: Wer die „ehelichen Lasten“ trägt, gilt als „Haupt der Familie“, dem zugleich die Entscheidungsgewalt zusteht. Während also das patriarchalische Ernährermodell auf der Idee eines ‚Austauschs‘ von ‚Versorgung gegen Gehorsam‘ beruht, erblicken die Anhänger eines egalitären Ehe- und Familienrechts nicht nur im Barunterhalt, sondern auch in den „häuslichen Diensten“ eine geldwerte Leistung. Sie meinen, dass Hausarbeit und außerhäusliche Erwerbstätigkeit als rechtlich gleichwertig behandelt und die Begriffe von „Arbeit“ und „Unterhalt“ auch auf die Tätigkeit des nicht erwerbstätigen Ehegatten ausgedehnt werden müssen. Mit dem Gleichberechtigungsgesetz von 1958 hat dieses ‚Modell‘ im BGB einen ersten Niederschlag gefunden: Die ehemännlichen Entscheidungsbefugnisse wurden abgeschafft, Erwerbs- und Hausarbeit gleichgestellt und das Zugewinnausgleichsrecht eingeführt. Die große Reform des Ehe- und Familienrechts von 1977 hat dann die Pflicht des erwerbstätigen Ehepartners zur Leistung von nachehelichem Unterhalt erheblich ausgeweitet. In Verbindung mit der Einführung des Versorgungsausgleichs führte dies zu einer bislang nicht gekannten Absicherung der nicht erwerbstätigen Ehefrau. Eine solche „asymmetrische“ Interpretation formaler Gleichstellung schien geboten, um auch unter gewandelten Bedingungen am Ernährermodell festhalten zu können.

Trotz aller Unterschiede beruhen „patriarchalisches“ und „egalitäres“ Ernährermodell auf einer Reihe gemeinsamer Merkmale. Dazu gehören die strikte Trennung von häuslicher und außerhäuslicher Tätigkeit oder die Ableitung der vermögensrechtlichen Stellung der Frau aus der Erwerbstätigkeit des Mannes. Während aber das „patriarchalische“ Ernährermodell mit der Idee verbunden ist, dass die Auflösung einer Ehe nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen zulässig ist, strebt das „egalitäre“ Ernährermodell nach einer Erleichterung der Scheidung. Auf den sich in den 1970er Jahren abzeichnenden Trend der Zunahme von Scheidungen reagierte das „egalitäre“ Ernährermodell mit einem ungebremsten Ausbau von Schutzmechanismen zugunsten des in der Ehe nicht erwerbstätigen Ehegatten. Mit Konzepten wie „lebenslange nacheheliche Solidarität“ oder „Lebensstandardgarantie“ glaubten seine Anhänger selbst nach Abschaffung des Verschuldensprinzips noch daran

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festhalten zu können, dass die Ehe eine dem eigenen Erwerbseinkommen vergleichbare Versorgung des nicht erwerbstätigen Ehegatten biete. Auch das „egalitäre“ Ernährermodell beruht auf einem Verständnis der Ehe, das den Akzent nicht auf Individualität, sondern auf Status und damit auf lebenslange Versorgung und letztlich Abhängigkeit legt. Durch Begriffe wie „nacheheliche Solidarität“ oder „Lebensstandardgarantie“ werden die familienrechtlichen Ausgleichssysteme geradezu darauf programmiert, auch solches Vermögen zu vergemeinschaften, das „eheneutral“, d.h. nicht auf Grundlage gemeinsamen Wirtschaftens erworben wurde.

Die fortschreitende Individualisierung und Pluralisierung der Lebensverhältnisse hat dazu geführt, dass gegenwärtig vermehrt über einen Wandel von Leitbildern und die Auflösung geschlechtsspezifischer Rollen­stereotypen diskutiert wird, wie sie nicht nur im „patriarchalischen“, sondern auch in den verschiedenen Varianten eines „egalitären“ Ernährer­modells zum Ausdruck kommen. Heute müssen Paare auf Fragen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die früher durch Rollenbilder, im Recht verankerte Eheverständnisse oder Status gelöst wurden, häufig selbst eine Antwort finden. Vor diesem Hintergrund gewinnt eine dritte Perspektive an Interesse, die im Zeichen eines Aushandelns der Lebensplanung steht. Der Hauptunterschied dieses Ansatzes zum überkommenen Familienernährermodell besteht darin, dass die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern nicht mehr als dem Recht vorgegeben, sondern als Folge einer gemeinsamen Entscheidung im Lebenslauf der Paare erscheint. Mit der Ehe- bzw. Partnerschaftsbedingtheit als leitendem Prinzip einer geschlechtergerechten Vermögens- und Haftungsteilhabe rückt für die familienrechtlichen Ausgleichssysteme die in der Ehe gelebte Aufgabenteilung – die im Einzelfall begründete Verantwortungskooperation – ins Zentrum des Interesses. Sie bildet nun den wichtigsten Anknüpfungspunkt für eine geschlechtergerechte Aufteilung der während der Dauer der Ehe bzw. Partnerschaft erzielten Vermögensvorteile und für die Bestimmung der wegen der Ehe bzw. Partnerschaft einseitig erlittenen Nachteile.

Wer den Fokus auf das Individuum und seine Entwicklung im Zeitverlauf legt, wird die Verantwortungskreise anders ziehen als diejenigen, die an Status und lebenslange Versorgung anknüpfen. Größere

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Verantwortung muss z.B. für die Gestaltung des eigenen Erwerbslebens übernommen werden. Das zeigen die neuesten Entwicklungen etwa im Unterhaltsrecht, dessen Funktion sich seit der Reform von 2008 in erster Linie auf einen Ausgleich „ehebedingter Nachteile“ beschränkt. Ähn­liches gilt im Recht der Zugewinngemeinschaft. Auch hier scheint die Entwicklung in Richtung einer genaueren Bestimmung des Gegenstands der Ausgleichsansprüche zu weisen. Allgemein lässt sich feststellen, dass eine Vergemeinschaftung auch des eheneutralen Vermögenserwerbs unter Bedingungen fortschreitender Individualisierung und Pluralisierung der Lebensverhältnisse auf immer weniger Akzeptanz in der Bevölkerung stößt. Es wäre allerdings ein Fehler anzunehmen, dass Kriterien wie „Ehe“- oder „Partnerschaftsbedingtheit“ in allen Fällen eine Steigerung der „Eigenverantwortung“ zur Folge hätten. Denn Frauen übernehmen in Paarbeziehungen statistisch betrachtet nach wie vor den überwiegenden Teil der Familien- und Hausarbeit. Zwar sind die Geschlechter im jungen Erwachsenenalter heute so ‚gleich‘ wie niemals zuvor. Mit der Familiengründung und der Geburt von Kindern kommt es aber häufig zu Veränderungen, die den Lebensverlauf junger Frauen in ganz andere Bahnen lenken als den ihrer männlichen Partner. Ungeachtet aller Kritik an der traditionellen Arbeitsteilung, der rechtlichen Aufwertung von Hausarbeit und den Bildungserfolgen von Frauen liegt in diesem Unterschied noch immer das Zentrum der Ungleichheit im Geschlechterverhältnis.

Dieser Befund bedeutet für eine Rechtsordnung, deren familienrechtliche Ausgleichssysteme nicht mehr einfach an das überkommene Rollenmodell anknüpfen können, eine große Herausforderung. Kommt es zur Scheidung, wäre nun zu untersuchen, ob und in welchem Umfang die Partner verlässliche Abreden über Funktionsteilungen getroffen haben. Die Untersuchung der gemeinsam ausgehandelten „Verantwortungskooperationen“ dient der Ermittlung von Einbußen, die durch die Ehe bedingt und insoweit prinzipiell ausgleichsfähig sind. Dazu muss geklärt werden, ob ein Partner hierfür allein verantwortlich ist oder den anderen eine Mitverantwortung trifft. Von einer Mitverantwortlichkeit ist auszugehen, wenn die Ehegatten darin übereingekommen sind, dass ein Partner seine Berufstätigkeit aufgibt oder einschränkt, um im gemeinsamen Interesse Pflege- oder Erziehungsaufgaben zu übernehmen. Dann

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wären jene Einbußen auszugleichen, die dadurch entstehen, dass er im Vertrauen auf die Beständigkeit der gemeinsamen Lebensplanung Entscheidungen trifft, die sich auf seine berufliche Lage negativ auswirken.

Der Vorteil von Kriterien wie „Ehe“- bzw. „Partnerschaftsbedingtheit“ und „Aushandeln von Verantwortungskooperationen“ liegt darin, dass sich auf ihrer Basis den Verschiedenheiten weiblicher und männ­licher Individualisierung bei größerer Scheidungshäufigkeit und kürzerer Ehe- oder Beziehungsdauer Rechnung tragen lässt: Durfte die Frau auf den Fortbestand einer Bindung vertrauen und hat sie auf Grund des Einvernehmens über die geschlechtsspezifische Aufgabenteilung entsprechende Dispositionen getroffen, dann bilden diese den Maßstab für die Bestimmung der Höhe und Dauer von Unterhaltsansprüchen. Auch im Güterrecht muss dem Eintritt in die Elternschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dabei handelt es sich um einen jener „Knotenpunkte“ und „Übergänge“, welche die jüngst auch im Familienrecht zunehmend diskutierte Lehre von der „Lebensverlaufsperspektive“ fokussiert. So können „Vereinbarungen“, welche einen Partner aus der Verantwortung für Nachteile zu entlassen suchen, die dieser auf Grund gemeinsamer Aufgabenteilung während der Ehe mitverursacht hat, durch die Rechtsordnung heute nicht mehr ohne Weiteres als gültig anerkannt werden. Neue Kriterien wie „Ehe“- bzw. „Partnerschaftsbedingtheit“ und „Aushandeln von Verantwortungskooperationen“ tragen ein zwingendes Element in die Rechtsordnung hinein (S. 18; S. 258). Die Folge ist, dass das Verhältnis zwischen Privatautonomie und gelebter Verantwortungskooperation neu austariert werden muss.

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