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1.1 Defizite in der Rechtsvergleichung

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Frauenvereinigungen arbeiteten schon im 19. Jahrhundert auf internationaler Ebene zusammen, um die Rechtsordnungen ihrer Länder zu vergleichen. Von der damals noch jungen wissenschaftlichen Disziplin der „Rechtsvergleichung“ sind diese Aktivitäten allerdings kaum wahrgenommen worden. Denn die Rechtsvergleichung verfolgte in erster Linie praktische Ziele, indem sie etwa Kaufleute über internationales Handelsrecht zu informieren oder ausländisches Recht für die innerjuristische Argumentation fruchtbar zu machen suchte (Zweigert / Kötz, 1971, 58; Ranieri, 2003, 221). Dafür eignete sich vor allem das „Verkehrsrecht“, also Rechtsgeschäftslehre, Schuldrecht, Mobiliarsachenrecht oder Handelsrecht. Das Familienrecht blieb außen vor, weil es mehr mit nationalen Traditionen, kulturellen Eigenarten oder religiösen Prägungen verknüpft zu sein schien und zu innerjuristischer Argumentation oder Dogmatik wenig beizutragen hatte. Noch heute ist die Auffassung verbreitet, dass z.B. das europäische Kauf- oder Zahlungsverkehrsrecht leichter zu vereinheitlichen sei als das „mit unterschiedlichen Ansichten über das Leben und die Religion und mit Lebenserfahrungen im Allgemeinen“ zusammenhängende Familienrecht (de Groot, 2001, 618 f.).

Dennoch darf nicht übersehen werden, dass Ehe und Familie auch Gebiete sind, die im internationalen Vergleich viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Die abnehmende Zahl von Eheschließungen, die Erhöhung von Scheidungsquoten oder der Geburtenrückgang gehören zu jenen Phänomenen, die derzeit in allen „westlichen“ Ländern diskutiert werden. Die gemeinsamen Trends beschränken sich nicht auf die Gegenwart. Auch in der Vergangenheit hat es eine Vielzahl paralleler Erscheinungsmuster gegeben. So sind die Beseitigung der Gehorsamspflicht von Frauen, gemeinsame elterliche Sorge, Erleichterung von Scheidungen oder die Verbesserung der Rechtsstellung nichtehelicher Kinder bereits in einer Zeit länderübergreifend gefordert worden, als die wissenschaftliche Disziplin der Rechtsvergleichung Ehe und Familie, wenn überhaupt, allenfalls am Rande behandelt hat (Anderson, 2007, 59; Gerhard, 1993, 50).

Die Frauenbewegungen haben es also schon früh gewagt, im Familienrecht den Blick über die Landesgrenzen zu werfen. Der intensive

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Gedankenaustausch zwischen Aktivistinnen verschiedener Nationen, die Durchführung internationaler Kongresse und die Gründung internationaler Organisationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind frühe Zeugnisse für das Entstehen einer globalen Zivilgesellschaft, deren Normsetzung unter Stichworten wie „new world order“, „global law with­out a state“, „Entstaatlichung des Rechts“ oder „ius non scriptum“ heute so lebhaft diskutiert wird. Dabei verdient Hervorhebung, dass aus Sicht der Frauenbewegung ein Vergleich ganz andere Funktionen als im klassischen Privatrecht zu erfüllen hatte. Zunächst sollte durch transnationale Kooperation die Aufmerksamkeit der Frauen auf die Rechtslage im eigenen Land gelenkt werden. Namentlich der „International Council of Women“ suchte auf Basis vergleichender Länderstudien Reformbedarf zu identifizieren, um mit überzeugenden Argumenten Einfluss auf die nationale Politik zu nehmen (Nachweise bei Schüler, 2012). In Anlehnung an ein oft zitiertes Diktum des Sozialphilosophen Charles Fourier (1772–1837) sahen die Aktivistinnen in den „Fortschritten der Befreiung der Frau“ einen Gradmesser für den „Fortschritt“ einer bestimmten Nation oder Kulturepoche (Fourier, 1808, 190). Wegen der großen Bedeutung des Fortschrittsgedankens im 19. Jahrhundert konnte das vergleichende Argument in den Diskussionen über die rechtliche Gleichbehandlung von Frauen erhebliche Überzeugungskraft gewinnen. Von einer vergleichenden Betrachtung ließ sich nämlich leicht in den Modus eines Rankings übergehen, welches den einzelnen Staaten Anreiz gab, die führenden Nationen noch zu überbieten. Es sind also weniger praktische oder dogmatische als politische Gründe, die im Familienrecht das Bedürfnis nach einem Vergleich entstehen ließen. Erst im 20. Jahrhundert ist dann auch darüber diskutiert worden, inwieweit bestimmte Rechtsinstitute oder dogmatische Lösungen des Familienrechts anderer Nationen zur Rechtsfortbildung im eigenen Land herangezogen werden können. Ein Beispiel bildet die Diskussion über das skandinavische Recht in der Zeit der Weimarer Republik. Allerdings hatten auch hier Reformer des Familienrechts und nicht Rechtsvergleicher die Federführung übernommen (8. Kapitel, S. 217).

Dass Frauen bereits im 19. Jahrhundert begonnen haben, sich zu organisieren, um auf internationalen Kongressen das Recht ihrer Länder zu vergleichen, bleibt auch in jüngeren Darstellungen zur Geschichte

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der Rechtsvergleichung noch so gut wie ausgeblendet (Pintens, 2003, 330–332). Dieser Befund gab den Anstoß zu einem Forschungsvor­haben mit dem Titel „Internationale Reformforderungen zum Familienrecht und Rechtskämpfe des Frauenweltbundes 1830–1914“. Ziel war es, anhand ausgewählter Staaten wie Frankreich, England, USA, Schweden, Dänemark oder Norwegen erste Ansätze zu einer vergleichenden Familien- und Frauenrechtsgeschichte zu formulieren. Reformforderungen des Frauenweltbundes sollten analysiert werden, ohne dass dabei der Blick für nationale Besonderheiten verloren geht. Im Verlauf der Untersuchungen wurde deutlich, wie stark das Familienrecht dieser Länder seinerseits auf Prämissen beruht, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Die Frauenbewegungen haben nämlich nicht nur andere Staaten, sondern auch vergangene Rechtskulturen als Vorbild herangezogen, um Reformforderungen zum Ehe- und Familienrecht zu legitimieren. Über einen Ländervergleich hinaus musste also auch ein Vergleich vergangener Epochen oder Zeitabschnitte durchgeführt werden, was die Aufgabe nicht gerade erleichterte. Wo aber sollte ein solcher „doppelter Vergleich“ anfangen?

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