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Der Rücktritt

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Langsam müsste sie doch nervös werden, dachte Aljoscha, Gottes kleiner Lieblingsengel, und blätterte in einer Zeitschrift, die sich wieder einmal mit Queen Elisabeth II., der englischen Langzeit-Königin, beschäftigte. Erst musste diese die Rücktrittsankündigung der viel jüngeren niederländischen Amtskollegin zur Kenntnis nehmen – und jetzt auch noch der Papst. Der kleine Engel verspürte spitzbübische Lust, sich zu einem Kurzbesuch in den Buckingham Palace aufzumachen, doch für diesen unengelhaften Vorwitz bekam er sicher keine himmlische Starterlaubnis, und so ließ er diesen Gedanken schnell wieder fallen.

Es gab in diesen Tagen in der Tat Wichtigeres zu bedenken. Die Nachricht vom geplanten Rücktritt des betagten Papstes Benedikt XVI. hatte natürlich auch unter seinen Kollegen für Aufregung gesorgt, jedenfalls bei den unteren Chargen. Für die wichtigeren Engel und für „ganz oben“ war das Ereignis keine Überraschung. Wie sollte es auch. Lange schon hatte man die Gebete und das Ringen des Papstes um eine richtige Entscheidung erlebt und ihn sicher nicht damit allein gelassen. Was sich aber da im Tiefsten zwischen dem Allmächtigen und dem Nachfolger Petri ereignet hatte, das würde ein kleiner Engel wie Aljoscha nie erfahren. Das musste er auch nicht. Aber er ahnte, dass mit dieser Entscheidung etwas ganz Neues begonnen hatte. So etwas wie ein revolutionärer Schritt in der Geschichte und auch der Theologie des Papsttums, sagte Aljoscha zu sich selbst. Leise, denn diese Formulierung war ja doch etwas gewagt. Andererseits war es nichts Zufälliges, was sich da ereignet hatte, sondern ein bewusstes und historisch bedeutsames Überqueren einer Schwelle, die in neues Land führte.

Das ist mal wirklich Gottvertrauen, ohne doppelten Boden, dachte der kleine Engel und erinnerte sich an das Wort des damals neuen Papstes, das er in die unübersehbar große und bunte Menschenmenge bei seiner Amtseinführung am 24. April 2005 gerufen hatte: „Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes …“ Und bei Papst Benedikt hatte sich Gott sicher sehr viel gedacht und deswegen war dessen überraschender Mut bestimmt nicht nur die menschlich-verständliche Entscheidung eines rechtschaffen-müden, alt gewordenen Mannes. Das sicher auch, denn beide Zeugnisse, die seines päpstlichen Vorgängers, der sein Leiden nicht versteckt und es der Tod und Krankheit ausblendenden Gesellschaft entgegengehalten hatte, und Benedikts Eingeständnis der Schwäche, die ebenso nicht zum Power-Lifting unserer Zeit passte, sind ein bewegendes Zeichen, dass auch der „Heilige Vater“ nur ein Mensch ist. Gewiss, die Frucht eines besonderen Gedankens Gottes, gewiss, dachte der kleine Engel. Aber ein Mensch.

Und keck, wie er nun einmal war, stellte er sich vor, dass irgendwann einmal ein Titel des Papstes abgelegt werden würde, wie einst die Tiara. Als Meilenstein auf dem Weg zur Einheit der Christen. Nicht der „Pontifex“, denn „Brückenbauer“ passte doch in vielerlei Hinsicht hervorragend, aber „Stellvertreter Christi“! War dies nicht doch eine Nummer zu groß für dieses Amt? Und ein Anspruch, der jeden, selbst den heiligmäßigsten Nachfolger Petri, überfordern musste? Das fragte sich Aljoscha und war froh, dass er als kleiner Engel diese Fragen nicht beantworten musste.

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