Читать книгу Irmelie, die Kräuterhexe vom Wildsee - Stephane Rambicourt - Страница 4

Kapitel 1

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Es war jetzt Anfang August und Dr. Dr. Erika Lang gönnte sich eine Auszeit. Sie hatte sich eine Hängematte besorgt und zwischen zwei Bäumen im Halbschatten ihrer Waldhütte, die im Bannwald zwischen Sommerberg und Kaltenbronn in Bad Wildbad lag, aufgehängt.

Hier konnte sie die totale Ruhe des Waldes und des nahen Hochmoors genießen und sich von der ungewohnten körperlichen Arbeit erholen. Sie hatte sich vorgenommen sich eine Woche lange Ruhe zu gönnen und dann auf die Suche nach Kräutern und Pflanzen zu gehen. Um einen guten Überblick zu haben, wollte sie die Fundorte auf ihrer topografischen Karte vermerken.

Die Tage vergingen und Dr. Dr. Erika Lang fühlte sich pudelwohl in ihrem neunen Zuhause. Sobald die Sonne schien, legte sich in ihre Hängematte oder schlich durch den Bannwald und am späten Abend durch das Hochmoor.

Sie wurde in ihren Bewegungen immer sicherer und schnell konnte sie sich lautlos durch den Wald oder das Hochmoor bewegen, ohne dass sie von jemandem bemerkt wurde.

In der Abgeschiedenheit fühlte sie sich sehr wohl. Einsam fühlte sie sich überhaupt nicht; sie hatte die Tiere des Waldes um sich und freute sich, wenn ein Vogel sich in ihre Nähe traute und fröhlich zwitscherte. Die Gegenwart von Menschen vermisste sie nicht.

Einmal in der Woche ging sie in die Stadt hinunter, um die wichtigsten Dinge, wie z.B. Lebensmittel, vor allem Kaffee, oder Hygieneartikel zu kaufen. Sie spazierte dabei über das Rollwasser und den Schlangengarten ins Tal. Durch ihre lautlose Fortbewegung hatte sie dann einmal sogar das Glück im Schlangengarten eine sich sonnende Kreuzotter zu sehen.

Beim Weitergehen fiel ihr eine Rezeptur für ein Medikament ein, dessen Hauptbestandteil das Gift der Kreuzotter ist, blutdrucksenkende Wirkung hat und oft bei arterieller Hypertonie und Störungen des Gerinnungssystems und auch zur homöopathischen Behandlung von Schmerzzuständen eingesetzt wird. Als sie darüber nachdachte musste sie plötzlich laut lachen und fing an wie ein Teenager rhythmisch zu hüpfen. Dazu sang sie laut: „Das geht mich nichts mehr an“.

So war sie dann auch schon nach einer knappen halben Stunde am Supermarkt am Ortsrand von Bad Wildbad angekommen. Als sie in die spiegelnden Fenster des Marktes sah, erschrak sie und brummte lustig: „ich hab mich doch noch umziehen wollen. Ach, egal. Dann ist die Kräuterhexe eben wieder auferstanden. Sollen die Leute doch denken was sie wollen. Wenn denen meine Kleider nicht gefallen, ist das deren Sache.“

Sie hatte einen langen dunklen Rock und eine rote sehr weit geschnittene Tunika an, dazu Sandalen und ihre kräuselnden Haare waren mehr grau als brünett wie sonst üblich. Es fehlten nur noch ein Hexenhut und Zauberbesen um eine Hexe aus einem Kinderbuch darzustellen.

Heute war ihr das alles egal. Sie ging in den Supermarkt hinein, bemerkte die komischen Blicke der anderen Kunden und Verkäuferinnen, nahm sich die Dinge die sie einkaufen wollte, bezahlte und ging lachend aus dem Supermarkt. Unzählige Augenpaare folgten ihr.

Dr. Dr. Erika Lang hatte durch das Erlebnis im Supermarkt eine unbändige Lebensfreude. Sie lachte und hüpfte wieder wie ein Teenager über den Parkplatz des Supermarktes und machte sich auf den Weg zu ihrem neuen Zuhause. Während sie ging lachte sie: „Sollen die doch ihren Willen haben. Ab sofort bin ich die Moorhexe Irmelie vom Hochmoor.“ Sie hatte unbändigen Spaß an dem Gedanken Hexe oder Kräuterfrau zu spielen.

Nach der Hälfte des Weges beruhigte sie sich wieder, aber der Gedanke Hexe zu sein, hatte sich in ihrem Kopf verfestigt. Sie nahm wieder ihren lautlosen Gang auf und wanderte zielstrebig ihrem Ziel, der einsamen Waldhütte zu.

Sie war bereits im Bereich des Bannwaldes als sie aus dem Waldesinneren ein entferntes Quicken hörte. „Da ist wohl eine Wildschweinfamilie unterwegs“, dachte sie und ging ihres Weges, allerdings ging sie sehr vorsichtig weiter, weil Wildscheine doch recht gefährlich werden können, wenn Frischlinge dabei sind. Das Quieken wurde immer leiser und Erika Lang erreichte ihre Hütte.

Ihre Einkäufe räumte sie gleich ein, nahm sich ein Buch und legte sich in ihre Hängematte. Sie las und träumte vor sich hin, als sie wieder anfing zu lachen. „Ja, ich bin ab heute die Kräuterhexe Irmelie vom Hochmoor. Jetzt brauche ich nur noch einen Raben und einen Besen, dann könnte ich die ganze Gesellschaft hier auf der Grünhütte mal so richtig aufmischen“, flüsterte sie heiter vor sich hin. „Morgen werde ich mal nach den Heidelbeeren sehen, anfangen zu sammeln und Kräuter zu kartieren“, dachte sie jetzt wieder ernst werdend.

Am nächsten Morgen machte sie sich bereits um 4 Uhr mit ihrem Reisigkorb und ihrer topografischen Karte auf den Weg. Sie hatte noch keinen Plan, was sie wo finden würde, aber das würde sich in der nächsten Zeit sicherlich schnell ändern.

Lautlos bewegte sich Irmelie jetzt durch den Wald. Nicht einmal 100 m von ihrer Hütte entfernt, fand sie Unmengen von Heidelbeeren mit Früchten, so groß wie sie sie vorher noch nie welche gesehen hatte. Sofort begann sie ihren Korb zu füllen. Bereits nach einer halben Stunde hatte sie ihren Korb voll und brachte ihre Ausbeute in die Hütte. Sie wusste, dass die gesammelten Heidelbeeren durch den Morgentau die meiste Kraft entwickelten und freute sich schon darauf sie zu kosten.

Anschließend zog sie wieder los um sich in Ruhe in ihrer Umgebung umzusehen und Pflanzen zu kartieren. Sie streifte durch den dicht bewachsenen Bannwald und hatte eine Menge Pflanzen, die als Heilpflanzen bekannt sind zu notieren.

Was sie fand, überraschte sie selbst sehr. Sie hatte zwar erwartet Tannen, Wollgras, Ginster usw. zu finden, aber sie fand Pflanzen, Heilpflanzen, die sie nicht zu finden gehofft hatte. Heidekraut, Torfmoose, Faulbaum, Rauschbeere, Nachtkerzen und vieles mehr. Auch einen Eibenbaum fand sie, der eigentlich nicht in diesen Wald gehörte. Der Baum war ihrer Meinung nach bereits 40 bis 50 Jahre alt. Sie wusste, dass die Samen und das Gehölz des Eibenbaumes sehr, sehr giftig sind. Giftiger sogar als der bekannte Fingerhut, Digitalis, aber bei genauer Dosierung können die Nadeln ein sehr wirksames homöopathisches Heilmittel sein. Den Standort des Baumes markierte sie sehr auffällig, einen Grund weshalb sie das tat wusste sie selbst nicht.

Am Abend, als sie wieder in ihre Hütte zurückgekehrt war, machte sie sich etwas zu essen und beschloss anschließend auch noch in das Hochmoor zu gehen.

„Heute Nacht soll Vollmond sein und das Moor wird seine ganze Pracht entfalten“, dachte sich Irmelie.

„Vielleicht zeigen sich auch die Geister, von denen Herr Eisel damals erzählt hat“, murmelte sie lächelnd vor sich hin.

Gegen 22 Uhr machte sie sich auf den Weg. Sie liebte die totale Stille, das Rascheln der Tiere in ihrer Nähe und den leichten Wind, der ihre ergrauten Haare wehen ließ. Vorsichtig näherte sie sich dem Bohlenweg, der das Hochmoor für die Touristen erschließt, zog ihre Schuhe aus und betrat barfuss den Weg. Lautlos schlich sie über die Holzbohlen und erreichte den Wildsee. Sie wollte unbedingt jetzt an dieser Stelle die Atmosphäre und die Stimmung des Hochmoores in sich aufnehmen. Der Vollmond schien in seiner vollsten Pracht und setzte die unwirkliche skurrile Landschaft in ein wundervolles Licht.

Vom Wildsee her stiegen kleine Nebelwolken auf. Irmelie malte sich in ihrer Phantasie aus, dass jeder kleine Nebelfetzen ein Fabelwesen sei und leicht über dem glatten Wasser des Sees umher tanzt. Sie war fasziniert von dem Nebel und Lichtspiel des Mondes über dem Wildsee.

In ihren Gedanken versunken, das Licht- und Nebelspiel in sich aufnehmend, meinte sie plötzlich eine leise Stimme zu hören.

Sie sah auf und blickte um sich, sah aber niemanden, als sie die Stimmte wieder hörte, jetzt aber lauter und klarer.

„Hallo Irmelie, schön dass du mich heute hier besuchst“, hörte sie die Stimme sagen.

Irritiert blickte sie sich wieder suchend um, sah aber niemanden.

„Komm doch näher meine Liebe“, hörte sie die Stimme sagen. „Gerne, aber wohin soll ich kommen?“ fragte sie verunsichert.

„Ich bin hier, mitten auf dem See“, erklärte ihr die Stimme.

Irmelie erhob sich, ließ sich langsam in das Hochmoor gleiten und ging vorsichtig an den Rand des Wildsees. Jetzt sah sie über dem See eine kleine Nebelbank, die immer transparenter wurde und plötzlich ein kleines Männlein freigab. „Wer bist du?“ fragte Irmelie irritiert. Ihr akademisch, wissenschaftlich geprägter Intellekt wollte und konnte die Erscheinung über dem Wasser nicht akzeptieren.

„Ich bin Hubertus, der Geist des Wildsees. Es ist schön nicht mehr immer nur alleine zu sein. Hast du dich in deiner Hütte schon gut eingelebt?“ fragte nun Hubertus.

„Ja danke, aber woher weißt du, dass ich hier in einer Hütte wohne?“ antwortete Irmelie.

„Ach ich weiß alles, was hier im Moor und im Wald um mich herum passiert. Die frühere Kräuterfrau, ihr Namen fällt mir gerade nicht ein, hat mich oft besucht. Das ist jetzt aber schon so lange her, dass sie nicht mehr lebt“, erklärte ihr Hubertus.

„Ich habe gehört, du sammelst auch Kräuter und Pilze. Wirst du auch, wie deine Vorgängerin, als Heilerin tätig werden?“ fuhr Hubertus fort.

„Ich weiß noch nicht so genau was ich vorhabe, heute hab ich erstmal Heidelbeeren gesammelt“, erwiderte Irmelie, „bist du immer hier auf dem See? Und wie kommt das, dass du hier bist und über dem See schwebst. Ich habe so viele Fragen an dich. Willst du die mir beantworten?“

„Gerne, aber alles der Reihe nach. Wir haben ja noch soviel Zeit. In deinen Augen sehe ich, dass du noch nicht glaubst was du siehst. Stimmt doch?“ wollte nun Hubertus von ihr wissen.

„Ich bin Wissenschaftlerin und da muss alles erklärbar sein“, meinte Irmelie.

„Wissenschaftlerin? Was ist das? Gab es das auch schon vor 800 Jahren, als ich noch lebte?“ fragte Hubertus.

Irmelie überlegte und antwortete: „Ja, das gab es damals auch schon, das waren die Bader, Quacksalber, Apotheker und Kräuterfrauen.“

„Ach ja, dann ist ja gut. Aber jetzt bin ich müde und möchte mich zurückziehen. Dir würde ich auch empfehlen in deine Hütte zu gehen und zu schlafen“, erklärte Hubertus.

„Ich hab aber noch so viele Fragen“, rief Irmelie.

„Ein anderes Mal, ich bin immer um diese Zeit hier anzutreffen und dann können wir uns unterhalten“, antwortete Hubertus, während er immer mehr in einer Nebelwolke verschwand und diese sich dann langsam auflöste.

Irmelie blieb noch eine Weile am Rand des Wildsees stehen und schaute ungläubig auf die Mitte des Sees.

„War das jetzt real oder hab ich geträumt?“ fragte sie sich ungläubig. Sie schüttelte sich kräftig, sah sich um und ging wieder zurück zum Bohlenweg. Dabei fiel ihr auf, dass das Moor gar nicht nachgegeben und sie verschlungen hat. Der Boden war schön weich und angenehm und federte nur etwas nach.

„Ein wunderbares Gefühl über den Moorboden zu gehen“, murmelte sie zu sich und erreichte auch schnell den Bohlenweg. Sie zog sich gleich ihre Sandalen an, um keine Spuren auf den Bohlen zu hinterlassen. Während sie zu ihrer Hütte ging, bemerkte sie, dass bereits der Morgen graute. Sie ging nun etwas schneller und erreichte gerade ihre Hütte, als die ersten Sonnenstrahlen begannen den Wald zu erhellen.

Nachdem sie sich ihre Füße gereinigt hatte, ging sie in ihre Hütte und versuchte zu schlafen. Sie war jetzt bereits mehr als 24 Stunden wach, aber überhaupt nicht müde. In ihrem Kopf kreisten die Gedanken um das Erlebte am Wildsee. „Es gibt keine Geister – es gibt keine Geister. Das hab ich mir alles nur eingebildet“, versuchte sie sich einzureden, doch sie schaffte es nicht.

„Ok, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde die nicht erklärbar sind, und dieser Hubertus muss wohl so etwas sein“, brummte sie vor sich hin und schlief erschöpft ein.

Gegen 10 Uhr wurde sie wieder wach, machte sich einen Kaffee und frühstückte ausgiebig. Dabei verdrückte sie eine schöne große Portion Heidelbeeren, die wundervoll schmeckten.

Die Erlebnisse der letzten Nacht ließen sie nicht los.

„Hab ich das alles nur geträumt?“ fragte sie sich immer und immer wieder. Einerseits wollte ihr wissenschaftlich geprägter und analytische Verstand die Nacht als Traum verdrängen und andererseits hatte sie das Gefühl und das Empfinden, dass sie wirklich alles real erlebt hat. Letztendlich fasste sie den Entschluss in der heutigen Nacht wieder zum Wildsee zu gehen, um festzustellen, ob sie geträumt hatte oder nicht. Sicherheitshalber wollte sie noch ihr altes Diktiergerät mitnehmen und die Unterhaltung mit diesem Hubertus aufnehmen.

Zuvor musste sie aber wieder mal in die Stadt zum Einkaufen gehen, auch um zu sehen, was die Heidelbeeren dort kosten würden. Vielleicht würden die vom Supermarkt ihr auch Heidelbeeren abkaufen wollen, wäre ja nicht schlecht. „Allerdings muss ich dabei sehr vorsichtig vorgehen, sonst gibt es Ärger und ich fliege mit der Hütte auf“, murmelte sie leise.

Bei strahlendem Sonnenschein machte sie sich auf den Weg zum Supermarkt am Stadtrand von Bad Wildbad um ihre Einkäufe zu erledigen und festzustellen, ob sie die Heidelbeeren verkaufen könnte. Entgegen ihrer sonstigen Art, nahm sie heute einen Trolli mit, weil sie schwere Sachen kaufen wollte, wie mehrere Tüten Milch, Mehl und Zucker. Eine Kostprobe ihrer gesammelten Heidelbeeren nahm sie auch mit.

Im Supermarkt angekommen, erledigte sie ihre Einkäufe und erkundigte sich nach der Filialleitung. Kurze Zeit später erschien eine Frau, die sich als Filialleiterin vorstellte.

„Ich wollte mal fragen“, sagte sie zu der Frau, „ob sie Interesse am Ankauf von sehr frischem Obst hier im Supermarkt haben.“

„Oh das ist leider nicht möglich“, erklärte ihr die Filialleiterin freundlich, „unser Obst wird grundsätzlich zentral eingekauft. Wir haben leider keinen Einfluss darauf, was und in welchen Mengen eingekauft und an uns geliefert wird. Aber wenn sie soviel Obst haben, dass sie es selbst nicht verbrauchen können, könnten sie es doch mit einem Aushang an unserem schwarzen Brett am Eingang anbieten oder sie gehen auf den Wochenmarkt, der immer samstags beim Rathaus in der Stadt drinnen stattfindet. Da brauchen sie aber eine Genehmigung von der Stadtverwaltung dafür.“

Die Filialleiterin lächelte Irmelie freundlich an und fragte sie: „Ich hab sie schon öfters hier einkaufen sehen, wohnen sie hier in Wildbad?“

„Ja, ich wohne seit ein paar Tagen in Sprollenhaus. Da ist es wunderschön ruhig und angenehm zu wohnen.“

„Wenn sie noch ein paar Minuten Zeit haben, der Wildbader Bürgermeister kommt immer mittwochs zur gleichen Zeit zu uns zum Einkaufen. Dann können sie ja auch gleich nach der Genehmigung fragen“, erklärte die Filialleiterin freundlich.

„Ich kenne den aber doch gar nicht“, erwiderte Irmelie.

„Wissen sie was? Ich lade sie zu einem Kaffee in unserer Bäckerei ein und wenn der Bürgermeister kommt, krallen wir ihn uns und sie können mit ihm sprechen“, sagte die Frau und zog Irmelie auch schon in Richtung der Bäckerei.

Kaum saßen sie vor dem dampfend heißen Kaffee, kam auch schon bereits der Bürgermeister mit seiner Ehefrau in das Geschäft. Die Filialleiterin, stand schnell auf, bat das Bürgermeister-Ehepaar zu ihnen und erklärte kurz und bündig um was es geht.

Irmelie hatte noch keine Möglichkeit sich auch nur kurz zu Wort zu melden, als der Bürgermeister sie freundlich ansah.

„Ich heiße Dr. Erika Lang und wohne seit ein paar Tagen jetzt in Sprollenhaus und ich mach mir halt jetzt schon Gedanken, was ich mit meinem vielen Obst anfangen soll“, erklärte Irmelie.

„Ach sie sind das“, sagte die Frau des Bürgermeisters, „hab schon sehr viel von ihnen gehört.“

„Hoffentlich nichts Schlechtes“, antwortete Irmelie.

„Nein, nein. Wenn so eine Koryphäe der homöopathischen Pharmazie nach Wildbad kommt und jetzt sogar hier wohnt, dann spricht sich das schnell rum. Wissen sie ich bin selber Apothekerin und kenne natürlich ihre Arbeiten“, sprudelte es aus der Frau heraus.

„Danke für die netten Worte. Ich will mich hier in Wildbad zur Ruhe setzen und mich erholen. Die letzten Jahre waren doch sehr, sehr anstrengend“, erwiderte Irmelie.

„Also ich werde nachher gleich meinen Ordnungsamtschef informieren und ich denke es wird keine Probleme mit einem Stand auf unserem doch kleinen Wochenmarkt geben. Sie wollen nur ihr eigenes Obst verkaufen?“, mischte sich nun der Bürgermeister ein.

„Im Prinzip ja, vielleicht aber auch Wildkräuter, Extrakte oder auch Cremes aus eigener Herstellung. Das weiß ich aber im Moment noch nicht“, erklärte Irmelie.

„Könnte man dann bei uns auf dem Wochenmarkt ihre Blutwurz oder Ginstertinkturen kaufen? Das wäre ja toll“, mischte sich wieder die Ehefrau des Bürgermeisters ein.

„Da hab ich mir ehrlich noch gar keinen Kopf darüber gemacht, aber möglich wäre das schon. Die Patente und Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Behörden laufen ja auf mich. Aber wie gesagt, im Moment möchte ich mich erst regenerieren und erholen“, erwiderte Irmelie.

„Also ich rede jetzt erstmal mit meinem Ordnungsamtschef und lass ihnen dann Bescheid geben. Schreiben sie mir doch ihre Telefonnummer auf, ich rufe sie dann an“, wollte der Bürgermeister das Gespräch beenden.

„Oh, ich habe kein Telefon und werde mir auch keines zu legen, aber sie können mir gerne schriftlich Bescheid geben“, grinste Irmelie.

„Ja gut, die Adresse haben wir ja im Melderegister. Ich hab mich gefreut sie kennen zu lernen“, verabschiedeten sich der Bürgermeister und seine Ehefrau.

Die Filialleiterin des Supermarktes bekam den Mund nicht mehr zu. Die Frau in den unmöglichen Kleidern vor ihr war eine Berühmtheit und sie hatte sie als arme Frau mit ein wenig Obst im Garten angesehen. Sie wollte sich gleich bei Irmelie entschuldigen, aber Irmelie bedankte sich bei ihr für ihre Unterstützung und verabschiedete sich schnell.

Nun wollte sie so schnell wie möglich weg von hier und vor allem keine weitere Konversation beginnen, deshalb wandte sie sich schnell ihrem Heimweg über Sprollenhaus zu und schaute nicht mehr zurück.

Irmelie bemerkte nicht, wie die Filialleiterin mit ihren Mitarbeiterinnen über sie sprach. Aber auch wenn sie es bemerkt hätte, wäre es ihr egal gewesen, was sie über sie redeten.

Kurz nach 16 Uhr war Irmelie wieder an ihrer Hütte angekommen und froh, endlich die Ruhe und Stille genießen zu können. Sie wollte sich noch etwas ausruhen um in der Nacht hellwach zu sein. Da kam ihr ihre geliebte Hängematte gerade recht. Nach kurzer Zeit war sie eingeschlafen. Als sie wieder erwachte, war die Sonne bereits am untergehen. Nachdem sie einige kräftige Schlucke Wasser aus ihrer Quelle genommen hatte, war sie hellwach und macht sich auf den Weg zum Wildsee. Ihr Diktiergerät hatte sie nicht vergessen. Während sie ging, probierte sie es aus und es funktionierte wunderbar.

Es war jetzt kurz nach 22 Uhr. Die Sonne war untergegangen und sie hörte eine Nachtigall singen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie alleine war, betrat sie den Bohlenweg zum Wildsee. Ungefähr an der gleichen Stelle wie in der Nacht zuvor, setzte sie sich an den Rand des Weges und betrachtete aufmerksam was um sie herum passierte.

Fledermäuse flogen dicht an ihr vorbei, ein riesengroßer Uhu saß auf einem aus dem Moor hoch aufragenden Baumast, über ihre rechte Hand glitt etwas kühles glitschiges, eine Ringelnatter zog ihre Bahn an ihr vorbei. Es war eine wundervolle aber auch bedrohliche Stille. Sie ging davon aus, dass dieser Hubertus, wenn überhaupt um 24 Uhr auftauchen würde, also zur Geisterstunde und dies bedeutete zu warten.

Zwischendurch ging sie, vom Licht des Vollmonds geleitet immer wieder in Richtung des Wildsees. Sie nahm das schöne Gefühl, den kühlen feuchten Boden unter ihren nackten Füßen zu spüren, in sich auf. Ihre Spannung wurde immer größer.

Langsam begannen wieder die Nebelschwaden über den See zu ziehen. Erwartungsvoll blickte sie auf das Wasser hinaus, aber es war noch nichts von Hubertus zu sehen. Hatte sie doch alles nur geträumt?

Der Vollmond war jetzt genau über ihr und sie wollte sich schon enttäuscht auf den Rückweg machen, da hörte sie ihren Namen „Irmelie“ rufen.

„Hallo Irmelie, schön dass du wieder da bist. Heute möchte ich dir etwas über dich und mich erzählen und auch am Ende ein kleines Geschenk machen“, sagte Hubertus.

„Aber du kennst mich doch gar nicht“, rief Irmelie.

„Oh doch, ich kenne dich schon seit vielen Jahren und hab dich immer auch ein wenig geleitet, als du Rezepturen für deinen Prinzipal entwickelt hast“, erwiderte Hubertus.

„Du musst wissen, dass eine deiner Urur-Großmütter deine Vorgängerin in deiner Hütte und als Kräuterfrau auf dem Kaltenbronn war und davor war deren Urahnin auch schon hier und ich habe sie alle gekannt“, erklärte Hubertus.

„Dann ist das kein Zufall, dass ich jetzt hier in der Hütte bin?“ fragte Irmelie irritiert. „Nein, das ist deine Bestimmung. So wie es deine Bestimmung war als Kräuterfrau weit über die Grenzen hinaus bekannt und anerkannt zu werden. Viele deiner Rezepturen haben deine Vorgängerinnen erdacht und über mich an dich weitergegeben. Heute bist du eine berühmte Kräuterfrau, wie du das in deinem Kramerladen heute selbst bemerkt hast“, sagte Hubertus.

„Woher weißt du was heute in dem Supermarkt war?“ wollte Irmelie nun wissen.

„Kindchen, Kindchen. Ich bin Hubertus, das schwebende Männchen vom Wildsee. Die Tiere des Waldes und der Felder sind meine Freunde und berichten mir ständig was alles so passiert. Leider kann ich den Wildsee nicht direkt verlassen, ich muss immer eine Transmission meines Geistes vornehmen und so kamen deine Rezepturen, Tinkturen und Extrakte zustande. Du bist jetzt sehr erschrocken nicht wahr?“ meinte Hubertus.

„Ja, ich bin sehr erschrocken. Für mich ist das Ganze hier sehr unwirklich und ich weiß nicht ob ich das alles erlebe oder doch nur träume. Und die Rezepturen, Tinkturen usw. die ich entwickelt habe sind von mir und nicht von …“ sie stockte irritiert.

„Mein Kind, du hast in deiner Tasche an deinem Kleid ein neuartiges Gerät, das Stimmen aufzeichnet. Wenn du in deiner Hütte bist, kannst du dir das anhören und merken, dass ich Realität bin. Jetzt aber zu meinem Geschenk. Wenn du zu deiner Hütte zurückgekehrt bist, wirst du von meinem Freund Rudolf, einem großen alten Uhu erwartet. Er wird dich zu einer Stelle im Wald führen, wo du etwas finden wirst das dich endlich überzeugt. Wenn du möchtest komm morgen wieder zur gleichen Zeit her und wir können weiter plaudern. Jetzt ist aber meine Materialisationszeit für heute wieder um. Und wisse, ich bin immer bei dir“, erklärte Hubertus und verschwand langsam wieder in einer Nebelbank, die sich in den See senkte.

Irmelie blieb noch einige Minuten ungläubig vor dem See stehen und starrte auf die Stelle, an der die Nebel mit Hubertus verschwunden war.

Sie schüttelte sich kräftig und dachte in Gedanken: „Das kann nicht sein – so was gibt es doch nur im Märchen.“

Auf dem Weg zurück zum Bohlenweg fiel ihr das Diktiergerät ein. Sie griff in ihre Kleidertasche, nahm das Gerät, spulte zurück und setzte sich auf den Rand des Weges. Bevor sie das Gerät auf Wiedergabe stellen konnte, sah sie in der Mitte des Wildsees einen Lichtschein. Dieses Licht konnte mit dem Mondlicht nichts zu tun haben, es war viel heller als das Mondlicht und strahlte eine beruhigende Wärme aus. Der Lichtschein formte sich zu einer Lichtkugel und kam schnell auf Irmelie zu. Mit einem „Husch“ fuhr die Lichtkugel durch ihren Körper und hinterließ ein angenehmes warmes und beruhigendes Gefühl.

„Was war das denn jetzt?“ fragte sich Irmelie und schaute sich um, aber die Lichtkugel war verschwunden.

Jetzt fiel ihr wieder ihr Diktiergerät ein, das sie immer noch in ihrer Hand hielt. Sie drückte auf die Wiedergabetaste und ließ die Tonbandaufnahme ablaufen. Nach einem kurzen Rauschen hörte sie die Stimme von Hubertus: „Hallo Irmelie …“ und anschließend das ganze Gespräch, das sie mit ihm geführt hatte.

„Also wenn das morgen auch noch zu hören ist, dann hab ich nicht geträumt“, murmelte sie in sich hinein und machte sich auf den Weg zu ihrer Hütte. Als sie an der Hütte angekommen war und gerade reingehen wollte, sah sie einen großen Vogel auf dem Geländer am Eingang der Hütte sitzen.

„Wenn das jetzt ein Uhu ist, was dann?“ fragte sie sich und ging langsam auf das Tier zu.

„Hallo Irmelie, ich freue mich dich kennen zu lernen. Ich bin Rudolf. Hubertus hat dir ja gesagt, dass ich komme“, hörte sie ungläubig den Uhu sagen.

„Ja, das hat Hubertus gesagt. Aber warum kann ich verstehen was du sagst?“ fragte Irmelie.

„Nun du bist eine Nachfahrin der Kräuterfrauen Katharina und der großen Urmelda und Hubertus meinte, dass es sinnvoll ist, wenn wir uns unterhalten können. Du kannst übrigens mit allen Tieren sprechen und sie verstehen. Du wirst sehen wie wichtig das für dich sein wird“, erklärte Rudolf.

„Wollen wir gleich aufbrechen und das Geschenk, das Hubertus dir versprochen hat, holen? Oder bist du müde und wir gehen morgen?“ fragte er vorsichtig.

„Lass uns gleich losgehen. Ist es weit?“ antwortete Irmelie.

„Nein es ist nicht weit. Bis zum Sonnenaufgang sind wir wieder zurück“, erwiderte Rudolf.

„Also dann los, wo geht es lang?“ rief jetzt Irmelie übermütig.

Rudolf setzte zum Start an und flog eine kleine Runde über Irmelies Kopf hinweg und rief dann „komm mir nach“.

Irmelie lief los und rief dann „halt nicht so schnell ich bin eine alte Frau“

„Entschuldige bitte, aber ich dachte du kannst auch fliegen. Ok, dann eben langsamer“, frozelte jetzt Rudolf.

Irmelie kam nun immer tiefer in den Bannwald hinein und der Weg wurde immer beschwerlicher. Nach einer halben Stunde Weg, blieb Rudolf an einer Pyramide aus Steinen sitzen und wartete auf Irmelie.

„Du musst jetzt drei Steine von unten aus Mitte und einen Stein oben rechts langsam herausziehen“, erklärte Rudolf.

Irmelie zog an den Steinen, die sich leicht bewegen ließen.

„So jetzt trete einen Schritt zurück“, sagte Rudolf.

Während sie zurück trat, öffnete sich der ihr zugewandte Teil der Steinpyramide wie eine Türe.

„Komm her, hier ist dein Geschenk drin. Greife rein und hole es heraus“, bestimmte Rudolf.

Wie in Trance machte sie wie er es wollte und bekam ein großes Buch zu fassen. Sie nahm es aus der Steinpyramide. Es war ein sehr altes Buch in Leder gefasst und völlig unversehrt.

„Ist sonst noch was da drin?“ fragte Rudolf ungeduldig.

„Ich sehe nichts, es ist zu dunkel“, erklärte Irmelie.

„Dann lass mich mal“, sagte Rudolf.

„Nach einer Weile sagte er: „komm her, ganz hinten links ist eine Kiste. Zieh sie raus.“

Irmelie tat wie er sagte und holte eine Kiste aus Metall hervor. Die Kiste war ziemlich schwer.

„Lass uns zur Hütte zurückgehen, es wird bald hell und die Sachen kannst du dort am Besten ansehen. Nu mach schon“, drängte Rudolf.

„Ich kann das nicht alles tragen. Das ist zu schwer“, beschwerte sich Irmelie.

„Warte hier, ich bin gleich zurück“, rief Rudolf und hob bereits ab.

Irmelie rückte die Kiste weiter von der Steinpyramide weg und legte das Buch auf die Kiste. Die Pyramide verschloss sich nun wie von selbst. Kopfschüttelnd wollte sie jetzt ein Blick in die Kiste und das Buch werfen, aber da war Rudolf bereits wieder zurück.

„Mein Freund Karl ist gleich da, der wird dir helfen“, erklärte er und im selben Moment erschien ein Hirsch mit riesengroßen Geweihstangen.

„Hallo, ich bin Karl. Leg die Kiste auf meinen Rücken und dann kann es auch schon losgehen“, sagte Karl.

„Ich danke dir Karl“, erwiderte Irmelie, legte die Kiste auf seinen Rücken und hielt sie während des Weges fest. Das Buch hatte sie unter ihren linken Arm geklemmt. Als die ersten Sonnenstrahlen zu sehen waren, erreichten sie die Hütte.

„Vielen Dank Rudolf und vielen Dank Karl. Ich bringe die Sachen schnell in die Hütte. Dann können wir uns gerne noch etwas unterhalten“, bat Irmelie. Sie wollte noch so viel wissen.

„Nein, wir müssen jetzt gleich los. Aber wir werden uns bestimmt noch oft begegnen“, sagte Rudolf und flog davon. Auch Karl war schnell verschwunden.

Irmelie wusste nicht, was sie sich zuerst ansehen sollte. Außerdem war sie sehr müde.

Sie nahm das Buch, ging zu ihrer Hängematte und legte sich hinein.

Sie schlug das Buch auf und fand viele Rezepturen. Es stand auch dabei für welche Zipperlein sie geeignet sind. Weiter hinten standen Extrakte, Tinkturen und irgendwelche Anweisungen. Sie war zu müde sich jetzt alles genau anzusehen und legte das Buch unter ihre Oberschenkel, damit ihm nichts passieren konnte. Wenn sie wieder fit ist, wollte sie sich alles genau ansehen und prüfen.

Schnell war sie eingeschlafen und dann gegen 11 Uhr durch Stimmengewirr in ihrer Nähe geweckt.

Sie sprang aus ihrer Hängematte und sah sich um, sah aber keinen Menschen. Jetzt schaute sie in die Richtung der Stimmen. Es waren Bienen, Ameisen und andere Insekten die sich miteinander angeregt unterhielten.

„Hallo, bitte etwas Ruhe“, rief Irmelie und amüsierte sich darüber wie auf einmal die Insekten aufgeregt auseinander liefen oder flogen. Die Tiere waren darüber erschrocken, dass Irmelie sie jetzt verstehen konnte.

Lachend ging Irmelie zu ihrer Hängematte, nahm das Buch und ging in die Hütte. Dort machte sie sich einen Kaffee. Als der fertig war, setzte sie sich an ihren Tisch und blätterte interessiert in dem Buch.

Als erstes konnte sie feststellen, dass dieses Buch bestimmt mehrere hundert Jahre alt sein musste und handschriftlich erstellt wurde. Deshalb war es für sie auch nicht verwunderlich, dass sprachlich altdeutsch oder Latein verwendet worden ist. Sie schaute sich dann die ersten Seiten des Buches genauer an und wurde stutzig. Die ersten Rezepturen entsprachen genau ihren eigenen Rezepturen für die sie weltweit gültige Patente besaß. Auch die Rezeptur, mit der ihre frühere Firma zum Konzern aufsteigen konnte. Sie schüttelte sich und überlegte. Das konnte doch nicht wahr sein. Hatte sie die Rezepturen geklaut – bestimmt nicht. Wie denn auch. Das Buch hatte sie ja noch nicht einmal 10 Stunden und die Patente sind schon über 15 Jahre alt. Ihr fiel das Diktiergerät in diesem Moment ein. Sie griff in ihre Tasche spulte zurück und ließ es ablaufen.

Hubertus hatte gesagt: „Oh doch, ich kenne dich schon seit vielen Jahren und hab dich immer auch ein wenig geleitet, als du Rezepturen für dein Unternehmen, entwickelt hast. Du musst wissen, dass deine Urur-Großmütter deine Vorgängerinnen in der Hütte und als Kräuterfrauen auf dem Kaltenbronn waren und davor waren deren Urahnin auch schon hier und ich habe sie alle gekannt.“

Irmelie stellte das Diktiergerät ab. „Also, Punkt 1: ich habe nicht geträumt. Punkt 2: Ich habe diese Kiste und das Buch wirklich in der Hand. Punkt 3: Ich kann mit Tieren sprechen. Das ist doch verrückt. Das gibt es doch nicht. Kommt das von der Einsamkeit hier oben und ist es doch alles nur Einbildung? Ich weiß es nicht mehr. Gut ich geh jetzt einfach mal davon aus, dass es alles echt ist. Fertig“, sagte sie laut und bestimmt.

Jetzt nahm sie sich die Kiste vor. Sie suchte einen Mechanismus mit dem sie sich öffnen ließ. Ein Schloss war nicht angebracht, also gibt es vielleicht auch eine Kombination wie bei der Steinpyramide, überlegte sie.

Sie drehte die Kiste in allen Richtungen, drehte sie um und fand eine Einlegearbeit, die die Form eines „L“ hatte. Drauf drücken, keine Reaktion, aber vielleicht kann man das „L“ drehen. Dazu drückte sie mit einem Finger auf das oberste Ende des „L“ und gleichzeitig mit einem anderen Finger den unteren Teil des Buchstabens. Es machte klick und die Kiste war offen. Sie freute sich wie ein kleines Kind über ihren Erfolg.

Vorsichtig hob sie den Deckel an und klappte ihn zurück. Als sie den Inhalt sah erschrak sie fast zu Tode. In der Kiste waren unter anderem Fotos. Aber das Verrückte war, es waren Fotos von ihr als kleines Kind. Also stimmt das was Hubertus gesagt hatte.

Sie nahm die Fotos vorsichtig heraus und legte sie beiseite. Als nächstes hatte sie eine Urkunde in der Hand. Es war eine Schenkungsurkunde von Graf Eberhard II von Württemberg aus dem Jahre 1367 über ein Grundstück auf dem Kaltenbronn an Urmelda Lang, der Kräuterhexe vom Kaltenbronn. Als Gründe der Schenkung waren die Rettung vor den Martinsvögeln und die Heilung seiner schweren Verwundung angegeben. Die Urkunde wurde auf der Burg Zavelstein bei Bad Teinach ausgestellt.

Sie hatte eine Originalurkunde aus dem 14. Jahrhundert in der Hand. Übervorsichtig legte sie die Urkunde zur Seite.

Als nächstes fand sie in der Kiste ein Testament, das vom 14. Jahrhundert stammte. Die Erbinnen hatten auf dem gleichen Schriftstück ihre Testate angebracht bis ins 19. Jahrhundert, welches wohl ihre Ururoma gewesen sein musste. Ihre Ururoma hatte bereits sie, Erika Lang, als Erbin eingesetzt, obwohl sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht auf der Welt gewesen war.

Als nächstes fand sie eine Übersichtskarte des gesamten Sommerbergs von 1890 in welcher die Standorte von Pflanzen eingetragen waren. Der Handschrift nach müsste das ihre Ururgrossmutter gewesen sein. Interessant war, dass in dieser Karte die Hütte als Privateigentum eingetragen war.

Beim weiteren Durchsehen des Kisteninhaltes fanden sich Schmuck, Goldstücke und getrocknete Samen, Blüten und Wurzeln die sie nicht kannte.

„Oha, das ist aber viel Arbeit das alles zu erforschen und was ich mit den Urkunden machen soll, keine Ahnung. Aber hier lassen kann ich die Sachen nicht. Ich muss mir wohl einen Anwalt suchen, der sich um die rechtlichen Dinge kümmert. Aber zuerst müssen die Schriftstücke in einen Tresor gebracht werden“, überlegte Irmelie.

Nun widmete sie sich wieder dem Buch. Sie fand Rezepturen, Extrakte und Tinkturen aus Pflanzen, die sie nicht kannte. Vermutlich waren diese bereits ausgestorben. Da fielen ihr wieder die Samenkörner und die getrockneten Pflanzen und Wurzeln aus der Kiste ein. Vielleicht waren es ja diese ausgestorbenen Pflanzen.

In dem Buch waren aber auch Rezepturen und deren Wirkungsweisen aufgeschrieben, die in der Pharmaindustrie für sehr teures Geld künstlich hergestellt wurden. Sie fand Rezepturen, die bei verschiedenen Krebsarten Verwendung fanden oder für hydrokoloide Wundverbände, mit denen ein amerikanischer Pharmakonzern Milliardenumsätze erzielte, obwohl die Rezeptur mit Kräutern ganz einfach herzuerstellen sind.

„Vielleicht sollte ich mich mal mit meinem früheren pensionierten Geschäftsführer meiner Ex-Firma zusammensetzen und überlegen, was man tun könnte“, sinnierte sie, „mal sehen.“

Nach weiteren sehr interessanten Rezepturen kam sie zu einem Kapitel, das in lateinischer Sprache abgefasst war. Sie versuchte zu übersetzen, und erschrak heftig. Hier in diesem Kapitel waren Zaubersprüche aufgeschrieben. Die Zaubersprüche reichten von der Verstärkung der Heilkraft der eingesetzten Kräuter bis hin verstorbene Menschen wieder in das Leben zurück zu holen oder aus Eisen Gold herzustellen.

Irmelie schüttelte sich: „Oh mein Gott was ist denn hier los? Erst Hubertus, dann die Tiere, die Kiste und dann dieses Buch. Bin ich in einem Märchen gelandet oder spinne ich total? Das kann doch nicht sein. Ich bin Dr. Dr. Erika Lang, promovierte Biologin und Pharmazeutin. Bin ich überarbeitet? Bilde ich mir das alles ein?“

„Ich werde heute wieder in die Stadt runter gehen und meinen Ex-Chef anrufen. Der muss mit Karin herkommen. Das sind die einzigen Personen zu denen ich Vertrauen hab. Genau so mach ich das“, sagte Irmelie laut vor sich hin.

Nachdem sie sich etwas frisch gemacht hatte, nahm sie eines der Goldstücke um es schätzen zu lassen, und ging in die Stadt. Dort suchte sie ein Telefonhäuschen auf und rief ihren Ex-Chef, Dr. Franz Steiner an, der mit seiner Ehefrau Karin am Vierwaldstädter See in der Schweiz wohnte und bat ihn dringend nach Bad Wildbad zu kommen.

Dr. Steiner wusste, dass etwas passiert sein musste. Er kannte seine frühere Mitarbeiterin fast 30 Jahre lang und war, wie auch seine Frau mit Irmelie eng befreundet.

Sie vereinbarten, sich in der kommenden Woche in Bad Wildbad zu treffen.

Nach dem Telefonat ging Irmelie durch die Stadt und suchte einen Juwelier auf. Der Juwelier, ein etwa 70 Jahre alter grauhaariger Mann, nahm das Goldstück in die Hand und prüfte es mit seiner Lupe. Als er fertig war, holte er sich einen Stuhl und sagte: „Darf ich fragen wo sie das Goldstück her haben?“

„Das hab ich geerbt, ist es nichts wert?“ fragte Irmelie.

„Ich muss vorausschicken ich bin auch Münzsammler und ich kenne diese Münze sehr, sehr genau. Ich habe sie noch nie in der Hand gehabt, aber in den Katalogen ist sie verzeichnet. Diese Münze hat einen ungefähren Wert von 2 bis 3 Millionen Euro. Die gibt es nur einmal auf der Welt in einem Museum in New York. Und das Museum hat diese vor etwa einem Jahr bei Christies ersteigert, für 2,5 Mio Euro. Ich denke dass bei einer weiteren Versteigerung ein höher Erlös erzielt werden könnte, wenn sie die Münze verkaufen wollen“, erklärte der Juwelier.

„Nein, ich will nicht verkaufen, ich wollte nur wissen, was das für eine Münze ist und welchen Wert ich für die Versicherung angeben muss“, erklärte Irmelie.

„Also, diese Münze ist aus reinem Gold, ist aus dem 14. Jahrhundert und kommt vermutlich aus dem untergegangenen Goldschatz des Stauferkaisers Friedrich II. Diese Münzen gab es nur und ausschließlich in diesem Goldschatz“, erklärte der Juwelier.

„Vielen Dank für ihre Auskunft“, sagte Irmelie, „ich werde jetzt gleich zur Bank gehen und ein Schließfach anmieten. Auf Wiedersehen.“

Sie ging tatsächlich direkt zur nächsten Bank und mietete ein Schließfach, in welchem sie die Münze deponierte. Die anderen Münzen etwa 100 Stück, würde sie auch dort weg schließen, nahm sie sich vor. Gut den Schmuck sollte sie auch schätzen lassen. Wenn sie das nächste Mal in die Stadt kommt würde sie das erledigen.

„Ein größeres Problem ist, was mach ich mit den Münzen? Erben hab ich keine – keine Familie bedeutet keine Erben. Dann bekommt alles der Staat. Die würden sich sicher über die 200 Millionen Euro freuen“, überlegte sie jetzt, „ich will doch das ganze Geld gar nicht. Ich hab was ich brauche, mehr will ich nicht. Da muss was Vernünftiges damit gemacht werden, Eine Stiftung oder so was wäre nicht schlecht. Mal sehen, aber ich brauche einen vernünftigen Rechtsanwalt, der mich gut berät und nicht über den Tisch zieht.“

Heute wollte sie über den Sommerberg zu ihrer Hütte gehen und setzte sich in die Zahnradbahn auf den Sommerberg. Während sie vor sich hin lief, musste sie immer wieder schmunzeln. Sie verstand ja jetzt, was die Tiere sagten und das war für die Menschen nicht immer schmeichelhaft. Oder wenn ihr Wanderer begegneten, die einen Hund dabei hatten, war das schon heftig, was die Tiere über ihre Herrchen sagten. Gott sei Dank wissen diese Herrchen nicht was ihre Tiere über sie denken.

Als sie an der Grünhütte vorbei kam, setzte sie sich an einen Biertisch und bestellte sich eine Schlachtplatte und eine Flasche Wasser dazu. Während sie aß, beobachtete sie die Touristen dort und war froh wieder weiter zu ihrer Hütte gehen zu können. Die Menschen regten sie auf. Aber nicht nur sie fand diesen Rummel abscheulich, auch die Insekten die umher flogen und die Vögel auf den Bäumen schimpften laut über die vielen rücksichtslosen Leute.

Nur Irmelie konnte sie verstehen und so war es für sie auch nicht verwunderlich, dass die Insekten und Vögel ganz nah zu ihr hinkamen und Irmelie ihr Leid klagten. Die Touristen waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und merkten nichts davon. „Gott sei dank bin ich nicht so“, dachte Irmelie. Jetzt musste sie gerade lachen, weil ein dicker Mann versuchte eine Fliege, die ständig um sein verschwitztes Gesicht herumflog zu vertreiben, was ihm aber nicht gelang.

Auf ihrem Heimweg kam sie jetzt am Wildsee vorbei und sah die vielen Touristen. Es missfiel ihr, wie diese Trampel hier unterwegs waren. Manche hatten ihre Hunde von der Leine gelassen und freuten sich wenn die Tiere im Moor herum tollten.

Interessant war für sie jedoch zu sehen, dass die Hunde, so bald sie sie gesehen hatten, sofort das Moor verließen und entschuldigend zu ihr blickten.

„Na, das wird eine interessante nächste Zeit werden“, dachte sie, „eigentlich wollte ich mich doch zur Ruhe setzen und jetzt das. Ich muss aufpassen, dass das nicht in Stress ausartet.“

Endlich hatte sie wieder unbemerkt ihre Hütte erreicht.

Sie war müde und ließ sich in ihre geliebte Hängematte fallen. Während sie in die Sonne blinzelte, bemerkte sie, wie sich ein großer Uhu näherte.

„Hallo Rudolf, wie geht es dir?“ fragte sie.

„Danke gut“, rief er, „muss gleich weiter, meine Kinder haben Hunger.“

„Na dann viel Erfolg“, rief sie ihm hinterher.

Trotz des Stresses, den sie sich eigentlich selbst machte, war sie jetzt glücklich und zufrieden. Sie genoss die Ruhe in „ihrem“ Wald und auf ihrer Hängematte, so dass sie schnell einschlief. Gegen 20 Uhr wachte sie erholt auf, aß etwas und freute sich wieder auf den Besuch bei Hubertus am Wildsee. Heute ließ sie sich Zeit, denn sie wusste ja, dass Hubertus sich erst um Mitternacht zeigen würde.

Es war jetzt schon Ende September und die Nächte wurden schon etwas kühler. Deshalb zog sie sich eine wärmende Strickjacke über und entzündete in ihrem Küchenherd ein wärmendes Feuer, bevor sie losging. Sie wollte auch testen, ob der Qualm des Kamins gesehen oder gerochen werden konnte. Sie durfte ja nicht entdeckt werden, zumindest nicht, so lange sie sich illegal im Bannwald aufhielt. Die Legalisierung sollte ein Rechtsanwalt durchsetzen, den sie aber erst noch beauftragen musste.

Zu diesem Anwalt sollte sie auch Vertrauen haben können. Sie hoffte, dass ihr ehemaliger Chef jemanden kennen würde, der es auch verstand ihre Interessen, ohne großen Wirbel zu veranstalten, durchzusetzen. Sie hatte deshalb großes Vertrauen in ihren ehemaligen Chef und dessen Ehefrau, mit der sie auch eng befreundet ist.

Auf dem Weg zum Wildsee riss sie immer wieder ein Büschel Gras heraus, roch daran und hob dann riechend ihre Nase in den Wind. Sie konnte keinen Rauchgeruch oder ähnliches feststellen und war erleichtert. Zu sehen war auch nichts und so konnte sie sich beruhigt auf den weiteren Weg zu Hubertus machen.

Zwischendurch hörte sie aus dem Gebüsch leise Stimmchen, die sich gegenseitig zuflüsterten, dass gerade die neue Kräuterhexe vorbeigeht, die Irmelie heißt. Irmelie musste lachen als sie das hörte, freute sich aber auch, dass sich die Tiere offenbar über ihre Anwesenheit auf dem Berg freuten.

In dieser guten Stimmung ging über den Bohlenweg wieder zu derselben Stelle am Wildsee, an der sie bisher Hubertus gesehen hatte.

Heute waren die Nebelschwaden über dem See dichter als die Tage vorher. Irmelie dachte sich nichts dabei und wartete geduldig bis Hubertus sich zeigen würde.

Pünktlich um Mitternacht sah sie grelle Blitze über dem Wildsee und Hubertus materialisierte sich. Aber nicht nur er tauchte auf. Mit ihm materialisierten sich zwei Frauengestalten über dem See.

„Hallo Irmelie. Schön dass du wieder gekommen bist. Heute habe ich zwei deiner Urahnen mitgebracht. Hier sind die erste Kräuterfrau auf dem Kaltenbronn Urmelda und auch die letzte Kräuterfrau, deine Ururgrossmutter Katharina. Wir haben uns gedacht dass du bestimmt viele Fragen hast“, erklärte Hubertus.

„Natürlich habe ich sehr, sehr viele Fragen. Aber eine erste Frage ist, wie kann es sein, dass in der Kiste, die ich gestern bekommen habe, Fotos von mir drinnen sind, obwohl ich erst viel später geboren wurde“, fragte Irmelie. Die drei Erscheinungen über dem Wildsee lächelten.

„Das ist eigentlich ganz einfach. Das auf dem Bild bist nicht du, sondern deine Großmutter Maria. Die hast du ja noch kennen gelernt. Ich hatte sie sehr gerne und als die Fotografie erfunden worden ist, hab ich sie porträtieren lassen. Aber du hast Recht, ihr seht euch zum Verwechseln ähnlich. In der Zeit als die Aufnahme gemacht wurde, war ich noch mit meinem lieben Mann in Karlsruhe verheiratet. Wir hatten dort eine Apotheke. Als er starb, bin ich, ähnlich wie du am Ende des 19. Jahrhunderts dann hierher auf den Kaltenbronn gekommen. Ich habe mich in der Hütte sehr wohl gefühlt“, erklärte ihr ihre Ururgroßmutter Katharina freundlich und fuhr fort, „deine Großmutter lebt wohl nicht mehr? Ich bin damals 120 Jahre alt geworden, ja, die Luft hier oben ist sehr gesund.“

„Wie kann das sein, dass ich meiner Großmutter so ähnlich sehe?“ fragte Irmelie.

„Das hängt wohl mit den Genen der Familie Lang zusammen. Urmelda hat da im 13. Jahrhundert die Weichen für alle folgenden Generationen festgelegt. Urmelda ist auch unser aller Stammmutter, egal ob verheiratet oder nicht. Du mein Kind wirst aber wohl die letzte Kräuterfrau hier auf dem Kaltenbronn sein. Kinder gibt es ja leider in der kleinen noch lebenden Familie nicht, außer vielleicht in einem sehr weit entfernten Familienzweig. Aber das wird man sehen, wenn es soweit ist. Jetzt bist du da und das freut uns alle ungemein“, sagte Katharina.

„Ja, und du mein Kind bist dazu auserkoren unseren Besitz und unseren Status auf Dauer zu sichern“, mischte sich nun auch Urmelda in das Gespräch ein, „Hubertus hat uns bereits berichtet, dass du vermutlich den richtigen Weg angedacht hast. Ich kenne mich in der heutigen Zeit nicht mehr so aus.“

„Stimmt das, was auf der Urkunde steht, dass Graf Eberhard II von Württemberg im dem Jahre 1367 dir das Grundstück für seine Rettung und Heilung geschenkt hat?“ wollte nun Irmelie von Urmelda wissen.

„Ja, das war so. Ich hatte in meiner Hütte gewohnt, die vor der jetzigen Hütte am gleichen Platz gestanden hat. Als ich den Grafen im Unterholz entdeckt habe, war ich gerade dabei Kräuter zu sammeln. Er war bereits tot, aber durch meine Kräuter und einen Zauberspruch, den ich von einem großen Alchimisten gelernt habe, konnte ich den Grafen wieder aus dem Totenreich zurückholen. Ich habe ihn gesund gepflegt und dann zur Burg Zavelstein gebracht. Die Martinsvögel waren sehr gefährliche Banditen musst du wissen, die das ganze Land terrorisiert haben. Und als Dank schenkte mir der Graf den Kaltenbronn und auch einige Goldstücke und Schmuck. Das alles ist jetzt dein Besitz. Wenn wir keine Nachfolge für dich finden werden, bitte ich dich dafür Sorge zu tragen, dass das Vermögen richtig verwendet wird, versprichst du mir das?“ sprach Urmelda eindringlich.

„Ja, das verspreche ich. In der Kiste waren Samen, Blüten und Wurzeln. Was soll damit geschehen?“ fragte Irmelie. „Diese Samen, Blüten und Wurzeln tragen das Erbgut längst untergegangener Heilpflanzen in sich. Wir, alle deine Vorfahren, würden uns freuen, wenn du es dir zum Lebensinhalt machen würdest für eine Verbreitung in der Natur des Kaltenbronn zu sorgen“, erwiderte Urmelda.

„Ich werde morgen damit beginnen. Ich freue mich schon darauf und werde Sorge dafür tragen, dass der Kaltenbronn wieder diese untergegangenen Pflanzen beherbergen darf. Ich werde aber dazu die modernen Methoden anwenden müssen“, sagte Irmelie.

„Du weißt wie das gemacht werden muss, aber bedenke die Aussaat sollte sich an den alten Methoden orientieren und auch der Sonnen- und Mondstand haben ihre Auswirkungen. Unterschätze nie die Macht der Sonne und des Mondes, egal was du tust“, mahnte Urmelda.

Hubertus mahnte zur Eile, „hast du noch mehr Fragen für heute?“

„Ja Hubertus, wie kommt es, dass ich mit Tieren sprechen kann?“ wollte Irmelie gerne wissen.

„Erinnerst du dich an die Lichtkugel in der gestrigen Nacht? Das war nur eine kleine Übung für mich. Aber jetzt müssen wir uns verabschieden. Du kannst immer wenn du möchtest hier mit uns sprechen. Wir leben alle drei in einer Zwischendimension und sind immer da, auch wenn du uns nicht siehst und Fragen können wir dir auch telepatisch beantworten. Wenn du möchtest sehen wir uns morgen wieder, liebe Irmelie“, sagte Hubertus.

Bevor Irmelie etwas sagen konnte, schwebte Katharina schnell zu ihr hin und hauchte einen Kuss auf Irmelies Wange. Irmelie bekam Tränen in den Augen und bemerkte kaum, dass sich die drei Gestalten dematerialisierten.

Sie blieb noch eine Weile am Ufer des Wildsees stehen. Tränen liefen über ihre Wangen. Die Begegnung mit Urmelda und Katharina hatte sie sehr tief im Herzen berührt. Langsam ging sie zurück zum Bohlenweg, zog ihre Schuhe an und ging langsam in Richtung ihrer Hütte.

Sie war sehr aufgewühlt und hätte so gerne noch mit Urmelda und Katharina gesprochen. Plötzlich hörte sie die Stimme von Katharina, die sagte: „Sei nicht traurig Irmelie, wir sind immer an deiner Seite.“

Irmelie drehte sich um. Was sie sah verschlug ihr im ersten Moment den Atem. Hinter ihr waren viele Tiere, Rehe, Hirsche, Füchse, Mäuse usw. die ihr leise nachgegangen waren. Irmelie kniete sich auf den Boden und die Tiere kamen zu ihr und kuschelten sich an sie, so dass ihre Traurigkeit ganz schnell verflogen war und sie wieder gut gelaunt zu ihrer Hütte zurückkehrte.

Die folgenden Tage verbrachte Irmelie damit, das Buch genau zu studieren. Mit den Zaubersprüchen, die in dem Buch standen, hatte sie so ihre Probleme, weil sie nicht an deren Wirkung glaubte. Immer um Mitternacht ging sie zu Hubertus an den Wildsee und unterhielt sich mit ihm. Das eine oder andere Mal waren auch Urmelda und Katharina mit dabei. Sie erfuhr sehr viel über ihre Familie, Dinge die sie vorher nicht wusste oder anders bewertet hatte.

Ihre Großmutter war von Urmelda auserwählt worden, die Nachfolge als Kräuterfrau anzutreten. Jedoch kamen der 1. Weltkrieg und die Schwangerschaft dazwischen. Auch Irmelies Mutter konnte die Nachfolge wegen des 2. Weltkrieges nicht antreten, so dass letztendlich Irmelie nachfolgte. Irmelies Großmutter und auch ihre Mutter kannten sich exzellent mit Kräutern aus und haben dieses Wissen und auch das Interesse an Irmelie weitergegeben und heute ist Irmelie die neue Kräuterfrau auf dem Kaltenbronn und sie war sehr stolz darauf.

Auch den Umgang mit den Tieren und dass sie mit ihnen sprechen konnte war für sie normal geworden, und dass gesunde Tiere ihre kranken oder verletzten Freunde zu ihr brachten, machte Irmelie großen Spaß.

Heute hatte sie eine Exkursion in Begleitung von Karl, dem Hirsch, in Richtung Kaltenbronn gemacht, um sich auch dort ein wenig umzusehen. Sie kartierte alles was sie sah und fand in ihrer topografischen Karte und kehrte spät am Abend wieder in ihre Hütte zurück.

Nachdem sie begonnen hatte die Karte auszuwerten fiel ihr plötzlich ein, dass am nächsten Tag ihr Ex-Chef und Freund mit seiner Ehefrau nach Bad Wildbad kommen würden. Sie musste sich noch genau überlegen, wie weit sie die beiden in ihr neues Leben einweihen durfte. Die Geschichten mit Hubertus, Urmelda und Katharina und auch die Sache mit den Tieren durfte sie nicht weitergeben. Ebenso mussten der Gold- und Schmuckschatz, sowie das Zauberbuch geheim bleiben. Letztendlich blieb nur noch die Angelegenheit mit der Erbschaft übrig und wie bzw. mit welchem Anwalt die Durchsetzung der Erbschaft möglich ist und ob es überhaupt Sinn machen würde auf eine formelle Eigentumsübertragung zu pochen. Außerdem wollte sie mit ihm besprechen, wie sie am sinnvollsten vorgehen sollte, wenn sie neue Produkte entwickeln würde.

In der Nacht unterhielt sie sich mit Hubertus, der ihr noch verschiedene Stellen nannte, an denen ganz besondere Heilkräuter wuchsen. Rudolf würde sie am nächsten Tag zu diesen Plätzen begleiten. Irmelie erzählte Hubertus von ihrem Besuch und erklärte ihm auch, über was sie mit ihrem früheren Chef und Geschäftsführer sprechen wollte. Hubertus teilte ihre Meinung, dass sie sich Unterstützung von einem „Advokaten“ holen sollte, der sich mit solchen Dingen auskennt. Zum Schluss zeigte Hubertus Irmelie noch, wie sie schnell und sicher Rudolf oder Karl zu sich bitten konnte. Sie musste sich nur eine kleine Pfeife aus dem Schilf, das direkt am Wasserrand wächst herstellen. Deshalb nahm sie auch gleich einen großen Schilfhalm mit in ihre Hütte.

Irmelie, die Kräuterhexe vom Wildsee

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