Читать книгу Der Defizit-Mythos - Stephanie Kelton - Страница 11
WIE DER WÄHRUNGSEMITTENT GELD AUSGIBT: S(TAB)
ОглавлениеWeil es die vorherrschende Denkart ist, stellen sich die meisten von uns vermutlich eine Version des (TAB)S-Modells vor. Selbst dann, wenn wir uns nie mit den inneren Abläufen des Staatshaushalts auseinandergesetzt haben, glauben wir wahrscheinlich, dass der Staat auf unser Geld angewiesen ist, um seine Rechnungen bezahlen zu können. Vielleicht empfinden wir sogar einen gewissen Patriotismus, wenn wir jedes Jahr im April einen Scheck an die US-Finanzbehörde schicken, und sind stolz darauf, dass wir ein wenig dazu beigetragen haben, dass Sozialwohnungen gebaut, unsere Männer und Frauen in Uniform bezahlt und unsere Landwirte großzügig subventioniert werden. Leider habe ich jedoch schlechte Nachrichten für Sie, denn tatsächlich verhält es sich völlig anders. Falls Sie nicht bereits sitzen, sollten Sie das jetzt tun. Sind Sie bereit? Mit Ihren Steuern wird überhaupt nichts bezahlt, zumindest nicht auf Bundesebene. Die Regierung braucht unser Geld nicht. Wir brauchen ihr Geld. Wir sehen das Ganze völlig verkehrt!
Als ich dieser Darstellung der Funktionsweise von Steuern und Ausgaben zum ersten Mal begegnete, schreckte ich zurück. Es war 1997, und ich steckte mitten in einem PhD-Programm für Wirtschaft, als mir jemand ein kleines Buch mit dem Titel Soft Currency Economics zukommen ließ.8 Der Autor des Buches, Warren Mosler, war ein erfolgreicher Wall-Street-Investor, kein Ökonom, und in seinem Buch ging es darum, wie die Wirtschaftswissenschaft beinahe alles falsch verstand. Ich las es und war nicht überzeugt.
Mosler zufolge tätigt die Regierung zuerst Ausgaben und erhebt dann Steuern oder nimmt Darlehen auf. Diese Reihenfolge kehrt Thatchers Diktum komplett um und bringt die Gedächtnisstütze in eine neue Reihenfolge: S(TAB) – Ausgaben vor Steuern und Darlehen. Moslers Argumentation zufolge kommt es der Regierung gar nicht darauf an, dass Andere die TAB übernehmen, sie bringt ihre Währung einfach durch Ausgaben in Umlauf. Warren erkannte Dinge, die den meisten Ökonomen entgingen. Viele von uns hielten seine Ideen anfangs für völlig neuartig, doch die meisten davon waren es gar nicht. Sie waren nur uns neu. Tatsächlich finden sie sich in kanonischen Texten wie Adam Smiths Wohlstand der Nationen oder in John Maynard Keynes’ zweibändigem Klassiker, Vom Gelde (wo wir sie dann auch jeweils fanden). Schon vor langer Zeit waren Anthropologen, Soziologen, Philosophen und Andere zu ähnlichen Schlussfolgerungen zur Natur des Geldes und der Rolle von Steuern gekommen, doch die Ökonomie hinkte großteils hinterher.
Mosler gilt als Vater der MMT, weil er diese Ideen in den 1990er Jahren einigen von uns nahebrachte. Er sagt, er wisse nicht, wie er zu dieser Auffassung von Steuern und Staatsausgaben gelangt war, dass er jedoch nach jahrelanger Arbeitserfahrung auf den Finanzmärkten einfach darauf kam. Er war daran gewöhnt, in Soll und Haben zu denken, weil er mit Finanzinstrumenten gehandelt und zugesehen hatte, wie Geld zwischen Bankkonten hin und her überwiesen wurde. Eines Tages begann er, zu überlegen, wo all diese Dollars wohl ursprünglich herkamen. Er kam auf den Gedanken, dass die Regierung zuerst Dollars hinzufügen (gutschreiben) musste, bevor sie sie von uns abziehen (abbuchen) konnte. Also folgerte er, dass die Ausgaben zuerst dagewesen sein mussten, denn woher hätten wir sonst die für Steuerzahlungen benötigten Dollars bekommen? Auch wenn die Logik unfehlbar wirkte, war ich überzeugt, dass an der Geschichte etwas falsch sein musste. Wie auch nicht? Sie stellte mein gesamtes Wissen zu Geld, Steuern und Staatsausgaben auf den Kopf. Ich hatte bei weltbekannten Ökonomen an der Universität Cambridge Wirtschaftswissenschaften studiert und von keinem meiner Professoren jemals so etwas gehört. Tatsächlich deckten sich alle Modelle, die sie mich gelehrt hatten, mit Thatchers Diktum, dass Regierungen zuerst Steuern erheben oder Darlehen aufnehmen müssen, bevor sie Ausgaben tätigen können.9 Konnte es wirklich sein, dass fast alle unrecht hatten? Ich musste es herausfinden.
1998 besuchte ich Mosler in seinem Haus in West Palm Beach in Florida, wo ich stundenlang seinen Ausführungen zuhörte. Als erstes bezeichnete er den US-Dollar als „ein simples öffentliches Monopol“. Da die US-Regierung die einzige Quelle für Dollars ist, war es Unfug, zu glauben, dass Uncle Sam von uns anderen Dollars bekommen musste. Selbstverständlich konnte der Emittent des Dollar so viele Dollars haben, wie er nur wollte. „Die Regierung will keine Dollars“, erklärte Mosler. „Sie will etwas Anderes.“
„Was will sie denn?“, fragte ich.
„Sie will sich versorgen”, antwortete er. „Die Steuern sind nicht dazu da, um Geld zu beschaffen. Sie sind dazu da, damit die Menschen arbeiten und Dinge für die Regierung herstellen.“
„Was für Dinge?“, fragte ich.
„Ein Militär, ein Gerichtssystem, öffentliche Parks, Krankenhäuser, Straßen, Brücken. Solche Dinge eben.“
Damit die Bevölkerung all diese Arbeit leistet, erlegt ihr die Regierung Steuern, Gebühren, Strafzahlungen oder andere Verbindlichkeiten auf. Die Steuern sind dazu da, um eine Nachfrage nach der Währung der Regierung zu schaffen. Bevor Steuern bezahlt werden können, muss Arbeit verrichtet werden, um die Währung zu verdienen.
Mein Kopf drehte sich. Dann erzählte er mir eine Geschichte.
Mosler besaß ein wunderschönes Haus am Strand mit Swimmingpool und allem erdenklichen Luxus. Er hatte auch eine Familie, zu der zwei Kinder gehörten. Zur Veranschaulichung seines Arguments erzählte er mir, dass er sich einmal mit seinen zwei Kindern hingesetzt und ihnen erklärt habe, dass sie ihren Teil dazu beitragen mussten, um das Haus sauber und wohnlich zu halten. Er wollte, dass der Rasen gemäht, die Betten gemacht, das Geschirr gewaschen und die Autos geputzt wurden, und so weiter. Um sie für ihre Zeit zu entlohnen, bot er ihnen an, sie für ihre Arbeit zu bezahlen. Drei seiner Visitenkarten, wenn sie ihre Betten machten. Fünf fürs Geschirrwaschen. Zehn für ein geputztes Auto und fünfundzwanzig für Gartenarbeit. Aus Tagen wurden Wochen, und das Haus wurde zusehends unbewohnbar. Das Gras wuchs kniehoch. In der Spüle stapelten sich die Teller, und die Autos waren von der Meeresbrise mit Sand und Salz bedeckt. „Warum arbeitet ihr nicht?“, fragte Mosler die Kinder. „Ich habe euch doch gesagt, dass ich euch mit meinen Visitenkarten bezahle, wenn ihr im Haushalt helft.“ „Pa-paaa“, kam von den Kindern zurück. „Warum sollen wir denn für deine Visitenkarten arbeiten? Die sind doch nichts wert!“
Da hatte Mosler seine Erleuchtung. Die Kinder hatten keine Hausarbeit getan, weil sie seine Karten nicht brauchten. Also sagte er den Kindern, sie bräuchten überhaupt nichts zu tun. Er wollte lediglich, dass sie ihm jeden Monat dreißig seiner Visitenkarten zahlten. Wenn sie nicht zahlten, hätte das den Verlust von Privilegien zur Folge. Kein Fernsehen mehr, kein Bad im Swimmingpool oder Fahrten zum Einkaufszentrum. Es war ein Geniestreich. Mosler hatte eine „Steuer“ eingeführt, die nur mit seinem monogrammierten Papier bezahlt werden konnte. Jetzt waren die Karten etwas wert.
Innerhalb von Stunden wuselten die Kinder umher und brachten ihre Zimmer, die Küche und den Garten in Ordnung. Was zuvor eine wertlose rechteckige Visitenkarte gewesen war, wurde nun zum wertvollen Zahlungsmittel. Doch warum? Wie brachte Mosler die Kinder dazu, all diese Arbeiten zu verrichten, ohne sie dazu zu zwingen? Ganz einfach. Er brachte sie in eine Lage, in der sie seine „Währung“ verdienen mussten, um keinen Ärger zu bekommen. Jedes Mal, wenn die Kinder eine Aufgabe erledigten, erhielten sie dafür eine Quittung (eine Anzahl Visitenkarten) von ihrem Vater. Am Ende des Monats gaben die Kinder die Visitenkarten an ihren Vater zurück. Wie Mosler erklärte, brauchte er seine eigenen Visitenkarten eigentlich nicht wieder von seinen Kindern einzusammeln. „Was sollte ich denn mit meinen eigenen Karten?“, fragte er. Er hatte bereits bekommen, was er wollte – ein aufgeräumtes Haus! Warum machte er sich also die Mühe, die Karten von den Kindern zurückzunehmen? Warum überließ er sie ihnen nicht als Andenken? Der Grund dafür war einfach: Mosler sammelte die Karten ein, damit die Kinder sie im nächsten Monat wieder verdienen mussten. Er hatte ein wirksames Versorgungssystem geschaffen! Wobei wirksam in diesem Fall bedeutet, dass es sich stets aufs Neue wiederholt.
Mithilfe dieser Geschichte erläuterte Mosler einige Grundprinzipien der Art und Weise, wie sich Währungsemittenten tatsächlich selbst finanzieren. Steuern sind dazu da, eine Nachfrage nach der Währung der Regierung zu schaffen. Die Regierung kann die Währung als ihre ganz eigene Rechnungseinheit definieren – ein Dollar, ein Yen, ein Pfund, ein Peso – und dann ihrem ansonsten wertlosen Papier Wert verleihen, indem sie es zur Zahlung von Steuern und anderen Verbindlichkeiten verpflichtend macht. Wie Mosler scherzhaft anmerkt, „Steuern machen Müll zu Währung.“ Letzten Endes will eine währungsemittierende Regierung etwas Reales, nicht etwas Monetäres haben. Die Regierung will nicht unsere Steuergelder. Sie will unsere Zeit. Damit wir für den Staat etwas produzieren, lässt sich die Regierung Steuern oder andere Arten von Pflichtzahlungen einfallen. Das ist nicht die Erklärung, die man in den meisten Lehrbüchern zur Ökonomie findet, in denen lieber eine oberflächliche Geschichte erzählt wird, wonach Geld als Lösung für die Unannehmlichkeiten des Tauschhandels – den geldlosen Austausch von Waren – erfunden wurde. In dieser Geschichte ist Geld einfach ein zweckmäßiges Mittel, das auf natürliche Weise entstand, um den Handel effizienter zu gestalten. Zwar wird Studenten vermittelt, dass Tauschhandel früher sozusagen als natürlicher Zustand allgegenwärtig war, doch für die Gelehrten der Antike gab es wahrscheinlich kaum Belege dafür, dass sich Gesellschaften jemals um den Tauschhandel herum organisiert hätten.10
Die MMT lehnt die ahistorische Geschichte vom Tauschhandel ab und setzt stattdessen am Charta-lismus an, einem umfangreichen wissenschaftlichen Ansatz, der beweist, dass Steuern den Herrschern der Antike und frühen Nationalstaaten dazu dienten, um ihre eigenen Währungen einzuführen, welche dann erst später als Tauschmittel unter Privatpersonen in Umlauf kamen. Von Anfang an schafft die Steuerverbindlichkeit Menschen, die nach bezahlter Arbeit in der Währung der Regierung suchen (also Arbeitslosigkeit). Die Regierung (oder eine andere Autorität) bringt die Währung dann durch Ausgaben in Umlauf und ermöglicht den Menschen den Zugriff auf das Zahlungsmittel, das sie zur Bezahlung ihrer Verbindlichkeiten beim Staat benötigen. Natürlich können die Steuern erst bezahlt werden, wenn die Regierung ihr Zahlungsmittel bereitstellt. Als einfaches logisches Argument erklärte Mosler, dass die meisten von uns die Reihenfolge falsch verstanden. Nicht die Steuerzahler finanzieren die Regierung, sondern die Regierung finanziert die Steuerzahler.11
Allmählich verstand ich es, zumindest theoretisch. Ich begann, die Regierung als Währungsmonopolisten zu betrachten. Moslers Argument brachte Kindheitserinnerungen zurück, als ich mit meiner Familie Monopoly spielte. Beim Nachdenken über die Spielregeln wurden mir die Parallelen noch klarer. Zunächst einmal kann erst gespielt werden, wenn es einen Bankhalter gibt. Die Spieler entrichten keinen Einsatz, um das Spiel zu beginnen. Das können sie nicht, weil sie es noch nicht haben. Die Währung muss zuerst emittiert werden, bevor sie erhältlich wird. Nach Auszahlung des Startgelds bewegen sich die Spieler um das Spielbrett und kaufen Immobilien, zahlen Miete, landen im Gefängnis oder ziehen eine Karte, die sie anweist, 50 Dollar an das Finanzamt zu zahlen. Jedes Mal, wenn ein Spieler erneut über „Los“ geht, bekommt er von der Person, die die Währung verwaltet, 200 Dollar ausgezahlt. Da die Spieler lediglich Nutzer der Währung sind, können sie pleite gehen, was sie auch tun. Dem Emittenten jedoch kann das Geld nie ausgehen. Tatsächlich besagen die offiziellen Spielregeln12 wortwörtlich, „Die Bank geht niemals ‚bankrott‘. Der Bankhalter kann zusätzliches Geld herstellen, indem er die Werte auf kleine Zettel schreibt“ (meine Hervorhebung).
Ich dachte über diese Idee nach, auf Papier zu schreiben, um Geld herzustellen, als ich mit meinen eigenen Kindern das US Bureau of Engraving and Printing in Washington, D.C. besuchte. Wenn Sie noch nicht dort waren, kann ich es Ihnen nur wärmstens empfehlen. Es ist äußerst aufschlussreich. Für einen Besuch kann man sich auf der Website der Regierung anmelden: www.moneyfactory.gov. Dort geht es viel technischer zu als beim Monopoly, bei dem man Geld herstellt, indem man „auf kleine Zettel schreibt“, doch ist es im Grunde dasselbe. Es ist einer der Orte, an denen unser Währungsemittent die Währung herstellt.13 Eines der ersten Dinge, die mir auffielen, war ein riesiges Neon-schild hoch über den Gravieranlagen. Darauf stand: „Wir machen Geld nach alter Manier. Wir drucken es.“ Alle wollten ein Bild davon machen, doch fotografieren ist während des Besuchs nicht gestattet. Staunend sah die Menge zu, wie die Maschinen ungeschnittene Bogen von 10-Dollar-, 20-Dollar- und 50-Dollar-Scheinen ausspuckten. Dann sprach jemand aus, was wir alle dachten. „Ich wünschte, das könnte ich auch!“ Leider müssen wir die Herstellung jedoch dem US Bureau of Engraving and Printing überlassen, wenn wir nicht in einem orangen Overall enden wollen.
Diese Scheine machen einen Teil des Währungsvorrats der Vereinigten Staaten aus. Wie die alten, mit Pennys, 5- und 10-Cent-Stücken gefüllten Einmachgläser auf dem Regal Ihrer Großmutter bescheinigen, emittiert die Regierung auch US-Währung in Form von Münzen. Genauso, wie sich die Federal Reserve als die „ausstellende Behörde für alle Geldscheine der Federal Reserve“ bezeichnet, so bezeichnet sich die Prägeanstalt als den „einzigen Hersteller von Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel der Vereinigten Staaten“. Schließlich emittiert die Federal Reserve auch digitale Dollars, als Bankreserven bekannt.14 Diese kommen ausschließlich durch Tastenanschläge auf einem Computer zustande, der vom Fiskalagenten der Regierung, der Federal Reserve, gesteuert wird. Als die Banken der Wall Street Billionen von Dollars brauchten, um die Finanzkrise von 2008 zu überstehen, zauberte die Fed sie mühelos aus dem Nichts herbei, indem sie einfach eine Tastatur bei der Federal Reserve Bank in New York bediente.
Dem Normalbürger mag es so vorkommen, als benutze die Regierung tatsächlich die Geldscheine, die aus der Druckmaschine schießen, oder die Münzen, die aus der Prägemaschine purzeln, um ihre Rechnungen zu begleichen. Nachrichtenkanäle zeigen jedenfalls liebend gern, wie Geld in Massen produziert wird. Oft begleiten sie eine Reportage zu Staatsausgaben mit einem Video, in dem frisch gedruckte Geldscheine von der Druckerpresse ausgespuckt werden. Doch die Geldscheine und Münzen der Federal Reserve dienen hauptsächlich unserer Bequemlichkeit. Müsste die Bundesregierung die Firma Boeing für eine Flotte neuer Kampfjets mit einer riesigen Menge an materiellem Geld bezahlen, dann wäre das viel zu umständlich. So funktioniert es einfach nicht.
Anstatt wie beim Monopoly das Geld mit vollen Händen auszuzahlen, leistet die Bundesregierung die meisten ihrer Zahlungen so, wie ein Punkteverwalter beim Bridge Punkte vergibt. Mit der Ausnahme, dass keine Punkte auf einer Punktekarte vermerkt werden, sondern die Zahlungen einfach von jemandem bei der Federal Reserve in eine Tastatur eingetippt werden. Lassen Sie mich das erklären.
Nehmen wir zum Beispiel Militärausgaben. 2019 verabschiedeten das Repräsentantenhaus und der Senat ein Gesetz zur Aufstockung des Militärhaushalts und genehmigten 716 Mrd. US-Dollar, beinahe 80 Mrd. mehr, als der Kongress im Steuerjahr 2018 bewilligt hatte.15 Wie die Ausgaben finanziert werden sollten, stand überhaupt nicht zur Debatte. Niemand fragte, Woher sollen wir die zusätzlichen 80 Mrd. Dollar nehmen? Weder erhöhten die Gesetzgeber die Steuern, noch nahmen sie bei Sparern Darlehen über weitere 80 Mrd. Dollar auf, damit die Regierung die zusätzlichen Zahlungen leisten konnte. Stattdessen verpflichtete sich der Kongress dazu, Geld auszugeben, das er nicht besaß. Dank seiner besonderen Macht über den US-Dollar kann er das. Wenn der Kongress die Ausgaben bewilligt, erhalten mittelbewirtschaftende Stellen wie das Verteidigungsministerium die Genehmigung, Verträge mit Unternehmen wie Boeing, Lockheed Martin und anderen abzuschließen. Um sich mit F-35-Kampfjets zu versorgen, weist das US-Finanzamt seine Bank, die Federal Reserve, an, die Zahlung für sie zu leisten. Die Fed tut dies, indem sie die Zahlen auf Lockheeds Bankkonto erhöht. Der Kongress muss kein „Geld auftreiben“, um es ausgeben zu können. Er muss Stimmen auftreiben! Sobald er die nötigen Stimmen hat, kann er die Ausgaben bewilligen. Der Rest ist lediglich Buchhaltung. Wenn die Schecks abgeschickt werden, verrechnet die Federal Reserve die Zahlungen, indem sie dem Bankkonto des Verkäufers den entsprechenden Betrag an digitalen Dollars, Bankreserven genannt, gutschreibt.16 Das ist der Grund, warum die MMT die Fed manchmal als den Punkteverwalter des Dollar bezeichnet. Dem Punkteverwalter können nie die Punkte ausgehen.
Überlegen Sie einmal, woher die Punkte kommen, wenn Sie Karten spielen oder zu einem Basketball-Spiel gehen. Sie kommen nirgendwo her! Sie werden einfach von der Person ins Leben gerufen, die sie aufschreibt. Wenn einem Basketballspieler ein Wurf von der Drei-Punkte-Linie aus glückt, werden der Mannschaft drei Punkte gutgeschrieben. Greift der Anschreiber in einen Eimer und holt die drei Punkte dort heraus? Natürlich nicht! Tatsächlich hat der Anschreiber gar keine Punkte. Um den Dreipunkte-Wurf zu verzeichnen, erhöht der Anschreiber lediglich die Zahl, die dann auf der Anzeigetafel aufleuchtet. Nehmen wir jetzt einmal an, dass das Spiel überprüft wird und der Schiedsrichter entscheidet, dass die Wurfuhr abgelaufen war. Die Punkte werden abgezogen. Beachten Sie jedoch, dass das Stadion gar nichts zurücknimmt. Es werden einfach Punkte addiert und subtrahiert, so wie die Bundesregierung der Wirtschaft Dollars hinzufügt oder entzieht, wenn sie Ausgaben tätigt und Steuern einnimmt. Uncle Sam verliert keine Dollars, wenn er welche ausgibt, und er bekommt keine Dollars, wenn er Steuern erhebt. Deshalb widersprach der ehemalige Vorsitzende der Fed, Ben Bernanke, der Behauptung, dass die Dollars der Steuerzahler für die Rettung der Banken nach der Finanzkrise verwendet würden. „Die Banken haben Konten bei der Fed,“ erklärte er. „Wir benutzen nur den Computer, um die Kontostände zu erhöhen.“ Nicht die Steuerzahler retteten die Wall Street. Es war der Anschreiber.
Bernankes Bemerkung erinnert vielleicht einige von Ihnen an die beliebte Fernsehsendung Whose Line Is It Anyway? Der Moderator, Drew Carey, eröffnete jede Folge mit dem Spruch, „Eine Sendung, in der alles frei erfunden ist und die Punkte keine Rolle spielen.“ Es war Improvisationscomedy, so dass wirklich alles frei erfunden war. Im Verlauf der Show verlieh Carey imaginäre Punkte, je nachdem, wie lustig er und das Publikum die anderen Komiker fanden. Mit den Punkten konnte niemand etwas anfangen, so dass sie wirklich keine Rolle spielten. Die Punkte der Regierung jedoch spielen durchaus eine Rolle.
Zunächst einmal brauchen Sie und ich Dollars, um unsere Steuern zu bezahlen. Und weil Steuern (und der Tod) zum Leben einfach dazugehören, nimmt die Währung der Regierung eine zentrale Stellung in unserem Wirtschaftsleben ein. Nach Einführung einer durch Steuereinnahmen gedeckten Währung, wie es der US-Dollar ist, wird diese üblicherweise als Standardeinheit benutzt, um alles andere zu bewerten. Betreten Sie ein beliebiges Restaurant oder Einkaufszentrum in den Vereinigten Staaten, und Sie werden mit Sicherheit einen Verkäufer finden, der Dollars verdienen möchte. Betreten Sie ein Gerichtsgebäude, und Sie werden einen Richter vorfinden, der Schadensersatz in US-Dollar gewährt. Loggen Sie sich in Ihren Computer ein, um eine Pizza zu bestellen, und Sie müssen mit Dollars zahlen. Wir brauchen Dollars, und wir können sie nur an einem einzigen Ort bekommen, und zwar vom Währungsemittenten. Die Pizzeria und das Kaufhaus brauchen auch Dollars, denn schließlich müssen sie ebenfalls Steuern zahlen. Selbst Bundesstaaten und Lokalverwaltungen sind auf Dollars angewiesen, weil sie die Lehrer, Richterinnen, Feuerwehrleute und Polizeibeamtinnen bezahlen müssen, die alle in Dollars entlohnt werden wollen. Nur der Anschreiber ist anders. Uncle Sam braucht keine Dollars. Wenn er Steuern von uns erhebt, nimmt er uns lediglich ein paar Dollars weg. In Wirklichkeit bekommt er gar keine Dollars.
Es ist irritierend, ich weiß. Das ist unser erster Kopernikus-Moment. Es ist der Grund, warum ein Journalist der Financial Times die MMT als Autostereogramm bezeichnet hat.17 Sie wissen schon, eines dieser zweidimensionalen Bilder, die ziemlich unscheinbar aussehen, bis man den Blick auf eine bestimmte Art einstellt, sodass auf einmal das Bild hinter dem Bild sichtbar wird und eine kunstvolle Wüstenlandschaft oder ein Weißer Hai in 3-D erscheinen. Erkennt man erst einmal, dass im Mittelpunkt der Fähigkeit der Regierung, Ausgaben zu tätigen, nicht der Dollar des Steuerzahlers steht, dann verlagert sich das gesamte Steuer-Paradigma. Oder, wie es der Journalist ausdrückte, „Hat man es erst einmal kapiert, dann sieht man die Dinge nie mehr ganz so wie früher.“