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Kapitel IV

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Einige Ereignisse während der Schlacht von Shiloh.

Bei Shiloh wurde ich Zeuge zahlreicher kleiner Ereignisse, die im vorangegangenen Artikel keine Erwähnung fanden. Meine Seitenzahl war begrenzt und so musste ich einige Dinge auslassen, doch nun steht mir beliebig viel Platz zur Verfügung, weswegen ich hier noch einige Vorkommnisse erwähnen möchte, die ich für einigermaßen nennenswert erachte.

Ich erinnere mich noch genau an den ersten Schuss, den ich bei Shiloh abfeuerte. Es geschah, während wir unsere erste Stellung verteidigten, worüber ich ja bereits in dem Artikel berichtet habe. Ich glaube, als die Jungs den anrückenden Feind erblickten, begannen sie von alleine zu feuern, ohne auf den Befehl zu warten, zumindest kann ich mich an keinen Befehl erinnern. Obwohl ich in der vordersten Reihe stand, gab ich anfangs keinen einzigen Schuss ab. Ich wartete auf eine Gelegenheit, einen deutlich sichtbaren feindlichen Soldaten sorgfältig aufs Korn nehmen zu können, doch als unser Regiment seine erste Salve abfeuerte, blieben die Konföderierten wie angewurzelt stehen und begannen zurückzuschießen. Bald waren beide Gefechtslinien in dichte Rauchschwaden gehüllt. Ich hielt meine Muskete schussbereit und versuchte, durch den Rauch einen Feind zu erspähen, als ich plötzlich hinter meinem Rücken den aufgeregten Ausruf hörte: "Stillwell! Schieß! So schieß doch! Warum schießt du nicht?" Ich blickte mich um und sah, dass es Bob Wylder, unser Second Lieutenant, war, der mir dieses Kommando entgegenschrie. Er war ein junger Mann von wohl etwa 25 Jahren und während er an seinem Platz einige Schritte hinter der Gefechtslinie stand, hüpfte er vor Aufregung auf und ab wie ein aufgescheuchtes Huhn.

"Aber Lieutenant" sagte ich, "Ich sehe nichts, auf das ich schießen könnte."

"Schieß trotzdem! Schieß!"

"In Ordnung" antwortete ich, "Wenn Sie wollen, dass ich schieße, dann schieße ich natürlich."

Mit diesen Worten legte ich meine Muskete an, zielte niedrig in die Richtung des Feindes und jagte meine Kugel durch den Rauch. Ich bezweifele sehr, dass mein erster Schuss irgendwelchen Schaden anrichtete, aber ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Trotzdem hatte der Lieutenant natürlich recht. Unsere Feinde standen in geringer Entfernung direkt vor uns und wir konnten nichts anderes tun, als niedrig zu zielen, in ihre ungefähre Richtung zu feuern und den Rest dem Zufall zu überlassen. Damals erschien mir der Gedanke jedoch absurd, dass man blindlings in einen Rauchschleier schießen solle, ohne ein konkretes Ziel vor Augen zu haben. Schon seit ich groß genug war, eine Muskete zu halten, hatte ich zuhause in den dichten Wäldern hinter unserer entlegenen Farm Eichhörnchen, Kaninchen und anderes kleines Getier geschossen. Tatsächlich jagte ich schon, als ich noch zu klein war, um eine Muskete anzulegen und stattdessen von einer Stütze (wie etwa einem Baumstumpf, Baumstamm oder Busch mit starken Ästen) aus feuern musste. Die Waffe, die ich damals benutzte, war ein altes, langläufiges Gewehr mit Perkussionsschloss, das Kugeln verschoss, die wohl um die 15 Gramm wiegen mochten. Wir Kinder mussten damals unsere eigene Munition herstellen, wofür wir Blei (aus dem wir die Kugeln gossen), Zündhütchen und Schwarzpulver benötigten. Unsere Haupteinnahmequelle für das notwendige Geld bestand aus Haselnüssen, die wir einsammelten, schälten und für fünf Cents pro Quart verkauften. [Anm. d. Übers.: Das Quart ist ein US-amerikanisches Trockenmaß. 1 Quart entspricht etwa 1,1 Liter.] Das Sammeln und Schälen eines Quarts Haselnüsse war eine entschieden mühselige Arbeit, aber es erzog uns zum wohlüberlegten Gebrauch unserer Munition und wir verschwendeten niemals leichtfertig oder unnötigerweise einen Schuss. Auch war es bei uns ein ungeschriebenes Gesetz, einem Eichhörnchen stets nur in den Kopf zu schießen, sofern keine ungünstigen Umstände es nötig machten, auf einen anderen Körperteil der kleinen Tierchen zu zielen. Deswegen dachte ich zu Beginn meiner militärischen Laufbahn, dass ich meine Muskete in der Schlacht wohl ebenso wohlerwogen abfeuern sollte wie bei der Eichhörnchenjagd, allerdings wurde ich bei Shiloh schon innerhalb der ersten fünf Minuten eines Besseren belehrt. Nichtsdestotrotz zielte ich in den folgenden Gefechten weiterhin sorgfältig, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, aber häufig zwangen mich die Umstände dazu, einfach niedrig zu zielen und mein Blei durch die Rauchschwaden in Richtung des Feindes zu schleudern. An dieser Stelle muss ich anmerken, dass das Ausmaß an Fehlschüssen in einer Schlacht, besonders bei unerfahrenen Truppen, absolut verblüffend ist und dem Außenstehenden kaum verständlich erscheint. Während wir uns bei Shiloh auf unsere zweite Stellung zurückzogen, hörte ich über unseren Köpfen ein konstantes Summen, gleich einem Bienenschwarm. In meiner Unwissenheit wusste ich diesen Lärm zuerst nicht zu deuten, aber bald wurde mir klar, dass dieses Geräusch von Kugeln verursacht wurde, die zwischen sechs und 30 Metern über unseren Köpfen vorbeizischten. Nach der Schlacht bemerkte ich, dass die großen Bäume in unserem Lager (unmittelbar hinter unserer zweiten Stellung) zahlreiche Einschusslöcher von Musketenkugeln aufwiesen, welche bis zu 30 Meter über dem Boden eingeschlagen waren. Und dies, obwohl wir nur durch ein kleines, schmales Feld von den Konföderierten getrennt gewesen waren und der Boden zwischen uns vollkommen eben war. Man darf allerdings nicht vergessen, dass diese Jungs ebenso unerfahren waren wie wir und zweifelsohne nicht minder aufgeregt. Die konföderierte Armee bei Shiloh bestand größtenteils aus Soldaten, die erstmals unter feindliches Feuer gerieten und ich schätze, sie müssen genauso nervös und verängstigt gewesen sein wie wir.

Ich werde niemals vergessen, wie erbärmlich ich mich fühlte, als ich erstmals einen Mann im Kampfe sterben sah. Es ereignete sich bei unserer bereits erwähnten zweiten Stellung. Unsere Gefechtslinie dort war einigermaßen unregelmäßig und die Männer standen nicht an ihren vorgesehenen Positionen. Es gab etliche Baumstämme und -stümpfe, die wir so gut wie möglich als Deckung benutzten. Ich stand hinter einem Baum. Er war von beklagenswert kümmerlichem Wuchs, aber doch besser als nichts. Später wechselte ich hinter einen gestürzten Stamm. Unmittelbar zu meiner Rechten stand ein Mann hinter einem großgewachsenen Baum und ich beneidete ihn um seine Deckung. Er lud und feuerte, so schnell er konnte und als ich ihn zum letzten Mal lebend sah, verrichtete er gute Arbeit. Doch dann lag er plötzlich regungslos mit einem Bein angewinkelt auf dem Rücken – tot! Er war wohl in den Kopf getroffen worden, als er zielte oder hinter seinem Baum hervorspähte. Ich starrte ihn an und war vor Entsetzen wie gelähmt. Noch wenige Sekunden zuvor war dieser Mann quicklebendig gewesen und nun lag er auf der Erde – ein Leben für immer ausgelöscht! Dieses Erlebnis brachte mich näher an den Rand der Panik als jedes andere während der Schlacht. Im Verlaufe des Tages gewöhnte ich mich jedoch einigermaßen an den Anblick.

Als wir uns bei unserer dritten Stellung gesammelt hatten, verlegte man uns noch ein wenig weiter nach hinten, wo wir uns im rechten Winkel zu der Straße aufstellten, die von unserem Lager zur Anlegestelle führte. Während wir dort warteten, bemerkte ich ein großes Zelt, das einige Schritte hinter mir am Wegesrand stand. Es war geschlossen und niemand schien sich in seinem Inneren zu rühren. Plötzlich hörte ich direkt über unseren Köpfen ein fürchterliches "ZISCH" gefolgt von einem lärmenden Einschlag in das Zelt. Ich blickte mich um und sah ein großes, klaffendes Loch in der Zeltwand sowie hinter dem Zelt die Ursache in Gestalt einer großen Kanonenkugel, die den Abhang hinabhüpfte, um im Hinterland weiteres Unheil anzurichten. In diesem Moment flog der Zelteingang auf und ein Bursche in Zivilkleidung stürmte heraus. Er war von entschieden hebräischem Aussehen, sein Gesicht war so fahl wie das Antlitz eines Toten und die Augen traten ihm förmlich aus den Höhlen. Er rannte mit flatternden Rockschößen die Straße hinab in Richtung der Anlegestelle, während die Jungs ihm höhnisch zujubelten und er war wohl noch niemals in seinem Leben dermaßen schnell gelaufen. Wir nahmen sogleich das Zelt in Augenschein und es stellte sich heraus, dass es einen Marketenderladen beherbergte und mit allerlei Versorgungsgütern vollgestopft war. Der panische Flüchtling war natürlich der Besitzer. Er hatte wohl versucht, es dem Vogel Strauß gleichzutun, indem er sich in seinem Zelt verschanzte und sich mucksmäuschenstill verhielt, wobei er gehofft haben mochte, dass ihn niemand sehen könne, den er selbst nicht sah. Diese Kanonenkugel musste eine unangenehme Überraschung gewesen sein. Um etwas mehr Ellbogenfreiheit zu haben, rissen wir das Zelt nieder und begannen, seinen Inhalt unter uns aufzuteilen. Da waren Fässer voller Äpfel, Lyoner Würste, verschiedenste Sorten Käse, Austern und Sardinen in Dosen und etliches anderes Zeug. Ich stopfte gerade meinen Tornister mit Würsten voll, als Colonel Fry herangeritten kam und zu mir sagte: "Könntest du mir wohl bitte einen Ring dieser Wurst geben, mein Sohn?" Nach den Erlebnissen des Tages musste ich mich wohl recht kühn gefühlt haben und so antwortete ich keck: "Aber sicher doch, Colonel. Wir verkaufen hier heute unter Herstellungspreis" und drückte ihm zwei oder drei Wurstringe in die Arme. Während der alte Mann die Beute entgegennahm, umspielte die Andeutung eines Grinsens seine Lippen und er verbiss sich sogleich in einem der Ringe. Die anderen verwahrte er sorgfältig. Sein Verhalten ließ mich vermuten, dass er am Morgen wahrscheinlich nicht zu seinem Frühstück gekommen war und so mag es wohl tatsächlich der Fall gewesen sein. Kurz darauf verteilte ich noch mehr gute Gaben. In unserer Nähe stand eine Formation Kavalleristen und einer von ihnen rief mir zu: "Kamerad, gib mir ein paar Äpfel!" Ich antwortete: "Alles klar!", füllte meine Mütze rasch mit Äpfeln und gab sie ihm. Er schüttete sie in seinen Brotbeutel, holte eine silberne Zehn-Cent-Münze aus der Tasche und hielt sie mir mit den Worten: "Da, nimm" hin. Ich entgegnete: "Behalt dein Geld, ich brauche es nicht", aber er warf mir die Münze vor die Füße und so hob ich sie auf und steckte sie ein. Später fand sich natürlich eine gute Verwendung für sie.

Jack Medford aus meiner Kompanie gesellte sich zu mir, tätschelte mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck seinen Brotbeutel und sagte: "Lee, ich habe gerade einen Haufen Briefpapier und Umschläge eingeheimst. Jetzt kann ich meinen Leuten zuhause über die Schlacht schreiben." Ich antwortete: "Jack, mir scheint, du solltest das Zeug besser wegwerfen und dir etwas zu essen besorgen. Ans Briefeschreiben über die Schlacht solltest du erst denken, wenn sie geschlagen ist." Jack fiel das Grinsen aus dem Gesicht und er murmelte: "Schätze mal, da hast du Recht, Lee." Als ich ihn das nächste Mal sah, war sein Brotbeutel zum Zerreißen mit Wurst und Käse vollgestopft. Während alldessen tobte zu unserer Rechten die Schlacht und gelegentlich kreischte eine Kanonenkugel hoch über unsere Köpfe hinweg. In "Die Jungfrau vom See" schildert Scott das unheimliche Geschrei und Geheul während der Schlacht von Beal' an Duine folgendermaßen:

"Als ob das Feldgeschrei der Hölle

Aus aller Teufel Mund erschölle."

Dieser Vergleich mag sehr anregend auf die Vorstellungskraft wirken, aber ich kann aus eigener Erfahrung versichern, dass von all den grausigen Geräuschen, die ich jemals gehört habe, keines schlimmer ist als das fürchterliche Kreischen einer Kanonenkugel oder Granate, die einem in geringer Höhe über den Kopf saust, besonders jene Art von Geschoss mit einer Aussparung am Boden, die im Flug Luft einsaugt. Ihr Klang war absolut entnervend, bis ich mich auch hieran gewöhnte. Tatsächlich war die Artillerie zu meiner Zeit weitaus weniger gefährlich als das Gewehrfeuer. Sie war enorm laut, aber sie tötete nur selten, sofern man nicht auf Schrapnell- oder Kartätschenreichweite an sie herankam.

Wie bereits erwähnt, wurde das Regiment irgendwann am Vormittag zur Unterstützung einer Geschützbatterie abgestellt, wo es auch für einige Stunden verblieb. Es ist in einer Schlacht nichts nervenzehrender als unter mehr oder minder starkem Beschuss flach auf der Erde zu liegen und das Feuer nicht erwidern zu können. Die konstante Anspannung ist schier unerträglich. So war es mit grimmer, aber aufrichtiger Erleichterung, dass wir schließlich den Colonel das Kommando: "Bataillon, Achtung!" ausrufen hörten. Endlich waren wir am Zug. Wir sprangen energisch auf und marschierten bald schräg nach links, von woher schon seit einigen Stunden schwerer Gefechtslärm ertönte. Wir waren noch nicht weit gekommen, als ich etwas sah, das kaum geeignet war, meinen Kampfeseifer zu beflügeln. Wir marschierten über einen alten, grasüberwachsenen Feldweg mit einem Lattenzaun, der eine Art kleinen Weideplatz umschloss zur Rechten und dichtem Wald zur Linken, als ich links von uns einen Soldaten bemerkte, der langsam in die Richtung hinter unseren Linien trottete. Er hatte wohl einen Streifschuss an der linken Gesichtshälfte erhalten und die Haut und das Fleisch seiner Wange hingen in Fetzen an ihm herunter. Sein Gesicht und Hals waren blutverschmiert und er war fürchterlich anzuschauen. Und doch schien er ruhig und gefasst und wehklagte nicht im Geringsten. Als er an unserer Kompanie vorüberkam, sah er zu uns her und rief: "Macht denen die Hölle heiß, Jungs! Die haben mich entstellt!" Es war offensichtlich, dass er nicht übertrieb.

Als wir uns bei unserer neuen Stellung in Gefechtslinie formierten und das Feuer eröffneten, stand ich in der vordersten Reihe und direkt hinter mir in der zweiten Reihe stand Philip Potter, ein junger Ire, der einige Jahre älter war als ich. Mit seinem ersten Schuss hätte er mich beinahe erledigt. Die Mündung seiner Waffe konnte nicht mehr als fünf bis sieben Zentimeter von meinem rechten Ohr entfernt gewesen sein. Der Knall seines Schusses hätte mich beinahe taub gemacht und mein Hals und meine rechte Wange wurden von Pulverrückständen durchdrungen, die noch jahrelang sichtbar blieben, bis mein Körper sie absorbiert hatte. Ich wirbelte vor Wut tobend herum und schrie Phil an: "In drei Teufels Namen, was soll das?" Just in diesem Augenblick sank der Mann zu meiner Rechten mit einem gellenden Aufschrei zu Boden, gefolgt von dem Mann zu meiner Linken. Beide waren offensichtlich schwer verwundet. Ich wurde mir meines schockierenden Verhaltens, zu fluchen, während um mich herum Menschen starben, bewusst und mir stockte schier der Atem, da ich beinahe mit einer prompten Bestrafung durch den Allmächtigen rechnete. Diese blieb jedoch aus. Zudem möchte ich anmerken, dass gemäß der Geschichtsschreibung selbst Washington während der Schlacht von Monmouth herzhaft fluchte … außerdem hatte es den Effekt, dass Potter danach vorsichtiger war.

Der arme Phil! Während wir am 7. Dezember 1864 bei Murfreesboro, Tennessee in der Plänklerlinie kämpften, stand er nur wenige Schritte zu meiner Linken, als er durch einen Bauchschuss tödlich verwundet wurde. Er starb wenige Tage später im Lazarett. Da er ein gläubiger Katholik war, war er in seinen letzten Stunden schier verzweifelt vor Kummer, weil kein Priester zugegen war, um ihm die Absolution zu erteilen.

Wir hatten gerade an unserer oben genannten Position das Feuer eröffnet, als ich direkt vor mir in nicht mehr als 200 Metern Entfernung eine große konföderierte Flagge erspähte, die trotzig im Wind flatterte. Der Rauch war zu dicht, um den Träger zu erkennen, aber seine Fahne war deutlich sichtbar. Ihr Anblick erregte meinen Zorn und ich wollte sie niedersinken sehen, also zielte ich auf sie, ließ meinen Lauf langsam sinken, bis ich dachte, er sei wohl auf Hüfthöhe meines Ziels und drückte ab. Ich spähte eifrig durch den Rauch, um das Resultat meines Schusses zu begutachten, aber das verflixte Ding wehte noch immer. Auf dieselbe Art feuerte ich noch drei bis vier Kugeln ab – ohne sichtbaren Erfolg. Ich schloss hieraus, dass der Träger wohl hinter einem Baumstumpf oder dergleichen kauern müsse und dass es sinnlos sei, weitere Munition auf ihn zu verschwenden. Schräg zu meiner Linken in vielleicht 250 Metern Entfernung war die konföderierte Gefechtslinie deutlich sichtbar. Sie befand sich ungedeckt am Rande eines Feldes, mit dem Wald im Rücken. Diese Linie gab ein hervorragendes Ziel ab. Ich konnte sogar die Ladestöcke der einzelnen Männer in der Sonne blitzen sehen, wenn sie sie aus den Halterungen zogen und nach dem Laden wieder zurücksteckten. Also begann ich, auf den Feind an jenem Abschnitt der Linie zu feuern und den restlichen Inhalt meiner Patronentasche schickte ich in diese Richtung. Es ist unmöglich zu sagen, ob eine meiner Kugeln traf, aber nach der Schlacht machte ich die genaue Stelle ausfindig und besah mir den Boden. Die toten Konföderierten lagen dort dicht an dicht und während ich auf sie hinabsah, drängte sich mir die Frage auf, ob ich wohl einige von diesen armen Kerlen getötet hatte. Natürlich konnte ich es nicht mit Sicherheit wissen und ich bin noch heute froh, dass ich es nicht weiß. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich kein gesichertes Wissen habe, während meiner gesamten Dienstzeit überhaupt einen einzigen Menschen getötet oder auch nur verwundet zu haben. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, dass zumindest einige meiner Kugeln tödlich waren, aber ich kann es nicht wissen und für diese Unwissenheit bin ich zutiefst dankbar. Weißt du, objektiv betrachtet waren die Soldaten in den konföderierten Armeen auch nur amerikanische Jungs, genau wie wir und sie waren aufrichtig davon überzeugt, sich im Recht zu befinden. Wären sie Soldaten einer fremden Nation gewesen, beispielsweise Spanier, so würde ich möglicherweise anders empfinden.

Als wir in der oben genannten Stellung "mitmischten", nahm der alte Captain Reddish seinen Platz in der Linie ein und kämpfte wie ein einfacher Soldat. Er hatte die Muskete eines Toten oder Verwundeten aufgehoben, stopfte sich die Taschen mit Munition und Zündhütchen voll und war somit für ein Feuergefecht gerüstet. Er schnallte sein Schwert ab, legte es in der Scheide zu seinen Füßen ab und widmete dann seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Feind. Noch immer kann ich vor meinem inneren Auge den alten Mann sehen, wie er in der Gefechtslinie steht, lädt und feuert, wobei seine blaugrauen Augen leuchten und sein Gesicht, gepackt vom Schlachtenfieber, förmlich glüht. Zeitweise stand Colonel Fry in unserer Nähe und ich hörte, wie der alte Captain John ihm zurief: "Wie gegen die Indianer, Colonel! Genau wie gegen die Indianer!" Als wir uns schließlich zurückzogen, schulterte der Captain seine Muskete und marschierte mit uns ab. Sein "Käsemesser" (wie er es zu nennen pflegte) hatte er völlig vergessen. Es blieb dort liegen und er sah es niemals wieder.

An dieser Linie, auf einer sanften Anhöhe etwa 400 Meter zu unserer Rechten, stand eine Batterie der leichten Artillerie. Sie stand zwischen der Infanterie an der vordersten Linie und oh, wie wussten diese Kanoniere ihre Geschütze zu handhaben! Es schien mir, als donnerte jede Sekunde eine ihrer Kanonen. Manchmal warf ich einen Blick in ihre Richtung, während ich eine Kugel in meinen Lauf rammte. Es waren kräftige Burschen mit entblößten Oberkörpern. Ihre weiße Haut glänzte in der Sonne und sie gingen mit einem Eifer zur Sache, wie ich ihn zuvor nur bei Männern gesehen hatte, die verzweifelt einen großen Waldbrand bekämpften. Ihr zerstörerisches Feuer erfüllte mich mit einem wahren Glücksgefühl. "Gebt es ihnen, ihr Götter des Donners!" murmelte ich zu mir selbst, "Hämmert den letzten Funken Bosheit aus ihnen heraus!" Nach der Schlacht konnte ich mich davon überzeugen, dass sie genau dies getan hatten.

Wenn man bedenkt, dass ich heutzutage (wie du ja weißt) nicht einmal ein Huhn töten kann, mögen meine obigen Ausbrüche seltsam anmuten. Es ist jedoch eine Tatsache, dass der Soldat in der Schlacht vom Dämonen der Zerstörung besessen ist. Es verlangt ihn danach, zu töten und je mehr seiner Feinde er sterben sieht, desto größere Befriedigung empfindet er. General Grant verleiht irgendwo in seinen Memoiren demselben Gedanken Ausdruck (allerdings in gemäßigterer Sprache als der meinen), wenn er schreibt:

"Im Wüten der Schlacht kann man seinen Feind zu tausenden, gar zehntausenden niedergemäht werden sehen, ohne eine negative Gemütsregung zu verspüren."

Das Regiment lagerte die Nacht über am Steilufer, unweit des historischen "Blockhauses". Gegen Einbruch der Dunkelheit begann es zu regnen und da ich nicht im Wasser liegen wollte, machte ich mich auf die Suche nach einem Schlafplatz und fand einen kleinen Haufen aufgetürmten Geästes, den wohl vor einiger Zeit (als die Bäume noch Blätter trugen) irgendjemand zurückgelassen hatte, nachdem er einen Baum zurechtgestutzt hatte. Ich formte eine Art Kopfkissen aus meiner Waffe, meiner Patronentasche, meinem Brotbeutel und meiner Feldflasche und streckte mich auf den Zweigen aus. Da lag ich nun, zu Tode erschöpft und durch die Ereignisse des Tages einigermaßen entmutigt. Der Großteil von Buells Army of the Ohio kam kurz nach Einbruch der Dunkelheit etwas oberhalb der Anlegestelle das Steilufer heraufmarschiert und formierte sich unweit davon in Linie. Ich meine, mich vage daran zu erinnern, dass dies den größeren Teil der Nacht in Anspruch nahm. Ihre Regimentskapellen spielten unablässig und ich hatte den Eindruck als spielten alle von ihnen das Lied "The Girl I Left Behind Me". Der Regen prasselte herab und alle 15 Minuten donnerte eines der großen Kanonenbootgeschütze und schleuderte eine behäbige Granate in Richtung des Hohlweges, wo sich der Feind befand. Noch heute überflutet mich, sobald ich die Klänge von "The Girl I Left Behind Me" höre, die Erinnerung an jene trübe Sonntagnacht nahe Pittsburg Landing. Ich kann erneut das unablässige Prasseln des Regens hören und ebenso die dumpfen, schweren Schritte von Buells marschierenden Kolonnen, die donnernden Geschütze der Kanonenboote, das dämonische Kreischen der fliegenden Granaten und ganz sanft unter all diesem Lärm die süße Melodie dieses alten Liedes. Wir hatten unsere eigene Armee-Version, die ich bisher noch nirgends abgedruckt gesehen habe. Ihr Text unterschied sich gänzlich von der ursprünglichen Ballade und die letzte Strophe unserer Version lautete folgendermaßen:

"Und ist der Krieg dann endlich aus

Und ich leb', mit heilen Gliedern,

Dann folg' Polaris ich nach Haus

Und seh' mein Mädel wieder."

Wie bereits erwähnt, war unser Regiment am Montag nicht mehr an den Kampfhandlungen beteiligt. Wir verbrachten den gesamten Tag in unserem Lagerplatz vom Sonntagabend. Wir rammten die Enden der Fahnenstangen unserer Regimentsflaggen in den Boden und so wehten die Banner träge im Wind, während die Männer herumsaßen oder -lagen, mit griffbereiten Musketen und umgeschnallten Patronentaschen, um sofort gefechtsbereit zu sein, falls der Trommelwirbel ertönen sollte. Aus irgendeinem Grunde, den ich niemals in Erfahrung bringen konnte, wurden wir jedoch nicht mehr eingesetzt. Unser Divisionskommandeur General B. M. Prentiss und unser Brigadekommandeur Colonel Madison Miller gerieten beide am Sonntag zusammen mit dem Großteil von Prentiss' Division in Gefangenschaft, also betrachtete man uns wohl als eine Art "Waisenkinder". Wir waren jedoch nicht die einzigen. Auch andere Regimenter aus Grants Armee wurden in Reserve gehalten und gaben am Montag keinen einzigen Schuss mehr ab.

Nach der Schlacht lief ich die folgenden beiden Tage auf dem Schlachtfeld umher und sah mir an möglichst vielen Orten die Folgen der Kampfhandlungen an. Die fürchterlichen Szenen, derer man auf einem blutdurchtränkten Schlachtfeld ansichtig wird, können unmöglich in all ihren fürchterlichen Einzelheiten beschrieben werden. Man muss sie mit eigenen Augen sehen, um ihren ganzen Schrecken zu erfassen. Byron spricht die Wahrheit, wenn er in "Don Juan" sagt:

"O Tod! Du hast ja täglich deinen Schmaus,

Pest, Hunger, Ärzte, die den Nationen

Wie eine Totenuhr all deinen Graus

Ins Ohr zu picken pflegen; doch dergleichen

Muss einem treuen Schlachtgemälde weichen."

Auf dem Schlachtfeld befand sich ein kleines, freies Feld, das die "Pfirsichplantage" genannt wurde. Es war, soweit ich mich erinnere, von unregelmäßiger Form und etwa sechs bis acht Hektar groß, allerdings kann ich dies nicht mit Sicherheit sagen. Seinen Namen verdankte es wohl den wenigen, kümmerlichen Pfirsichbäumchen, die auf ihm wuchsen. Am Sonntag hielten die Unionstruppen eine starke Stellung im Wald unmittelbar nördlich dieser "Plantage" und die Konföderierten stürmten viermal über das offene Feld hinweg gegen unsere Linie an, wobei sie jedes Mal unter grausigen Verlusten zurückgeschlagen wurden. Am Tag nach dem Ende der Schlacht lief ich dieses Feld in seiner Gesamtheit ab, als die Toten noch nicht begraben waren. Es ist die reine Wahrheit, wenn ich sage, dass der Boden förmlich mit gefallenen Konföderierten bedeckt war und dass man das gesamte Feld auf ihren Körpern hätte überqueren können, ohne dabei die Erde zu berühren. General Grant war in seinen Memoiren der gleichen Überzeugung. Es war ein furchtbarer Anblick, doch etwas westlich, unweit der "Pfirsichplantage", gab es eine noch grausigere Szenerie zu sehen. Dort hatten einige unserer Truppen eine Linie entlang eines alten, grasüberwachsenen Feldweges gehalten, der sich durch einen dichten Wald schlängelte. Die Räder all der Wagen, die hier seit etlichen Jahren in der gleichen Spur gefahren waren, hatten einen Hohlweg in die Erde gegraben, der um einiges tiefer lag als das umliegende Gelände. Einem knienden Schützen bot sich somit eine natürliche Brustwehr, die zwar verhältnismäßig flach war, aber trotzdem beträchtlichen Schutz bot. Vor dieser Stellung befanden sich neben den großen Bäumen auch dichtes Gehölz, Pfahleichen und dergleichen, die allesamt noch ihre Blätter trugen. Zudem war der Boden mit trockenem Laub bedeckt. An dieser Stelle fanden erbitterte Kämpfe statt, in deren Verlauf explodierende Granaten das Gehölz in Brand setzten. Die Kleidung der auf der Erde liegenden toten Konföderierten fing Feuer und ihre Leichname verbrannten bis zur Unkenntlichkeit. Ich habe irgendwo gelesen, dass auch einige Verwundete verbrannt sein sollen, aber das bezweifele ich. Ich ging das Gelände ab und besah mir diese armen Burschen, wobei ich gründlich nach ihrer jeweiligen Todesursache Ausschau hielt. Sie hatten Schussverletzungen erlitten, welche sie offensichtlich sofort oder nach nur wenigen Sekunden getötet haben mussten. Wie dem auch sei, der Anblick erschütterte mich bis ins Mark. Ich werde hier keine Einzelheiten nennen, diese werden deiner Vorstellungskraft überlassen bleiben müssen.

An einer anderen Stelle auf dem Schlachtfeld sah ich die Leichen zweier konföderierter Soldaten, die ich ebenfalls niemals vergessen werde. Sie veranschaulichten die äußerst unterschiedlichen Umstände, unter welchen man in der Schlacht sterben konnte. Der eine war ein erwachsener Mann von wohl etwa 30 Jahren mit rötlichgelbem Haar und einem struppigen Bart und Schnurrbart in der gleichen Farbe. Er hatte von einer Position hinter einem Baumstamm aus geschossen und als er einmal seinen Kopf dahinter hervorstreckte, traf ihn eine Musketenkugel mittig in die Stirn. Er musste sofort tot gewesen sein und sackte in eine kauernde Haltung hinter seinem Baum zusammen. Als ihn der Tod ereilte, biss er gerade eine Patrone auf. Der Papierfetzten stak noch zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen, während seine rechte Hand die übrige Papierhülse umklammert hielt. Seine Zähne waren lang, schief und von Kautabak verfärbt. Wie bereits erwähnt, musste er sofort tot gewesen sein. Seine Augen waren weit aufgerissen und sein Blick trug noch immer den Ausdruck dämonischen Hasses. Da sein Übergang vom Leben in den Tod so unvermittelt geschehen war, hatten sich seinem kalten Antlitz untilgbar die rasende Wut und der Blutdurst des Kampfes eingeprägt. Der Bursche sah furchteinflößend aus und ich musste meine Augen abwenden. Der zweite Tote bot einen vollkommen anderen Anblick. Er lag bei einer sanften Anhöhe, über welche die Konföderierten gegen eine Geschützbatterie angestürmt und dabei förmlich niedergemetzelt worden waren. Er war noch ein Junge, nicht älter als 18 Jahre, mit ebenmäßigen Gesichtszügen, hellbraunem Haar und blauen Augen – insgesamt ausgesprochen gutaussehend. Eine Kanonenkugel hatte ihn am rechten Bein, etwa mittig zwischen Knie und Hüfte, getroffen. Das Bein war nahezu gänzlich abgerissen und hing nur noch an einem Hautfetzen. Der Junge lag ausgestreckt auf seinem Rücken und sein rechter Arm ragte stocksteif und mit geballter Faust empor. Seine Augen standen weit offen, aber ihr Ausdruck war natürlich und friedlich. Der Schock und der rasche Blutverlust mussten ihm die Gnade eines schnellen Todes gewährt haben. Während ich mir den unglücklichen Jungen ansah, überkam mich der Gedanke daran, wie irgendwo ob der traurigen Nachricht seines verfrühten Todes einer armen Mutter schier das Herz brechen würde. Bis zum Ende des Krieges ereigneten sich tausende solcher Schicksale in den Armeen von Nord und Süd.

Ich denke, ich sollte hier über eine von mir gehegte Überzeugung sprechen, über deren Wert du selbst befinden magst. Wie du weißt, bin ich kein religiöser Mensch im theologischen Sinne des Wortes und habe zeitlebens keiner Glaubensgemeinschaft angehört. Ich war stets bemüht, die Goldene Regel zu befolgen und habe es hierbei bewenden lassen. Seit meiner frühesten Jugend verspüre ich jedoch eine besondere Achtung vor dem Sonntag. Als kleiner Junge ging ich oft mit dem Gewehr auf die Jagd, wie es bei den Leuten in unserer Gegend allgemein üblich war. In den dichten Wäldern jenes entlegenen Landstriches war Niederwild reichlich vorhanden und selbst Hirsche waren keine Seltenheit. Um zur Sache zu kommen, bei uns ungebildeten Leuten herrschte die Überzeugung, dass ein sonntäglicher Jagdausflug nicht nur erfolglos bleiben, sondern auch für den Rest der Woche Pech bringen würde. Als nun also die Konföderierten die Schlacht an einem Sonntag eröffneten, schoss mir der Gedanke durch den Kopf: "Ihr Kerle musstet die Sache ja sonntags anfangen und deswegen werdet ihr kein Glück damit haben!" Ich muss eingestehen, dass die Lage mehrfach so verzweifelt schien, dass ich den Mut verlor, aber ich fasste mir stets wieder ein Herz und letztlich wurde mein Sonntags-Aberglaube, oder wie auch immer man ihn nennen mag, gerechtfertigt. Gleich Shiloh wurden auch die Schlachten von Waterloo und Bull Run an einem Sonntag ausgefochten und in beiden Fällen wurde der Angreifer entscheidend geschlagen. Es mag dies wohl bloßer Zufall sein, aber ich glaube es nicht. In einer glaubwürdigen Quelle habe ich gelesen, dass Präsident Lincoln der gleichen Überzeugung war und sich stets gegen aggressive Manöver der Unionsarmeen an einem Sonntag aussprach.

Zuhause kursierten indessen die wildesten Gerüchte über die Schlacht und ihren Ausgang. Ich habe in diesem Moment einen alten Brief vor mir liegen, den mir mein Vater am 19. April als Antwort auf meinen vorangegangenen Brief (von dem ich noch sprechen werde) schickte. Er hatte durch mein Schreiben die ersten verlässlichen Neuigkeiten über unser Regiment und die Jungs aus der Nachbarschaft erhalten und schrieb in seiner Antwort unter anderem: "Hier bei uns ging das Wort um, Frys Regiment sei gänzlich entweder getötet worden oder in Gefangenschaft geraten und habe praktisch aufgehört zu existieren. Außerdem sollte euch Beauregard alle über eine Klippe in den Tennessee River getrieben haben. Auch hieß es, Captain Reddish habe man den Arm abgeschossen, zudem sollten verwundet sein: Enoch Wallace …" Es folgte eine Liste von Namen, die jedoch (ebenso wie Reddish und Wallace) tatsächlich keine Schramme davongetragen hatten. Mein vorheriger, oben genannter, Brief an meinen Vater datierte vom 10. April und erreichte ihn am 18. Er war kurz, nur etwa vier jener kleinen, fleckigen Papierseiten lang, die man damals bei den Marketendern kaufen konnte. Ich kann mich nicht mehr entsinnen, warum ich nicht bereits früher schrieb, aber das hing wohl damit zusammen, dass zuvor kein Postschiff von der Anlegestelle ablegte. Der kleine, alte Wagen, der die Post aus der weiten Welt nach Otter Creek brachte, erreichte das dortige Postamt für gewöhnlich etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang und an jenem Abend, als er meinen Brief beförderte, war das winzige Postamt (das zugleich auch als Kramladen fungierte) mit Leuten vollgestopft, die begierig auf Neuigkeiten von ihren Söhnen oder sonstigen Verwandten im 61st Illinois warteten. Die Verteilung der Post war damals in dieser kleinen Stube eine sehr einfache Prozedur. Der alte Postler, der sich darum kümmerte, rief mit dröhnender Stimme den Namen eines jeden Adressaten aus und wenn dieser anwesend war und "Hier!" rief, wirbelte ein geübter Schwung aus dem Handgelenk den Brief durch das Zimmer in Richtung des Empfängers, der ihn fangen musste. An jenem Tage befand sich jedoch scheinbar kein einziger Brief aus dem Regiment in der Post, bis der Postler schließlich den Namen meines Vaters ausrief: "J. O. Stillwell!" Er rief ihn noch lauter ein zweites Mal, aber es kam noch immer keine Antwort. Hierauf hielt er den Brief auf Armeslänge von sich und unterzog die Adresse einer genauen Prüfung. "Hmm" sagte er schließlich, "Der ist von Jerry Stillwells Jungen vom 61st, also gehe ich mal davon aus, dass er zumindest nicht gefallen ist." Diese Neuigkeit sorgte für aufgeregtes Raunen im Raum und die Leute drängten sich nach vorne, um einen Blick auf die Handschrift auf dem Umschlag zu werfen. "Ja, das ist die Handschrift von Jerrys Jungen, keine Frage" bestätigten mehrere. Hierauf flehten William Noble und Joseph Beeman, zwei alte Freunde meines Vaters, den Postler an, ihnen bitte den Brief auszuhändigen, sie würden ihn sofort zu den Stillwells bringen, ihn sich vorlesen lassen und dann unverzüglich mit den Neuigkeiten zurückkommen. Alle Anwesenden unterstützten diese Idee, also willigte der Postler ein und händigte den Brief aus. Die beiden Herren stürmten nach draußen, banden ihre Pferde los und galoppierten drei Kilometer zur Stillwell Farm, die auf der Südseite des Otter Creek in einer bewaldeten Gegend lag. Als sie sich dem kleinen, alten Blockhaus näherten, sahen sie meinen Vater unweit der Scheune stehen. Der Träger des Briefes schwenkte ihn über dem Kopf und brüllte: "Brief von deinem Jungen, Jerry!" Dies hörte meine Mutter und sie kam zitternd vor Aufregung aus dem Haus gelaufen. Der Brief wurde sogleich geöffnet und gelesen und rasch lösten sich all die fürchterlichen Gerüchte über das angebliche Schicksal von Frys Regiment in Luft auf. Natürlich beinhaltete der Brief auch traurige Neuigkeiten, aber diese verblassten im Vergleich zu den Schauermärchen, welche man sich in der Nachbarschaft erzählt hatte. Dieser alte Brief befindet sich noch immer in meinem Besitz.

Einige Tage nach der Schlacht kamen Gouverneur Richard Yates aus Illinois, Gouverneur Louis P. Harvey aus Wisconsin und viele weitere Zivilisten aus dem Norden angereist, um nach dem Wohlergehen der Verwundeten und Kranken aus ihren jeweiligen Heimatstaaten zu sehen. Die 16th Wisconsin Infantry lagerte direkt neben uns und eines Nachmittags erfuhr ich, dass Gouverneur Harvey beabsichtigte, am Abend nach der Parade eine Rede zu halten. Ich suchte ihr Lager auf, um mir die Sache anzusehen. Das Wisconsin-Regiment nahm keine militärische Formation ein, sondern versammelte sich einfach formlos um den Gouverneur, der mit seinem Pferd unter einer kleinen Baumgruppe stand, um seine Rede aus dem Sattel zu halten. Er trug einen immensen, breitkrempigen Hut, hatte seinen Mantel bis unters Kinn zugeknöpft und seine Hände staken in enormen Wildlederhandschuhen. Er war ein imposant aussehender Mann von stämmiger Gestalt und einem Alter von etwa 42 Jahren. Seine Ansprache war nicht lang, aber patriotisch und wohlformuliert. Ich erinnere mich noch besonders deutlich daran, wie er die Soldaten aus Wisconsin für ihr tapferes Betragen in der Schlacht lobte und beteuerte, dass ihr Staat stolz auf sie sei und er selbst in seiner Eigenschaft als Gouverneur entschlossen sei, für die Dauer seiner Amtszeit nach Kräften für ihr Wohlergehen zu sorgen. Zudem wolle er ihrer auch nach dem Ende seiner politischen Laufbahn stets mit Dankbarkeit und der innigsten Zuneigung gedenken. Sein massiver Leib erbebte unter der Intensität seiner Emotionen, während er sprach und ich hatte den Eindruck, dass seine Worte und Gefühle aufrichtig waren. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er ja noch nicht, dass ein tragisches und beklagenswertes Schicksal bereits die Hand nach ihm ausstreckte. Nur wenige Abende später stürzte er beim Überqueren einer Laufplanke zwischen zwei Dampfschiffen bei der Anlegestelle ins Wasser. Die Strömung zog ihn sogleich unter die Schiffe und er ertrank. Einige Tage später fand ein Neger seinen Leichnam, der vom Wasser gegen einige Steine auf unserer Uferseite gepresst wurde und brachte ihn auf seinem alten Karren zu uns. Der Tote wurde anhand einiger Papiere in seinen Taschen und weiterer Indizien zweifelsfrei als Gouverneur Harvey identifiziert. Seine sterblichen Überreste wurden per Schiff zurück nach Wisconsin überführt, wo er ein großes und prächtiges Begräbnis erhielt.


Vier Jahre für Lincoln

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