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ОглавлениеIch wandte mich um und ging Richtung Treppe. Ich konnte ihren Blick in meinem Rücken fühlen, dann hörte ich, wie die Tür geschlossen wurde. Ich ging weiter zum Parkplatz hinunter, stieg in meinen Wagen und fuhr davon. Ich wollte mit Mrs Ochsner aus dem Nachbarapartment reden, aber ich dachte, es sei besser, damit noch zu warten. Etwas an Pat Usher gefiel mir nicht. Es lag nicht nur daran, dass einiges von dem, was sie mir erzählt hatte, gelogen gewesen war. Ich bin selbst eine geborene Lügnerin und weiß, wie man das macht. Man bleibt so nah wie möglich an der Wahrheit. Man gibt vor, ein paar Informationen freiwillig herauszurücken, aber die Aussagen sind alle sorgfältig gewählt, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Pats Problem war, dass sie viel zu weit ausholen musste und mit Ausschmückungen begonnen hatte, wo sie besser den Mund gehalten hätte. Die Geschichte, wie Elaine Boldt sie in Fort Lauderdale in einem gemieteten weißen Cutlass mitgenommen hatte, war so ein Fehlgriff. Elaine hatte keinen Führerschein. Tillie hatte mir das erzählt. Im Moment konnte ich mir noch nicht erklären, warum Pat an dieser Stelle gelogen hatte, aber es musste wichtig sein. Was mich wirklich an ihr gestört hatte, war, dass sie einfach keinen Stil hatte, und es kam mir merkwürdig vor, dass sich Elaine Boldt diese Frau als Freundin ausgesucht haben sollte. Nach dem, was Tillie und Beverly mir erzählt hatten, hatte ich das Gefühl, Elaine sei ein kleiner Snob, und für so eine Person schien mir Pat Usher nicht interessant genug.
Einen halben Block weiter entdeckte ich ein Geschäft, in dem ich zwei Päckchen Karteikarten kaufte, um mir einige Notizen machen zu können. Dann rief ich Mrs Ochsner in 317 an. Endlich nahm sie den Hörer ab.
»Hallo?«
Ich meldete mich und teilte ihr mit, wo ich mich gerade aufhielt. »Ich war eben bei Pat Usher oben und habe mit ihr gesprochen, aber ich wollte sie nicht wissen lassen, dass wir uns kennen. Gibt es eine andere Möglichkeit, uns zu treffen?«
»Tja ... wie aufregend«, meinte Mrs Ochsner. »Was sollen wir tun? Ich könnte mit dem Aufzug zum Wäscheraum hinunterfahren. Er befindet sich direkt am Parkplatz, wissen Sie, und dort könnte ich bei Ihnen einsteigen.«
»Gut«, sagte ich. »In zehn Minuten komme ich vorbei.«
»Sagen wir fünfzehn. Ich bin langsamer, als Sie denken.«
Die Frau, der ich auf den Vordersitz half, war an einem Stock aus dem Wäscheraum herübergehumpelt gekommen. Sie war klein, hatte einen Alte-Frauen-Buckel von der Größe eines Rucksacks und weiße Haare, die ihr vom Kopf abstanden wie Löwenzahnfusseln. Ihre Gesichtshaut war schlaff und verwelkt wie die eines Apfelmännchens. Durch Arthritis waren ihre Hände in eine groteske Form gekrümmt worden, als ob sie beim Schattenspiel Gänseköpfe darstellen wollte. Sie trug ein Hauskleid, das an ihrer knochigen Gestalt herunterhing, und ihre Fußgelenke waren mit elastischen Binden umwickelt. Über ihrem linken Arm trug sie zwei Kleidungsstücke.
»Ich möchte das hier in der Reinigung abgeben«, sagte sie. »Sie können es hineinbringen. Außerdem würde ich gern am Supermarkt Halt machen. Ich habe keine Cornflakes und keine Milch mehr.« Ihr Auftreten war energisch, ihre Stimme zittrig, aber lebendig.
Ich ging um den Wagen herum zu meiner Seite und stieg ein. Ich ließ den Motor an und warf einen Blick zum dritten Stock hoch, um sicherzugehen, dass Pat Usher nicht dort stand und uns beobachtete. Ich fuhr vom Parkplatz hinunter. Mrs Ochsner sah mich forschend an.
»Sie sehen überhaupt nicht so aus, wie Sie sich am Telefon angehört haben«, stellte sie fest. »Ich dachte, Sie seien blond und blauäugig. Welche Augenfarbe haben Sie denn, grau?«
»Haselnussbraun«, erwiderte ich. Ich schob meine Sonnenbrille hoch, damit sie sie sehen konnte. »Wie kommt man von hier aus zur Reinigung?«
»Sie ist direkt neben dem Geschäft, von dem aus Sie anriefen. Wie nennt sich Ihr Haarschnitt?«
Ich sah mich im Rückspiegel an. »Ich glaube, er hat gar keinen Namen. Ich schneide sie selbst, alle sechs Wochen, mit der Nagelschere. Ich lasse meine Haare so kurz, weil ich mich nicht mit ihnen herumärgern will. Warum? Meinen Sie, es sieht nicht gut aus?«
»Ich weiß noch nicht. Möglicherweise passt es zu Ihnen, aber ich kenne Sie nicht gut genug, um das beurteilen zu können. Wie ist das mit mir? Sehe ich aus, wie ich mich anhöre?«
Ich blickte zu ihr hinüber. »Am Telefon klangen Sie wie ein Heißsporn.«
»War ich auch, als ich so alt war wie Sie. Heute muss ich aufpassen, dass man mich nicht einfach als komischen Kauz abschreibt wie Ida. Alle meine guten Freunde sind gestorben, und ich muss mich jetzt mit den Nörglern herumschlagen. Hatten Sie Erfolg in Bezug auf Elaine?«
»Fast keinen. Pat Usher behauptet, sie sei tatsächlich ein paar Tage lang in Boca gewesen und dann weitergefahren.«
»Nein, war sie nicht.«
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich. Sie klopfte immer an meine Wand, wenn sie da war. Es war eine Art Code. Das machte sie schon seit Jahren. Innerhalb einer Stunde kam sie dann rüber und traf mit uns Verabredungen zum Bridgespiel, weil sie wusste, wie viel es uns bedeutete.«
Ich parkte vor der Reinigung und nahm die beiden Kleider, die sie über den Sitz gelegt hatte. »Ich bin sofort wieder zurück.«
Ich erledigte die beiden Aufträge, während Mrs Ochsner wartete. Dann unterhielten wir uns im Auto. Ich erzählte ihr von meinem Gespräch mit Pat Usher.
»Was halten Sie von ihr?«, fragte ich.
»Sie ist zu aggressiv«, sagte Mrs Ochsner. »Anfangs versuchte sie, Kontakt zu mir zu knüpfen, wissen Sie. Manchmal, wenn ich auf dem Balkon in der Sonne saß, redete sie mit mir. Sie hatte immer diesen teerigen Geruch von Menschen, die zu viel rauchen, an sich.«
»Worüber unterhielten Sie sich?«
»Nun ja, mit Bildung hatte es jedenfalls nichts zu tun, das kann ich Ihnen sagen. Die meiste Zeit redete sie übers Essen, aber ich habe nie gesehen, dass sie etwas anderes als Zigaretten und Fresca in den Mund steckte. Sie trank ununterbrochen Sprudel, und ihr Mundwerk stand nie still. So etwas Ichbezogenes! Ich glaube nicht, dass sie mich jemals auch nur ein Wort über mich gefragt hat. Es kam ihr einfach nicht in den Sinn. Ich war natürlich zu Tode gelangweilt und begann, ihr aus dem Wege zu gehen. Nun ist sie unhöflich geworden, weil sie weiß, dass ich sie nicht mag. Unsichere Menschen haben eine besondere Sensibilität für alles, das ihre niedrige Meinung über sich selbst bestätigt.«
»Hat sie Elaine erwähnt?«
»Oh ja. Sie sagte, Elaine sei fort auf einer Reise, was mir merkwürdig vorkam. Ich habe noch nie erlebt, dass sie hierher kam und sofort wieder weiterfuhr. Warum sollte sie das tun?«
»Können Sie mir sagen, zu wem sonst Elaine Beziehungen gepflegt haben könnte? Hatte sie Freunde oder Verwandte hier?«
»Darüber müsste ich nachdenken. Auf Anhieb fällt mir niemand ein. Ich vermute, die meisten ihrer guten Freunde wohnen in Kalifornien, da sie dort die meiste Zeit verbringt.«
Wir unterhielten uns noch eine Weile, doch hauptsächlich über andere Dinge. Um Viertel nach elf dankte ich ihr und fuhr sie zum Parkplatz zurück. Ich gab ihr meine Karte, damit sie mich notfalls anrufen konnte, und sah ihr dann nach, wie sie zum Aufzug humpelte. Ihr Gang war unregelmäßig, als würde sie wie eine Marionette von oben an Schnüren bewegt. Sie winkte mir mit ihrem Stock zu, und ich winkte zurück. Sie hatte mir nicht viel Neues gesagt, aber ich hoffte, dass sie mir Bericht erstatten könnte über das, was nach meinem Abflug hier vorging.
Ich fuhr zu einem Parkplatz am Strand hinaus, blieb im Wagen sitzen und machte mir auf meinen Karteikarten Notizen über alles, woran ich mich in dieser Sache erinnern konnte. Es dauerte eine Stunde, und meine Hand verkrampfte sich, aber ich musste es niederschreiben, solange die Details noch frisch waren. Als ich damit fertig war, zog ich meine Schuhe aus, verschloss den Wagen und ging den Strand entlang. Es war zu heiß zum Joggen, außerdem war ich durch den Mangel an Schlaf sowieso träge geworden. Der Wind, der vom offenen Meer herüberkam, war vollgesogen mit dem Geruch von Salz. Die Brandung schien mit halber Geschwindigkeit hereinzurollen, und es gab keine Schaumkronen. Das Meer war von einem leuchtenden Blau, und auf dem Sand verstreut lagen exotische Muscheln. Alles, was ich an kalifornischen Stränden bisher gesehen hatte, waren Knäuel aus Seetang gewesen und gelegentlich die abgebrochenen, vom Meer glattgewaschenen Böden von Colaflaschen. Ich sehnte mich danach, mich am Strand auszustrecken und ein Nickerchen in der heißen Sonne zu machen, aber ich musste weiter.
An einem Straßenstand aus rosafarbenem Schlackenstein aß ich zu Mittag, während ein Radiosender spanischsprachige Programme plärrte, die mir so fremd wie das Essen waren. Ich genoss Schwarze-Bohnen-Suppe und eine bolsa – eine Art Tasche aus Blätterteig, die scharf gewürztes Hackfleisch enthielt. Gegen vier Uhr nachmittags saß ich im Flugzeug Richtung Kalifornien. Weniger als zwölf Stunden war ich in Florida gewesen, und ich fragte mich, ob ich Elaine Boldt näher gekommen war. Es war möglich, dass Pat Usher ehrlich gewesen war, als sie behauptete, Elaine sei in Sarasota, aber ich hatte da meine Zweifel. Auf jeden Fall war ich scharf darauf, nach Hause zu kommen, und ich schlief wie eine Tote, bis das Flugzeug in L. A. landete.
Als ich am nächsten Morgen um neun ins Büro kam, stellte ich eine Routineanfrage an die Meldestelle der Führerscheininhaber beim Straßenverkehrsamt von Tallahassee, Florida, und eine zweite in Sacramento, nur für den Fall, dass Elaine vielleicht irgendwann im letzten halben Jahr ein Führerschein auf ihren Namen ausgestellt worden war. Ähnliche Nachfragen sandte ich an die Kfz-Zulassungsstellen in beiden Orten, nicht unbedingt in der Hoffnung, dass sich die Recherchen auszahlen könnten, sondern nur, um meine Pflicht getan zu haben. Ich legte alle vier Umschläge in meinen Ablagekorb. Dann nahm ich mir das Telefonbuch vor und suchte die Adressen der Reisebüros heraus, die sich in Fußgängerreichweite von Elaines Wohnanlage befanden. Ich hoffte, ihre Buchungen feststellen und erfahren zu können, ob sie ihr Flugticket benutzt hatte. Bisher hatte ich nur Pat Ushers Wort darauf, dass Elaine überhaupt in Miami angekommen war. Vielleicht war sie nicht einmal bis zum Flughafen von Santa Teresa gekommen, oder vielleicht hatte sie ihren Flug irgendwo abgebrochen. Wie es auch gewesen sein mochte, ich musste Punkt für Punkt überprüfen. Ich fühlte mich wie auf einem Fließband, von dem aus ich die Realität wie durch eine Diamantenlupe betrachtete. Im Leben eines Privatdetektivs ist kein Platz für Ungeduld, Zaghaftigkeit oder Schlamperei. Ich denke, dieselben Qualifikationen werden auch von Hausfrauen verlangt.
Die meisten meiner Nachforschungen verlaufen genau wie diese. Endlose Notizen, endlose Quellen, die gecheckt und noch mal gecheckt werden müssen, Spuren, die im Nichts enden. Normalerweise fange ich am gleichen Punkt an und arbeite mich mühsam methodisch voran, wobei ich zuerst nie weiß, was wichtig sein könnte. Alles hängt von Kleinigkeiten ab, von sorgfältig angehäuften Informationen.
Heutzutage ist es schwierig, anonym zu bleiben. Man kann über fast jeden Informationen einholen: Kreditwürdigkeit auf Mikrofilmen, militärischer Dienstgrad, laufende Verfahren, Trauungen, Scheidungen, Testamente, Geburten, Todesfälle, Führerscheinbesitz, Zulassungen, Kraftfahrzeugregister. Wenn du unsichtbar bleiben willst, zahle alles bar, und wenn du sündigst, lass dich nicht erwischen. Ansonsten kann dich jeder gute Privatdetektiv und sogar jede neugierige und hartnäckige Privatperson aufspüren. Mich erstaunt es, dass der durchschnittliche Bürger nicht paranoider ist. Die meisten unserer persönlichen Daten können von jedermann eingesehen werden. Man muss nur wissen, wie man sie herausbekommt. Was weder Landes- noch Stadtverwaltung in ihren Unterlagen führen, wird einem gewöhnlich der nächste Nachbar gern mitteilen, ohne dass auch nur ein Dollar seinen Besitzer wechselt. Da es keinen direkten Weg zu Elaine Boldt gab, musste ich es eben mit einem indirekten versuchen. Sie hatte Boca zwei Wochen zu früh verlassen und war bei Nacht gereist, was sie Tillie zufolge nicht gern tat. Sie hatte Tillie gesagt, sie sei krank und verlasse die Stadt auf Anordnung des Arztes, aber es gab beim jetzigen Stand der Dinge keinen Beweis für diese Behauptung. Elaine könnte Tillie angelogen haben. Tillie könnte mich angelogen haben. Elaine könnte das Land verlassen und Pat Usher hingesetzt haben, um die Nachricht zu verbreiten, Elaine sei stattdessen in Sarasota. Ich hatte zwar keine Ahnung, warum sie das getan haben sollte, aber schließlich hatte ich ja auch noch eine Menge Boden abzugrasen.
Nachdem sich die Liste der in Frage kommenden Reisebüros auf sechs reduziert hatte, rief ich Beverly Danziger an und berichtete ihr über meinen Ausflug nach Florida. Ich wollte sie auf dem Laufenden halten, auch wenn die Reise nicht viel gebracht hatte. Außerdem hatte ich eine Reihe Fragen an sie.
»Was ist mit Ihrer Familie?«, fragte ich. »Leben Ihre Eltern noch?«
»Oh, nein, sie sind schon Vorjahren gestorben. Wir hatten nie einen besonders ausgeprägten Familiensinn. Ich glaube nicht, dass es Onkel oder Cousins gibt, mit denen sie verkehrte.«
»Was ist mit Jobs? Was hat sie gearbeitet?«
Beverly lachte über diese Frage. »Sie haben offensichtlich noch keine klare Vorstellung von Elaine. Elaine hat niemals in ihrem Leben auch nur einen Finger gerührt.«
»Aber sie hat eine: Sozialversicherungskarte«, beharrte ich. »Wenn sie auch nur irgendwann einmal gearbeitet hätte, wäre das ein weiterer Weg, den man verfolgen könnte. Selbst wenn sie nur aus Spaß irgendwo als Bedienung jobbt.«
»Nun, ich glaube nicht, dass sie jemals einen Job hatte, und wenn es so gewesen wäre, würde sie ihn nicht noch mal machen«, sagte Beverly steif. »Elaine war verwöhnt. Sie meinte, sie müsse alles bekommen, und was sie nicht bekam, schnappte sie einem vor der Nase weg.«
Ich war wirklich nicht in der Laune, Beverlys Klagen über ihre Vergangenheit zu lauschen. »Hören Sie, lassen Sie uns doch einfach zur Sache kommen. Ich meine, es wäre das Beste, erst mal eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Auf diese Art vergrößern wir unseren Spielraum. Außerdem würden zumindest einige Möglichkeiten ausgeschlossen, und, glauben Sie mir, wo wir uns jetzt befinden, hilft alles.«
Die Stille war so total, dass ich dachte, sie hätte aufgelegt.
»Hallo?«
»Nein, ich bin noch dran«, sagte sie. »Ich verstehe bloß nicht, warum Sie ausgerechnet mit der Polizei sprechen wollen.«
»Weil das der nächste logische Schritt ist. Sie könnte natürlich einfach irgendwo in Florida sein, aber nehmen Sie mal an, sie ist es nicht. Warum sollen wir nicht einen umfassenderen Bereich abdecken? Sollen die Cops eine Vermisstenfahndung herausgeben. Soll das Police Department von Boca Raton eine Untersuchung in Sarasota starten, und wir werden sehen, was sie herausfinden. Sie können eine Beschreibung innerhalb der Landes- und Gemeindepolizei da unten verbreiten und zumindest klarstellen, dass sie nicht krank oder tot oder in Haft ist.«
»Tot?«
»Oh, entschuldigen Sie bitte. Ich weiß, es klingt alarmierend, und möglicherweise liegt nichts dergleichen vor, aber die Cops haben eben Zugang zu Informationen, die ich nicht bekommen kann.«
»Ich glaub’s einfach nicht! Ich wollte doch bloß ihre Unterschrift. Ich habe Sie engagiert, weil ich dachte, es wäre der schnellste Weg, sie zu finden. Ich denke nicht, dass das eine Sache für die Polizei ist. Ich meine, ich will einfach nicht, dass Sie das tun.«
»In Ordnung. Was dann? Sie können mich nicht beauftragen, Ihre Schwester für Sie zu finden, und dann alle Möglichkeiten der Nachforschung beschneiden.«
»Ich wüsste nicht, warum ich das nicht könnte, wenn ich sie nicht als angemessen empfinde. Ich verstehe nicht, warum Sie es nicht einfach gut sein lassen können.«
Dieses Mal war ich es, die schwieg. Ich wunderte mich über die Ursache ihrer Unruhe. »Beverly, habe ich Sie jetzt richtig verstanden? Wollen Sie mir sagen, ich soll aufhören?«
»Nun ja, ich weiß nicht recht. Lassen Sie mich darüber nachdenken, dann werde ich Sie wieder anrufen. Ich habe eben nicht gedacht, dass es so problematisch werden könnte, und ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie so weitermachen lassen will. Vielleicht kann Mr Wender auch ohne sie klarkommen. Vielleicht findet er ja eine Lücke, die es ihm erlaubt, ihren Anteil an dem Vermögen auszusparen, bis sie auftaucht.«
»Vor zwei Tagen schienen Sie diese Hoffnung nicht zu haben«, meinte ich.
»Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht«, erwiderte sie. »Aber wir wollen jetzt nicht weiter darüber nachdenken, okay? Ich werde mich melden, wenn ich möchte, dass Sie weitermachen. Warum schicken Sie mir nicht in der Zwischenzeit einen Bericht und eine aufgelistete Rechnung? Ich muss mit meinem Mann darüber reden, was jetzt weiter zu tun ist.«
»Einverstanden«, sagte ich verwirrt, »aber ich muss Ihnen sagen, dass ich beunruhigt bin.«
»Nun, das sollten Sie nicht sein«, entgegnete sie, und das Telefon klickte in meinem Ohr.
Ich starrte auf den Hörer. Was sollte das Ganze bloß? Ihre Unruhe war unüberhörbar gewesen, aber ich konnte die Konsequenzen nicht ignorieren. Sie hatte mich zwar nicht geradewegs gefeuert, aber sie hatte mich auf Eis gelegt, und technisch gesehen durfte ich nicht weiterarbeiten, bevor sie mich nicht entsprechend instruiert hatte.
Widerwillig las ich mir meine Karteikarten nochmals durch und tippte einen Bericht. Ich wollte Zeit schinden, und ich wusste es, aber ich war noch nicht in der Lage, die Sache fallen zu lassen. Ich heftete einen Durchschlag in meine Akten und steckte das Original in einen Umschlag, den ich an Beverly adressierte. Ich fügte eine Aufstellung meiner bisherigen Ausgaben hinzu. Sie hatte mir über die siebenhundertfünfzig Dollar Vorschuss hinaus, die sie mir gegeben hatte, noch weitere zweihundertfünfzig Dollar genehmigt, bis zu einer Gesamtsumme, die »eintausend Dollar nicht ohne schriftliche Vereinbarung übersteigen« durfte – was vertragliches Geschwätz war, angesichts der Tatsache, dass wir schon fertig waren. Mit dem Flugpreis, dem Mietwagen, den Ferngesprächen und ungefähr dreißig Arbeitsstunden summierten sich die Gebühren auf 996 Dollar plus Kleingeld. Sie schuldete mir zweihundertsechsundvierzig Dollar. Ich nahm an, sie würde mich ausbezahlen und dann ihre Hände in Unschuld waschen. Meiner Vermutung nach hatte es ihr Spaß gemacht, einen Detektiv zu engagieren und Elaine die Hölle heiß machen zu lassen, die sie geärgert hatte, weil sie ihre Unterschrift nicht wie gewünscht auf die gepunktete Linie gesetzt hatte. Jetzt musste ihr plötzlich klar geworden sein, dass sie in ein Wespennest gestochen hatte.
Ich verschloss das Büro und warf die Briefe auf dem Heimweg in einen Briefkasten. Elaine Boldt wurde nach wie vor vermisst, und das gefiel mir gar nicht.