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ОглавлениеMein Telefon klingelte um 2.08 Uhr morgens. Automatisch nahm ich den Hörer ab, aber in meinem Kopf herrschte noch völlige Leere.
»Kinsey Millhone.« Die Stimme war männlich und der Klang so neutral, als würde jemand wahllos aus einem Telefonbuch vorlesen. Irgendwie wusste ich, dass es ein Cop war. Sie hören sich alle so an.
»Ja. Wer ist da?«
»Miss Millhone, hier ist Streifenpolizist Benedict vom Santa Teresa Police Department. Wir sind zu einem 594 in die Via Madrina 2097, Apartment 1, gerufen worden, und eine Mrs Ahlberg möchte Sie sehen. Wäre es Ihnen möglich, uns diesbezüglich zu unterstützen? Eine Polizistin ist zwar bei ihr, aber sie fragte speziell nach Ihnen, und wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie kommen könnten.«
Ich stützte mich auf dem Ellbogen auf, und einige Gehirnzellen schalteten auf Zündung. »Was ist ein 594?«, fragte ich. »Mutwillige Zerstörung?«
»Ja, Ma’am!«
Es war klar, dass Streifenpolizist Benedict nichts riskieren wollte, indem er voreilig Fakten preisgab.
»Ist Tillie in Ordnung?«, fragte ich.
»Ja, Ma’am. Sie ist unverletzt, aber sie steht unter Schock. Wir hätten Sie wirklich nicht gestört, aber der Lieutenant gestattete, Sie zu benachrichtigen.«
»Ich bin in fünf Minuten da«, sagte ich und hängte ein.
Ich schlug die Steppdecke zurück und griff nach meiner Jeans und meinem Sweatshirt und zog die Stiefel an, ohne von der Couch aufzustehen. Gewöhnlich schlafe ich in der eingeschlagenen Decke, weil das bequemer ist, als die Liegecouch aufzuklappen. Ich ging ins Bad, putzte mir die Zähne und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Während ich meine wirren Haare mit den Fingern kämmte, schnappte ich mir die Schlüssel und lief zum Auto. Inzwischen war ich hellwach und fragte mich, über was für eine Art von 594 es ging. Tillie Ahlberg war sicher nicht die Täterin gewesen, sonst hätte sie nicht mich, sondern einen Anwalt rufen lassen.
Die Nachtluft war kalt, und der Nebel hatte sich in der letzten halben Stunde vom Strand heraufgewälzt und die leeren Straßen mit feinem Dunst gefüllt. Ampeln blinkten pflichtbewusst von Rot auf Grün und wieder auf Rot, aber es war nichts los, und ich fuhr so oft wie nötig bei Rot über die Ampel. Ein Streifenwagen parkte vor 2097, und alle Lampen in Tillies Apartment brannten, aber es war offenbar ruhig: keine blinkenden Alarmlichter, keine Nachbarn, die sich auf dem Gehsteig zusammenrotteten. Ich kündigte mich über die Gegensprechanlage an, und jemand ließ mich herein. Ich zwängte mich durch die Tür rechts des Aufzugs und lief schnell den Flur zu Tillies Apartment hinunter. Einige Leute in Bademänteln und Schlafanzügen standen im Flur an der Tür, aber ein Streifenpolizist in Uniform forderte sie auf, wieder ins Bett zu gehen. Er erblickte mich und kam auf mich zu. Die Hände hatte er in die Hüften gestützt, als ob er sonst nicht wüsste, wohin mit ihnen. Er wirkte, als würde man ihn immer noch nach seinem Personalausweis fragen, wenn er einen Drink bestellte, aber aus der Nähe betrachtet, konnte man Spuren seines Alters entdecken: feine Linien um seine Augen und ein leichtes Nachlassen der Spannkraft seiner Haut am Kinn. Seine Augen waren alt, und ich wusste, er hatte bereits mehr vom Leben gesehen, als er verarbeiten konnte.
Ich hielt ihm meine Hand hin. »Sind Sie Benedict?«
»Ja, Ma’am«, sagte er und schüttelte mir die Hand. »Sie sind Mrs Millhone, nehme ich an. Sehr erfreut. Wir sind Ihnen sehr dankbar.« Sein Handschlag war fest, aber kurz. Er nickte zu Tillies Apartmenttür hinüber, die offen stand. »Sie können hineingehen, wenn Sie wollen. Officer Redfern ist bei ihr und nimmt ein paar Einzelheiten auf.«
Ich dankte ihm und ging in das Apartment. Ich sah nach rechts. Das Wohnzimmer sah aus, als hätte es den Weg eines Tornados gekreuzt. Ich blieb stehen und sah es einen Moment an. Vandalismus an einem Ort wie diesem? Ich ging in die Küche. Tillie saß am Tisch und hatte die Hände zwischen die Knie geklemmt. Die Sommersprossen stachen aus ihrem blassen Gesicht hervor wie rote Chilistückchen. Eine uniformierte Polizistin, vielleicht vierzig Jahre alt, saß ebenfalls am Tisch und machte sich Notizen. Sie hatte kurz geschnittenes blondes Haar und ein Muttermal auf der linken Wange, das aussah wie Rosenblätter. Ihr Namensschild wies sie als Isabelle Redfern aus. Sie sprach mit leiser, ernster Stimme zu Tillie, wie jemand, der einen Selbstmörder überzeugen will, nicht zu springen.
Als Tillie mich sah, strömten ihr die Tränen aus den Augen, und sie begann zu zittern, als hätte ihr mein Erscheinen die stillschweigende Erlaubnis gegeben, sich gehen zu lassen. Ich kniete neben ihr nieder und nahm ihre Hände. »Kommen Sie, es ist alles in Ordnung«, tröstete ich sie. »Was ist passiert?«
Sie versuchte zu sprechen, aber erst mal kam nichts außer einem quietschenden Geräusch heraus, als hätte jemand auf eine Gummiente getreten. Schließlich schaffte sie es, eine Antwort herauszustoßen. »Jemand ist eingebrochen. Ich wachte auf, und da stand diese Frau in meiner Zimmertür. Mein Gott, ich dachte, mir bleibt das Herz stehen. Ich konnte mich nicht mal bewegen, so entsetzt war ich. Und dann ... und dann fing sie an ... es war so ein zischendes Geräusch, und sie rannte ins Wohnzimmer und stellte alles auf den Kopf ...« Tillie hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase und schloss die Augen.
Officer Redfern und ich wechselten einen Blick. Wirres Zeug. Ich legte Tillie meinen Arm um die Schulter und rüttelte sie ein bisschen.
»Kommen Sie, Tillie«, meinte ich, »jetzt ist es vorbei, und Sie sind in Sicherheit.«
»Ich hatte solche Angst. Ich hatte solche Angst. Ich dachte, sie wollte mich umbringen. Sie war wie eine Wahnsinnige, wie eine total verrückte Person, keuchte und zischte und raste herum. Ich schlug die Schlafzimmertür zu, schloss sie ab und wählte 911. Dann weiß ich nur noch, dass es ruhig wurde, aber ich öffnete die Tür nicht mehr, bis die Polizei eintraf.«
»Das ist großartig. Sie haben sich großartig verhalten. Ich weiß, dass Sie Angst hatten, aber Sie haben genau das Richtige getan, und jetzt ist alles in Ordnung.«
Die Polizistin lehnte sich hinüber. »Haben Sie die Frau genauer gesehen?«
Tillie schüttelte den Kopf und fing wieder an zu zittern.
Diesmal nahm die Polizistin Tillies Hand. »Nehmen Sie mal ein paar tiefe Atemzüge. Entspannen Sie sich einfach. Es ist alles vorbei, und alles ist wieder in Ordnung. Atmen Sie tief durch. Los. Haben Sie Tranquilizer oder Alkohol im Haus?«
Ich stand auf und ging zu den Küchenschränken. Ich öffnete hier und da eine Tür, aber es schien kein Alkohol da zu sein. Ich sah eine Flasche mit Vanille-Extrakt und goss den Inhalt in ein Glas. Tillie kippte es hinunter, ohne überhaupt hinzusehen.
Sie begann tiefer zu atmen und sich zu beruhigen. »Ich habe sie noch nie in meinem Leben gesehen«, sagte sie in einem beherrschteren Ton. »Sie war verrückt. Eine Wahnsinnige. Ich weiß nicht mal, wie sie hereingekommen ist.« Sie machte eine Pause. Die Luft roch nach Keksen.
Die Polizistin sah von ihren Notizen auf. »Mrs Ahlberg, es gab keinerlei Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen. Es muss jemand gewesen sein, der einen Schlüssel hatte. Haben Sie irgendwann einmal jemandem einen Schlüssel gegeben? Vielleicht jemandem, der aufs Haus aufpasste? Jemandem, der in Ihrer Abwesenheit die Blumen gießen sollte?«
Zuerst schüttelte Tillie den Kopf. Dann hielt sie inne und warf mir einen Blick zu. Ihre Augen waren voll Bestürzung.
»Elaine. Sie ist die einzige, die jemals einen hatte.« Sie wandte sich der Polizistin zu. »Meine Nachbarin aus dem Apartment direkt über meinem. Ich gab ihr einen Schlüssel, als ich im letzten Herbst einen kleinen Trip nach San Diego machte.«
Ich übernahm dann und erzählte den Rest; Elaines offensichtliches Verschwinden, und wie ihre Schwester mich engagiert hatte.
Officer Redfern stand auf. »Warten Sie. Ich möchte, dass Benedict das hier hört.«
Es war 3.30 Uhr morgens, als Isabelle Redfern und Benedict fertig waren, und Tillie war erschöpft. Sie baten sie, später zur Polizeiwache zu kommen und eine Aussage zu unterschreiben, und ich sagte, ich würde in der Zwischenzeit bei ihr bleiben, bis sie sich wieder gefasst hatte.
Als die Cops schließlich gegangen waren, saßen Tillie und ich da und sahen uns müde an.
»Kann es Elaine gewesen sein?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht«, meinte sie. »Ich glaube nicht, aber es war so dunkel, und ich konnte nicht klar denken.«
»Was ist mit ihrer Schwester? Haben Sie jemals Beverly Danziger kennen gelernt? Oder eine Frau namens Pat Usher?«
Tillie schüttelte stumm den Kopf. Ihr Gesicht war immer noch weiß wie Porzellan, und unter ihren Augen waren dunkle Ringe. Sie verankerte ihre Hände wieder zwischen den Knien. Spannung summte durch ihren Körper wie der Wind über Gitarrensaiten.
Ich ging ins Wohnzimmer und betrachtete den Schaden genauer. Der große Sekretär mit der Glasfront war umgestürzt worden und lag mit seiner Vorderseite auf dem Teetischchen, das aussah, als wäre es unter der Wucht zusammengebrochen. Die Couch war aufgeschlitzt worden, und der Schaumstoff quoll nun, blassem Fleisch gleich, heraus. Die Vorhänge waren heruntergerissen. Die Fenster waren zerbrochen, Lampen, Zeitschriften und Blumentöpfe lagen da, zu einem Haufen Tonscherben, Wasser- und Papierbrei geschlagen. So musste Wahnsinn aussehen, wenn man ihm Bahn ließ. Das oder ungezügelte Wut, dachte ich. Dies musste mit Elaines Verschwinden in Zusammenhang gebracht werden. Unter keinen Umständen glaubte ich an ein davon unabhängiges Ereignis, das nur zufällig mit meiner Suche nach ihr zusammengetroffen war. Ich fragte mich, ob es eine Möglichkeit gab, herauszufinden, wo Beverly Danziger in dieser Nacht gewesen war. Bei ihrem Porzellan-Aussehen und den kobaltblauen Augen war es kaum vorstellbar, dass sie zu dieser Wahnsinnsmelodie getanzt hatte. Aber wie konnte ich sicher sein? Vielleicht war sie auf Anstaltsurlaub gewesen, als sie das erste Mal nach Santa Teresa gekommen war.
Ich versuchte mir vorzustellen, was es für ein Gefühl sein musste, mitten in der Nacht von einem tobenden, zischenden Weib geweckt zu werden. Ein unwillkürlicher Schauer durchfuhr mich, und ich ging zurück in die Küche. Tillie hatte sich nicht bewegt, aber sie sah mich mit einem hilflosen Blick an.
»Los, räumen wir auf«, sagte ich. »Keiner von uns beiden kann jetzt schlafen, und Sie sollten das nicht alles allein machen. Wo sind Besen und Kehrschaufel?«
Sie deutete auf die Abstellkammer. Dann stand sie mit einem Seufzer auf, und wir machten uns an die Arbeit.
Als die Ordnung wiederhergestellt war, fragte ich Tillie nach dem Schlüssel für Elaines Apartment.
»Wozu?«, fragte sie besorgt.
»Ich will mal reinschauen. Vielleicht ist sie dort oben.«
»Ich komme mit«, bot sie sich prompt an. Ich fragte mich vage, ob sie mir nun mein Leben lang hinterherlaufen würde wie bei Yogi-Bär und Bubu. Dennoch umarmte ich sie schnell und wies sie an, einen Moment zu warten, während ich rasch zu meinem VW hinunterlief. Sie schüttelte den Kopf und ging mit mir hinaus.
Ich nahm meine Halbautomatik aus dem Handschuhfach und wiegte sie in meiner Hand. Es war eine nicht klassifizierte .32er mit einem schraffierten Elfenbeingriff und einem Magazin, in dem acht Patronen Platz hatten. Das Leben eines Privatdetektivs ist arm an Schusswechseln und reich an Routine-Nachforschungen, aber es gibt Zeiten, wo ein Kugelschreiber einfach nicht mehr reicht. Ich hatte Visionen von einem geistesgestörten weiblichen Wesen, das in der Dunkelheit wie eine Fledermaus auf mich zuflog. Eine .32er hat vielleicht nicht viel Durchschlagskraft, aber sie kann bestimmt jemanden aufhalten. Ich zwängte mir die Waffe in die hintere Jeanstasche und ging zum Aufzug zurück, Tillie auf meinen Fersen.
»Ich dachte, es verstößt gegen das Gesetz, heimlich eine Waffe bei sich zu tragen«, meinte sie unruhig.
»Deshalb habe ich eine Genehmigung«, erwiderte ich.
»Aber ich habe immer gehört, Handfeuerwaffen seien so gefährlich.«
»Natürlich sind sie gefährlich! Das ist es ja gerade. Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun? Mit einem Stapel zusammengerollter Zeitungen da hineingehen?«
Sie dachte noch immer darüber nach, als wir den zweiten Stock erreichten. Ich nahm die Pistole aus der Tasche und löste die Sicherung und lud durch. Ich steckte den Schlüssel in Elaines Schloss. Dann öffnete ich die Tür und stieß sie nach innen auf. Tillie hielt sich an meinem Ärmel fest wie ein kleines Kind. Ich wartete einen Moment und starrte mit klopfendem Herzen ins Innere. Es war kein Geräusch zu hören ... keine Bewegung. Ich tastete nach dem Lichtschalter, drückte ihn und sah schnell hinter den Türrahmen. Nichts. Ich deutete Tillie an, zu bleiben, wo sie sich befand. Leise ging ich durch die Wohnung, knipste überall das Licht an und versuchte mich jedes Mal, wenn ich einen Raum betrat, an einer abgeschwächten Version meiner besten Schützen-Haltung aus der Schulzeit. Soweit ich sehen konnte, gab es kein Anzeichen dafür, dass jemand da gewesen war. Ich durchsuchte die Schränke, warf einen flüchtigen Blick unter das Bett und seufzte, wobei mir klar wurde, dass ich den Atem angehalten hatte. Ich ging zurück zur Eingangstür und ließ Tillie reinkommen. Dann machte ich die Tür hinter uns zu und schloss sie ab. Ich ging wieder den Flur hinunter zum Kämmerchen. Rasch sah ich Elaines Schreibtisch durch und prüfte ihre Papiere. In der dritten Schublade von oben fand ich ihren Reisepass und blätterte die Seiten durch. Er war noch gültig, aber seit einer Reise nach Cozumel vor drei Jahren nicht mehr benutzt worden. Ich steckte den Pass in meine Hosentasche. Sollte sie noch hier sein, wollte ich nicht, dass sie ihren Pass benutzen konnte, um außer Landes zu gehen. Noch etwas ging mir im Kopf herum, aber ich konnte nicht herausfinden, was es war. Ich zuckte die Achseln und dachte, bei gegebenem Anlass würde es mir schon wieder einfallen. Ich lieferte Tillie vor ihrer Tür ab.
»Passen Sie auf«, sagte ich, »sehen Sie mal nach, ob irgendetwas fehlt. Wenn Sie zur Polizeiwache gehen, werden sie eine Liste der gestohlenen Dinge wollen, falls Sie was festgestellt haben. Haben Sie eine Hausratsversicherung, die den Schaden übernehmen könnte?«
»Ich weiß nicht«, meinte sie, »aber ich kann nachsehen. Möchten Sie Tee?« Ihre Miene war flehend, und sie hielt meine Hand fest.
»Tillie, ich wollte, ich könnte bleiben, aber ich muss gehen. Ich weiß, dass Sie aufgeregt sind, aber das legt sich. Gibt es jemanden im Haus, der Ihnen Gesellschaft leisten kann?«
»Vielleicht die Frau aus Apartment 6. Ich weiß, dass sie früh aufsteht. Ich werde es versuchen. Und danke, Kinsey. Das meine ich ernst.«
»Schon gut. Ich habe gern geholfen. Ich komme später noch mal. Versuchen Sie, ein wenig zu schlafen.«
Ich verließ sie, und sie blickte mir traurig nach, als ich zur Eingangshalle ging. Ich stieg in den Wagen und legte die Waffe wieder ins Handschuhfach. Dann fuhr ich nach Hause. Mein Kopf war voller Fragen, aber ich war zu müde, um nachzudenken. Als ich unter meine Decke krabbelte, war der Himmel dämmergrau, und ein kühner Hahn irgendwo in der Umgebung kündigte den Tag an.
Das Telefon schrillte um acht Uhr morgens. Ich hatte gerade jenen wundervollen Schlafzustand erreicht, in dem das Nervensystem zu Blei wird und man sich von einer Art magnetischer Kraft ans Bett gefesselt fühlt. Wenn man jemanden ständig aus einem solchen Schlaf weckt, kann das innerhalb von zwei Tagen Psychosen hervorrufen.
»Was«, murmelte ich. Ich hörte Geräusche in der Leitung, aber sonst nichts. O prima, wahrscheinlich war ich von einem obszönen Anrufer, der Ferngespräche führte, geweckt worden.
»Hallo?«
»Oh, da sind Sie ja! Ich dachte schon, ich hätte die falsche Nummer gewählt. Hier ist Julia Ochsner aus Florida. Habe ich Sie geweckt?«
»Keine Sorge«, meinte ich. »Ich dachte, ich hätte Sie eben gesehen. Was ist passiert?«
»Ich habe da etwas herausgefunden, von dem ich dachte, es könnte Sie interessieren. Es sieht so aus, als hätte die Frau von nebenan die Wahrheit gesagt, als sie Ihnen erzählte, Elaine sei im Januar hierhergeflogen, zumindest bis Miami.«
»Tatsächlich?«, sagte ich und richtete mich auf. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe das Flugticket im Abfall gefunden«, erzählte sie stolz. »Sie glauben ja nicht, was ich getan habe. Sie packte für den Auszug und stellte einige Kisten voll ausrangierter Sachen und Abfall hinaus. Ich war beim Hausmeister unten gewesen, und auf dem Rückweg erspähte ich das Ticket. Es lag gleich obenauf, so hineingesteckt, dass nur eine Hälfte sichtbar war. Ich wollte wissen, wem es gehörte. Ich dachte nicht, dass ich einfach hingehen und sie fragen könnte, also wartete ich, bis sie mit einem Haufen Kleidung zum Parkplatz ging. Dann sauste ich hinaus und nahm es weg.«
»Sie sausten?«, fragte ich ungläubig.
»Nun ja, es war kein richtiges ›Sausen‹. Eher ein schnelles Kriechen. Ich glaube, sie hat es nicht mal vermisst.«
»Julia, wie konnten Sie das tun? Stellen Sie sich vor, sie hätte Sie erwischt!«
»Na und? Ich hatte meinen Spaß. Als ich zurückkam, musste ich mich hinlegen, so sehr schüttelte es mich vor Lachen!«
»Tja, aber Sie werden nicht erraten, was hier geschehen ist«, sagte ich. »Man hat mich gefeuert.«
»Gefeuert?«
»Mehr oder weniger. Elaines Schwester wies mich an, die Sache vorläufig fallen zu lassen. Sie wurde nervös, als ich ihr sagte, dass wir meiner Meinung nach eine Vermisstenanzeige bei den Cops aufgeben sollten.«
»Ich verstehe nicht. Was sollte sie dagegen einzuwenden haben?«
»Ich war auch platt. Wann hat Elaine Santa Teresa verlassen? Haben Sie das Datum?«
»Sieht aus wie der neunte Januar. Das Rückflugsdatum ist offen gelassen worden.«
»Nun, das hilft uns weiter. Warum schicken Sie mir das Ganze nicht einfach zu, sofern es nicht zu viel Umstände macht? Beverly könnte sich allerdings trotzdem drücken.«
»Aber das ist doch lächerlich! Was, wenn Elaine in Schwierigkeiten steckt?«
»Was soll ich machen? Ich werde bezahlt, um Befehle auszuführen. Ich kann nicht einfach herumspringen und tun, wozu ich Lust habe.«
»Wie wäre es, wenn ich Sie engagieren würde?«
Ich zögerte, überrascht von diesem Gedanken, aber nicht abgeneigt.
»Ich weiß nicht. Das könnte heikel werden. Ich denke, ich könnte meine Beziehung zu ihr beenden, aber es gibt keine Möglichkeit, die Informationen, die ich für Beverly entdeckt habe, an Sie weiterzugeben. Sie und ich müssten ganz von vorn anfangen.«
»Aber sie kann mich nicht hindern, Sie zu engagieren, oder? Ich meine, nachdem Sie mit ihr quitt sind?«
»Lieber Gott, es ist zu früh am Morgen, um mich mit diesem Zeug herumzuärgern, aber ich werde darüber nachdenken und sehen, was mir einfällt. Meines Erachtens nach könnte ich auf der Stelle für Sie arbeiten, so lange es keinen Interessenskonflikt darstellt. Ich würde sie darüber unterrichten müssen, aber ich glaube nicht, dass sie Einspruch einlegen könnte!«
»Gut, dann machen Sie das.«
»Sind Sie sicher, dass Sie Ihr Geld auf diese Weise ausgeben wollen?«
»Natürlich. Ich habe genug, und ich will wissen, was mit Elaine passiert ist. Außerdem amüsiere ich mich dabei! Sagen Sie mir einfach, was wir als Nächstes tun.«
»Okay. Lassen Sie mich ein wenig herumschnüffeln, dann rufe ich Sie zurück. Und, Julia, würden Sie in der Zwischenzeit bitte gut auf sich aufpassen?«, meinte ich, aber sie lachte nur.