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Irgendwie ahnte ich – schon ehe ich diesen Menschen das erste Mal zu Gesicht bekam –, dass das Verhältnis zwischen Gordon Titus und mir für keinen von uns beiden ein Quell der Freude und der Ermunterung sein würde. Da er das Treffen initiiert hatte, schienen mir meine Alternativen klar. Ich konnte mich vom Büro fern halten und so unsere erste Begegnung noch hinauszögern, oder aber ich konnte mich fügen und es hinter mich bringen. Auf den ersten Blick schien das letztere klüger. Vielleicht war das Ganze ja nur eine Formalität. Ich wollte nicht, dass er meine mangelnde Begeisterung in die falsche Kehle kriegte. Besser, ich gab mich kooperativ. Wie meine Tante zu sagen pflegte: »Sei immer auf der Seite, wo der Segen herkommt.» Erst als sie schon tot war, fing ich an, mich zu fragen, was das heißen sollte.

Als ich um neun ins Büro kam, wählte ich die Nummer von Darcy Pascoe, der Empfangssekretärin der California Fidelity gleich nebenan. »Hi, Darcy. Hier ist Kinsey. Ich habe gehört, Gordon Titus will mich sprechen. Nach dem, was Vera sagt, ist er ja ein ganz schöner Arsch.«

»Guten Morgen, Miss Millhone. Nett, dass Sie sich melden«, flötete sie.

»Wie reden Sie denn? Steht er direkt neben Ihnen?«

»Ja, ganz recht.«

»Oh, ach so. Würden Sie ihn bitte fragen, wann ich rüberkommen soll? Ich hätte jetzt gerade ein paar Minuten, falls es ihm passt.«

»Einen Augenblick, bitte.«

Sie legte mich so lange auf die Warteleitung, wie es dauerte, meine Anfrage zu übermitteln und ihm eine Antwort zu entlocken. Dann klickte es, und sie war wieder dran. »Jetzt gleich wäre sehr recht.«

»Ich kann es kaum erwarten.«

Ich legte auf. Das kriege ich schon hin, dachte ich. Jeder muss damit klarkommen, an irgendwelchen Punkten der Macht anderer Leute ausgeliefert zu sein. Also muss man eben hin und wieder jemandem in den Arsch kriechen. Was soll’s? Entweder man arrangiert sich rechtzeitig damit, oder man endet als verschrobener Querulant und Außenseiter. Auf dem Weg zur Tür blieb ich einen Moment vor dem Wandspiegel stehen, um meine Erscheinung zu inspizieren. Ich fand mich ganz passabel. Jeans, Rollkragenpullover, keinen Dreck im Gesicht, nichts Grünes zwischen den Zähnen. Make-up trage ich nicht, also brauche ich mir nie Gedanken zu machen, ob irgendwas verklebt oder verschmiert ist. Die Haare hatte ich mir immer selbst geschnitten, aber seit einiger Zeit ließ ich sie wachsen, sodass sie jetzt schulterlang waren und nur ein ganz klein wenig ungleich. Ich brauchte nur den Kopf ein bisschen schiefzulegen, dann egalisierte sich das.

Mit solchermaßen eingezogenem Kopf betrat ich den Glaskasten, den Gordon Titus offensichtlich für seine kleinen Kennenlernpartys mit den Beschäftigten benutzte. Veras Büro lag gleich daneben, und ich konnte sie an ihrem Schreibtisch sitzen und zu mir herüberschielen sehen. Sie trug ein gedecktes graues Kostüm mit einer schlichten weißen Bluse und das Haar zu einem Knoten zurückgezurrt. Mr. Titus erhob sich, um mich zu begrüßen, und wir schüttelten uns über den Schreibtisch hinweg die Hände. »Miss Millhone.«

»Guten Tag. Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte ich.

Sein Händedruck war angemessen männlich-kernig, aber nicht zu fest und gerade lang genug, um aufrichtig gemeint zu wirken. Ich muss sagen, auf den ersten Blick war ich angenehm überrascht. Ich hatte ihn mir grau und vertrocknet, steif und korrekt vorgestellt. Er war jünger, als ich erwartet hatte, höchstens zweiundvierzig. Er hatte ein glattes, gutrasiertes Gesicht, blaue Augen und modisch geschnittenes, frühzeitig ergrautes Haar. Er trug keinen Anzug, sondern Gabardinehosen und ein blaues Izod-Hemd. Er schien von mir weniger angetan. Ich merkte an seinem Blick, dass meine Berufskleidung ihn etwas schockierte. Aber es gelang ihm ganz gut, es zu verbergen. Vielleicht dachte er ja, ich sei früher gekommen, um vor der Arbeit der Putzfrau mit den Böden zu helfen.

»Nehmen Sie Platz«, sagte er. Kein Lächeln, keine Höflichkeitsfloskeln, kein Small Talk.

Ich setzte mich.

Er auch. »Wir haben uns die Berichte angesehen, die Sie in den letzten sechs Monaten vorgelegt haben. Ordentliche Arbeit«, sagte er. Ich fühlte förmlich das »aber« über uns in der Luft schweben. Sein Blick wanderte über das beschriebene Blatt, das er vor sich liegen hatte. Er blätterte rasch einen Stapel Zettel durch, der an den vorderen Deckel eines Aktenordners geheftet war. Offenbar wollte er mir signalisieren, dass er Unterlagen über mich hatte und alles wusste, bis zurück zu dem Tag, als ich das erste Mal in der Grundschule hatte kotzen müssen. Er hatte einen gelben Notizblock vor sich, auf dem er mit dem Füllfederhalter weitere Notizen machte. Seine Schrift war präzise, die Buchstaben eckig mit Betonung der Unterlängen. Hier und dort hatte die Feder das Papier aufgerissen. Ich konnte mir vorstellen, wie seine Gedanken vorneweg eilten, während seine Hand hinterherhinkte und unansehnliche Löcher bohrte. Er hatte nicht vergessen, wie man sich ordentlich Stichpunkte notierte. Die Hauptpunkte waren römisch beziffert, die Unterpunkte säuberlich eingerückt. Wahrscheinlich arbeitete sein Gehirn genauso, die großen Kategorien vornean, die untergeordneten Dinge sorgfältig versetzt darunter. Er klappte den Ordner zu und legte ihn beiseite. Er wandte mir nunmehr seine volle Aufmerksamkeit zu.

Ich dachte, es sei jetzt wohl an der Zeit, zur Sache zu kommen und die Prozedur abzukürzen. »Ich weiß nicht, ob Sie darüber informiert sind, aber ich gehöre nicht direkt zur Belegschaft«, sagte ich. »Ich bin als freie Mitarbeiterin für die Firma tätig.«

Sein Lächeln war nicht sonderlich herzlich. »Das ist mir bewusst. Aber es gibt da dennoch ein paar kleine Dinge, die wir im betrieblichen Zusammenhang klären müssen. Ich denke, Sie werden verstehen, dass wir uns bei einer Überprüfung wie dieser ein Gesamtbild verschaffen müssen.«

»Natürlich.«

Er studierte das erste und zweite Blatt seines Notizblocks. Ich sah verstohlen auf meine Uhr, indem ich vorgab, das Band zu justieren.

Ohne aufzuschauen, sagte er: »Haben Sie noch mehr leidige Termine?«

»Ich habe eine Schadensanzeige, die ich überprüfen muss. Ich sollte draußen sein und der Sache nachgehen.«

Er sah mich an. Sein Körper war absolut reglos. Seine blauen Augen bohrten sich ohne das kleinste Wimpernzucken in meine. Er sah gut aus, aber so maskenhaft, so ausdruckslos, dass ich mich fragte, ob er vielleicht einen Schlaganfall gehabt hatte oder einen Unfall, bei dem alle seine Gesichtsmuskeln durchtrennt worden waren.

Ich bemühte mich, ihm eine ebenso unbewegte Miene darzubieten. Ich bin selbst jemand, der nicht gern lange um den heißen Brei herumschleicht. Ich will es wissen.

Er nahm seinen Füller wieder in die Hand und wandte sich Punkt eins, Zeile eins, seiner Liste zu. »Mir ist nicht klar, wem Sie eigentlich unterstellt sind. Vielleicht können Sie mir das erläutern.«

Ach, herrje. »Das wechselt«, sagte ich freundlich. »Rechenschaftspflichtig bin ich Mac Voorhies, aber die Fälle werden mir gewöhnlich von den jeweiligen Schadensschätzern übergeben.« Sobald ich den Mund aufmachte, begann er zu schreiben. Ich bin (in aller Bescheidenheit) ziemlich gut darin, Geschriebenes auf dem Kopf zu lesen, aber er benutzte seine eigenen Kürzel. Ich hielt inne. Er hörte auf zu schreiben. Ich schwieg.

Er sah mich wieder an. »Pardon. Das habe ich nicht ganz verstanden. Können Sie mir das Prozedere erläutern? Aus der Akte wird es nicht klar.«

»Normalerweise werde ich angerufen. Oder einer der Schadensschätzer weist mich auf einen bestimmten Fall hin. Ich schaue zwei- bis dreimal in der Woche hier rein.« Er schaffte es, genauso schnell zu schreiben, wie ich sprach. Ich schwieg. Sein Füllfederhalter verharrte.

»Zusätzlich zu den Besprechungen?«, fragte er.

»Welchen Besprechungen?«

»Ich nehme doch an, Sie nehmen an den regelmäßigen Belegschaftsbesprechungen teil. Etat-Fragen. Umsätze ...«

»Das habe ich noch nie getan.«

Er ging seine Notizen durch, schlug ein, zwei Blätter um. Er zog die Stirn in Falten, aber ich hätte schwören können, dass seine Ratlosigkeit nur gespielt war. »Ich kann Ihr 206er nicht finden.«

»Ach«, sagte ich. »Das wundert mich.« Ich hatte keine blasse Ahnung, was ein 206er war, aber ich fand, es sollte ruhig sein Problem bleiben, da er davon angefangen hatte.

Er schob mir über den Schreibtisch ein Formular zu. »Um Ihr Gedächtnis aufzufrischen«, sagte er.

Das Blatt enthielt jede Menge Felder zum Ausfüllen. Daten, Uhrzeiten, Personalnummern, Kilometerstände, ganz offensichtlich ein formelles Berichtsblatt, in das ich jeden Pups und jeden Rülpser während meiner Arbeitszeit eintragen sollte. Ich gab ihm das Formular kommentarlos zurück. Da würde ich nicht mitspielen. Und wenn er sich auf den Kopf stellte.

Er machte sich wieder Notizen, die Nase über den Block gebeugt. »Ich muss Sie bitten, uns die Durchschläge aus Ihren Akten auszuhändigen, damit wir unsere Unterlagen auf Vordermann bringen können. Wir werden dann einen Termin ausmachen, um sie gemeinsam durchzugehen.«

»Wozu?«

»Wir brauchen Belege über Ihre Arbeitseinteilung, damit wir Ihr Honorar berechnen können«, sagte er.

»Das kann ich Ihnen auch so sagen. Dreißig Dollar die Stunde plus Spesen.«

Er schaffte es, Erstaunen zum Ausdruck zu bringen, ohne auch nur eine Augenbraue zu heben. »Abzüglich der Miete für Ihren Büroraum natürlich«, sagte er.

»Statt Miete für meinen Büroraum.«

Totenstille.

Schließlich sagte er: »Das kann nicht sein.«

»Das war von Anfang an mein Arrangement mit der CF.«

»Das ist völlig ausgeschlossen.«

»Es ist seit sechs Jahren so, und bisher hat sich noch nie jemand beschwert.«

Er hob die Feder vom Papier. »Nun, dann werden wir zusehen müssen, wie wir das korrigieren.«

»Was korrigieren? Das ist unsere Vereinbarung. Ich bin damit zufrieden. Und die CF kann damit auch zufrieden sein.«

»Haben Sie irgendein Problem, Miss Millhone?«

»Nein, nicht das geringste. Warum?«

»Ich glaube, ich verstehe Ihre Einstellung nicht ganz«, sagte er.

»Meine Einstellung ist ganz simpel. Ich sehe nicht ein, wieso ich mich auf diesen ganzen Bürokratiekram einlassen soll. Ich bin nicht bei Ihnen angestellt. Ich bin eine freie Mitarbeiterin. Wenn Ihnen meine Arbeit nicht passt, dann suchen Sie sich jemand anderen.«

»Ich verstehe.« Er steckte die Kappe auf seinen Füllfederhalter. Er begann abrupt und mit forschen Bewegungen, seine Papiere zusammenzupacken. »Vielleicht sprechen wir ein andermal weiter. Wenn Sie etwas ruhiger sind.«

Ich sagte: »Gut. Vielleicht sind Sie dann ja auch ruhiger. Ich muss jetzt sowieso an meine Arbeit gehen.«

Er trat vor mir aus dem Glaskasten hinaus und steuerte geradewegs auf Macs Büro zu. Alle CF-Angestellten in Sichtweite waren emsig und mit konzentriertester Miene bei der Arbeit.

Ich legte den ganzen Vorgang in einem inneren Schubkasten ab. Ich würde dafür büßen müssen, aber im Moment war mir das schnuppe.

Bibianna Diaz’ angebliche Adresse entpuppte sich als ein unbebautes Grundstück. Ich saß in meinem Auto und starrte verdattert auf das Geviert aus nacktem Erdboden, den hier und dort ein paar Büschel Unkraut, Palmen, Steinbrocken und in der Sonne blinkende Flaschen zierten. Ein Kondom baumelte schlaff von einer umgestürzten Palme wie die abgestreifte Haut einer anämischen Schlange. Ich überprüfte noch einmal die Angaben aus der Akte und anschließend die Hausnummern auf der anderen Straßenseite. Nichts zu wollen. Ich klappte das Handschuhfach auf, zog einen Stadtplan heraus, breitete ihn auf dem Steuerrad aus und überflog die alphabetisch aufgelisteten Straßennamen auf der Rückseite. Es gab keine andere Straße, keine Avenue, keinen Drive gleichen oder auch nur ähnlichen Namens. Ich hatte die Diaz-Akte vor meinem Treffen mit Titus im Büro liegenlassen, deshalb hatte ich jetzt nur ein paar handschriftliche Notizen bei mir. Ich dachte, ich sollte vielleicht doch mal mit Mary Bellflower reden. Vielleicht hatte sie ja noch irgendwelche anderen Kontaktmöglichkeiten auf Lager. Ich ließ den Wagen an und steuerte mit einem seltsamen Gefühl der Befriedigung Richtung Stadt. Die nichtexistierende Adresse stützte den Verdacht, dass Miss Diaz schwindelte, und das animierte die latente Kriminelle in mir. Mit Gaunern kann ich, um es auf Neu-Kalifornisch zu sagen, innerlich »mitschwingen«. Ehrlichen Leuten hinterherzuschnüffeln macht nicht halb so viel Spaß.

Ich sichtete einen Münzfernsprecher auf der Ausfahrtseite einer Tankstelle. Ich fuhr raus und ließ auftanken, während ich Mary bei der CF anrief und ihr erzählte, was Sache war. »Haben Sie vielleicht noch eine andere Adresse von dieser Dame?«, fragte ich sie.

»Oh, Kinsey, Sie Ärmste. Ich habe von Ihrer Unterredung mit Gordon Titus gehört. Sie müssen ihm ja ganz schön zugesetzt haben. Er hat bei Mac drinnen so laut rumgebrüllt, dass ich es bis hierher hören konnte.«

»Ich konnte nicht anders«, sagte ich. »Ich hatte fest vor, mich anständig zu benehmen, aber dann ist es mir einfach rausgerutscht.«

»Ach, Sie armes Ding.«

»So schlimm ist es ja vielleicht auch wieder nicht«, sagte ich. »Was glauben Sie?«

»Ich weiß nicht. Ich habe ihn nur mit dem Vizepräsidenten weggehen sehen, und er schien ziemlich wütend. Er hat Darcy aufgetragen, seine Anrufe anzunehmen. Sobald er aus der Tür war, fiel der Spannungspegel gleich um die Hälfte.«

»Wie könnt ihr das nur alles einstecken? Dieser Wichser. Hat er schon mit Ihnen geredet?«

»Nein, aber ich kann es mir nicht leisten, meinen Job zu verlieren, Kinsey. Ich habe jetzt gerade Anspruch auf Mutterschaftsleistungen. Ich hoffe, dass ich bald schwanger werde, und in Peters Firma ist in der Hinsicht nichts drin.«

»Na, ich würde mir diesen Quatsch nicht bieten lassen«, sagte ich. »Natürlich werden sie mich feuern, aber was soll’s? Ich werde es überleben.«

Mary lachte. »Vielleicht hilft es ja was, wenn Sie diese Geschichte auf die Reihe kriegen.«

»Hoffen wir’s. Haben Sie noch eine andere Adresse in den Unterlagen?«

»Ich bezweifle es, aber ich kann ja mal nachsehen. Augenblickchen.« Ich hörte Mary in mein Ohr atmen, während sie die Akte durchblätterte. Zögernd sagte sie: »Nein, nichts zu finden. Aber wissen Sie, wir haben bisher noch keine Kopie des Polizeiprotokolls. Vielleicht hat sie dort ja ihre richtige Adresse angegeben.«

»Gute Idee«, sagte ich. »Ich kann ja noch eben beim Revier vorbeifahren. Was ist mit der Telefonnummer? Können wir damit was anfangen?« Ich hatte das neueste Polk-Verzeichnis in meinem Büro liegen, das in einem Teil die Einwohner nach Straßen und Hausnummern aufführt und in einem anderen die Telefonnummern der Reihenfolge nach auflistet. Wenn man ein korrektes Stückchen Information hat, kommt man oft durch Hin- und Herchecken weiter.

Sie sagte: »Bringt nichts. Ist nicht eingetragen.«

»Oh, na prächtig. Ein verdächtiges Subjekt mit einer nicht registrierten Telefonnummer. Das liebe ich. Und das Kennzeichen des Wagens? Vielleicht ist da ja was zu machen.«

»Damit kann ich dienen.« Mary suchte die Nummer von Bibiannas Mazda und gab sie mir durch. »Und, Kinsey, wenn Sie die Adresse rauskriegen, lassen Sie’s mich sofort wissen. Ich habe hier ein paar Formulare liegen, die ich ihr dringend schicken muss, sonst kriegt Mac endgültig einen Anfall. Und man kann kein Einschreiben an eine Postfachadresse schicken.«

»Stimmt«, sagte ich. »Übrigens – warum hat Parnell diese Sache nicht selbst bearbeitet?«

»Keine Ahnung. Ich nehme an, er war einfach überlastet.«

»Möglich«, sagte ich achselzuckend. »Na, ich werde Sie jedenfalls anrufen, sobald ich irgendetwas weiß. Ich habe sowieso vor, später noch mal im Büro vorbeizuschauen, um die neuesten Nachträge für die Akten dazulassen.«

»Viel Glück.«

Nachdem wir eingehängt hatten, machte ich mir rasch noch ein paar Notizen. Ich fischte in meinem Portemonnaie nach weiteren Münzen und wählte versuchsweise die Nummer von Bibiannas Arbeitsstelle, einer Reinigung in der Vaquero Avenue.

Der Mann, der auf der anderen Seite abnahm, war ungeduldig und kurz angebunden, wahrscheinlich sein chronischer Grundzustand. Man hörte ihm die überschüssige Magensäure an, und ich sah ihn sich nach jedem Essen neutralisierende Kautabletten in den Mund schieben wie Pfefferminzdragees. Als ich nach Bibianna Diaz fragte, sagte er, sie sei nicht da. Punkt.

Als nichts weiter kam, gab ich ihm ein Stichwort: »Rechnen Sie denn damit, dass sie demnächst wiederkommt?«

»Ich rechne mit gar nix«, blaffte er zurück. »Sie hat gesagt, sie bleibt die ganze Woche weg. Wegen Rückenschmerzen, hat sie gesagt. Und ich werd den Teufel tun, was zu sagen, wenn jemand was mit’m Rücken hat. Eh ich weiß, wie mir geschieht, hab ich noch ’ne gottverdammte Entschädigungsklage am Hals. Was glauben Sie, was mich das kostet? So blöd bin ich nicht. Wer sind Sie?«

»Ihre Cousine, Ruth. Ich bin gerade auf dem Weg nach Los Angeles, und ich habe ihr versprochen, sie zu besuchen, wenn ich hier vorbeikomme. Könnten Sie mir vielleicht ihre Privatadresse geben? Sie hat sie mir letzte Woche am Telefon gesagt, aber ich habe mein Adressbuch zu Hause liegen lassen.«

»Nee. Tut mir Leid. Nix drin. Und wollen Sie wissen, wieso? Weil ich Sie nich’ kenne. Könnt’ ja jeder kommen. Geht nich’ gegen Sie, aber woher soll ich wissen, dass Sie nich’ rumlaufen und junge Mädels mit dem Schlachtermesser abstechen? Verstehen Sie, was ich meine? Ich rücke die Adresse von jemandem raus, der hier arbeitet, und schon bin ich für alles verantwortlich, was passiert. Einbruch, Belästigung, Vergewaltigung. Nee, nee. Nix da. So halt ich’s, und dabei bleibt’s.« Er klang wie ein Mann in den Sechzigern, dem ständig die Gerichtsbarkeit im Nacken saß.

Ich wollte noch etwas sagen, aber er knallte den Hörer auf. Ich schnitt eine Grimasse in die Muschel, wie ich fand, eine reife und effektive Form, meinen Ärger herauszulassen. Ich zahlte das Benzin, stieg in meinen VW und fuhr zur Polizei, wo ich elf Dollar für eine Kopie des Unfall-Protokolls blechen musste. Darin stand die gleiche nicht-existente Adresse wie in meinen Unterlagen. Ich kannte die Zivilangestellte nicht, die mich abfertigte, und konnte sie nicht dazu bewegen zu prüfen, ob sich nicht noch irgendwas über Bibianna herausfinden ließ.

Ich ließ den Wagen vor dem Revier stehen und ging zu Fuß den halben Block bis zum Gerichtsgebäude, wo ich es beim Sekretariat der höheren Instanz versuchte. Ich forschte im Urteilsregister nach irgendeiner Spur einer Miss Bibianna Diaz. Nichts. Schade. Es hätte mich enorm aufgemuntert, darauf zu stoßen, dass sie irgendwann schon einmal wegen eines schwerwiegenderen Delikts verknackt worden war. Auch ohne sie je gesehen zu haben, ging ich inzwischen fest davon aus, dass sie kein Unschuldslamm war. Ich wollte ihre Adresse, und ich konnte einfach nicht glauben, dass es keine bürokratische Fährte geben sollte. Ich fand nichts beim Stadtgericht, nichts im Wählerregister. Ich versuchte es bei der Staatsanwaltschaft, wo mir eine Freundin von mir versicherte, dass Bibianna weder mit irgendwelchen Unterhaltszahlungen im Verzug noch sonst wie aktenkundig war. Wieder ein Schuss in den Ofen. Ich hatte jetzt so ziemlich alle Möglichkeiten erschöpft, die mir einfielen.

Ich ging wieder zu meinem Wagen und fuhr über die Schnellstraße zum County Sheriffs Department. Ich stellte das Auto auf dem kleinen Parkplatz vor dem Gebäude ab und marschierte durch die Glastür in eine kleine Anmeldung, wo ich mich in das Besucherregister eintrug. Ich ging ein kurzes Stück den Flur entlang, zu einem Kabuff, an dessen Tür »Strafregister und Haftbefehle« stand. Die diensthabende Zivilangestellte wirkte nicht gerade wie eine ideale Quelle für vertrauliche Informationen. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig, etwa mein Alter. Ihr Kopf war von einer Pyramide aus dichtgekräuseltem Blondhaar umgeben und ihr Zahnfleisch viel zu breit im Vergleich zur Größe ihrer Zähne. Sie bemerkte, wie mein Blick an ihrem dentalen Ungemach hängen blieb, und kniff verlegen die Lippen zusammen. Ich hielt Ausschau nach einem Namensschild, aber sie trug keins.

»Könnten Sie über den Computer feststellen, ob diese Frau hier jemals in Santa Teresa festgenommen wurde?« Ich griff mir den Block mit Notizzetteln vom Tresen und malte Bibiannas Namen und Geburtsdatum darauf. Ich nahm meine Brieftasche heraus und legte die Fotokopie meiner Lizenz neben den Zettel.

Ihre blassen Augen sahen mich jetzt erstmals wirklich an. »Es ist uns nicht gestattet, solche Informationen herauszugeben. Die Justizbehörden haben da sehr strenge Richtlinien.«

»Sehr beruhigend«, sagte ich. »Aber vielleicht hilft es ja, wenn ich Ihnen erzähle, worum es geht. Ich stelle Ermittlungen über diese Bibianna Diaz an, weil der Verdacht auf Versicherungsbetrug besteht, und die Versicherungsgesellschaft, für die ich arbeite – die California Fidelity – muss wissen, ob sie vorbestraft ist.«

Sie verarbeitete meine Worte, und ich sah, wie sie innerlich sorgsam eine Antwort formulierte. Sie war nicht die Schnellste, die Gute. Sie operierte mit jener Sorte bürokratischer Bedächtigkeit, die zielsicher darauf angelegt ist, rechtschaffene Bürger (wie mich) auf die Palme zu treiben. »Wenn sie schon einmal rechtskräftig verurteilt wurde, können Sie es beim Gericht erfahren. Es steht in den öffentlich einsehbaren Akten.«

»Das ist mir bekannt. Ich habe dort schon nachgesehen. Aber mich interessiert, ob es schon einmal zu einer Festnahme oder einer Feststellung der Personalien gekommen ist, ohne dass formell Anklage erhoben wurde.«

»Wenn sie nie angeklagt oder verurteilt worden ist, wäre jede Festnahme nichtig. Das ist eine Frage des Datenschutzes.«

»Das verstehe ich vollkommen«, sagte ich. »Aber angenommen, sie wurde schon mal wegen Einbruch- oder Diebstahlverdachts festgenommen, und die Staatsanwaltschaft hat befunden, dass sie ihr nichts ...«

»Dann geht Sie das nichts an. Wenn ihr noch nie offiziell etwas zur Last gelegt wurde –«

»Ich hab’s kapiert«, sagte ich. Es bringt nichts, sich mit den Fliegengewichten dieser Welt einzulassen. Es bereitet ihnen viel zu viel Genugtuung, einen immer wieder auflaufen zu lassen. Ich schwieg einen Moment und versuchte, mich erst mal wieder in den Griff zu kriegen. Situationen wie diese wecken in mir einen alten und tief sitzenden Wunsch zu beißen. Ich sah den halbmondförmigen Abdruck meiner Zähne im Fleisch ihres Unterarms, das anschwellen und alle Regenbogenfarben annehmen würde. Man würde sie gegen Tetanus impfen müssen und gegen Tollwut. Und vielleicht würde ihr Herrchen sich dafür entscheiden, sie einschläfern zu lassen. Ich lächelte höflich. »Ach, wissen Sie, vielleicht können wir die Dinge ja ein bisschen vereinfachen. Alles, was ich brauche, ist eine aktuelle Adresse. Könnten Sie nicht mal nachsehen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil wir nicht befugt sind, solche Informationen herauszugeben.«

»Und was ist mit dem Recht auf Informationsfreiheit?«, sagte ich.

»Was soll damit sein?«

»Gibt es hier jemand anderen, an den ich mich wenden kann?«

Meine Hartnäckigkeit gefiel ihr nicht. Mein Ton auch nicht. Und auch sonst gefiel ihr nichts an mir, und das beruhte voll und ganz auf Gegenseitigkeit. Erst Gordon Titus, und jetzt noch sie. An manchen Tagen lohnt es sich wirklich nicht aufzustehen. Sie verschwand, ohne mich eines weiteren Wortes zu würdigen, und kam wenige Augenblicke später mit einer Beamtin zurück, die nett, aber unnachgiebig war. Ich spielte das ganze leidige Spiel noch mal von vorn durch und erreichte gar nichts.

»Na, trotzdem vielen Dank. War mir ein echtes Vergnügen«, sagte ich.

Ich setzte mich in meinen Wagen draußen auf dem Parkplatz und versuchte herauszufinden, was ich als nächstes tun sollte. Das kommt dabei heraus, wenn ich die Wahrheit sage, dachte ich empört. Kein Wunder, wenn ich mich gezwungen sehe, zu Lug und Trug und Diebstahl zu greifen. Mit Ehrlichkeit kommt man nicht weiter, schon gar nicht bei diesen Recht-und-Ordnungs-Typen. Ich sah auf das Polizei-Protokoll neben mir auf dem Beifahrersitz. Ich wartete, bis mein Frust sich etwas gelegt hatte, und nahm es mir dann vor.

Nach Bibiannas Aussage am Unfallort war sie mit dreißig Meilen den Valdesto-Boulevard in südlicher Richtung entlanggefahren, als sie plötzlich eine Vollbremsung hatte machen müssen, weil eine Katze vor ihr über die Fahrbahn gelaufen war. Der Wagen war seitlich weggeschleudert und auf ein parkendes Auto gekracht. Zeugen gab es natürlich keine. Die herbeigerufenen Sanitäter hatten sie zuerst nur wegen leichter Prellungen und Schürfwunden versorgt und sie dann, als sie über Nacken- und Rückenschmerzen geklagt hatte, zum Röntgen in die Ambulanz des St.-Terry-Krankenhauses gebracht. Ich fragte mich, ob die Krankenhaus-Verwaltung vielleicht ihre richtige Adresse hatte. Außerdem war offenbar ja auch noch die Versicherung des Halters des gerammten Wagens betroffen.

Es konnte sein, dass der dortige Sachbearbeiter irgendetwas in seinen Akten hatte. Irgendwo musste Bibianna schließlich leben, und ich war wild entschlossen, ihr auf die Spur zu kommen. Ich fuhr zurück ins Büro und tätigte die entsprechenden Telefonate, die mich keinen Zentimeter weiterbrachten. Ich rief auch noch kurz bei Mary Bellflower an und sagte ihr, ich sei noch an der Sache dran.

Um Viertel nach zwei schob ich die ganze Geschichte ärgerlich beiseite, um den Rest des Tages auf Routine-Schreibkram zu verwenden. Ich wusste, ich konnte es mir nicht leisten, mich an Bibianna Diaz festzubeißen. Mit Gordon Titus im Nacken musste ich zusehen, dass ich vorankam. Ich wühlte mich weiter durch den Papierkram, aber auch wenn ich mich auf andere Sachen konzentrierte, fühlte ich die Geschichte an mir zerren. Da war etwas, was mich nicht losließ. Es ist zwar im Grund keine große Sache, wenn ein Sachbearbeiter eine Akte an eine Kollegin weitergibt, aber Parnell war tot, und das war wohl der Unterschied.

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