Читать книгу Dunkle Geschäfte - Sue Grafton - Страница 9

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Ich fuhr nach Hause und zog die Uniform aus. Ich nahm die falschen Papiere aus der Tasche der Uniformhose und schob sie in die Tasche meiner Jeans. Dann zog ich die Jeans an und dazu einen marineblauen Rollkragenpullover. Ich schlüpfte in Frotteesocken und Tennisschuhe und machte mich wieder auf den Weg zu Bibiannas Haus.

Ich konnte nur hoffen, dass Mary Bellflowers Naivität Miss Diaz nicht in Gefahr gebracht hatte. In der Einfahrt stand immer noch kein Wagen, und von dem Pärchen, das ich bei der CF getroffen hatte, war auch nichts zu sehen. Hatten sie die Adresse auf dem Stadtplan gesucht und sich sofort auf die Socken gemacht? Sie hatten etwa dreißig Minuten Vorsprung vor mir, also konnte es gut sein, dass sie jetzt gerade in dem Häuschen waren oder sogar schon wieder weg. Falls sie wirklich fix genug gewesen waren, die Adresse zu klauen. Ein paar Autos fuhren vorbei, aber in keinem sah ich ein bekanntes Gesicht. Zum zweiten Mal an diesem Tag ließ ich mein Auto abgeschlossen an der Straße stehen, um die Einfahrt entlangzugehen. Es war jetzt halb fünf, und in dem Häuschen brannte Licht. Als ich näher kam, stieg mir ein verlockender Duft nach heißem Olivenöl und Zwiebeln und Knoblauch in die Nase. Ich stieg die breiten Holzstufen hinauf. Diesmal konnte ich von drinnen die heitere Erkennungsmelodie einer komischen Fernsehserie hören, wahrscheinlich eine Wiederholung in einem der Kabelprogramme.

Ich klopfte an die Eingangstür, die gleich darauf von einer etwa fünfundzwanzigjährigen mexikanisch aussehenden Frau geöffnet wurde. Sie war barfuß und trug eine rote Satin-Hemdhose und darüber einen kurzen, roten, in der Taille locker zugeschlungenen Satin-Morgenrock. Sie war schlank – oder besser: zierlich – mit makelloser olivfarbener Haut und großen, dunklen Augen in einem herzförmigen Gesichtchen. Sie hielt zwei Schildpatt-Haarnadeln zwischen den Zähnen, als hätte ich sie gerade beim Frisieren gestört. Dunkles Haar hing ihr wie ein Tuch über den halben Rücken, und ein paar seidige Strähnen hatten sich über die rechte Schulter nach vorn verirrt. Während ich sie noch ansah, drehte sie das Haar zu einem Strang zusammen. Sie wand es zu einem raffinierten Knoten, den sie mit den beiden Haarnadeln feststeckte. »Ja?«

Mein dringlichstes Verlangen war es, mich auf die Zehenspitzen hochzurecken und über ihre Schultern in den Raum hinter ihr zu spähen. Das Häuschen bestand eigentlich nur aus einem großen Raum. Zur Abtrennung der verschiedenen Funktionsbereiche dienten grellbunt gefärbte Stoffsegel, die sich in dem Luftzug von der offenen Tür bewegten. Ein giftgrünes Segel grenzte den Wohnraum von der Küche ab, ein knallblaues entzog den größten Teil eines Messing-Bettgestells dem Besucherblick, über den Fenstern waren Bahn-Endstücke von lila Baumwollstoff befestigt, die um seitlich montierte Messinghaken geschlungen waren. Ich hatte diesen Tipp bereits in einer Frauenzeitschrift bei meinem Zahnarzt gesehen, aber noch nie in seiner wirkungsvollen Umsetzung bewundern dürfen. Das Mobiliar war ein wildes Sammelsurium aus Korbmöbeln und Sperrmüllstücken. Schalartige Auflagen aus blau-lila Baumwollstoff veredelten die durchgewetzten Armlehnen und verliehen dem Ganzen etwas Einheitliches. Der Effekt war verblüffend und suggerierte Kühnheit und Selbstvertrauen.

Ich merkte erst jetzt, dass ich mir gar keinen Vorwand zurechtgelegt hatte. Aber zum Glück bin ich ein alter Hase im Erfinden von Ausreden, und ich spürte, wie sich schon eine auf meiner Zunge formierte. »Tut mir Leid, wenn ich Sie störe«, sagte ich. »Ich ... äh ... bin auf der Suche nach einer Wohnung hier in der Gegend, und man hat mir gesagt, Sie würden vielleicht demnächst ausziehen.«

Ihr Blick war misstrauisch und ihr Ton brüsk. »Wer hat das gesagt?«

»Ach je, das weiß ich nicht mehr. Irgendwer aus der Nachbarschaft. Ich habe das Gefühl, dass ich schon tagelang hier herumrenne und überall anklopfe.«

»Warum wollen Sie denn grade hier wohnen? Das ist eine traurige Gegend.«

»Weil ich nicht weit von hier arbeite«, sagte ich, darauf hoffend, dass sie nicht nachfragen würde, wo. Ich würde mich notfalls wohl als Serviererin ausgeben, aber mir fiel ums Verrecken kein Restaurant in der Nähe ein.

Sie sah mich an. »Stimmt. Ich hoffe wirklich, dass ich bald hier wegkomme. Ich erwarte ein bisschen Geld, das demnächst kommen müsste.«

»Das ist ja toll. Darf ich vielleicht noch mal nachfragen?«

Sie sagte achselzuckend: »Klar, wenn Sie meinen. Ich würde Ihnen die Wohnung ja zeigen, aber es ist grade ziemlich unaufgeräumt. Es ist nur ein Raum, aber für einen allein reicht es. Haben Sie Möbel?«

»Na ja, ein paar.«

»Der Vermieter ist mit so was ziemlich großzügig. Das meiste, was drin ist, lasse ich da, wenn ich ausziehe. Aber Sie brauchen ein Bett.«

»Das habe ich«, sagte ich. »Hätten Sie vielleicht was zu schreiben? Dann kann ich mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer notieren und vielleicht in ein paar Wochen noch mal anrufen.«

»Augenblick«, sagte sie. Sie schloss die Tür und erschien gleich darauf mit einem Stückchen Papier und einem Stift wieder. Ich sah sie erwartungsvoll an.

Sie reckte den Kopf, damit sie sehen konnte, was ich schrieb. »Diaz. Bibianna, mit zwei n.«

»Danke.«

Ich verabschiedete mich und fuhr nach Hause. Dort hatte ich endlich die Zeit, mir den Brief anzusehen, den ich aus Bibiannas Briefkasten geklaut hatte. Ich notierte mir Namen und Anschrift der Adressatin, einer gewissen Gina Diaz in Culver City, Kalifornien. Wahrscheinlich ihre Mutter oder Schwester. Ich entnahm der Schublade meines Schreibtischs eine Spraydose mit einer chemischen Mixtur, die Papier für dreißig bis sechzig Sekunden durchsichtig macht. Man braucht das Zeug nur auf einen Umschlag zu sprühen und kann dann den Inhalt lesen, ohne sich erst mit Wasserdampf abmühen zu müssen. Natürlich steht auf der Dose die strikte Warnung, dass jeder Verstoß gegen das Postgeheimnis im Rahmen der Postbeförderung durch die Post der Vereinigten Staaten mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und/oder einer Geldstrafe von 2000 Dollar bestraft wird. Du lieber Himmel, ich sollte mir wirklich ein kleines Sparkonto anlegen, für den Fall, dass ich irgendwann doch einmal bei meinen Machenschaften erwischt werde.

Ich drückte auf den Sprühknopf und nebelte den Umschlag ein. Dann hielt ich ihn gegen das Licht. Der Schrieb lautete: »Hi, Ma. Mir geht es so weit gut. Geld muss jeden Tag eintrudeln. Bitte sag Raymond nicht, dass du was von mir gehört hast. Liebe Grüße, B.«

Ich sah zu, wie der Umschlag wieder undurchsichtig wurde, ohne dass irgendeine Spur von Verfärbung oder Geruch zurückblieb. Ich ging raus auf die Straße und klemmte den Brief in meinen Briefkasten, damit der Postbote ihn am nächsten Tag mitnahm. Dann ging ich wieder zurück in mein Apartment, um rasch bei Mary Bellflower anzurufen. Ich erwischte sie noch, als sie gerade ihren Kram zusammenpackte. »Haben Sie schon was vom ICPI erfahren?«

»Noch nicht. Ich warte immer noch, dass sie mich zurückrufen.«

»Halten Sie mich auf dem laufenden«, sagte ich.

»Mach’ ich.«

Ich setzte Kaffee auf und stieg die Wendeltreppe hinauf in meinen Dachraum. Ich zog mich ein weiteres Mal um. Diesmal wählte ich ein schwarzes Trägerhemd, enge, knöchellange schwarze Hosen, kurze weiße Söckchen mit Spitzenbündchen und ausgelatschte halbhohe schwarze Pumps. Ich toupierte mir die Haare und machte mir mit einem Gummiband ein Schwänzchen, das als kleiner Puschel in die Höhe stand. Ich legte (ziemlich dilettantisch, wie ich gestehen muss) Lidschatten, Wimperntusche, Rouge und knallig roten Lippenstift auf. Dann klipste ich mir Hängeohrringe an, Riesendinger mit roten Klunkern, die niemand, der auch nur einigermaßen bei Verstand war, je für Rubine halten konnte. Zuletzt besprühte ich meinen ganzen Oberkörper mit billigem Parfum. Ich musterte mich im Badezimmerspiegel. Ich wandte mich halb ab und schielte über meine hochgezogene Schulter, wobei ich einen Schmollmund zog. Absolut verführerisch ... richtig nuttig! Ich hatte gar nicht gewusst, was alles in mir steckte.

Ich klackerte die Wendeltreppe hinunter in meine Kochnische und machte mir ein Oliven-und-Piment-Käse-Sandwich, das ich in eine Alu-Vesperbox packte. Außerdem rüstete ich mich noch mit zwei Graham-Crackern, einer Thermosflasche mit heißem Kaffee und einem Dick-Francis-Schmöker. Ich griff meine schwarze Lederjacke, steckte die falschen »Hannah Moore«-Papiere in meine Hosentasche und schnappte meine Autoschlüssel. Dann fuhr ich wieder zurück in Bibiannas Straße, wo ich das Auto ein paar Häuser weiter abstellte. Ich stieg aus dem Auto und marschierte zu dem Mini-Markt, um abermals das Münztelefon zu benutzen. Die Fleischtheke war diesmal geschlossen, und der gute »Pop« füllte die Regale auf. Von »Mom« war nichts zu sehen.

Ich warf zwei Zehn-Cent-Münzen ein und wählte Bibiannas Nummer. Als sie nach zweimaligem Tuten abnahm, fragte ich mit zugehaltener Nase, ob ich Marne sprechen könnte. Ich hörte mich an wie das arme Erkältungsopfer in einem Werbespot für ein Antihistamin-Nasenspray.

»Wen?«

»Marne.«

»Da sind Sie falsch verbunden.«

»Oh, tut mir Leid«, sagte ich. Ich ging wieder zu meinem Auto und richtete mich darin häuslich ein.

Von meinem Standort aus konnte ich die Mündung der Einfahrt, einen großen Teil des vorderen braunen Hauses und ein Stück Garten sehen, aber nichts von Bibiannas Häuschen, das zu weit hinten lag. Meine Theorie war, dass sie, wenn sie das Haus verließ, irgendwo vorn an der Straße auftauchen musste und ich ihr dann, je nach Einschätzung der Situation, mit dem Auto oder zu Fuß folgen konnte. Ich hatte keine Ahnung, ob sie noch weggehen würde, und wenn ja, wohin, aber sie war mir eher wie ein rastloser Mensch vorgekommen, und ich hoffte, sie würde einen Anlass finden, sich noch mal aus ihrer Bude wegzurühren, und sei es auch nur zum Laden an der Ecke, um sich einen Sechserpack zu holen. Ich stellte das Radio an und bekam gerade noch die Halb-Sechs-Uhr-Nachrichten mit. Das mit dem Regen klang jetzt schon nach mehr als nur einem vagen Gerücht. Ich steckte den Kopf aus dem Wagenfenster und sah himmelwärts. Eine rasch dunkler werdende Wolkendecke erweckte den Anschein von plötzlich hereinbrechender Dämmerung. Der Wind frischte auf und blies einen vertrockneten Palmwedel die Straße entlang. Insgeheim wünschte ich mir, jetzt nach Hause fahren und mich für die Nacht gemütlich in meiner Wohnung einigeln zu können, statt hier zu sitzen und hinter Bibianna Diaz herzuspionieren. Ich drehte den Radioknopf von Sender zu Sender und kam so in den Genuss eines rotierenden Potpourris von Pop-Songs, die alle irgendwie gleich klangen. Ich hielt ein Auge auf die Einfahrt und las mit dem anderen in meinem Buch, aber es wurde so rasch dunkel, dass ich nicht mehr viel erkennen konnte. Die Straßenlaternen gingen an, und die Blätter der Bäume nahmen ein lacklederartig glänzendes Dunkelgrün an. Um die Abendessenszeit belebte sich die Gegend. Leute kamen von der Arbeit nach Hause, Lichter gingen an.

Die Observierung von nur einem Auto aus gilt allgemein als die unergiebigste Methode aus der Trickkiste eines Privatdetektivs. Um nicht aufzufallen, muss man sich so weit weg postieren, dass es schwer ist, die betreffende Person oder Wohnung im Blick zu behalten, ohne die ganze Zeit hinzustarren. Und falls Bibianna von einem Wagen abgeholt wurde, standen die Chancen fünfzig zu fünfzig, dass ich mit der Nase in der richtigen Richtung parkte. Wenn ich mich vertan hatte, war ich lackiert. Eine plötzliche Hundertachtzig-Grad-Wende in einer Wohngegend ist sehr auffällig und mit großer Sicherheit dazu angetan, den Fahrer, dem man folgen will, zu alarmieren. Bei der Observierung von zwei Autos aus kann man sich wenigstens die Richtungen aufteilen, was das Risiko reduziert, dass die betreffende Person Verdacht schöpft. Aber leider war ich in diesem Fall nicht autorisiert, noch jemanden hinzuzuziehen. Sicher hatte mich Gordon Titus in absentia sowieso längst gefeuert. Es schien mir von daher nicht der Zeitpunkt, um einen Vorschuss zu bitten. Also musste ich mich an die Billig-Methode halten und versuchen, Kontakt zu der Dame herzustellen, um herauszufinden, was sie trieb. Die wichtigste Voraussetzung für die erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung solcher Fälle ist eine komplette, hieb- und stichfeste Akte. Ehe die CF die Unterlagen an die Versicherungsbetrugs-Zentrale weiterleitet, braucht sie Beweise für die Unrichtigkeit der Angaben und die betrügerische Absicht sowie Belege dafür, dass die Versicherung sich bei der Gewährung von Schadensersatz auf die Angaben des Versicherten gestützt hat und dass die Zahlung erfolgt ist. Falls Bibianna nicht nur die California Fidelity, sondern auch die Aetna und die Allstate auszunehmen versuchte, würde vermutlich eigens ein Schriftsachverständiger hinzugezogen werden müssen, um den Nachweis zu erbringen, dass alle diese Schadensanzeigen tatsächlich von ihrer Hand stammten, selbst wenn sich auf sämtlichen Formularen identische Fingerabdrücke finden würden. Beim Versicherungsbetrug ist, wie bei so vielen Delikten, der Job des Täters eindeutig leichter als unserer.

Um sieben Uhr fünfundzwanzig aß ich, um gegen die Langeweile anzugehen, mein Sandwich und die beiden Graham-Cracker. Es war jetzt ganz dunkel, und in der Luft lag ein feiner Nieselschleier, der den Asphalt kaum benetzte. Ich ließ zweimal für kurze Zeit den Motor an, damit es im Wagen ein bisschen wärmer wurde. In einen Apartment-Komplex ein kleines Stück weiter wurde eine Pizza geliefert. Der Duft nach Peperoni und geschmolzenem Mozzarella, der kurz herüberwehte, trieb mir beinahe die Tränen in die Augen. Eine alte Dame in Morgenrock und Schal spazierte mit einem angeleinten Cockerspaniel an mir vorüber. Autos fuhren in beiden Richtungen vorbei, aber keins bremste, und von Bibianna war nichts zu sehen. Um neun fand ich mich tief in meinen Sitz gerutscht, die Knie gegen das Steuer gestützt, kurz vor dem Einnicken. Die beiden aus der CF-Etage waren nicht aufgetaucht, und ich war schon dabei, sie endgültig abzuschreiben. Entweder hatten sie keine Ahnung, wo Bibianna Diaz jetzt wohnte, oder aber sie wollten doch nichts Dringendes von ihr. Ich konnte mir nicht denken, wieso sie sich die Mühe gemacht haben sollten, ihr hinterherzuspüren, wenn sie die Sache dann einfach auf sich beruhen ließen. Vielleicht hatte sie ja irgendwas verschreckt. Ich fragte mich, ob sie vielleicht selbst irgendwo hier in der Nähe in einem parkenden Wagen saßen und warteten.

Aber dann, um Viertel vor zehn, erschien plötzlich Bibianna in der Einfahrt. Sie trug wieder Rot, ein eng anliegendes unterhemdartiges Kleid, das ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Dazu eine dunkle Strumpfhose und rote Stöckelschuhe. Für eine so zierliche Person hatte sie unglaublich lange und wohl geformte Beine, die sie groß wirken ließen, obgleich sie bestimmt nicht mehr als einsfünfundfünfzig maß. Sie hatte die eine Hand in der Tasche eines offenen, narbigen, braunen Leder-Blousons vergraben. Mit der anderen hielt sie sich ein Stück Zeitung über den Kopf, um ihre Frisur vor dem Nieselregen zu beschirmen. Sie kehrte mir das Gesicht zu, bemerkte mich aber offenbar nicht. Fünf Minuten später kam ein Taxi angefahren. Es hielt genau vor ihr. Sie stieg ein. Ich ließ meinen Käfer an, während sie die Taxi-Tür zuschlug und sich auf dem Rücksitz zurechtsetzte. Ich fuhr an und schaltete die Scheinwerfer erst in dem Moment ein, als das Taxi sich in Bewegung setzte, weil ich hoffte, so als Teil des fließenden Verkehrs zu erscheinen.

Wir fuhren gemächlich durch kleinere Straßen zum Cabana Boulevard, der breiten Avenue, die sich am Strand entlangzieht. Hier kannte ich mich aus, und ich dachte mir, dass sie wohl entweder zu dem großen Bar-Restaurant draußen auf der Mole wollte oder aber zu einer der zwielichtigen Bars am unteren Ende der State Street. Letzteres erwies sich als richtig. Das Taxi hielt vor einem eher miesen Schuppen mit dem schönen Namen »Zur Räucherkammer«. Der Laden war vor einiger Zeit zweimal wegen Alkoholausschanks an Minderjährige dichtgemacht worden, und der Vorbesitzer hatte deshalb seine Lizenz verloren. Inzwischen war das Lokal verkauft und unter neuer Bewirtschaftung wieder eröffnet worden. Ich fuhr ein Stück weiter und verfolgte Bibianna im Rückspiegel bis zum Eingang. Ich bog links ab, fuhr einmal um den Block und dann auf den Parkplatz, wo ich meinen VW in eine halb-legale Lücke ganz an der Mauer quetschte. Als ich, wegen des Geniesels den Kopf einziehend, meinen Wagen abschloss, spürte ich, wie der Asphalt von der dröhnenden Musik aus dem Lokal vibrierte. Ich sog meine Lungen ein letztes Mal mit frischer Luft voll und ging hinein.

Gleich hinter der Tür berappte ich die fünf Dollar Eintritt. Dafür erhielt ich auf den einen Handrücken einen lila Stempel, der besagte, dass ich freie Getränkeauswahl hatte. Die Räucherkammer sah aus, als sei sie ursprünglich für industrielle Zwecke erbaut und dann ohne große Konzessionen an die Ästhetik in ein Lokal umgewandelt worden. Der Raum war tunnelartig und schmucklos, mit einem Betonboden und in den schummrigen Regionen mit sichtbaren Stahlstreben unter der Decke. Parallel zur Wand auf der rechten Seite erstreckte sich eine gut sechs Meter lange Bar, belagert von einem dreifachen Kordon von Typen, die aussahen wie den Fahndungsplakaten im Postamt entsprungen. Es roch nach Bier und Zigarettenqualm, und gelegentlich wehte durch den Seitenausgang eine Dope-Wolke herein. Die gesamte Beleuchtung war blau. Es spielte eine Live-Band, bestehend aus fünf Knaben, die wie eine Halbstarkenclique wirkten und sich anhörten, als sollten sie lieber in irgendjemandes Garage üben. Die Musik war ein direkt auf den Unterleib abzielendes Inferno aus wummernden Bässen, vibrierendem Synthesizer, immer gleichen Akkorden und Texten, die sich als obszön entpuppten, wenn es einem gelang, die Worte aus dem ohrenbetäubenden elektronischen Gejaule herauszuhören. Die Tanzfläche bestand aus einem transportablen Holzpodest von vielleicht sieben Metern Seitenlänge, auf dem sich zuckende Körper mit schweißgebadeten Gesichtern drängten.

Dieses Lokal war eins der Reviere der C-Klassen-Singles. Hier gab es keine Yuppies, keine höheren Töchter, keine Geschäftsleute auf der Suche nach einem originellen Ambiente, keine milchgesichtigen College-Knaben. Das hier war ein Aufreiß-Schuppen für Leder-Typen und Billig-Nutten, die es für eine warme Mahlzeit mit jedem trieben. Schlägereien und Messerstechereien gehörten zum Normalbetrieb, und die uniformierten Streifenpolizisten patrouillierten so oft durch das Gedränge, dass sie schon als Stammgäste behandelt wurden. Den unerträglichen Lärmpegel interpunktierte immer wieder ein lautes Wumm! gefolgt von lautem Gelächter. Die Bar war berühmt für eine Spezialität namens »Slammer«: Tequila mit 7-Up in einem altmodischen Glas. Der Drink wurde unter einer ausgebreiteten Stoffserviette serviert, die dann mit Wucht auf das hölzerne Tablett geklatscht wurde. Durch den Schlag verquirlten sich der Tequila und das 7-Up zu einem hochprozentigen Gemisch, das der Gast in einem Zug hinunterzukippen hatte. In der Regel lag die Kapazitätsgrenze bei zwei Slammern pro Nase. Danach mussten die meisten Frauen zum Auto geschleppt werden. Männer überkam nach dreien der Drang, Stühle zu zerschmettern oder Glasscheiben einzuschlagen.

Während ich mir zentimeterweise und unter ständigem »Pardon«, »Entschuldigung« und »Oh, tut mir Leid« meinen Weg auf die andere Seite der Bar bahnte, spürte ich immer wieder eine anonyme Hand auf meinem Hinterteil. Ich fand schließlich ein freies Plätzchen und okkupierte es vorläufig, indem ich mich gegen die Wand lehnte wie alle anderen auch. Ich orderte ein Bier bei einer vorbeikommenden Bar-Maid, die in einen exakt in die Popo-Falte geschmiegten neonorangefarbenen Body gewandet war. Ihre Hinterbacken quollen heraus wie wassergefüllte Ballons. Einen Sitzplatz gab es nicht, also blieb ich stehen, wo ich stand, gegen einen Metallträger gekeilt, und musterte das Gedränge.

Ich sichtete Bibianna auf der Tanzfläche, wo sie mit bemerkenswerter Ausdauer und Anmut zu dem stampfenden Einheiz-Gedudel ihre Hüften kreisen ließ. Die Augen der Männer um sie herum folgten jedem Beben, jedem Zucken. Das blaue Licht und der Olivton ihrer Haut verbanden sich zu einem überirdischen Strahlen, das das glatte Oval ihres Gesichts über den prallen Brüsten in dem tiefen Ausschnitt ihres Trikotkleids schmeichelhaft zur Geltung brachte. Ihr Kleid, das jetzt mehr lila als rot zu schimmern schien, umspannte eng den flachen Bauch, die schmalen Hüften und schlanken Schenkel. Als der Song zu Ende war, verließ sie, das dunkle Haar in den Nacken werfend, ohne einen Blick zurück die Tanzfläche. Ihr sichtlich außer Atem geratener Partner sah ihr bewundernd nach.

Sie machte sich jetzt daran, eine Runde durch das Lokal zu drehen. Sie war hier offensichtlich wohlbekannt und blieb immer wieder stehen, um mit irgendwelchen Männern lachend ein paar Worte zu wechseln. Als ich mir ausrechnete, dass sie gleich an mir vorüberkommen musste, postierte ich mich möglichst auffällig, während ich so tat, als hätte ich sie gar nicht bemerkt. Vergeblich. Ehe sie mich erreicht hatte, schwenkte sie ab, und ich sah sie auf die Toiletten zustreben. Ich drängelte mich, unwirsche Reaktionen provozierend, ebenfalls dorthin.

Als ich bei der Damentoilette anlangte, war Bibianna bereits in einer der Kabinen verschwunden. Ich stellte mich vor den Spiegel und machte mir an meiner Puschelfrisur zu schaffen, bis die Spülung ging und Bibianna herauskam. Sie trat an das Waschbecken neben meinem und betrachtete mich abwesend im Spiegel. Ich spürte den kleinen Ruck des Erkennens mehr, als dass ich ihn sah. Sie sagte: »Hey.«

Ich sah sie verdutzt an.

»Sind Sie nicht heute Nachmittag bei mir gewesen wegen meiner Wohnung?«

Ich guckte höflich und nahm dann meinen Aha-Moment. »Oh, hallo! Ich hab’ gar nicht gemerkt, dass Sie das sind. So ein Zufall. Das ist ja irre. Wie geht’s?«

»Mir geht’s gut. Was macht die Wohnungssuche? Schon was gefunden?«

Ich verzog das Gesicht. »Nichts Richtiges. Ich hätte da eventuell was an der Hand, einen Block von Ihnen weg, aber es ist nicht halb so schön wie Ihr Haus.«

Bibianna holte ihren Lippenstift heraus. Sie malte sich einen roten Bogen auf die Unterlippe und bewegte dann die aufeinander gepressten Lippen, bis sich die Farbe gleichmäßig verteilt hatte. Ich hielt mich an ihr Vorbild und werkelte auch ein bisschen an mir herum.

Sie schob den Lippenstift in die Hülse. »Sind Sie schon öfters hier gewesen?«

Ich sagte achselzuckend: »Ein paar Mal. Früher, aber seit der Neueröffnung noch nicht. Ziemlich nervig, finden Sie nicht? Ich steh’ nicht so drauf, wenn mich dauernd jemand angrapscht, sobald ich mich bewege.«

Sie musterte mich kurz. »Ist wohl Gewohnheitssache. Mich stört’s nicht.. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit jetzt ihrem eigenen Spiegelbild zu und beugte sich vor, um die Haarsträhnen um ihr Gesicht zurechtzudrapieren. Dann prüfte sie ihr Augen-Make-up. Nach einer letzten strengen Inspektion wandte sie sich wieder mir zu. »Ich hoffe, Sie nehmen’s mir nicht übel, wenn ich das sage, aber diese Frisur und das ganze Styling sind total daneben.«

»Ach?« Ich sah an mir herunter und fühlte, wie mich Verzweiflung packte. Was ist nur an mir, dass ich immer solche Bemerkungen herausfordere? Da halte ich mich selbst für die große, abgebrühte Privatdetektivin, während andere Leute in mir offenbar ein armes Wurm sehen, das dringend der Bemutterung bedarf.

»Darf ich Ihnen mal einen Tipp geben?«, fragte sie.

»Von mir aus gern«, sagte ich.

Ehe ich mich’s versah, zog sie mir das Gummi aus den Haaren. Sie griff in ihre Handtasche und holte eine Plastiktube mit einem schmoddrigen Zeug hervor, das sie zwischen ihren Händen verrieb und mir dann ins Haar massierte. Ich fühlte mich wie ein Hund im Hundesalon, aber das Ergebnis gefiel mir. Meine Locken wirkten jetzt leicht feucht und andeutungsweise gewellt. Gemeinsam begutachteten wir mein Spiegelbild.

Bibianna verzog nachdenklich den Mund. »Schon besser«, sagte sie. »Haben Sie vielleicht ein Tuch dabei?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Na, mal sehen.« Sie begann, in ihrer Handtasche zu gründeln, und förderte dabei einen Joint zu Tage. »Möchten Sie?«, fragte sie nebenbei.

Ich schüttelte den Kopf. »Danke, ich hab’ schon vorhin draußen auf dem Parkplatz einen geraucht, bevor ich reingekommen bin.«

Sie steckte das Dope ohne weiteren Kommentar wieder weg und kramte konzentriert die verschiedenen Fächer ihrer voluminösen Tasche durch. »Na bitte. Wie wär’s denn damit?« Sie holte ein quadratisches, limonengrünes Seidentuch heraus und verzog dann das Gesicht. »Nee, das ist nichts. Die Farbe steht Ihnen nicht. Nehmen Sie mal die Ohrringe ab. Das bringt schon viel.«

Woher wissen Frauen solche Sachen? Und wieso weiß ich das nicht? Ich nahm die Talmi-Klunker ab und massierte mir erleichtert die Ohrläppchen.

In der Zwischenzeit hatte sie noch ein zweites Tuch zu Tage gefördert, diesmal in grellem Pink. Sie hielt es mir vors Kinn und musterte mich kritisch. Ich dachte, sie erwartete vielleicht, dass ich drauf spuckte, damit sie mir das Gesicht schrubben konnte, aber sie legte das Ding irgendwie raffiniert zusammen und band es mir um den Hals. Auf der Stelle kamen meine natürlichen Farben besser zur Geltung.

»Große Klasse. Was jetzt?«

»Jetzt kommen Sie mit mir. Ich werde Ihnen die schlimmsten Idioten vom Leib halten.«

Dunkle Geschäfte

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