Читать книгу Im Rausch der Nadel | Erotischer Roman - Sunny Davis - Страница 3

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Die Begegnung

Es ist wieder einer dieser Tage, an denen ich lieber im Bett bleiben würde. Es ist, als wäre mein Geist noch im Traum, während mein Körper bereits mit dem Tag begonnen hat. Die ganze Nacht bekam ich kein Auge zu, habe mir das Hirn zermartert über Formen, Farben, Designs. Mein Terminplan ist voller, als mir lieb sein kann. Doch Kunden abzuweisen bedeutet, sie nicht auf Dauer gewinnen zu können. Schließlich ist so ein Bild unter der Haut ein Schritt, der reiflich überlegt sein will. Wenn die Kunden mir dann auch noch ihr Vertrauen schenken wollen, dann kann ich dieses ja nicht einfach ablehnen.

Seit ich mein kleines Tattoo- und Piercingstudio eröffnet habe, weiß ich manchmal wirklich nicht, wo mir der Kopf steht. Andersherum sehe ich Kunden und Körperstellen an ihnen, die wirklich sehenswert sind. Aber wo das Gute ist, da gibt es auch die andere Seite. Nicht jeder Mensch ist eben von einer derartigen Statur, dass er unbedingt als Kunstwerk an sich herhalten muss. Die meisten Körper werden es auch mit Tattoos oder Piercings nicht. So hat ein Traumberuf eben auch seine Schattenseiten.

Jetzt aber muss ich wirklich aufstehen. Der Wecker hat mich schon zwei Mal aus meinen Träumen gerissen. Es ist Zeit, das erste Bein auf den Boden zu stellen. Das Laminat hat über Nacht so viel Temperatur verloren, dass es mir Nadelstiche unter meinen Fußsohlen versetzt und ich gezwungen werde, zurück ins Leben zu finden.

Mit meinem rechten Auge blinzle ich mehr, als ich gucke, sehe meinen mit Bildern bemalten Oberschenkel. Sehe die Szenen, in denen das Leben mit dem Tod ringt. Sie sind der Spiegel in meine Seele. So wie fast alles, was über die Jahre unter meine Haut gestochen wurde. Es sind die Erinnerungen, die sich die meisten mit den Bildern unter der Haut behalten wollen. Diese besonderen und schmerzvollen Momente soll ich in Formen, Schattierungen und Farben umsetzen. Das ist mein Beruf.

Für diesen muss ich mich jetzt aber fangen. Langsam sehe ich wieder räumlich, denn ich habe es mittlerweile geschafft, beide Augen zu öffnen. Die Nacht hat viel von der Wärme genommen, die mich am Abend noch einschlafen ließ. Alles zieht sich zusammen, auch das, was zwischen meinen Beinen gewachsen ist, scheint nicht besonders begeistert, wie mir scheint. Da hilft nur eines – eine Dusche, bei der das Wasser dampfend wieder zur Decke aufsteigt. Mit kleinen Schritten versuche ich, bis ins Bad zu kommen, damit meine Füße nicht mit mehr Fläche als notwendig auf den kalten Boden aufsetzen. Die Kälte, die in der Nacht durch das offene Fenster gekommen ist, nehme ich selbst beim Einatmen wahr. Es wird Zeit, den Wasserhahn aufzudrehen und die Tür der Duschkabine hinter mir zu schließen. Als das heiße Wasser meine Haut berührt und von meinem Kopf über meine Brust, bis hinunter an meine Füße läuft, ist es, als würde eine Armee von Ameisen durch meinen Körper laufen. Für einen Moment genieße ich diesen Temperaturunterschied zwischen Wasser und Blut, dann greife ich routiniert und mit geschlossenen Augen nach dem Duschgel, um es an meiner Brust und an meinem Bauch mit kreisenden Bewegungen zu verteilen. Der Schaum des Duschgels legt sich dabei, beinahe wie der Schaum am Strand, auf meine Haut. Er bedeckt Rosen, Kreuze, Totenschädel und das große Porträt jenes Mädchens, das mich einst zum Mann machte. Mein bestes Stück hat sich inzwischen auch wieder zu dem entwickelt, was ich als Anspruch definiert habe.

»Jetzt kann der Tag starten. Ich bin die beste Werbung für meine Arbeit. Jetzt bin ich soweit und kann mich als diese präsentieren«, denke ich mir, ehe ich das Handtuch schnappe, mich einwickle und dann zurück ins Schlafzimmer eile. Hier ist es noch immer kühl. Keine sechzehn Grad zeigt das Thermometer auf meinem Nachttisch. Es schüttelt mich. Hastig ziehe ich eine neue Boxershorts, Socken, eine Hose und ein Hemd aus dem Schrank und klemme mir alles unter meinen linken Arm. Das Schlafzimmer zu verlassen ist derzeit mein einziger Wunsch. Das Wohnzimmer ist mein Ziel. Hier ziehe ich mich an. Es ist still. Für Musik habe ich keine Zeit. Zum Frühstücken fehlt mir, wie jeden Morgen, zudem der Appetit. Vielmehr zieht es mich in Richtung Stadt, in mein Studio, für das ich so gekämpft habe. In meinen kurzen Hosen und meinem dicken Pullover entspreche ich nicht unbedingt dem Anspruch an das, was die Gesellschaft als gängige Mode definiert, aber was ich trage, ist praktisch und die besten Arbeiten auf meinem Körper zeige ich selbst dann, wenn der Winter schon Besitz von der Natur ergriffen hat. Diese Marotte habe ich mir in der Schulzeit angewöhnt und seitdem nicht wieder abgelegt.

Jetzt aber beginnt das erste Highlight des Tages. Mit meinem 7er-BMW, dessen Farbe stark an den Himmel eines verregneten Herbsttages erinnert, schwebe ich geradezu über die Straße. Ein täglicher Genuss, den ich mir wirklich etwas habe kosten lassen und für den ich eigens einen Parkplatz neben meinem Studio gemietet habe.

Diese ersten Herbsttage haben es aber auch in sich. Beim Aussteigen vor meinem Studio überkommt mich ein Schauer, bei dem sich die Härchen an meinen Beinen aufstellen. Hastig ziehe ich den Schlüssel aus der Jackentasche, schließe auf und stoße die Tür nach innen auf. Im Studio selbst hat die Heizung ganze Arbeit geleistet und so stehen die Räume im direkten Kontrast zu dem, was einen vor der Tür erwartet. Wie immer beginne ich zunächst damit, das Licht anzuschalten, die Jalousien der kleinen Fenster hochzuziehen und die beiden Bänke im hinteren Zimmer vorzubereiten. Auf sie werden sich, laut Plan, heute sieben Personen legen. Der erste Kunde wird Steffen sein. Einer meiner Stammkunden, der eine ziemlich ungewöhnliche Art hat, sein Leben zu dokumentieren. Auf beiden Seiten seines Oberkörpers, von den Achselhöhlen bis hinunter zum Becken, ziehen sich bei ihm zwei Linien, die ich von Zeit zu Zeit mit verschiedenen Jahreszahlen und Symbolen auf Brust, Bauch und Rücken absetzen darf. Auf der linken Seite sind Steffens Hobbys abgebildet, auf der rechten seine beruflichen und persönlichen Lebensereignisse. Bei seinem ersten Besuch vor drei Jahren hatte ich innerlich noch eine Abneigung, einem so jungen Menschen zwei Linien in die Haut zu stechen. Jetzt, wo sich an diesen Teetassen, Bücher, Fußbälle, Pistolen, Kindergesichter, Eheringe und andere Dinge, die Steffen wichtig sind, angesammelt haben, freut es mich, sein Leben ein Stück weit in seiner Haut festzuhalten.

Nur eine halbe Stunde nach meinem Eintreffen begrüße ich ihn dann auch, mit einem Händedruck und einem Schulterklopfen. Von Steffen weiß ich mehr als von jedem anderen Menschen um mich herum. Heute jedoch ist es etwas anders als sonst. Er ist nicht allein gekommen, sondern in seiner Begleitung befindet sich eine junge Frau. Sie reicht mit ihrer Körpergröße nicht ganz an ihn heran. Und auch zu mir fehlt etwa ein Kopf, aber sie ist durchaus eine Frau, zu der sich andere Männer umdrehen. Mit ihren Haaren, die ihr bis zur Mitte ihres Rückens reichen und die im Licht meiner Deckenleuchten glänzen wie das Korn auf den Feldern im Sommer, und ihren Augen, deren Farbe direkt aus dem tiefsten Regenwald entnommen zu sein scheinen, hat sie etwas an sich, das in mir Interesse weckt. »Jan, darf ich vorstellen? Das ist Anja, meine neue Freundin«, stellt Steffen sein Anhängsel vor. »Steffen, am besten legst du dich auf die vordere Liege, direkt hinter dem Vorhang. Ich hole derweil der Dame hier einen Stuhl«, lasse ich Steffen abtreten, um mir diese Anja noch einmal genau ansehen zu können.

Sie allerdings quittiert dies mit einem Lächeln, das Freundlichkeit signalisieren soll. Ihre Augen verraten aber mehr als ihre Lippen. Sie scheint es zu genießen, im Mittelpunkt zu stehen. »Erster Punkt für mich, der Tag läuft«, denke ich mir.

Mit dem Betrachten des Bildes, das Steffen mitgebracht hat, bekommt dieses Siegesgefühl allerdings einen ziemlichen Dämpfer. Steffen hat wirklich vor, sich ein Bild seiner Freundin zwischen seinem Rippenbogen und seinem Bauchnabel stechen zu lassen. Meine Frage, wie viele Tage und Wochen die beiden schon Händchen halten, ist obligatorisch und ein Stück weit auch meine Pflicht. Die Antwort darauf habe ich allerdings nicht erwartet.

»Drei Wochen«, meint Steffen mit einer Stimme, die zum Kaiser von Rom gepasst hätte.

»Drei Wochen?«, ich muss nachfragen. Nach drei Wochen tätowiert kein halbwegs seriöser Tätowierer das Gesicht von irgendjemanden auf den Körper eines anderen. Wobei, drei Wochen bedeuten für mich aber auch, dass da noch was zu holen ist.

Erst einmal gilt es aber, Steffen davon zu überzeugen, dass seine Idee nicht gerade die beste ist und das auf eine Art, die weder ihn noch seine Freundin kränken.

»Du, Steffen, ich schätze dich und deshalb muss ich dich einfach fragen, ob es nicht Sinn macht, den Termin für ein paar Monate zu verschieben? So ein Bild zu diesem Zeitpunkt würde auf deiner Timeline einen Platz einnehmen, der nicht außer Acht zu lassen ist.«

Damit ist meine Pflicht, den Kunden auf einen möglichen Fehler hinzuweisen, genüge getan. Zu meiner Überraschung kommt Zustimmung von seiner Begleitung.

»Hab ich doch gesagt. Jetzt steht auf und zieh dich wieder an«, meint sie.

Eine Forderung, die ich so nicht erwartet habe, der ich aber durchaus etwas abgewinnen kann. Es ist schon etwas anderes, wenn eine Frau den Ton anzugeben versucht. Ja, versucht! Am Ende bin ich doch der Herr im Ring, an der Nadel oder im Bett, je nach Situation. Apropos Bett, die Kleine würde ich nicht von der Bettkante schubsen. Ganz klar. Immerhin steht es zwei zu null für mich. Warum nicht noch einen draufsetzen?

»Na Anja, wie sieht es aus? Hab gerade Zeit. Hast du selbst schon ein Tattoo oder Piercing?«, mache ich, mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln, eine spitze Bemerkung.

»Ich? Nee lass mal, weder das eine noch das andere!«, antwortet sie, während sie sich die Bilder meine Arbeiten an den Wänden ansieht.

Ihre Antwort ist eine klare Abfuhr. Das ist nichts, was ich gewohnt bin und damit zugleich eine Herausforderung für mich, Anja zu ihrem Glück zu verhelfen.

»Falls du es dir anders überlegst, hier ist meine Karte. Ruf einfach durch und frag nach Jan«, strecke ich ihr meine Karte, auf der auch meine privaten Kontaktdaten notiert ist, mit einem Augenzwinkern zu. Zu meiner und auch Steffens Überraschung verschwindet die Karte in Anjas linker Gesäßtasche. Steffen allerdings sagt nichts. Ich hingegen genieße einfach den Triumph.

»So, wir können, Anja, das wird hier heute ja nichts mehr«, meint Steffen plötzlich sehr abweisend, zieht mit aller Kraft die Tür auf und macht damit deutlich, dass er auf Anja wartet. Die dackelt ihm brav hinterher, nicht aber, ohne vorher noch einmal den Kopf zu drehen und mir zuzulächeln. Ich bin es eben und kann es noch immer. Meinem Charme kann keine Frau widerstehen. Der restliche Tag ist dann, gemessen an diesem Erlebnis, doch ziemlich eintönig.

Im Rausch der Nadel | Erotischer Roman

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