Читать книгу Gefährliche Liebe - Susan Andersen - Страница 5

Prolog

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Das wohlige Gefühl, mit dem Amanda Rose Charles Dienstagmorgen aufwachte, hielt ungefähr fünfundvierzig Sekunden an. Dann erinnerte sie sich an das gestrige Gespräch mit Charlie kurz vor der Mitternachtsshow, und ein bleiernes Gewicht legte sich ihr auf die Brust, schnürte ihr die Luft ab. Gähnend stützte sie sich auf einen Ellbogen, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch. Sie stellte es neben ihrem Bauch auf das Bett, zögerte aber einen Moment und betrachtete es unschlüssig. Schließlich nahm sie den Hörer ab und tippte die vertraute Nummer ein.

Das Telefon klingelte zehnmal, bevor sie aufgab und auflegte. Verdammt.

Wo war Maryanne? Der Gedanke, die Polizei anzurufen, gefiel ihr ganz und gar nicht – Maryanne würde fuchsteufelswild werden, wenn sich herausstellte, dass es nicht nötig gewesen wäre. Aber sie und Rhonda hatten sich gestern Nacht auf dem Nachhauseweg darauf geeinigt, die Polizei heute anzurufen, wenn Maryanne nicht nach Hause käme. Sie hatten sie jetzt drei Tage lang nicht gesehen. Nicht dass sie zum ersten Mal, ohne jemandem ein Wort zu sagen, einfach verschwunden war. Sie tat das immer mal wieder, obgleich sie drei sich darauf verständigt hatten, in jedem Fall zu hinterlassen, wo man erreichbar und wann voraussichtlich wieder zurück war, wenn man für eine Weile wegfuhr. Sie machten sich schreckliche Sorgen, und es war so rücksichtslos von ihr... was aber absolut typisch für Maryanne war.

Sich jedoch nicht krankzumelden, war reiner beruflicher Selbstmord. Und das sah Maryanne absolut nicht ähnlich. Amanda hoffte nur, dass der Kerl es auch wert war.

Womit sie eigentlich nicht rechnete. Das waren sie nämlich selten.

Diese Fixiertheit auf Männer, die alle außer ihr umzutreiben schien, war ihr ein Rätsel. Manchmal kam sie sich wie die einzige Erwachsene in einem Raum voller Pubertierender vor, wenn die Unterhaltung sich wie üblich um Männer und Sex drehte. Aber das war das geringste ihrer Probleme heute Morgen. Also schlug Amanda entschlossen die Bettdecke zurück und stieg aus dem Bett. Sie unterdrückte ein Gähnen, ging hinüber zu ihrem Schrank und zog ein altes Trikot aus der Schublade. Zuerst würde sie ihr morgendliches Training durchziehen und dann noch einmal versuchen, Maryanne zu erreichen.

Obwohl sie entschlossen war, das Thema nicht weiter zu verfolgen, kreisten ihre Gedanken während der Stretchübungen ständig darum. Sie dachte darüber nach, wie viel leichter es ihr meistens fiel, sich mit Frauen, statt mit Männern zu befreunden. Vielleicht lag es daran, dass sie mit drei Schwestern aufgewachsen war. Es war nicht so, dass sie Männer nicht mochte. Als Tanzpartner waren sie unschlagbar, und einige waren auch durchaus gute Freunde. Aber sie waren definitiv total anders. Sie nahm an, dass es an ihr lag, ihre grundlegend unterschiedliche Natur nicht zu verstehen, so dass sie Männern lieber aus dem Weg ging. Es geschah automatisch – sie war unbewusst ständig auf der Hut.

Nicht dass ihre Motive, ob bewusst oder unbewusst, auch nur den geringsten Einfluss auf den Klatsch innerhalb der Tanzszene gehabt hätten, dachte sie ironisch, während sie sich auf dem Bauch liegend bog, bis die Zehenspitzen den Kopf berührten. Die Gründe waren absolut irrelevant. Man wusste halt, was man sah, und genau das wurde verbreitet. Vom ersten Moment an, in dem sie sich der Tanzszene angeschlossen hatte, ging ihr ein bestimmter Ruf voraus.

Natürlich war es sozusagen unmöglich, sich keinen Ruf zu erwerben in diesem Geschäft. Mitglied einer Tanztruppe zu sein, hatte ihrer Meinung nach sehr viel Ähnlichkeit mit dem Aufwachsen in einer Kleinstadt. Jeder wusste alles über einen, und was man nicht genau wusste, wurde erfunden. Unterschiedslos wurde man abgestempelt, und war das erst mal passiert, bedurfte es quasi höherer Gewalt, sich davon zu befreien. Ihr schien der Stempel »Eisjungfrau« aufgedrückt worden zu sein. Oder auch »frigides Miststück«, je nachdem, mit wem man sich unterhielt und wie derjenige, dem sie einen Korb gegeben hatte, damit klarkam.

Sie zog es allerdings vor, sich für wählerisch zu halten.

Als sie mit achtzehn Jahren nach New York gekommen war, war sie das erste Mal allein auf sich gestellt gewesen und belastet mit schmerzhaften seelischen Narben, die nur oberflächlich verheilt waren. Teddy gab es nicht mehr; ihr Privatleben war eine einzige Katastrophe; und um sie herum, in ihrer freizügigen neuen Umgebung, priesen Freundinnen, Wohngenossinnen, Kolleginnen und überhaupt jeder in der Tanzwelt die sexuelle Freiheit. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihnen nachzueifern, ein ebenso wildes, ungezügeltes Leben zu führen und Dinge zu tun, bei denen ihre Eltern sie enterbt hätten – hätten sie es je erfahren.

All die Dinge, die ihre Schwester Teddy getan hätte.

Also tat sie ihr Bestes, ihre erschreckend überholten Ansichten abzulegen, aber es hatte irgendwie nicht geklappt. Sie hatte zwar ihre Jungfräulichkeit verloren, was allerdings keine umwerfende Erfahrung gewesen war. Danach fragte sie sich erst recht, was die ganze Aufregung sollte, und entschied, dass wahlloser Sex nicht ihr Ding war.

Amanda zuckte im Stillen die Achseln, während sie sich langsam wieder streckte und die Sitzposition einnahm. Sie spreizte die Beine, bis sie eine senkrechte Linie zu ihrem Rumpf bildeten, und, gestützt auf die Unterarme, beugte sie den Oberkörper, bis er den Fußboden berührte. Als sie damals zurückgekehrt war zu ihren altmodischen Verhaltensweisen, galt sie schnell als distanziert Männern gegenüber. Und so war ihr Ruf entstanden.

Während sie das Tempo ihrer Übungen steigerte und von Dehnübungen zu Kraftübungen überging, sagte sie sich, dass sie damit leben konnte. Manchmal bedauerte sie ihren Ruf, aber zumindest war es unwahrscheinlich, dass sie auf Abwege geriet und ihre gesamte Karriere gefährdete wie Maryanne.

Sie bezweifelte, dass es irgendeinen Mann gab, der dieses Opfer wert war.

Kurze Zeit später hatte sie ihr Training beendet und ging ins Badezimmer, wo sie die Badewanne einen Moment begehrlich beäugte. Aber sie beschloss, aus Zeitgründen doch nur eine Dusche zu nehmen. Während sie darauf wartete, dass das Wasser warm lief, beugte sie sich vor zum Spiegel und verzog den Mund bei der Ansicht, die sich ihr bot. Wie reizend – sie hatte bestimmt ein Dutzend Druckfalten in der Wange durch das Kopfkissen. Sie wandte den Blick ab und griff zur Zahnbürste. Wie so oft wünschte sie sich, dass jemand etwas für Menschen wie sie erfände – etwas, was man nur ein paar Minuten in die Steckdose steckte, und schon wäre man putzmunter. Sie war morgens schlicht zu nichts zu gebrauchen.

Unter der heißen Dusche legte sie den Kopf in den Nacken und prustete schläfrig das Wasser weg, das ihr in den Mund floss. Sie überlegte träge, ob ihr Leben wohl anders verlaufen wäre, wenn sie besser zu dem grellen Zigeunermilieu, in dem sie sich bewegte, passen würde. Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Weil er einer gewissen Ironie nicht entbehrte.

Auf sich selbst gestellt nach New York zu fahren, um eine Tanzkarriere zu beginnen, galt für ihre Eltern als absolut unschicklich. Aber innerhalb dieses als indiskutabel erachteten Zigeunermilieus galt sie ebenfalls als Skurrilität. Sie hatte überhaupt nichts Bohemienartiges an sich, und war, außer wenn sie tanzte, ziemlich konservativ. Außerdem war sie ein eher ruhiger Typ. Sie war freundlich, aber sie feierte nicht besonders gern, und da sie noch nie schnell Freundschaften geschlossen hatte, hatte sie auch jetzt nicht gerade haufenweise Freunde. Sogar ihr Geschmack unterschied sich radikal von dem der meisten ihrer Tanzkollegen. Sie persönlich mochte ihren Modegeschmack und kleidete sich sehr individuell. Aber sie gab zu, dass er deutlich mehr in Richtung Ann Taylor als Madonna ging.

Na gut, sie war nun einmal ein Produkt ihrer Erziehung, und wenn sie es mit achtzehn nicht hatte ändern können, als sie wütend, verletzt und wild entschlossen war, ihr früheres Leben abzustreifen, wie gut standen dann ihre Chancen, es mit achtundzwanzig zu schaffen? Sie drehte das Wasser ab, griff nach einem Handtuch und trat aus der Duschkabine.

Sie rieb sich mit Körperlotion ein, und kurz darauf, nur bekleidet mit Unterwäsche und noch tropfnassem Haar, tapste sie ins Schlafzimmer. Mit einem Handtuch über den Schultern setzte sich vor ihren Frisiertisch, nahm einen langstieligen Pinsel aus Zobelhaaren zur Hand und begann, dezentes Make-up aufzulegen. Als ihre Augen fertig geschminkt waren, machte sich ihr leerer Magen bemerkbar. Schnell entwirrte sie ihre feuchten Locken und zog sich an.

Es war einer ihrer seltenen freien Tage. Dass Rhonda ebenfalls heute frei hatte, kam nur alle Jubeljahre vor. Sie hatten geplant, ins nächstgelegene Einkaufszentrum zu fahren und nicht nur ihre Vorräte aufzufüllen, sondern auch all die kleinen Besorgungen zu erledigen, zu denen sie in den vergangenen Wochen keine Zeit gehabt hatten. Es war beinahe zwölf Uhr; sie war früher aufgewacht als sonst. In einer Casinoshow aufzutreten hieß, dass man einen total anderen Zeitablauf hatte als der Rest der Welt. Tänzer einer Zigeunerrevue standen üblicherweise erst auf, wenn der Arbeitstag jedes normalen Menschen schon halb vorüber war.

In der Küche setzte sie den Kessel auf, um Kaffee zu kochen. Mit einer Hand stellte sie den kleinen Fernseher auf dem Küchentresen für die Mittagsnachrichten an, mit der anderen griff sie zur Kaffeemühle. Der Fernseher war leise gestellt, so dass ihr der Anfang entging über dem Lärm, den die elektrische Kaffeemühle machte. Ohne hinzusehen, stellte sie den Fernseher lauter.

»... Frau, von der die Polizei annimmt, das neueste Opfer des Showgirl-Schlächters zu sein. Sie ist ein Meter siebzig groß, wiegt einhundertdreiundzwanzig Pfund, hat dunkelblondes Haar, haselnussbraune Augen und eine kleine, dünne Narbe, die durch ihre linke Augenbraue verläuft. Jeder, der etwas über ihre Identität weiß, wird dringend gebeten, Kontakt aufzunehmen zu Detective Joe Cash vom Morddezernat der Polizeidienststelle Reno. Wir wiederholen die Nummer ... «

In Zeitlupe hob Amanda den Blick und konzentrierte sich auf den Bildschirm. Sie senkte den Kessel und hörte auf, Wasser auf den Kaffeefilter zu gießen. O Gott. Das konnte nicht sein.

Oder doch? Lieber Gott, nein. Bitte.

Amanda beendete die Kaffeekocherei, stellte automatisch den Kessel wieder auf den Herd und schaltete die Herdplatte darunter ab. Sie schenkte sich eine Tasse ein und stellte die gläserne Kaffeekanne auf die hintere, niedrig gestellte Warmhalteplatte. Dann nahm sie ihre Kaffeetasse und trug sie ins Wohnzimmer, wobei es sie nicht erstaunte, dass sie stark auf der Untertasse klapperte. Sehr vorsichtig stellte sie sie auf dem niedrigen Tisch ab, setzte sich auf die Couch und starrte sie einen Moment lang nur an.

Langsam streckte sie die Hand aus, griff zum Telefon, das auf einem kleinen Ecktisch mit marmorner Tischplatte stand, nahm den Hörer und wählte zögernd die Nummern, die sich ihr ins Gedächtnis gebrannt hatten. Sie umklammerte den Hörer mit schweißnassen Händen und saß kerzengerade, während sie hörte, wie das Telefon am anderen Ende der Leitung klingelte. Dann wurde abgenommen, und plötzlich sank sie in die weiche Chenille-Polsterung. Vor ihr drehte sich alles, als sie den Hörer ans Ohr presste.

»Polizeidienststelle Reno«, sagte die höfliche, professionelle Stimme.

Gefährliche Liebe

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