Читать книгу Gefährliche Liebe - Susan Andersen - Страница 8

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Als Amandas Wohnung sich endlich wieder leerte, war sie unendlich erleichtert, hatte das Gefühl, als ob jeder angespannte Muskel ihres Körpers sich auf einmal entkrampfte und auf die Schwerkraft reagierte.

Nachdem die beiden Polizeibeamten sich verabschiedet hatten, war Rhonda noch geblieben, hatte es sich bequem gemacht und wollte die Ereignisse des Tages haarklein mit ihr bekakeln. Amanda konnte sich kaum etwas vorstellen, was sie derzeit ungerner tun würde. Sie liebte Rhonda aufrichtig, aber ihr Bedürfnis, detailliert das Warum und Weshalb von Maryannes Ermordung zu diskutieren, gab ihr den Eindruck, gleich platzen zu müssen. Sie fühlte sich genau genommen wie JoJo Malone, bevor der Nachtclub sie letztes Jahr wegen massiver Kokainabhängigkeit entlassen hatte. Sie zitterte und ihr war schlecht, sie war ein einziges Nervenbündel und total ruhelos, konnte nicht eine Sekunde lang still sitzen. Ständig sprang sie auf, zog hier etwas gerade und räumte da etwas weg, bis Rhonda sie schließlich anschnauzte, sich gefälligst hinzusetzen und zuzuhören.

Sie versuchte es, aber ehrlich gesagt, sie hatte nicht bemerkt, wie knackig Detective Cashs hübsches kleines Hinterteil war. Genauso wenig hatte sie mitbekommen, dass Lieutenant MacLaughlin, wenn er statt seines konservativen Jacketts mit Krawatte eine Jeans trüge, wahrscheinlich genauso heiß aussähe wie der Typ in der Soloflex-Werbung, nur etwas behaarter. Und sie wollte nicht einmal daran denken, wie Maryannes Körper auf der Bahre in der Leichenhalle ausgesehen hatte, geschweige denn es mit Rhonda diskutieren. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, sie klopfte mit den Füßen rhythmisch auf den Boden, spielte nervös mit den Händen, rutschte hin und her im Sessel und befürchtete, wenn sie erst mal den Mund aufmachte, würde sie anfangen laut zu schreien und gar nicht wieder aufhören können.

Plötzlich unterbrach Rhonda ihr Geplapper und musterte Amanda besorgt. Sie sprang auf und stellte sich vor sie in Positur, umfasste Amandas Hände mit ihren. Die sanfte Berührung beruhigte nach und nach Amandas unruhige Hände und tat ihr gut.

»Es tut mir leid, Amanda«, flüsterte Rhonda. »Ich bin manchmal ein schrecklich unsensibles Trampeltier.« Sie streichelte Amandas Handgelenke und wartete, bis sie ihr in die Augen sah. »Ich bin nur so aufgekratzt von der ganzen Situation, und du weißt ja, wie ein wirklich gut gebauter Mann mich antörnt. Aber, du meine Güte, Mandy, ich konnte schlichtweg nicht übersehen, dass sowohl Cash als auch MacLaughlin Körper haben, die mich eine Woche lang auf Hochtouren bringen können. Aber das ist keine Entschuldigung, so eine blöde Kuh zu sein.« Sie drückte Amandas Hand. »Was hättest du gern? Soll ich dir eine Valium holen?«

»Nein«, flüsterte Amanda. »Ich möchte ein heißes Bad.«

» Du und deine Bäder.« Rhonda streckte sich. »Ich lasse dir eins ein. Warum machst du dir nicht etwas zu essen? Du hast seit dem Mittagessen nichts gegessen – und wir waren beide so nervös, dass wir nur in unserem Essen gestochert haben. «

» Vielleicht nach meinem Bad.«

»Okay, Schätzchen, wie du meinst. Dann trink wenigstens ein Glas Wein, okay? Du siehst aus wie ein Gespenst.«

»In Ordnung. Möchtest du auch ein Glas?«

Rhonda musterte sie genau. »Nein danke«, sagte sie langsam. »Ich lasse dir nur dein Bad ein und dich dann allein.« Sie lächelte leicht angesichts der kaum kaschierten Erleichterung in Amandas veilchenblauen Augen. Wenig später führte sie ihre Freundin ins Badezimmer, half ihr beim Ausziehen und in die Badewanne. Sie zündete einige Kerzen an und reichte Amanda ihr Weinglas. Mit dem Versprechen, die Vordertür abzuschließen, schaltete sie die Deckenbeleuchtung aus und lächelte bei dem Anblick von Amanda in ihrem Schaumbad im Kerzenschein. Dann murmelte sie »Gute Nacht« und ging.

Ganz schwach vor Erleichterung, endlich ihre Privatsphäre zu haben, ließ Amanda sich sinken, hielt aber inne, als ihre Haarspitzen das Wasser berührten. Sie stellte das Weinglas auf den gefliesten Badewannenrand. Dann drehte sie ihr Haar zusammen und griff in einen Keramiktopf, der neben dem Farn in der Ecke der Badewanne stand. Sie holte zwei lange Schildpattkämme heraus, mit denen sie ihren Haarzopf auf dem Kopf befestigte. Seufzend lehnte sie sich zurück und legte den Kopf gegen das aufblasbare muschelförmige Kissen. Sie nahm ihr Weinglas in die Hand und leerte es in einem Zug. Kein sehr damenhaftes Verhalten, dachte sie. Mutter wäre todsicher entsetzt.

Sie schnaubte, eine weitere, undamenhafte Eigenart. Zum Teufel mit Mutter. Ihre Eltern waren sowieso davon überzeugt, dass sie vor die Hunde gehen würde. Und Amanda genoss die durch den Wein erzeugte Wärme, der ihren Blutkreislauf anregte. Entschlossen schaltete sie das Denken ab und genoss das heiße Wasser, lauschte den Geräuschen des hin und her schwappenden Schaums.

Der Schaum löste sich langsam auf, und Amanda betrachtete ihre Brüste. In dem flackernden Kerzenlicht konnte sie sehen, wie sie, etwas errötet von der Wärme, aus dem Badewasser ragten, die volle obere Wölbung bis zu den blassbraunen Brustwarzen. Sie musste zum ersten Mal heute lächeln, als sie sich zurückerinnerte, wie sie sich entwickelt hatten. Du liebe Güte, wie sie das gehasst hatte. Sie war eine Spätentwicklerin, und zu der Zeit wäre sie hochzufrieden gewesen, wenn sie sich überhaupt nicht entwickelt hätten. Sie wollte nichts weiter als tanzen. Bis zu ihrem siebzehnten Lebensjahr hatte sie das gehabt, was sie als perfekten Körper einer Tänzerin betrachtete: Sie war groß, schlank, kräftig und flachbrüstig. Doch unvermittelt hatte sich das radikal geändert.

Sie hatte nichts gegen die Veränderungen ihrer Hüften und des Pos. Sie waren auch nicht so sehr anders als früher, nur ein wenig runder, ein wenig voller. Nichts, womit sie nicht lernen konnte zu leben. Aber die neuerdings üppigen Brüste waren abscheulich. Sie konnte beim Training nicht einmal mehr durch ein Studio laufen, ohne dass die wippenden Brüste schmerzten. Und sie konnte auch nicht länger ungehindert die Arme um ihren Körper schlingen. All die anmutigen Armbewegungen beim Tanzen, die ihr zur zweiten Natur geworden waren, musste sie neu lernen, um sie an die verhassten neuen Wölbungen anzupassen. Mit siebzehn war sie der Meinung, dass Brüste das Letzte waren.

Amanda lächelte erneut. Wo um alles in der Welt kamen diese speziellen Erinnerungen her? Das war ihr seit Jahren nicht mehr passiert. Aber irgendwie hatten ihre aus dem sich langsam auflösenden Schaumbad auftauchenden Brüste die Gedanken an ihre lange zurückliegende pubertäre Entrüstung wachgerufen. Sie zuckte unwillig die Achseln, streckte den Fuß aus und zog mit dem Zeh den Stöpsel heraus. Dann spülte sie sich den Rest des Schaums ab, während das Wasser gurgelnd abfloss.

Eingemummelt in einen warmen Bademantel trug Amanda ihr leeres Weinglas in die Küche und stellte es auf die Arbeitsfläche. Das durch die Feuchtigkeit stark gelockte Haar fiel ihr offen über die Schultern. Sie machte sich ein Rührei, schob es aber wieder beiseite, bevor sie die Hälfte gegessen hatte. Sie schaffte es einfach nicht, die Geschehnisse zu verdrängen, und bei dem Gedanken an Maryannes Mörder drehte sich ihr der Magen um. Was, wenn Maryanne von jemandem umgebracht worden war, den sie kannte?

Amanda hatte es zwar Lieutenant MacLaughlin nicht verraten, aber Maryanne war nicht gerade klug in der Wahl ihrer Männer gewesen. Sie war romantisch veranlagt und suchte den idealen Mann, und jedes Mal, wenn sie sich verliebte, war sie überzeugt, dieses Mal den Richtigen gefunden zu haben. Sie hatte allerdings definitiv eine Begabung dafür gehabt, die unpassendsten Männer zu wählen, häufig sogar gestörte Menschen, wie zum Beispiel den ehemaligen Pornostar, der unter einem Burnout-Syndrom litt. Sogar Rhonda, die Amanda weiß Gott nicht immer zustimmte, dass man als Frau einen gewissen Standard setzen sollte, musste zugeben, dass der König der Erotikfilme nicht unbedingt der Typ war, den man als den Fang des Jahrhunderts bezeichnen würde. Die Beziehung hatte nicht lange gedauert, und es war sowieso schon lange her. Doch ehrlich gesagt konnte Amanda nicht behaupten, dass die jüngsten Liebhaber der Freundin eine merkliche Verbesserung dargestellt hatten. Maryanne schien halt eine der Frauen zu sein, die sich mit sicherem Griff Männer aussuchten, die sie verletzten.

Amanda wusste, dass sie wenigstens einiges davon gegenüber Lieutenant MacLaughlin hätte erwähnen sollen. Aber sie wusste auch, wenn sie das getan hätte, wäre er noch länger als sowieso schon geblieben, und sie hatte für einen Abend mehr als genug gehabt von seinem prüfenden, kalten Blick. Dieser Mann hatte etwas total Enervierendes an sich. Zunächst mal war er ihr zu groß – groß und hart ... stark. Sie war an Tänzer gewöhnt, die im Allgemeinen schlank und drahtig waren. Sie waren zwar kräftig, aber nicht so massiv gebaut, nicht so offenkundig die pure Kraft und Energie. Sie hatten eine eher unaufdringliche Stärke.

An MacLaughlins Physis war absolut nichts Unaufdringliches. Der Körper, den Rhonda so bewunderte, sah aus, als würde er besser in Jeans, derbe Stiefel und Flanellhemd passen. Doch der konservative Anzug, das weiße, gestärkte Hemd und die dezent gestreifte Krawatte hatten seine Aura von Robustheit nicht um ein Jota verringert. Er wirkte unglaublich gefährlich. Als er sie berührt hatte, war sie sich schwach und hilflos vorgekommen, was sie definitiv nicht war, und sie hasste diese Empfindung. Er hatte sie einfach weggeführt, und es hatte nichts, aber auch gar nichts gegeben, was sie dagegen hatte tun können.

Es hätte ihm doch klar sein müssen, dass es in dieser Situation für sie das Schlimmste war, gegen ihren Willen manipuliert und grob behandelt zu werden. Das war aber nicht der Fall gewesen, denn er hatte nicht gezögert, Hand an sie zu legen, wann immer er offenbar das Bedürfnis danach hatte. Genau das nahm sie ihm außerordentlich übel. Es hatte ihr wieder einmal die Tatsache vor Augen geführt, dass, unabhängig davon, wie fit sie war – und sie war wirklich sehr fit –, Männer dennoch stärker waren.

Und, um allem die Krone aufzusetzen, hatte er ihr jedes Mal, wenn er sich auf sie konzentriert und abschätzend gemustert hatte, das Gefühl vermittelt, unzulänglich zu sein. Sie hatte bisher geglaubt, dass Brillengläser den Blick eines Menschen abschwächten, aber nicht MacLaughlins. Sogar hinter den leicht verschmierten Gläsern war sein Blick laserscharf gewesen, und sie war sich wie ein Wurm vorgekommen. So ungefähr das einzig Gute, was sie über diesen Mann sagen konnte, war, dass er immerhin die Sensibilität besessen hatte, nicht auf Rhondas Angebot zu bestehen, Maryannes Apartment zu mieten.

Ach, was soll’s. Ihre Einschätzung war wahrscheinlich nicht ganz fair. Sie war erschöpft und hatte höllische Angst. MacLaughlin war nicht durchgängig ein Scheusal gewesen. Er hatte einen Job zu erledigen, in dem er offensichtlich ziemlich kompetent war, und es hatte Momente gegeben, in denen er sogar so etwas wie Mitgefühl und Freundlichkeit gezeigt hatte. Sein Lächeln dieses eine Mal war überraschend liebenswert gewesen – man könnte fast sagen attraktiv. Aber irgendwie brachte sie ihn in ihrem Kopf mit dem Zustand in Verbindung, in dem sie sich befand: erschüttert und schwach und mit den Nerven am Ende. Ihre Hände wollten nicht aufhören zu zittern, und für sie symbolisierte MacLaughlin die gesamte entsetzliche Situation. Zum Teufel mit ihm! Er hätte ihr die Wahl lassen müssen; er hätte sie nicht einfach in die Leichenhalle zerren dürfen, um Maryanne zu identifizieren, ohne ihr eine Minute zu geben, sich innerlich darauf vorzubereiten.

Das bisschen Essen, was Amanda hinunterbekommen hatte, und der Wein, den sie vorher getrunken hatte, stießen ihr sauer auf. Sie schluckte mehrmals und zog den Bademantel fester um ihren zitternden Körper, während ihr kalter Schweiß ausbrach. Sie sah erneut Maryannes leblosen Körper unter dem Laken in dieser kalten Stahlschublade.

Es hatte Tausende von Diskussionen über den Showgirl-Schlächter im Nachtclub gegeben. Aber obgleich sie mit ihren Tanzpartnern die gruseligen Details des jüngsten Mordes in allen Einzelheiten besprochen und all die schaurigen Tatsachen in den Zeitungen und in den Nachrichten gesehen hatte, war Amanda nicht im Mindesten darauf vorbereitet gewesen, Maryanne damit in Verbindung zu bringen. Über die brutalen Morde eines Verrückten zu lesen oder zu reden war etwas total anderes als mit dem Resultat dieser Brutalität konfrontiert zu werden. Amanda hatte nur Maryannes Gesicht gesehen, aber das genügte ihr vollends.

Du meine Güte, was für eine Untertreibung: Es war zu viel gewesen, und sie konnte das Bild nicht abschütteln. Das war der eigentliche Grund dafür, dass sie MacLaughlin nicht verzeihen mochte, ihr keine Wahl gelassen zu haben bei der Identifikation.

Maryannes Gesicht war wächsern und gelblich grau in den Bereichen gewesen, wo es nicht durch hässliche, farbige Prellungen entstellt war. Amanda schauderte. Mein Gott. Maryanne war völlig zerschrammt, zerschlagen und unförmig gewesen. Eine flüchtige Bekannte hätte sie wahrscheinlich gar nicht erkannt mit dem grässlich geschwollenen Mund, der plattgedrückten Nase und den insgesamt entstellten Gesichtskonturen. Aber Amanda hatte sofort gewusst, dass sie es war. Wegen der kleinen Narbe, die durch ihre linke Augenbraue verlief. Außerdem hatte Maryanne unverwechselbare Ohrläppchen. Sie waren irgendwie wie eine Geige geformt, und Maryanne hatte sie gehasst. Sie hatte sie immer ihre Dumboflügel genannt und sich bemüht, sie irgendwie unter ihren Haaren zu verstecken. Wenn sie einen Kopfschmuck als Teil ihres Kostüms tragen musste, hatte sie sie mit einer lockigen Haarsträhne kaschiert. Und sie hatte stets große Ohrclips getragen, um von ihrer Form abzulenken.

Amanda wünschte, sie könnte aufhören, sie vor sich zu sehen, aber sie tauchte unablässig vor ihren Augen auf. Sie lief in ihrem Apartment auf und ab, streifte zwischen der Küche und dem Wohnzimmer und dem Esszimmer hin und her. Letzteres diente ihr auch als Studio. Sie blieb vor der Flügeltür stehen und presste die Stirn gegen die kühlen Scheiben, während sie hinausspähte in den Innenhof. Außer dem schwachen Licht der drei Verandalampen war es dunkel dort unten. Dass es so dunkel war, hieß, dass Maryannes Beleuchtung ausgestellt und ihre Vorhänge zugezogen waren. Die Polizei war für heute wohl fertig und gegangen.

Amanda ließ ein Stoffrollo vor der Flügeltür hinunter. Dann zögerte sie einen Moment, holte tief Luft und begann, die Möbel im Esszimmer umzurücken. Sie würde heute doch keinen Schlaf finden; da konnte sie genauso gut tanzen.

Die Umwandlung des Esszimmers in ein Tanzstudio war ihr zur zweiten Natur geworden, so dass sie nur kurze Zeit dafür brauchte. Sie stellte die Stühle ins Wohnzimmer, rollte den zusammenklappbaren Tisch und die antike Anrichte an die Nordwand und legte den Orientteppich darüber. Aus dem Kleiderschrank holte sie ihre zweiteilige Ballettstange, die ein Tischler des Nachtclubs für sie maßgefertigt hatte, schraubte sie zusammen und schob sie durch Klammern, die an der Spiegelwand angebracht waren, wo normalerweise die Anrichte stand.

Sie legte auf dem Weg ins Schlafzimmer ihren Bademantel ab, den sie über einen Stuhl legte, und zog ihr abgetragenes Trikot, dicke alte Socken und abgewetzte weiche Ballettschuhe aus Ziegenleder an. Dann steckte sie ihr Haar provisorisch hoch und ging zurück ins Studio. Ihr Herz pochte dumpf, aber sie packte die Stange und holte tief Luft. Behutsam atmete sie wieder aus und betrachtete sich im Spiegel, während sie sich zu voller Größe aufrichtete, bis sie ganz korrekt gerade stand. Dann machte sie ein tiefes Plie. Von da an bewegte sie sich automatisch durch ihre tägliche Trainingsroutine.

Sehr gut, dachte sie, als sich die innere Anspannung und die Nervosität langsam legten. Vielleicht kann ich schlafen, und das Essen behalte ich wahrscheinlich auch bei mir. Ich würde ja gern weinen, aber die Tränen kommen bestimmt nicht. Na gut, sei’s drum, ich kann tanzen. Tanzen konnte ich immer – sogar gleich, nachdem Teddy ...

Amanda unterbrach sich und starrte ihr schwitzendes, erhitztes Spiegelbild an. Sie beobachtete, wie sie die Zähne zusammenbiss und das Kinn leicht hob. Langsam nahm sie ihre Übungen wieder auf.

In ihrem bisherigen Leben hatte sie in jeder Situation tanzen können.

Amandas Leben drehte sich ausschließlich ums Tanzen. Tanzen war ihre Leidenschaft und ihre Zuflucht.

Sie hatte ihren ersten Tanzunterricht mit sieben Jahren erhalten – und es von der ersten Stunde an geliebt. In den Gesellschaftskreisen, in denen sie aufgewachsen war, galten Klavier-, Ballett- und Kunstunterricht als unerlässlich. Genau wie ihre Schwestern vor ihr, musste Amanda von klein auf Stunden nehmen. Dass dieser Unterricht aus ihr eine formvollendete und souveräne, junge, heiratsfähige Frau machen sollte, verstand sich von selbst.

Mit sieben Jahren interessierten sie derartige Dinge nicht. Für Amanda waren die Klavierstunden ein notwendiges Übel, das man erdulden musste, Kunst einigermaßen interessant, aber Tanzen – Tanzen war alles. Vom ersten Schritt an war Amanda davon gefesselt. Sie liebte alles, was mit Tanzen zu tun hatte: die große verspiegelte Halle; ihre gertenschlanke, anmutige Lehrerin; die Musik; ihre hübschen neuen rosa Strumpfhosen, das Trikot und die Ballettschuhe – einfach alles. An ihrem ersten Unterrichtstag ging sie durch die große Mahagonitür, und es war wie der Eintritt in eine andere Welt – eine, die aufregend und unendlich faszinierend war. Und es war eine Welt, die für sie sehr schnell mehr Heimat bedeutete, als die elegante Villa, in der sie lebte.

Amanda war noch nicht sehr alt, als ihr klar wurde, dass ihr Heim absolut nicht vergleichbar war mit denjenigen, die sie in den wenigen familienorientierten Programmen sah, die ihr Kindermädchen ihr im Fernsehen anzusehen erlaubte. Ihre Eltern waren keine warmen, verständnisvollen Menschen wie die TV-Eltern. Ihr Vater war Börsenmakler, der bis spät abends in der City arbeitete, und ihre Mutter – nun ja, Mutter war in allen wichtigen Komitees. Sie führten ständig Krieg auf wohlerzogene, kultivierte Weise, in sorgfältig gedämpftem Ton – natürlich nur zu Hause, da eine Charles irgendwelche Familienstreitigkeiten nie in der Öffentlichkeit austragen würde.

Als sie noch ziemlich jung war, erwartete Amanda eigentlich, dass ihre Eltern sich scheiden lassen würden. Diesen Weg, mit entsprechenden Wiederverheiratungen, waren schon viele Eltern ihrer Klassenkameraden gegangen, hatten sich sogar oft ein zweites oder sogar ein drittes Mal scheiden lassen. Amanda hatte so viele Stiefeltern kommen und gehen sehen im Leben einiger ihrer Klassenkameraden, dass sie manchmal nicht mehr wusste, wer aktuell zu wem gehörte.

Mit der Zeit wurde ihr jedoch klar, dass ihre Eltern nicht die Absicht hatten, sich scheiden zu lassen. Von ihrem Standpunkt aus betrachtet waren Scheidungen nur etwas für Trottel und Schwächlinge, obgleich keiner von beiden das je so geäußert hätte. Egal, wie man es ausdrückte, das entsprach genau ihrer Meinung. Vermögen wurden vergeudet durch Scheidungen, in alle vier Winde verstreut durch Unterhaltszahlungen für Frau und Kinder, und nicht zu vergessen die hohen Kosten getrennter Wohnungen und doppelter Clubbeiträge. Und ungeachtet moderner Konventionen schadete es in gewissen Kreisen durchaus dem Ruf. Nach Meinung von Robert und Arlene Charles gehörte es nicht unbedingt zu einer lebensfähigen Ehe, den Partner zu mögen. Mangel an Zuneigung war keine Entschuldigung dafür, Familienvermögen zu verschwenden und den Ruf aufs Spiel zu setzen, um eine Verbindung zu lösen, die beiderseitig von Vorteil war. Natürlich, wenn jemand die Regeln brechen wollte, so konnte er das tun – aber diskret.

Immer diskret.

Diskretion war die Stärke ihrer Eltern. Es gab nur sehr wenige Menschen außerhalb der unmittelbaren Familie, die etwas von den Streitereien der Charles’, die hinter verschlossenen Türen abliefen, mitbekamen. Es gehörte zu den Ironien des Lebens, fand Amanda, dass sogar einzelne Mitglieder der blaublütigen alten Garde häufig die Ehe der Charles’ der jüngeren Generation als bewunderungswürdiges Vorbild vor Augen hielten. Und Amanda musste zugeben, dass ihre Eltern in der Öffentlichkeit ein überzeugendes Beispiel ehelicher Harmonie ablieferten.

Amanda beugte sich über ihr Bein auf der Stange und seufzte. Allmächtiger, nichts war ihren Eltern wichtiger als das öffentliche Erscheinungsbild. Die unfassbare Scheinheiligkeit dahinter erschloss sich ihnen nicht einmal. Sie bemerkten sie gar nicht. Privat tobte der kalte Krieg, in sorgfältig formulierten Worten und kühlem Ton. Es war sehr zivilisiert... und absolut mörderisch. Was allein zählte, war die Aufrechterhaltung der Illusion, dass alles korrekt war.

Sie hätte leicht zu einem gefühlsmäßigen Krüppel werden können. Diese Umgebung, in der von einem erwartet wurde, sich unter allen Umständen in der Öffentlichkeit anständig zu betragen – ungeachtet der Streitereien, deren Zeuge man unentwegt zu Hause wurde –, war äußerst förderlich für so etwas. In Wahrheit fand Amanda auch, dass ihre beiden ältesten Schwestern extrem neurotisch waren, es aber in der ehrwürdigen Charles-Tradition natürlich versuchten, nicht zu zeigen. Sie waren das perfekte Ebenbild ihrer Eltern.

Amanda entkam dem gefühlsmäßigen Vakuum, das ihre Eltern Zuhause nannten, durch ihr Engagement und ihre Liebe zum Tanz. Und durch ihre Beziehung zu ihrer dritten Schwester, Teddy.

Teddy. Theodora Marie. Impulsiv, fröhlich und schön war sie ein Fluch für ihre Eltern und ein Segen für Amanda. Teddy brach jede Regel, die ihre Eltern erließen, lebte unbekümmert ihr eigenes Leben. Ob andere es für korrekt hielten oder nicht, war ihr egal. Sie war laut und kleidete sich auffällig, schockierte ihre Eltern in unregelmäßigen Abständen mit ihrem Benehmen; sie traute sich, ihre Stimme über das akzeptierte, wohlerzogene Maß zu heben – und sie hatte einen großen, unpassenden Freundeskreis, den sie anzog wie eine Solaranlage die Sonne.

Amanda liebte sie heiß und innig. Sie waren unterschiedlich in beinahe jeder Hinsicht, und es war verwunderlich, dass sie sich trotz ihrer Gegensätze so gut verstanden. Amanda mochte keine Obszönitäten und schmutzigen Witze; Teddy benutzte Ausdrücke und erzählte Geschichten, die einen Fernfahrer erröten ließen. Amanda achtete streng auf ihre Gesundheit; Teddy hielt nikotinarme Zigaretten und alkoholfreies Bier schon für ein prima Gesundheitsprogramm. Aber Teddy hatte ein großes Herz, war warm und großzügig, und sie überhäufte Amanda mit Aufmerksamkeit. In einem Haus, wo körperlicher Kontakt vermieden wurde, war Teddy wie ein warmer Kamin in einer kalten Winternacht. Sie war ausgesprochen taktil und spontan, und sie brachte Amanda zum Lachen über Dinge, bei denen sie, hätte sie jemand anderer ausgesprochen, wahrscheinlich zusammengezuckt wäre.

Teddy berührte gern. Das war etwas, was Amanda mit am liebsten an ihr mochte. Sie liebte es, der Empfänger von Teddys Aufmerksamkeit und Enthusiasmus zu sein. Es musste nichts Großartiges sein. Genau genommen waren es die Kleinigkeiten, die zählten. Zum Beispiel, wenn Teddy darauf bestand, etwas mit Amandas Haar anzustellen, alle möglichen Frisuren ausprobierte. Und dann gab es die »Theodora Charles Vorbereitungssitzungen für Hollywood«, in denen sie mit Amanda herumexperimentierte und sie pausenlos anders schminkte. Es spielte keine Rolle, dass nie jemand ihre Bemühungen zu sehen kriegte. Was wichtig war für die beiden, war der Kontakt und die Zeit, die sie miteinander verbrachten.

Gewöhnlich war es Teddy, die eine ihrer ausgelassenen Balgereien anfing. Unweigerlich war es ebenfalls sie, die klein beigab, da Amanda durch die vielen Jahre des Tanztrainings stärker war und immer gewann, aber nie, bevor sie Teddy vorgegaukelt hatte, dass sie dieses Mal siegen würde. Sogar wenn sie still irgendwo saßen, hielt Teddy Körperkontakt zu ihrer jüngeren Schwester, stieß sie mit dem Zeh oder einem Finger an, unterstrich damit das, was sie gerade sagte.

Sie regte zudem Amandas Intellekt an. Teddy war nicht nur gefühlsmäßig impulsiv, sondern dazu wissbegierig. Sie unterhielt sich gern über alles und jedes. Sie konnte albern und frivol sein, aber sie hatte auch eine ernste Seite. Häufig diskutierte sie hitzig mit Amanda über etwas, was sie gerade gelesen oder in den Nachrichten gesehen hatten. Einige ihrer Beobachtungen und Meinungen waren absurd, und einige waren richtig durchdacht. Genauso häufig konnte ihre Argumentation irritierend scharfsinnig sein. Auf jeden Fall bildeten sie sich stets eine eigene Meinung, übernahmen nicht irgendwelche Ansichten aus zweiter Hand, so wie ihre anderen Schwestern, wenn man sie je um ihre Meinung fragte.

Es hätte also erstickend sein können, in diesem Mausoleum aufzuwachsen, aber das war es nicht. Zwischen der Disziplin jahrelangen Ballettunterrichts und ihrer Zeit mit Teddy entwickelte Amanda ein ruhiges Vertrauen in ihre Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen. Sie entdeckte Alternativen zu der Lebensform, auf der ihre Eltern bestanden, und verfolgte diese mit unbeirrbarem Eifer. Und weil sie von Natur aus ruhiger war und ihre Methoden sich von Teddys greller Rebellion unterschieden, glaubten ihre Eltern meistens, dass Amanda genau das tat, was von ihr erwartet wurde. Ihre Stile mochten unterschiedlich sein, aber beide Schwestern schafften es, ihr Leben nach ihren individuellen Bedürfnissen auszurichten.

Dann, kurz bevor Amanda achtzehn wurde, geriet Teddy in Schwierigkeiten. Sie war beinahe zwanzig Jahre alt, und wie es bei Schwierigkeiten häufig ist, waren sie alles andere als einzigartig. Später war Amanda überzeugt, dass alles in Teddys Sinn hätte gelöst werden können, wenn nicht jemand von außen interveniert hätte.

Es hätte sein können.

Verdammt, waren sie und Teddy nicht dabei, eine Lösung auszutüfteln, als ihre Eltern es herausfanden und beschlossen, die Lösung selbst in die Hand zu nehmen?

Überwältigt von alten Erinnerungen hatte Amanda gar nicht bemerkt, dass sie aufgehört hatte zu tanzen. Sie starrte, ohne etwas zu sehen, auf ihr Spiegelbild und überließ sich . ihren Gedanken an früher.

Herrgott, wie oft hatten sie die Erinnerungen überfallen, unerwartet und hinterrücks? Allerdings war das letzte Mal schon eine ganze Weile her. Amanda hatte geglaubt, dass sie es endlich hinter sich hatte.

Sie erinnerte sich nie an die Szene im Ganzen. Es blitzten immer nur Bruchstücke vor ihrem inneren Auge auf, verschwommen an den Rändern und undeutlich. Sie erinnerte sich daran wie an einen schwer definierbaren Duft, wie an Gesprächsfetzen, wie an ein eingefrorenes Bild aus der Vergangenheit.

Ihre Schwester Eleonore blätterte eine Modezeitschrift durch, während sie unverhohlen den Streit zwischen Amanda und ihren Eltern belauschte.

Der Geruch von Kirschholz, das im Kamin knisterte; der Regen, der über die Fenster der Bibliothek rann. Das sanfte Licht der antiken Lampe auf dem polierten Tisch.

Das Echo ihrer leidenschaftlichen Stimme, als sie ihre Entscheidung verteidigte, nach Abschluss des Studiums nach New York zu gehen. »Ich will Tänzerin werden. Ich brauche Fortgeschrittenenunterricht, den ich hier einfach nicht bekomme!«

Der Abscheu in der Stimme ihrer Mutter, als sie erklärte, wie unpassend es für eine Charles wäre, ein, wie sie es nannte, »Tanzmädchen « zu werden – in dem gleichen Ton, in dem eine andere Mutter möglicherweise einen Kinderschänder beschriebe.

Eleonores Mund verzog sich zu einem höhnischen Lächeln. Dann ertönte ihre hochnäsige Stimme. » Oh, Mutter. Lass sie gehen. Schließlich könnte es weitaus schlimmer sein. Sie könnte schwanger sein wie Theodora.«

Die Stille – so umfassend, dass man das Knarren der alten Holzbalken hörte in der alten Villa. Dann der Höllenlärm, der losbrach, ein gedämpfter auf Seiten der Eltern, ihre eigene Stimme schrill vor Erregung.

»Woher weißt du das?«

»Du Miststück!«

»... Schwierig zu übersehen, wenn Teddy sich jeden Morgen in unserem Badezimmer übergibt.«

Teddy, die umgehend befragt wurde.

Und dann hinterher – o Gott, hinterher ...

Amanda blinzelte, befand sich plötzlich wieder in der Gegenwart. Sie nahm ihr Handtuch hoch und tupfte sich den kalten Schweiß von der Stirn. »Mist«, flüsterte sie schwach. »Mist, Mist, Mist.«

Das war genau das, was sie heute noch zur Abrundung ihres Tages brauchte. Da hatte sie nun versucht, bis zur Erschöpfung zu trainieren, damit sie ein paar Stunden Schlaf bekäme heute Nacht. Stattdessen hatte sie die eine Erinnerung ans Licht geholt, die sie garantiert wach halten würde.

Als sie das Studio wieder zum Esszimmer umfunktionierte, überlegte sie resigniert, dass sie sich jeden Gedanken an Schlaf abschminken konnte. Ihre Chancen wären um einiges besser gewesen, wenn sie weiter an den Mörder gedacht hätte, der gerne Tänzerinnen brutal umbrachte. Und an den großen Bullen mit dem kalten Blick, der offenbar sein Vergnügen daraus bezog, hilflosen Frauen das Resultat vorzuführen.

Gefährliche Liebe

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