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Tristan war schwer frustriert, als sie am nächsten Tag endlich das Morddezernat verlassen konnten. Er setzte sich auf den Beifahrersitz von Joes Auto und schlug die Tür zu. »Fahren Sie uns zum Nachtclub, Joe«, befahl er mit knapper Stimme. Dann machte er seinem Ärger ungehindert Luft. »Wir können allerdings von Glück reden, wenn wir überhaupt noch irgendjemanden dort antreffen. Diese verdammten hohen Tiere bei der Polizei – es ist überall dasselbe, egal, wohin man kommt.« Er atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen, und flüsterte, mehr zu sich selbst: »Die können mich alle mal.«

Joe grinste und tat so, als hätte er das nicht gehört. Er startete den Motor und sah zu, dass sie schnell wegkamen.

Tristan starrte aus dem Fenster auf die vorbeihuschenden grellbunten Lichter. Verdammt, Captain Tweedt und seine Forderung, sich gefälligst nicht von seinem Schreibtisch wegzurühren, während die neu installierte Spezialeinheit die Arbeit aufnahm! Er war kein Schreibtischcop, war es nie gewesen, und der Grund seiner Versetzung hierher war bestimmt nicht der, einen aus ihm zu machen. Aber es hatte Stunden sinnloser Diskussion bedeutet, Captain Tweedt endlich davon zu überzeugen.

Obgleich Tristan es nicht wissen konnte, als er ausdruckslos aus dem Fenster starrte, war das maßgebliche Argument, das den Captain umgestimmt hatte, Tristans eigene hitzige Beteuerung, dass das Hauptziel schließlich wäre, den Mörder so schnell wie möglich zu schnappen. Und der beste Weg, das zu tun, hatte er unbeirrt argumentiert, wäre keine Ein-Mann-Spezialeinheit, sondern läge in der Nutzbarmachung des gesamten Personals, das Tweedt zur Verfügung stünde, und dem Ausspielen der individuellen Stärke jedes Einzelnen.

Blutrünstige Schlagzeilen über Morde waren nicht populär in einer Stadt, die ökonomisch primär auf Tourismus setzte, und Tweedt saß jeder, angefangen vom Bürgermeister bis zum Polizeichef, im Nacken, die eine schnelle Lösung verlangten. Also, im Prinzip ein fairer Mann, konnte Tweedt Lieutenant MacLaughlins Argument schwer widerlegen, dass er hierher versetzt worden war, um Männer anzuleiten und ihnen tatkräftig zu helfen – und nicht, um hinter einem verdammten Schreibtisch zu hocken. Ziemlich beschämt, was er aber gut verbarg, erinnerte Tweedt sich reichlich spät an seine Unterhaltung mit MacLaughlins Vorgesetzten in Seattle. Der hatte ihm empfohlen, MacLaughlin seinen Willen zu lassen und ironisch angemerkt: »Die besten Ergebnisse bekommen Sie, wenn Sie dem sturen Schotten nicht reinreden, sondern ihn einfach machen lassen. « Also hatte Tweedt schließlich zugestimmt, was ihm nicht leichtgefallen war. Denn obwohl MacLaughlin gut vorbereitet wirkte und auch den Ruf hatte, ein verdammt guter Polizist zu sein, war er doch ein ziemlich widerspenstiger Zeitgenosse.

Danach hatte es geraume Zeit gedauert, die für die Spezialeinheit geeignetsten Männer zu finden im Dezernat. Joe war eine große Hilfe gewesen in dieser Beziehung. Und auch Tweedt, wie Tristan widerwillig zugeben musste – sobald der Captain sich halt erst mal erwärmt hatte für das Projekt. Als alle relevanten Leute schließlich versammelt waren, hatte Tristan eine Sitzung einberufen, um seine neue Spezialtruppe zu instruieren. Von da ab lief alles reibungslos. Zwar war Tristan häufig ungeduldig gegenüber Vorgesetzten, wenn er das Gefühl hatte, dass sie ihn davon abhielten, seinen Job auf die schnellste und effektivste Weise zu tun. Doch mit den einfachen Polizeibeamten konnte er hervorragend umgehen. Er hatte eine Nase für die jeweiligen Stärken eines Detectives und machte sie sich zunutze, was umgekehrt den Enthusiasmus seiner Truppe für den Fall förderte, an dem sie arbeiteten. Und er hatte gut recherchiert, bevor er Seattle verlassen hatte. Zu dem Zeitpunkt, als er und Joe das Dezernat verließen, begannen die Zahnräder, die seine Truppe in Gang setzen sollte, bereits ineinanderzugreifen.

Joe hielt am Randstein, und Tristan musterte die glitzernde Fassade des Hotels, in dem der Nachtclub war, wo die ermordete Frau gearbeitet hatte. Es befand sich mitten im Herzen von Renos Spielbezirk. Die beiden Männer stiegen aus dem Auto und gingen hinein.

Der Nachtclub befand sich neben dem Hauptcasino im Erdgeschoss des Hotels. Ein Bogen blinkender gelber Glühbirnen buchstabierte den Namen der Lounge über einem zugezogenen Vorhang aus Goldsamt, der den Eingang abschirmte. Zwei frei stehende Messingpfosten standen links und rechts des Vorhangs, verbunden mit einem Seil aus Samt, das leicht durchhing unter dem Gewicht eines Schildes, auf dem stand: LOUNGE GESCHLOSSEN. GEÖFFNET AB ACHT UHR ABENDS.

Das Casino war hell erleuchtet, die Lichter spiegelten sich in den unzähligen gespiegelten Oberflächen, und es herrschte ein Höllenlärm. Unentwegtes Geklingel und das laute metallene Geräusch von Silberdollars, die in die Ablagen der Spielautomaten fielen, vor denen meistens weißhaarige Damen saßen, überfielen Tristan, als er vor dem Nachtclubeingang zögerte und die Werbetafel in der Lobby überflog. Er beugte sich vor, um das acht-mal-zehn Zentimeter große Foto der Nachtclubtänzerinnen in der linken unteren Ecke besser sehen zu können. Sein Blick huschte schnell von Gesicht zu Gesicht. Er hielt nur einmal kurz inne, zögerte den Bruchteil einer Sekunde. Sein Herz begann, unerklärlich stark zu schlagen, und er straffte sich. Er musste zu viel Kaffee getrunken haben. Ungehalten lockerte er die Schultern und überstieg das Samtseil mühelos mit einem Schritt seiner langen Beinen. Dann schlüpfte er hinter den Vorhang. Joe folgte ihm.

Hinter dem Vorhang verschwanden die aufdringlichen Casinogeräusche. Es war nichts mehr als undeutliches Murmeln zu hören, und Tristan registrierte automatisch die gut durchdachte Akustik. Er und Joe blieben kurz stehen, um sich von der grellen Casinobeleuchtung an das Dämmerlicht in der leeren Lobby zu gewöhnen, bevor sie den kleinen Vorraum durchquerten. Ein Klavier klimperte irgendwo hinter der geschlossenen Flügeltür, die zu der eigentlichen Lounge führte. Tristan öffnete die Tür gerade weit genug, dass sie beide durchpassten.

Sie betraten eine Welt mit verwirrend unterschiedlichen Sinneseindrücken. Die Lounge selber war dunkel, aber die hohe Bühne stand in hellem Scheinwerferlicht, das noch den hintersten Winkel der Kulissen ausleuchtete. Der große Raum roch nach abgestandenem Zigarettenrauch, Parfüm und Schweiß. Ein Klavierspieler hämmerte einen jazzigen Rhythmus in die Tasten. Eine diktatorische Stimme rief Befehle, und der Bühnenboden hallte rhythmisch dumpf wider unter einem Dutzend Paar Füße, während die Tänzer probten.

Tristan stolperte über einen Stuhl, und er fluchte leise. Es war ein Fehler gewesen, in das grelle Scheinwerferlicht, das die Bühne beleuchtete, zu blicken, aber sekundenlang war er einfach gefesselt gewesen von den Tänzern. Sie waren verdammt gut – erstklassig, genau genommen. Er blieb stehen, wartete erneut, dass seine Augen sich an die Umgebung gewöhnten. Beinahe gleichzeitig war die Nummer auf der Bühne zu Ende, und es war plötzlich still im Raum, bis auf die unterschiedlichen Geräusche der Tänzer, die vernehmlich nach Luft schnappten, tief ein- und ausatmeten. Sie standen in kleinen, wechselnden Gruppen da, lockerten ihre Arme und Beine, und die unbedeckten Teile ihrer Haut glänzten vor Schweiß. Die bunte Mischung ihrer Tanzkleidung war der einzige Farbfleck auf der graubraunen Bühne.

»Ich habe absolute Neulinge schon besser tanzen sehen, Leute«, rief eine Stimme. Tristan folgte mit den Augen dem Urheber und entdeckte einen kleinen, schlanken Mann mit der unnatürlich blassen Hautfarbe einer Person, die selten das Tageslicht sah. Er saß an einem Tisch direkt vor der Mitte der Bühne. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen, und sein einer Fuß wippte nervös, während er heftig an einer weißen Filterzigarette sog. Alles in allem wirkte er wie ein wahres Energiebündel. »Wiederholen wir es noch einmal, und zwar von Anfang an. Und dieses Mal, Leute, möchte ich etwas mehr Professionalität sehen. Leg los, Lennie.«

Das Klavierspiel setzte wieder ein. Der Pianist schnipste mit den Fingern zum Rhythmus der Musik und rief: »Und fünf, sechs, sie-ben, acht ... «

Während er zählte, hatten die Tänzer und Tänzerinnen Aufstellung genommen, und bei acht setzten sie sich schlagartig in Bewegung. Für Tristans Auge sahen sie unglaublich professionell aus, und zum ersten Mal traf ihn die Erkenntnis, dass es diese Tanzgruppe ausgesprochen ernst nahm mit ihrer Kunst und sich genauso anstrengte, wie er sich in seinem Beruf anstrengte. Aber der Mann mit der arroganten, autoritären Stimme – Charlie? – sah das offenbar anders, da er beständig brüllte und Kritik übte, selten lobte.

»Halt den Kopf hoch, David«, bellte er. »Rhonda, nicht so träge beim Kick. Gut, hübsche Drehung, Kelly.« Drei Takte lang sagte er nichts, dann brüllte er: »Wer zum Teufel hat dir je gesagt, dass du tanzen kannst, June? Bleib im Takt! David! Kopf hoch, verdammt nochmal! Amanda, du wirfst schon wieder deinen Kopf zurück, halte ihn gerade. Herrgott, David, sieh nicht auf deine verdammten Füße, hoch mit dem Kinn! Und links und rechts und Drehung. Und alle und kick! Dies ist kein verdammtes Solo, Amanda, achte beim Kick gefälligst auf die anderen.«

»Gehen wir«, brummte Tristan, und er und Joe schlängelten sich vorsichtig durch die dicht an dicht stehenden Tische, auf denen umgedrehte Stühle standen, bis sie Charlie erreicht hatten. Als ihre Schatten über ihn fielen und das wenige Licht noch mehr dämpften, blickte er verärgert hoch.

»Wie sind Sie hier hereingekommen?«, schnauzte er sie an. »Dies ist keine gottverdammte Peepshow.« Die Aktivitäten auf der Bühne erregten kurzfristig wieder seine Aufmerksamkeit. »Pete! Hoch mit den Füßen – du bist doch kein verdammter Holzfäller.« Er wandte sich wieder den beiden Männern zu, die ihn unerschütterlich überragten, und blinzelte direkt in Tristans Dienstausweis, den er ihm aufgeklappt vor die Augen hielt. Er stieß seinen Stuhl zurück vom Tisch, drückte die Zigarette in einem überquellenden Aschenbecher aus und zündete sich eine neue an. Seine Haltung hatte sich insgesamt kaum verändert. Zigarettenrauch quoll aus seinen Nasenlöchern. »Um was zum Teufel geht es denn? Ich bin ein beschäftigter Mann, und soweit ich weiß, habe ich nichts Ungesetzliches getan.«

»Sind Sie Charlie Bagotta?«, fragte Joe, und der Mann nickte. Tristan schaute zur Bühne und entdeckte Amanda. Schweiß glänzte auf den unbedeckten Teilen ihrer honigfarbenen Haut, und auf ihrem dunkelroten Trikot und der weißen Strumpfhose zeichneten sich feuchte Flecken ab, während sie äußerst konzentriert und mit Begeisterung und Anmut ihre Tanzbewegungen übte. Sie hatte etwas an sich... etwas sowohl kühl Distanziertes als auch heiß Erotisches – eigentlich ein Widerspruch in sich.

Tristan runzelte die Stirn. Bagotta wusste nicht, um was es ging? Teufel auch, hatte sie diesem Clown gegenüber nicht mal erwähnt, dass eine seiner Tänzerinnen gerade ermordet worden war? Seltsamerweise spürte er ein Gefühl der Enttäuschung. Sie war ihm gestern völlig aufgewühlt erschienen. Vielleicht hatte ihr jedoch ein einziger Tag der Trauer um ihre Freundin genügt, bevor sie wieder zur Tagesordnung überging. Gestern hatte er ihre Fähigkeit bewundert, gelassen in einer angespannten Situation zu bleiben, jedenfalls hatte er sie keinesfalls als total cooles Miststück abgestempelt, ohne jedes Gefühl. Er konnte zwar nicht genau einschätzen, was für ein Typ Frau sie war, aber »kalt« wäre ihm nicht zu ihr eingefallen. Er gab zu, dass er sie irgendwie bewundert hatte für die Stärke, die sie gezeigt hatte.

Aber eine solche Reaktion heute bewunderte er nicht, überhaupt nicht. Diesen blöden Kerl Charlie konnte er nicht leiden – oder die Art, wie er seine Tänzer behandelte. Noch weniger leiden konnte er eine Frau, die so gefühllos war, gestern ihre tote Freundin zu identifizieren und es offenbar bereits heute nicht mehr für nötig hielt, ihre Tanzkollegen über das Verbrechen zu informieren. Sie musste wirklich ein höllisch temporeiches Leben führen, wenn sie nicht einmal so etwas für wichtig genug hielt, es zu erwähnen. Was hielten diese Leute denn für wichtig? Er fing schon an zu glauben, dass Tänzer durchgängig egoistische und kaltherzige Menschen waren, die mit dem Rest der Menschheit nichts zu tun haben wollten.

»Wir sind hier wegen Maryanne Farrel«, sagte Tristan mit eisiger Selbstbeherrschung, die nichts von seinen persönlichen Gefühlen preisgab.

»Ach? Was hat sie angestellt? Ich werde sie nicht wieder engagieren. Das können Sie ihr gern ausrichten. Keiner verschwindet einfach ohne Erklärung aus Charlie Bagottas Produktionen und erwartet dann ... «

»Sie ist tot, Mann«, unterbrach Tristan ihn, und es bereitete ihm heftiges Vergnügen zu sehen, wie die Farbe aus dem Gesicht dieses aufgeblasenen kleinen Wichtigtuers wich und Bagotta käseweiß wurde. Sehr unprofessionelle Haltung, MacLaughlin, schalt Tristan sich selbst. Aber gleich darauf zuckte er die Achseln. Was soll’s. Er bemerkte, dass Joe es ebenso wenig lassen konnte, Charlie eins auszuwischen.

»Wir befürchten, dass Miss Farrell das jüngste Opfer des Showgirl-Schlächters ist«, sagte er. »Ich bin ein wenig überrascht, dass Amanda Charles oder Rhonda Smith es Ihnen nicht gesagt haben, da Miss Charles gestern die Leiche für uns identifiziert hat und Miss Smith ebenfalls im Leichenschauhaus war, um sie moralisch zu unterstützen. «

Charlie rieb sich den Schädel und zerzauste sein dünnes Haar, das nach allen Seiten abstand. »Amanda und Rhonda hatten gestern Abend frei«, murmelte er zerstreut. »Und sie sind heute Morgen sehr spät gekommen. Sie kamen in letzter Minute angerannt, wollten mit mir sprechen, aber ich habe ihnen gesagt, dass sie ihren Hintern auf die Bühne bewegen sollen. Sie hatten die Proben bereits unterbrochen, und sie wissen verdammt genau, was ich von Unpünktlichkeit halte.« Er fasste sich in den Nacken und knetete seine Nackenmuskeln. »Tot. Du lieber Gott.«

Der Klavierspieler hatte aufgehört zu spielen, und die Tänzer hielten verblüfft inne, beschatteten die Augen vor dem grellen Scheinwerferlicht, während sie in die dunkle Lounge spähten. Wieso schimpfte Charlie nicht wie ein Rohrspatz? Vielleicht hatte er einen Herzschlag bekommen, spekulierte jemand hoffnungsvoll. Aber jemand anders wisperte, dass da Leute waren, die sich mit ihm unterhielten. Sofort strengte sich jeder noch mehr an, etwas zu erkennen, da Charlies Einstellung zu Unterbrechungen während der Proben berüchtigt war. Da schienen jedoch zwei große, schattenhafte Gestalten zu stehen, die sich über ihn beugten, kaum erkennbar von der Bühne aus. Während die Truppe sich schweigend und neugierig zum Rand der Bühne bewegte, konnte sie zwar murmelnde Stimmen ausmachen, doch die waren zu leise, um etwas zu verstehen. Rhonda war diejenige, die ihn aufgrund seiner Größe erkannte. Ernst drehte sie sich um und sah Amanda an. »MacLaughlin.«

Amandas Mund wurde trocken, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Es hatte bis zum frühen Morgen gedauert, bis sie endlich eingeschlafen war, und dann hatte sie wie eine Tote geschlafen, bis das Klopfen an der Tür sie aufgeweckt hatte. Es war ein böses Erwachen gewesen, in mehr als einer Weise. Sie war völlig verwirrt, hatte einen Moment lang vergessen, wo sie war und was gestern passiert war. Sie hatte den Wecker zur Hand genommen, geflucht, und Rhonda, die gegen die Tür hämmerte, zugeschrien, dass sie gleich käme. Übergangslos hatten sie dann die Bilder von gestern mit voller Wucht überfallen – Bilder von Maryanne, dem Leichenschauhaus, von MacLaughlin und seinem undurchdringlichen, abschätzenden Blick, und von Teddy – wie sie ausgesehen hatte, als Amanda sie zum letzten Mal gesehen hatte. Die Erinnerungen waren bleischwer, drohten sie unter sich zu begraben.

Der Zeitpunkt hätte nicht schlechter sein können, da sie nicht mehr als eine Minute gehabt hatte, um sie zu vertreiben und sich zu sammeln. Sie hatte kaum Zeit gehabt, sich die Zähne zu putzen, ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zu binden und sich einen Mantel über das Tanztrikot zu werfen, bevor sie und Rhonda aus der Tür stürmten. Dann hatten sie es in einer Stadt, die gar nicht so viele Ampeln hatte, geschafft, jede, aber auch wirklich jede rote Ampel zu erwischen. Sie hatten nur wenig geredet – gerade genug, um zu entscheiden, dass sie Charlie und der Truppe zwar ungern, aber dennoch von Maryannes Ermordung berichten mussten.

Wie sich jedoch herausstellte, war keine Zeit dafür gewesen. Charlie hatte geschäumt, als sie endlich mit zehnminütiger Verspätung hereingerannt kamen, und er hatte sich strikt geweigert, sich nur ein Wort von ihnen anzuhören.

Amanda hörte das Flüstern und die entsetzten Ausrufe, als Rhonda von den gestrigen Ereignissen berichtete. Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer über die Bühne, schneller als ein Flächenbrand in einer ausgedörrten Prärie. Sie stand schweigend inmitten des unterdrückten, erschrockenen Stimmengewirrs und starrte hinunter auf den großen Schatten, der sich über Charlies Tisch beugte. Für eine kurze Weile, während sie probten, hatte sie Maryannes Ermordung ausblenden können. Eigentlich mochte sie sich nicht sonderlich dafür, dass sie den Kopf so in den Sand steckte, aber sie konnte nicht anders. Sie war noch nie in einer vergleichbaren Situation gewesen, und es erschütterte sie bis ins Mark. Sie wusste nicht, was sie denken oder fühlen oder tun sollte. Aber irgendwie vermischte sich alles in ihrem Kopf mit Teddy, und sie spürte, dass sie zunehmend die Kontrolle verlor.

Die Unterhaltungen erstarben nach und nach, als die drei Schatten in der Lounge sich vom Tisch lösten und auf die Bühne zukamen. Als Charlie die Treppe vom Orchestergraben hochstieg, schwieg die gesamte Gruppe. Misstrauisch beäugten sie die beiden großen Polizisten.

»Ich nehme an, dass ihr die Neuigkeiten gehört habt«, sagte Charlie und warf Rhonda und Amanda einen vorwurfsvollen Blick zu. »Danke, dass ihr mich informiert habt, meine Damen.«

»He, wir haben es versucht«, protestierte Rhonda. »Falls du dich erinnerst: Du hattest keine Zeit, uns zuzuhören.«

»Ja. Ich weiß, Rhonda«, gab er zu und zuckte schuldbewusst die Achseln. »Tut mir leid.« Dann sah er Amanda direkt an und fragte unerwartet freundlich: »Alles okay mit dir? «

Sein Mitgefühl warf Amanda beinahe um. »Umm«, erwiderte sie und wandte den Kopf ab, hoffte, dass er das als Bejahung betrachtete und nicht weiter nachfragte. Sie fühlte sich plötzlich sehr schwach und hatte Angst, dass sie völlig die Fassung verlor. Ihr Kinn und die Unterlippe zitterten bedenklich, und sie presste die Lippen fest zusammen, befahl sich, nicht zu weinen. Sie starrte blind in die Kulissen, bis sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte. »Es geht mir gut«, brachte sie schließlich mit brüchiger Stimme hervor. Für einen flüchtigen Moment fing sie MacLaughlins Blick auf.

Es war genau wie gestern. Amanda hatte keine Ahnung, was MacLaughlin dachte, aber wieder hatte sie das deutliche Gefühl der Ablehnung, oder was immer es auch war. Jedenfalls war es nicht schmeichelhaft für sie. Sie zuckte die Achseln und drehte den Kopf zur Seite. Wieso interessierte sie das überhaupt? Sollte er sie ruhig wie einen bösartigen Virus unter einem Mikroskop studieren; sie würde kaum schlaflose Nächte haben, weil sie umgetrieben wurde von seiner Meinung über sie. Doch eventuell überreagierte sie ja auch; seine Miene war schwer zu lesen.

Amanda hätte beinahe geschnaubt. Schwer? Du liebe Güte, das war lächerlich: Es war absolut unmöglich. Sie hatte noch nie jemanden kennen gelernt, der so undurchschaubar war, was zum Teil erklärte, dass er sie so nervös machte. Normalerweise ahnte sie zumindest, was jemand dachte, wenn sie sein Mienenspiel beobachtete, aber MacLaughlins Gesicht gab absolut nichts preis. Der Mann war ein Musterbeispiel für Distanziertheit. Seine Augen wirkten unbeteiligt und waren halb geschlossen, und in dem straffen Gesicht rührte sich nicht der kleinste Muskel. Sein Mund war absolut entspannt, genau wie seine dichten rotblonden Augenbrauen.

Nie zuvor hatte die ausdruckslose Miene eines Mannes es geschafft, dass sie sich so klein und unbedeutend vorkam.

Amanda hatte sich mit den Jahren viel auf ihre Selbstdisziplin eingebildet. Sie war zwar unabdingbar für Tänzer, aber jenseits aller Notwendigkeit nicht leicht aufrechtzuerhalten. Sie hatte hart gearbeitet, um sich ein bestimmtes Maß an Selbstdisziplin zuzulegen. Doch während sie MacLaughlins ausdruckslose Miene verinnerlichte, kam ihr das erste Mal in den Sinn, dass Selbstdisziplin nicht notwendigerweise dasselbe war wie Selbstkontrolle. Amanda konnte sich dazu zwingen, jede Aufgabe zu erledigen, egal, wie unerfreulich sie sein mochte. Aber sie hatte es nie geschafft zu verbergen, welche Wirkung Unfreundlichkeit auf sie hatte. Auf der anderen Seite hatte MacLaughlin sicher genügend mit Unfreundlichkeit zu tun. Sein kühler, zynischer Blick sagte jedoch aus, dass er seine Reaktion darauf im Griff hatte. Kein Mensch konnte einschätzen, was genau ihn das kostete – wenn es ihn überhaupt irgendetwas kostete.

Momentan gab es alle möglichen Unsicherheiten in ihrem Leben. Ihre gegenwärtige Situation hatte sie in ein nervöses Wrack verwandelt. Aber wenigstens waren ihre Reaktionen menschlich. MacLaughlin dagegen glich einem Androiden aus irgendeinem Science-Fiction-Film – solche, die zwar menschlich aussehen, aber keine menschlichen Gefühle haben. Sie warf ihm noch einen kurzen Blick zu, und obgleich sie versuchte, genauso ausdruckslos wie er zu wirken, befürchtete sie, nicht sehr erfolgreich damit zu sein. Ihr war schon mehr als einmal der Ratschlag erteilt worden, sich bloß nicht mit Pokerspielen ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Sie hatte Recht; ihr Versuch war alles andere als erfolgreich. Amanda verfügte zwar über eine ganze Batterie von Abwehrmaßnamen im privaten Bereich, dennoch konnte man in ihrem Gesicht wie in einem Buch lesen. Sie mochte es für unmöglich gehalten haben, Tristans Reaktionen zu ergründen, aber er hatte umgekehrt keinerlei Probleme damit, ihre zu lesen. Ihre Verachtung für ihn war kristallklar zu erkennen, und es störte ihn. Es brachte ihn auf. Zum Teufel auch – es erregte ihn. Mein Güte, er würde nur zu gern... abrupt wandte er sich ab. Mit ruhiger Stimme bat er die Versammelten um ihre Aufmerksamkeit. Innerhalb weniger Minuten hatte er die Namen aller Mitglieder der Truppe und begann sie im Stillen zu sortieren.

Die anderen Tänzer ließen Amanda in Ruhe, als sie hin und her schlenderten und mehr oder weniger offen die beiden Polizisten bei der Arbeit beobachteten. Sie hatte sowieso nicht das Bedürfnis, sich mit jemandem zu unterhalten, aber als sie sich auf den Boden setzte, fühlte sie sich isoliert – ein Gefühl, das noch verstärkt wurde durch die Blicke, die in ihre Richtung geworfen wurden, und die Art, wie der Rest der Truppe einen Bogen um sie machte. Sie wünschte, sie wüsste, ob sie aus Rücksichtnahme Abstand hielten, oder ob sie schlicht der Person, die Maryanne identifiziert hatte, aus dem Weg gingen. Seit drei Jahren war diese Tanztruppe mehr Familie für sie gewesen, als ihre eigene es je gewesen war, aber jetzt fühlte sie sich wie das enterbte Stiefkind.

So viel melodramatisches Selbstmitleid stärkte ihr den Rücken.

Du kannst nicht beides haben, Amanda Rose, rügte sie sich. Entweder willst du von allen getröstet oder in Ruhe gelassen werden. Aber fang um Gottes willen bloß nicht an, dich in Selbstmitleid zu suhlen, nur weil das Leben eben nicht perfekt ist und dir beides gibt.

Außerdem konnte sie absolut nicht sagen, ob sie erleichtert oder verletzt war durch die Distanz, die die anderen hielten. In ihrem gegenwärtigen Zustand war es sowieso einerlei. Egal, ob jemand etwas Freundliches oder Gemeines zu ihr sagte, sie hatte das Gefühl, jeden Moment in Tränen ausbrechen zu müssen.

Die erste Amtshandlung von Lieutenant MacLaughlin war, dass er all diejenigen bat vorzutreten, die beide Opfer kannten. Amanda tauschte erleichterte Blicke mit Rhonda aus, als Pete Schriber vortrat. Wenigstens damit mussten sie ihr Gewissen nicht auch noch belasten.

Eine Hand drückte Amandas Schulter, und erschrocken fuhr ihr Kopf hoch. June, der jüngste Neuzugang in der Truppe, beugte sich über sie und lächelte mitfühlend. »Es tut mir leid, dass du Maryanne identifizieren musstest«, flüsterte sie. »Du warst von Anfang an so nett zu mir, hast mir mit den Schrittfolgen geholfen, wenn ich zu trottelig war und überhaupt.«

Tränen der Dankbarkeit stiegen Amanda in die Augen, und sie lächelte unsicher, als sie nach oben griff und Junes Hand auf ihrer Schulter kurz drückte. »Danke«, erwiderte sie leise, und sie lächelte immer noch, als die Tänzerin wieder ging. June war süß. Sie stammte aus Georgia und war tatsächlich eine sehr gute Tänzerin – nicht annähernd so unbeholfen, wie sie sich selbst dargestellt hatte. Sie reagierte allerdings regelmäßig wie ein aufgescheuchtes Huhn auf Charlies Schnauzereien. Amanda hatte sie ein paarmal zu sich nach Haus eingeladen, und sie hatten die Möbel verrückt und in ihrem umgebauten Studio geübt. Da tanzte June immer wunderschön. Auch während der tatsächlichen Aufführungen machte sie nie einen Patzer. Nur wenn Charlie sie anpöbelte und seine Gemeinheiten von sich gab, verkrampfte sie sich und beging Fehler. Ihre Geste und ihre Worte erwärmten Amanda, taten ihrem angeknacksten Selbstbewusstsein wohl.

Weitere Mitglieder der Gruppe kamen nach und nach an Amanda vorbei und hielten entweder lange genug inne, um ihr etwas Ermutigendes zuzuflüstern, oder sie leicht zu tätscheln, bevor sie weitergingen. Sogar Randy, der einzige Tänzer, mit dem sie einfach nicht warm wurde, blieb lange genug stehen, um ihr etwas Nettes zu sagen. Und dieses Mal behielt er auch seine Hände bei sich. Die Unterstützung der gesamten Gruppe beruhigte ihr angegriffenes Nervenkostüm, und sie fühlte sich fast schon wieder normal, hatte das erste Mal seit mehr als vierundzwanzig Stunden ihre Gefühle beinahe wieder unter Kontrolle, als sie hochblickte und merkte, dass Lieutenant MacLaughlin sie beobachtete.

In seiner Miene lag weder Mitgefühl noch Aufmunterung, nur abschätzende Musterung, und Amandas Magen zog sich zusammen. Bitterer Groll schnürte ihr die Kehle zu, als er die große Hand hob und sie auf arrogante Weise mit gekrümmtem Zeigefinger zu sich winkte. Amanda riss sich das Handtuch vom Hals und sprang hoch.

Als sie quer über die Bühne auf ihn zuging, wurde sie plötzlich von einer Hand, die aus dem Nichts kam, zurückgehalten. Die Hand packte sie im Nacken, und sie prallte gegen einen starken männlichen Körper. Das alles kam so unerwartet, dass sich ihre Augen weiteten vor Überraschung. Sie trat einen Schritt zurück und blickte hoch in die bewundernden Augen eines männlichen Tanzkollegen.

»Du meine Güte, David«, keuchte Amanda. »Du hast mich irre erschreckt.«

»Tut mir leid, Süße«, murmelte er. »Ich wollte dir nur sagen, dass du meiner Meinung nach eine mutige Frau bist. «

Dankbar entspannte sie sich für einen Moment und legte die Stirn an sein Kinn. Dann hob sie den Kopf wieder, legte ihn in den Nacken und lächelte ihn an. »Ich danke dir.«

Er grinste, küsste sie auf die Stirn und fuhr ihr mit den Händen über die nackten Arme von den Schultern bis zu den Fingerspitzen. Er hielt ihre Hände fest und drückte sie freundlich, bevor er zurücktrat und sie frei gab.

Tristan, der sie beobachtete, hatte sich schon halb vom Stuhl erhoben, als der muskulöse Tänzer Amanda im Nacken gepackt hatte. Automatisch hatte er die Geste als Auftakt für etwas Gewalttätiges interpretiert. Allerdings waren Serienmörder in der Regel gerissener, als sich in Sichtweite mehrerer Polizeibeamter zu präsentieren. Dennoch, es waren schon merkwürdigere Dinge passiert. Aber während er die beiden beobachtete, nahm er die Hand vom Schulterhalfter unter seinem Jackett. Genervt ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen. Der Mann war offenbar einer von Miss Charles’ Liebhabern. Zweifellos nur einer von vielen.

Er wüsste nicht, was ihn das angehen sollte. Es hatte nichts zu tun mit ihm.

Von dem leichten Lächeln, das Davids Worte bei Amanda hervorgerufen hatten, war nichts mehr zu sehen, als sie vor dem Stuhl, auf dem er rittlings saß, stehen blieb und mit ironischer Stimme gedehnt sagte: »Sie haben mir gewunken? «

»Aye«, erwiderte er, und seine Stimme war genauso kühl wie ihre. »Der Mann da drüben ist Sergeant Johnson. Er ist hier, um Ihre Fingerabdrücke zu nehmen.« Tristan wedelte mit der Hand in Sergeant Johnsons Richtung und entließ sie wortlos, in dem er sich wieder auf die Papiere in seiner Hand konzentrierte.

Er hatte Joe vorhin gebeten, den Mann von der Spurensicherung hierher zu beordern, um das Ausschlussverfahren zu beschleunigen. Sie hatten Miss Farrels Apartment nach Fingerabdrücken abgesucht wegen der vagen Möglichkeit, dass der Mörder dort gewesen war, auch wenn man die Leiche in der Nähe des Golfplatzes gefunden hatte, meilenweit entfernt. Aber es war sinnlos, die riesigen Dateien bekannter Straftäter mit den zwei bis drei Abdrücken zu vergleichen, die sie in ihrer Wohnung gefunden hatten, bevor sie nicht ausgeschlossen hatten, dass diese Abdrücke schlicht von regelmäßigen Besuchern Maryanne Farrels stammten. Da sie zusammen arbeiteten und in einem Haus wohnten, waren Miss Charles und Miss Smith die wahrscheinlichsten Kandidatinnen, die man ausschließen konnte. Aber sie waren absolut nicht die einzigen. Er und Detective Cash überprüften bei jedem Tänzer, den sie befragten, ob einer von ihnen kürzlich Farrels Wohnung einen Besuch abgestattet hatte.

Tristan war sich bewusst, dass Amanda noch vor ihm stand, aber er ignorierte sie gezielt, bis sein Kopf hochfuhr bei dem schieren Entsetzen ihres kaum hörbaren »Mein Gott!«. Sie starrte ihn ungläubig an, die Augen dunkelblaue Flecke in dem weißen Gesicht. »Sie können doch nicht ernsthaft glauben, dass ich etwas mit Maryannes Tod zu tun habe«, sagte sie heiser. Sie schwankte leicht. »Das können Sie nicht.«

Tristan fluchte und sprang auf. Er wirbelte seinen Stuhl herum und schob Amanda darauf, dann drückte er ihr den Kopf zwischen die Knie. Ihr Nacken war eiskalt, und Tristan hockte sich vor sie hin, zog sein eigenes warmes Wolljackett aus und legte es ihr um die Schultern. Er zog es fest um sie und stützte ihre Oberschenkel seitlich mit den Unterarmen ab, übertrug auf diese Weise noch etwas mehr von seiner Körperwärme auf sie. Vor lauter Ärger über seinen Fehler, sie nicht adäquat vorbereitet zu haben, erklärte er ihr brüsk die Notwendigkeit, ihre Abdrücke zu nehmen.

Die Wärme seines Jacketts und seiner großen Hände an ihren Hüften durchdrang allmählich den eisigen Schock, der Amanda gefangen hielt. Eine kleine Ecke ihres Bewusstseins registrierte überrascht, wie viel Wärme und Duft von einem Mann ausgehen konnten, von dem sie nicht hundertprozentig sicher war, dass er überhaupt ein Mensch war. Aber alles, was sie hörte, war die unpersönliche Kälte und das Summen seiner Stimme nahe an ihrem Ohr. Langsam hob Amanda den Kopf. Sie stemmte die Ellbogen auf die Knie und fuhr sich mit zittrigen Händen durchs Haar, um es aus der Stirn zu streichen. Dadurch kam sie Tristan ziemlich nahe.

»Sie Mistkerl«, sagte sie schwach. »Das hätten Sie auch gleich sagen und mir das hier ersparen können.« Sie ließ die Hände in den Schoß sinken und straffte sich. »Wissen Sie, was ich glaube, Lieutenant MacLaughlin? Ich glaube, dass es Ihnen echte Befriedigung verschafft, mich zu terrorisieren. «

Ganz kurz verkrampften sich Tristans Hände und quetschten ihre Hüften, seine Daumen gruben sich schmerzhaft in ihre Hüftknochen. Doch sofort lockerte sich sein Griff, und seine Hände glitten herab, als er auf die Hacken abrollte und sich aufrichtete. Er überließ es Amanda zu entscheiden, ob er sie aufgrund ihrer Worte losgelassen hatte, oder ob es automatisch passiert war, weil er sich aufrichtete. Sein Gesicht war so militärisch streng und ausdruckslos wie üblich, als er sie von seiner luftigen Höhe herab betrachtete. Aufgewühlt und wütend und nicht bereit, sich von ihm auch nur im Geringsten einschüchtern zu lassen, erhob Amanda sich ebenfalls. Sie schüttelte sein warmes Jackett ab, bedauerte den Verlust der Wärme, konnte in diesem Moment aber nicht mal indirekte Körperwärme von ihm ertragen. Schweigend hielt sie es ihm hin.

»Es tut mir leid, dass Sie das denken«, sagte Tristan steif, als er ihr das Jackett abnahm und es sich mit gekrümmtem Zeigefinger über die Schulter hielt. Er betrachtete sie unbewegt durch die leicht beschlagenen Gläser seiner Hornbrille. »Es war unsensibel von mir, nicht zu erklären, warum wir die Fingerabdrücke brauchen, aber ich hatte bestimmt nicht die Absicht, Sie zu erschrecken, Lass.«

Amanda reckte das Kinn. »Mein Fehler«, sagte sie mit deutlich hörbarem Zweifel. Sie hätte ihn nur zu gern aufgefordert, ihr vom Leib zu bleiben, und gesagt, dass sie in Zukunft ausschließlich mit Detective Cash zu tun haben wollte. Aber sie wollte sich keinesfalls anhören müssen, dass das nicht sie zu entscheiden hatte. Also hielt sie seinen Blick noch einen Moment länger fest, um ihm zu signalisieren, dass sie sich nicht schikanieren ließ, und wandte sich schließlich ab.

Auch als sie schon weg war, sah Tristan noch den Ausdruck ihrer großen Augen mit dieser unglaublichen Farbe vor sich. Sie hätte ihn am liebsten getötet mit ihrem Blick. Er spürte einen Anflug des Bedauerns, als er sie den Raum durchqueren und auf den Tisch zugehen sah, wo Sergeant Johnson sein forensisches Zubehör aufgebaut hatte. Ärgerlich schnaubend wandte er sich dem nächsten Punkt auf seiner Liste zu.

Das Leben war einfach voll von Bedauern. Sicher war nur, dass es viel zu tun gab.

Gefährliche Liebe

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