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Tristan hätte nicht gedacht, dass er Amanda Charles’ Apartmenthaus auch nur eine Sekunde lang in Erwägung ziehen würde, aber das Gebäude überraschte ihn doch außerordentlich. Angesichts der unerwarteten Kultiviertheit ihrer persönlichen Erscheinung hatte er eher etwas Schickes und Modernes erwartet, oder Elegantes und Kühles – nicht dieses weitläufige, hell gestrichene Gebäude, das mitten in einem Wohngebiet der gehobenen Mittelklasse stand.

Es war ein großes, ausgedehntes, älteres Haus, das auf drei Ebenen um einen Steingarten aus Farnen und Blumen herumgebaut war. Die schieferblauen hölzernen Fensterläden und Blumenkästen und die dunkelbraun-blauen Holzverkleidungen der großen Sprossenfenster gaben dem Ganzen einen warmen, heimeligen Eindruck. Erst bei näherem Hinsehen entdeckte Tristan, dass die beiden glänzenden, hellbraunen Türen, die auf einen kleinen Innenhof führten, jeweils zu separaten Wohnungen gehörten. Neben den Türen war oben an der Wand ein auf Hochglanz polierter Messingbriefkasten angebracht mit eingravierten Namensschildern in kleiner Schreibschrift, gefolgt von einem Großbuchstaben, der die einzelnen Wohneinheiten kennzeichnete. Die dritte Tür war nicht so ohne weiteres sichtbar, aber Tristan nahm an, dass sie sich in der Nische oberhalb einer kurzen Treppe von breiten Backsteinstufen befand, die zur mittleren Ebene führte.

Jedes Apartment war individuell gestaltet. Das oberste hatte einen kleinen Holzbalkon, der einen Teil des Steingartens überragte, und das unterste hatte eine ebenerdige Veranda, deren schlanke Holzsäulen beinahe zu zerbrechlich aussahen, um den Boden des darüber liegenden mittleren Apartments zu tragen. Dieses wiederum war mit einer Flügeltür ausgestattet, die zu einem kleinen, schmalen Holzbalkon führte.

Der tief liegende Innenhof war umgeben von einem niedrigen Palisadenzaun, der oben um den Steingarten verlief, und vermittelte die Illusion von Abgeschiedenheit. Amanda führte sie über breite, flache Stufen vorbei an der Abzweigung, die zu dem obersten Apartment führte. Ein schmaler Backsteinpfad wand sich durch den Steingarten und führte zu einer weiteren Treppe hinunter in den Innenhof und zur untersten Wohnung. Aber sie bog nach links ab und erklomm die flachen Stufen zu dem Apartment, dessen Eingangstür sich in einem kleinen Alkoven befand. Tristan spähte hinunter in den Hof, als sie die Treppe hochstiegen zu ihrem Apartment, neugieriger, als er zugeben wollte. Er bemerkte, dass der Innenhof sehr, aber nicht zu sehr gepflegt war – die Blumen und Farne konnten sich frei entfalten, waren nicht zu stark beschnitten.

Amanda atmete tief durch, bevor sie ihre Wohnungstür aufschloss und beiseitetrat, um alle hineinzulassen. Sie freute sich nicht gerade auf diese Invasion in ihre Privatsphäre, und sie hasste es, dem machtlos gegenüberzustehen.

Sie stieß leise die Luft aus und wusste, dass das Beste, worauf sie realistischerweise hoffen konnte, war, es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Herrgott, lass sie einfach nur ihre Fragen stellen und verschwinden. Sie hegte immer noch die schwache Hoffnung, ein langes, heißes Bad nehmen zu können heute Abend, um die Eiseskälte zu vertreiben, die ihr bis ins Mark gedrungen war.

Es war dunkel drinnen. Rhonda, die als Erste durch die Tür geschlüpft war, schlängelte sich mit der Mühelosigkeit der Vertrautheit durch das schummrige Innere und knipste eine Tiffany-Lampe im Wohnzimmer an. Sie stand auf einem Tisch mit Marmorplatte zwischen zwei grauen, mit Chenille bezogenen Ohrensesseln. Sie ließ sich in einen fallen und winkte den beiden Polizisten mit weit ausholenden Bewegungen, sich auf den anderen oder auf die gegenüberstehende pfirsichgraue, mit Chintz gepolsterte Couch zu setzen. Bald hatten sich alle gesetzt, und Rhonda bot Erfrischungen an. Amanda ignorierte das alles entschlossen und ging direkt in ihr Badezimmer, wo sie die Aspirin aufbewahrte.

Während sie noch im Bad war, klopfte es an der Wohnungstür, und als sie ins Wohnzimmer kam, war es überfüllt mit Männern. Tristan löste sich von der Gruppe und kam herüber zu ihr.

»Können wir den Schlüssel zu Miss Farrels Apartment haben, Miss Charles? Die Jungs von der Spurensicherung sind hier und würden gern anfangen.« Tristan fühlte sich ziemlich grauenhaft, als er sie musterte. Sie war inzwischen wieder sehr blass, und ihm wurde mit untypischer Besorgnis klar, dass sie wahrscheinlich sowohl hungrig als auch erschöpft war.

Sein Mitgefühl für ihren Zustand überraschte und beunruhigte ihn gleichermaßen. Er hatte es sich zur eisernen Regel gemacht, sich bei einem Fall nie von persönlichen Gefühlen gegenüber einer Beteiligten leiten zu lassen. Er hatte gesehen, wie es Kollegen passiert war, und nach seiner Beobachtung führte das unterschiedslos zu nichts als Schwierigkeiten. So dass er ihr wider besseres Wissen in die Küche folgte, und als sie ihm einen Schlüssel vom Haken an der Wand gab, streckte er den Arm aus und griff spontan nach ihrem Handgelenk. Die Knochen fühlten sich zerbrechlich an unter seinen Fingern.

Sie starrte schweigend zu ihm hoch.

»Machen Sie sich doch einen Tee oder Kaffee, Lass«, verfiel er automatisch ins Schottische und fuhr ihr geistesabwesend mit dem Daumen über die weiche Innenseite ihres Handgelenks. »Wir werden so schnell wie möglich verschwinden, damit Sie sich ausruhen können und nicht womöglich vor Erschöpfung zusammenbrechen. « Er gab ihr Handgelenk frei, drehte sich um und verließ den Raum.

Amanda starrte seinem Rücken hinterher, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Dann schüttelte sie den Kopf und setzte sich in Bewegung, um den Kessel aufzusetzen. Würden die Wunder denn nie aufhören? Eventuell hatte er doch etwas Menschliches an sich.

Schnell stellte sie ein Tablett zusammen und benutzte die Zeit, bis das Wasser kochte, um einige vertraute Entspannungsübungen zu machen. Die Atemübungen beruhigten sie ein wenig, und sie trug das Tablett ins Wohnzimmer, das, wie sie mit Erleichterung bemerkte, nicht mehr ganz so überfüllt war. Sie stellte das Tablett auf einen kleinen eichenen Couchtisch und sank auf die weiche Couch. Sie runzelte die Stirn, als sie sich umblickte.

» Wo ist Rhonda?«

»Sie ist nach oben gelaufen, um ihre Katze zu füttern«, antwortete Joe und beugte sich vor, um eine Tasse Kaffee entgegenzunehmen. Er konsultierte seinen Notizblock. »Sie lebt in Apartment A?«

» Ja. « Amanda umfasste die zarte Porzellantasse mit beiden Händen und genoss die Wärme, die sich langsam in ihr ausbreitete, ein bisschen die innere Kälte vertrieb. »Rhonda wohnt in A, ich wohne in B, und Maryanne wohnt... wohnte ... in C.«

»Hatte Miss Farrel Familie, Miss Charles?«, fragte Tristan. » Gibt es jemanden, den wir kontaktieren sollen?«

»Nein.« Amanda starrte in ihre Tasse. »Jedenfalls weiß ich von niemandem. Sie hat mal erwähnt, dass sie ursprünglich aus Ohio stammt, dass aber dort keiner mehr lebt von ihrer Familie. «

»Miss Charles, was hat Sie veranlasst, das Revier anzurufen? « Tristan betrachtete sie mit Augen, die so kühl wie Winterregen waren.

»Maryanne war seit drei Tagen nicht nach Haus gekommen. « Sie trank einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse ab und sah ihn an. »Es ist nicht so, dass wir uns eng auf der Pelle hocken. Aber wenn eine von uns vorhat wegzufahren, sagen wir uns normalerweise untereinander Bescheid. Das dient mehreren Zwecken: Es verhindert, dass wir uns unnötige Sorgen machen, und wir haben ein Auge auf das Apartment, solange die Betreffende weg ist. Sie wissen schon, die Zeitung und die Post hereinholen, darauf achten, dass die Außenbeleuchtung angeschaltet ist, derlei Dinge. « Amanda beugte sich vor, um wieder einen Schluck zu trinken, und musterte die beiden Polizisten über den Rand ihrer Tasse hinweg. »Aber es klappte nicht immer wie geplant. Ein- oder zweimal war Maryanne einfach verschwunden, ohne es uns wissen zu lassen. Als sie also dieses Mal nicht nach Hause kam, nahm ich halt an, dass sie einen Mann kennen gelernt hatte und einige Zeit mit ihm verbringen wollte. «

Rhonda kam zurück, ließ sich wieder in den Ohrensessel fallen und nahm sich ebenfalls eine Tasse Kaffee. »Maryanne war ständig verliebt«, mischte sie sich ein, lehnte sich zurück und schlug ihre langen, spandexbekleideten Beine übereinander. »Es war eine Art Insiderscherz unter uns, dass Maryanne ständig ›verliebt‹ war. Sie zeichnete mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. »Ich bin ständig scharf auf Männer. « Ihr Grinsen war alles andere als reuig. Dann wies sie mit dem Daumen auf Amanda und sagte missbilligend. »Und Mandy Rose hier ist so verdammt wählerisch, dass sie so gut wie nie mit jemandem ausgeht. «

Amanda lächelte dünn. »Richtig«, bestätigte sie. »Also habe ich mir zuerst keine Gedanken gemacht über sie. Ich habe mit Rhonda darüber gesprochen, und wir waren beide der Meinung, dass sie wie üblich jemanden kennen gelernt hatte und dass sie zu gegebener Zeit zurückkäme. Aber das war, bevor Charlie mich fragte, ob sie krank wäre. «

»Wer ist Charlie?« Tristan betrachtete Amanda abschätzend von oben bis unten, bevor er ihr wieder in die Augen blickte. Sie war also wählerisch, sieh mal einer an. Das hätte er nicht gedacht.

»Charlie«, wiederholte Amanda nachdrücklich, als ob der Name alles erklären würde. Als Tristan weiterhin ihren Blick festhielt, erklärte sie ausführlicher: »Charles Bagotta vom Cabaret. Er ist ... oh, ich weiß nicht, wie ich Charlies Position richtig beschreiben soll.«

»Wie wär’s mit Sklaventreiber«, schlug Rhonda vor und lächelte sarkastisch.

»Charlie ist... verantwortlich. Er bringt uns die Nummern und die Schrittfolgen bei«, sagte Amanda langsam.

»Charlie brüllt, schreit, demütigt uns und treibt uns an den Rand der Erschöpfung«, konstatierte Rhonda entschieden. »Wenn wir nicht Blut und Wasser schwitzen, ist Charlie nicht glücklich. « Die beiden Frauen überschlugen sich jetzt förmlich in ihren Erklärungsversuchen.

»Wenn du einen Tag frei nehmen möchtest«, sagte Amanda, »musst du Charlie fragen...«

»Wenn du ein Problem mit einem der Türsteher hast, wendest du dich an Charlie...«

»Wenn du glaubst, einen Verbesserungsvorschlag für eine Nummer zu haben, gehst du zu...«

»Wenn du einen Schritt vermasselt hast, hoffst du, dass Charlie es nicht bemerkt hat...«

»Herrgott, ja, das stimmt. Du wünschst dir definitiv, dass Charlie es übersehen hat ... «

»Also, dieser Charlie«, unterbrach Joe. »Er hat Sie gefragt, ob Miss Farrel krank wäre?«

»Ja.« Amanda sah erst Joe und dann Tristan an, nahm sie aber kurzfristig nicht bewusst wahr. Stattdessen sah sie Maryannes leblosen Körper vor sich auf einem Stahltisch in der Leichenhalle. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und rieb sich die Oberarme, wollte die Gänsehaut wegreiben, die sich unter ihrem warmen Pullover gebildet hatte. »Und da begann ich mir ernsthafte Sorgen zu machen. Verstehen Sie, man fehlt nicht unentschuldigt im Cabaret. Nicht wenn man dort weiterhin arbeiten möchte. Es kann sein, dass man mit gelegentlichem Krankfeiern davonkommt, aber niemals, ohne sich abzumelden. Und Maryanne – egal, für wie verliebt sie sich plötzlich hielt – wusste das. Sie mochte eine unheilbare Romantikerin sein, wenn es um Männer ging, aber sie war absolut realistisch, wenn es um ihren Beruf und ihren Lebensunterhalt ging.« Amanda hörte auf zu sprechen und starrte auf ihre makellos gelackten Nägel, während sie die Hände nervös auf ihrem Schoß verschränkte.

Joe ließ ihr ein paar Sekunden Zeit, dann hakte er nach: »Also deshalb haben Sie uns angerufen?«

»Nicht sofort.« Amanda blickte auf und runzelte die Stirn.

»Charlie hat Amanda direkt vor der Mitternachtsshow nach Maryanne gefragt«, erklärte Rhonda. »Und hinterher kam sie zu mir ... «

» Wir wussten nicht, was wir tun sollten«, nahm Amanda den Faden wieder auf. »Wenn sie einfach mit einem Mann unterwegs wäre und wir riefen die Polizei an, würde sie uns das nie verzeihen. Wenn sie allerdings in ernsthaften Schwierigkeiten steckte und wir riefen die Polizei nicht an, würden wir uns das ebenfalls nie verzeihen. Wir haben im Umkleideraum darüber gesprochen und den ganzen Weg nach Hause, und schließlich beschlossen wir, ihr noch einen Tag Zeit zu geben, bevor wir irgendjemanden anrufen. Aber als ich heute Morgen aufwachte, habe ich die Nachrichten angeschaltet, und da hörte ich den Bericht über eine unidentifizierte Frau, von der die Polizei glaubte, dass sie das neueste Opfer des Showgirl-Schlächters wäre. Ihre Beschreibung passte auf Maryanne. Deshalb habe ich angerufen. «

»Ist Ihnen nicht vorher in den Sinn gekommen, dass sie das neueste Opfer dieses Kerl sein könnte?«

»Nein. Nicht ein einziges Mal.« Amandas Mundwinkel zuckten, und ihr Lächeln ließ ihre Selbstvorwürfe erkennen. »Das muss unglaublich dumm für Sie klingen. Wir hatten natürlich alle von ihm gehört. Die Presse überschlägt sich ja geradezu seit dem zweiten Mord. Aber das gehört zu den Dingen, die man in den Nachrichten sieht oder in der Zeitung liest, aber es ist nichts, was dir oder jemandem, den du kennst, passiert. Es ist mir nie in den Sinn gekommen ... «

»Genau«, bestätigte Rhonda. »Nehmen Sie die Erste – das Morgan-Mädchen. Also, zu der Zeit des Mordes wusste niemand, dass sie die erste von vielen sein würde, und die Nachrichten beschrieben es ursprünglich als Tat eines eifersüchtigen Liebhabers. Von jemandem, den sie kannte – verstehen Sie? –, nicht von irgendeinem abartigen Verrückten. Und da sie die Erste war, haben wir den Mord weniger mit ihrem Beruf, als mit der Art von Frau, die sie vermutlich war, in Verbindung gebracht. Ein Typ aus unserer Truppe erwähnte mal, dass er sie von früher her kannte, von Ballys, wo er für kurze Zeit mit ihr zusammengearbeitet hatte. Dort hatte sie den Ruf, Männer gern aufzugeilen. Und außer, dass sie sich stark geändert hatte, hielt er es für wahrscheinlich, dass einer der Typen, mit denen sie sich traf, schließlich die Nase voll gehabt hatte und aus Frust ausgerastet war. «

»Wie heißt dieser Tänzer?«, fragte Tristan. Rhonda zuckte betreten zusammen.

» Oh, es kann nicht Pete sein«, versicherte sie ihm hastig. »Er ist schwul.«

Tristan maß sie mit ruhigem Blick, der sie schweigend aufforderte, keine eigenen Schlüsse zu ziehen und nur seine Fragen zu beantworten, und Rhonda sah Amanda Hilfe suchend an. Amanda zuckte die Achseln. Von ihr aus konnte Rhonda es genauso gut erzählen. Sie hatte so das Gefühl, dass, wenn MacLaughlin spezielle Auskünfte haben wollte, er nicht eher ruhen würde, bis er sie hatte.

»Schriber«, antwortete Rhonda zögernd. »Pete Schriber. «

Tristan notierte den Namen; dann fixierte er Rhonda und bemerkte ihr Unbehagen. »Wir haben nicht vor, den Mann festzunehmen, Lass«, sagte er lächelnd. »Aber er kann uns vielleicht Informationen über das Opfer geben, die wir noch nicht haben. Man kann nie wissen, was möglicherweise wichtig ist.«

Sowohl Rhonda als auch Amanda starrten Tristan wie gebannt an, einen Moment lang total fasziniert von seinem Lächeln. Seine Zähne standen leicht schief, waren aber schneeweiß, und sein Lächeln war irgendwie eigentümlich und wahnsinnig männlich. Es veränderte sein gesamtes Erscheinungsbild, machte aus einem strengen, abschreckenden Bullen einen warmen, zugänglichen Menschen. Es veranlasste Amanda, sich zu fragen, ob ihre wenig schmeichelhafte Einschätzung vielleicht übereilt gewesen war. In Rhonda löste es den Wunsch aus, in sein Bett zu hüpfen.

Das unerwartete intensive Anstarren der beiden Frauen brachte Tristans Lächeln zum Erlöschen und machte ihn nervös. Er spürte, wie Hitze in ihm aufstieg und ihm der Hemdkragen eng wurde. Für einen Moment musste er gegen das Bedürfnis ankämpfen, sich die Krawatte zu lockern und den obersten Knopf seines Oberhemds zu öffnen.

Was zum Teufel glotzten sie denn so? Seine latente Schüchternheit war einer derartig intensiven Musterung nicht gewachsen. In beruflichen Situation kannte er solche Probleme nicht. Er konnte sich jederzeit mit jedem unterhalten. Er hatte alles im Griff und musste sich nie Gedanken darüber machen, wohin eine Unterhaltung führte. Er dirigierte sie verdammt noch mal. Aber es lag etwas absolut Persönliches in der Art, wie ihn die beiden Showgirls betrachteten. Und auf persönlicher Ebene hatten Tristan immer schon die Worte gefehlt. Wenn allerdings ein Mädel ein bisschen Action wollte, konnte er sich durchaus ein, zwei persönliche Dinge vorstellen, die er gern mit dem Charles-Lassie anstellen würde.

Zutiefst erschreckt von diesem absolut unprofessionellen Gedanken, wurden Tristans Fragen eher noch steifer und unpersönlicher als zuvor. Schließlich schlug er sein Notizbuch zu und verstaute es in der Brusttasche seines braunen Wolljacketts. Er nickte Joe zu, und die beiden Männer erhoben sich.

»Haben Sie eine Visitenkarte, die Sie den beiden geben könnten, Detective?«, fragte er, froh, sich wieder auf vertrautem Gelände zu bewegen. Sobald Joe zwei Karten hervorgezogen und sie den Frauen gereicht hatte, instruierte Tristan sie förmlich: » Rufen Sie an, wenn Sie irgendwelche Fragen haben oder wenn Sie noch irgendetwas hinzufügen möchten – egal was. Wenn Ihnen etwas einfällt, reden Sie sich nicht ein, dass es unwichtig ist. Wie ich schon sagte, man kann nie wissen, was möglicherweise wichtig ist. Rufen Sie diese Nummer an und fragen Sie entweder nach Detective Cash oder nach mir.« Er zögerte kurz, dann lächelte er die Frauen erneut an. »Wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Mitarbeit heute Abend, und wir haben bestimmt noch weitere Fragen an Sie. «

Er wandte sich an Amanda. »Miss Charles, Sie waren sehr tapfer heute. Es tut mir wirklich leid, dass es notwendig war, Ihnen das zuzumuten. Mir ist klar, dass es traumatisch war, aber Sie können stolz darauf sein, wie Sie die Situation bewältigt haben.« Dann schloss er Rhonda in seinen Blick ein. Es war irgendwie einfacher, mit ihr zu reden. Ihrer war er sich irgendwie weniger bewusst und fühlte sich nicht ganz so unbehaglich. »Und Miss Smith, Sie müssen sich keine Gedanken machen wegen Ihres Freundes Mr. Schriber. Sie hatten keine Wahl, als uns seinen Namen zu nennen, und von uns wird er nicht erfahren, woher wir ihn haben. Tatsächlich werden wir uns mit der gesamten Besetzung oder Truppe, oder wie immer Sie Ihre Kollegen nennen, unterhalten. So dass er die Gelegenheit erhält, uns zu erzählen, dass er mit Miss Morgan gearbeitet hat. Wenn er das nicht tut, dann werden wir einfach sagen, wir hätten gehört, dass er mit beiden Frauen gearbeitet hat. Es besteht überhaupt keine Veranlassung, Ihren Namen in diesem Zusammenhang zu erwähnen.«

Joe beobachtete Tristan aufmerksam. Der Lieutenant war deutlich diplomatischer, als er erwartet hatte. MacLaughlin war ein guter Polizist – Joe hatte das von der Minute an gespürt, in der Tristan sich dafür entschieden hatte, ihn ins Leichenschauhaus zu begleiten, statt erst ins Polizeirevier oder Hotel zu fahren. Ein verdammt guter Polizist – darauf würde Joe jede Wette eingehen. Sein Gefühl sagte ihm, dass MacLaughlin das Zeug dazu hatte, ihnen beizubringen, was sie wissen mussten bei diesem Typ von Morden.

Aber Captain Tweedt würde es glatt aus den Pantinen hauen. Er erwartete einen Bürokraten, der sie anleitete – jemand, der hinter dem Schreibtisch blieb, von da aus seine Anweisungen erteilte und die Truppe in Marsch setzte: Für Joe war jedoch ziemlich klar, dass MacLaughlin ein Polizist war, der vor Ort arbeitete. Und er war sich sicher, dass es noch einige Auseinandersetzungen geben würde im Dezernat, bevor MacLaughlin sich durchsetzte – was Joes Ansicht nach außer Frage stand. Irgendwie bezweifelte er keine Sekunde, dass MacLaughlin bei dem Kommenden als Sieger hervorgehen würde. Er musste grinsen: Der im Vorfeld zu erwartende Riesenkrach war bestimmt eine verdammt gute Show, und er hatte nicht vor, sie zu verpassen.

Sie gingen kurz darauf. Tristan trat in die Kühle des Vorfrühlingsabends und schauderte. »Gehen wir nach unten und sehen mal, wie die Jungs von der Spurensicherung klarkommen«, meinte er, aber bevor er den Treppenabsatz erreichte, hielt Joe ihn am Arm fest.

»Essen Sie eigentlich nie, MacLaughlin?«, fragte er. »Ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen ist, aber ich bin hungrig, und ich arbeite verdammt viel besser mit vollem Magen.« Allmächtiger, er hatte noch nie einen Kerl mit so zielgerichteter Energie gesehen. Er vermittelte ihm das Gefühl, absolut unbeirrbar zu sein.

» Tut mir leid, Joe«, antwortete Tristan zerknirscht. »Haben Sie eine Familie, die mit dem Essen auf Sie wartet?«

»Nein, ich bin geschieden. Und ich bin nur zu bereit, hinterher zurückzukommen und Farrels Apartment zu durchsuchen. Aber fahren wir vorher hinüber in die Peppermill und bestellen uns eins der Tagesgerichte für vierfünfundneunzig, okay?« Sein Ton wurde geradezu schmeichelnd: »Rindfleischeintopf oder gegrilltes Steak oder Hühnerpastete wie bei Muttern. «

»Man kriegt hier Hausmannskost für fünf Dollar?«

»Und ob. Mit Kartoffeln und Gemüse und eventuell noch einem dicken Stück selbst gebackenen Kuchen. Für ganz wenig Geld können Sie in Reno wie ein König essen, MacLaughlin.« Er grinste Tristan an. »Lieutenant, ich leugne nicht, dass wir einen Haufen Probleme haben in dieser Stadt mit der höchsten Selbstmordrate des Landes und einer überproportional hohen Quote an Gewaltverbrechen. Aber schlechtes Essen gehört nicht dazu. Um auswärts essen zu gehen, ist das die beste Stadt der Staaten, und zwar ausnahmslos. Wird kein großes Loch in ihren Tagessatz reißen. Meistens, finde ich jedenfalls, ist es genauso billig, ganz zu schweigen davon, viel einfacher, als selbst zu kochen.«

Es war eine kurze Fahrt in die Stadt von Amandas Haus aus. Die ruhige Gegend, in der die beiden Tänzerinnen lebten, wich nach und nach Industriegebieten, nur mäßig beleuchtet um diese Zeit. Einige Blocks weiter flimmerten die grellen Lichter der Innenstadt und hoben sich gegen die dunklen, tief hängenden Wolken des nächtlichen Himmels ab. Als Joe ins Herz von Renos Vergnügungszentrum in der Innenstadt fuhr, versuchte Tristan den plötzlichen Ansturm dieses Eindrucks zu verdauen.

Es spielte keine Rolle, dass er früher am Tag die Innenstadt schon gesehen hatte, als sie zum Leichenschauhaus fuhren, weil der Eindruck der Stadt tagsüber ein völlig anderer war. Kilometerlange Lichterketten und Neonröhren jeder nur vorstellbaren Farbe leuchteten jetzt in der Dunkelheit, knallig, vulgär und grell. Zum Teil war die Beleuchtung stationär, während ein anderer Teil unablässig blinkte, aufblitzte oder mit hektischen, ständig wechselnden Mustern die Blicke auf sich lenken und einen von der Straße locken wollte. Einige der Casinos waren weit geöffnet, ihre gesamte Vorderfront war hochgerollt und gab den Blick frei auf die Reihen der Spielautomaten und Würfeltische. Andere Casinos lockten einen damit, dass man nur kurze Blicke auf die Aktivitäten hinter den Rauchglastüren erhaschen konnte, die sich unablässig öffneten und wieder schlossen hinter einem stetigen Strom von Stammkunden. Leute kamen und gingen, die Bürgersteige füllten und leerten sich stetig. Anreißer standen vor ihren Lokalen, verteilten Coupons und priesen die Vorzüge ihrer Casinos. Und an jeder Straßenecke, so kam es Tristan vor, waren Pfandleihen, Pfandleihen und nochmals Pfandleihen. Man konnte nahezu alles versetzen für eine weitere Chance am Glücksrad, beim Würfeln, beim Kartenspiel.

Tristan schüttelte den Kopf. Was für eine unglaublich verrückte Stadt.

Aber genau wie Joe versprochen hatte, servierte die Peppermill gutes, reichliches Essen für lächerlich wenig Geld. Es passierte nicht häufig, dass Tristan ein Restaurant fand, das seinen großen Appetit befriedigte für weniger als zehn Dollar. Aber als er endlich seinen Teller wegschob und sich zurücklehnte, war er rundum gesättigt. Und als sie wieder zu der Wohnung der ermordeten Frau fuhren, war er geradezu optimistisch, was seine Versetzung nach Reno anging. Vielleicht würde es ja gar nicht so schrecklich werden.

Die meisten Männer der Spurensicherung waren bereits gegangen, als Joe und Tristan eintraten. Ein dünner, schwarzer Staubfilm bedeckte alle Oberflächen, und der für die Fingerabdrücke zuständige Techniker packte seinen Koffer gerade ein und wollte gehen.

»He, Cash«, rief er. »Soll ich heute Abend noch die Fingerabdrücke der beiden Tussis nehmen, die hier wohnen?«

Tristan unterbrach sein Studium des Adressbuchs der Verstorbenen, das er mit einem Stift aus seiner Brusttasche aufgeklappt hatte. Er runzelte leicht die Stirn. »Für Sie sind es Frauen«, wies er den Mann an, sein Ton freundlich, aber knapp. »Oder Damen. Keine Tussis.«

»He, es sind nur zwei Puppen mit Knackärschen, nicht die Queen Mum und wieheißtsienochgleich – Prinzessin Anne. Und wer zum Teufel sind Sie überhaupt, Jack?«, fragte der Mann streitlustig.

Joe hatte noch nie einen Mann von Tristans Größe sich so schnell bewegen sehen. Blitzschnell hatte er den Raum durchquert und überragte Johnson durch seine schiere Größe, als er sich hinunterbeugte und Auge in Auge mit dem Forensiker stand. »Ich bin der Mann, der nicht zögern würde, Sie an den Eiern aufzuhängen, wenn Sie nicht lernen, etwas Respekt zu zeigen«, knurrte er. »Diese Frauen sind keine Verdächtigen, Detective. Das Opfer war ihre Freundin. Sie ist auf die brutalste Weise ermordet worden, und sie haben einen grauenhaften Tag im Leichenschauhaus hinter sich, wo sie die Leiche identifiziert und uns bei den Ermittlungen geholfen haben. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie sich heute Abend fragen, ob sie als Nächste dran sind. Die letzte Person, die sie heute Abend noch sehen wollen, ist irgendein rotznasiger, arroganter Bulle, der glaubt, dass ihm seine Polizeimarke das Recht gibt, unhöflich zu sein. Um also Ihre Frage zu beantworten: Nein, wir möchten nicht, dass Sie heute Abend noch Fingerabdrücke von den beiden anderen Frauen nehmen, die in diesem Haus wohnen. Sparen Sie sich das für morgen auf.« Tristan trat einen Schritt zurück von dem Mann, der deutlich blasser als noch vor einer Minute war. »Und was Ihre andere Frage betrifft, mein Name ist nicht Jack. Ich bin Lieutenant MacLaughlin. Und ab heute leite ich den Fall.«

»Scheiße, Mack«, murmelte ein schwarzer Detective in der Ecke, und schüttelte langsam den Kopf. »Die nächste Beförderung kannst du dir abschminken.«

Johnson tauschte einen Blick mit ihm aus und teilte offensichtlich seine Ansicht. Er schwitzte leicht, aber er straffte sich und sah Tristan offen in die Augen. »Tut mir leid, Sir«, sagte er. »Ich bin Sergeant Mack Johnson. Ich ... äh ... wusste nicht, wer Sie sind.«

»Wer ich bin, ist nicht der Punkt, Johnson. Die Marke, die Sie tragen, bedeutet Verantwortung, und den Steuerzahlern, die Ihr Gehalt bezahlen, steht zumindest höfliche Behandlung zu. Es muss Ihnen nicht gefallen, womit sich einige ihren Lebensunterhalt verdienen; das ist Ihr gutes Recht. Ich habe auch schon sehr häufig abschätzige Ansichten über jemanden gehabt.« Tristan maß den Mann vor sich mit kühlem Blick. »Aber solange Sie im Job sind, behalten Sie Ihre Gedanken für sich, Sergeant. Weil die Öffentlichkeit ebenso Rechte hat, und eins davon ist das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz, unabhängig von Ihrer persönlichen Meinung. «

Johnson wischte sich mit dem fleischigen Unterarm den Schweiß von der Stirn. »Ja, Sir«, wiederholte er.

»Gut.« Tristan streckte die Hand aus. » Joe hat mir gesagt, dass Sie sehr gut sind bei dem, was Sie tun. Haben Sie schon die Fingerabdrücke von Miss Farrel, so dass Sie anfangen können, sie auszuschließen?«

Johnson schüttelte ihm die Hand und entspannte sich ein wenig. »Ja, Sir. Das Leichenschauhaus hat sie geliefert.«

Tristan nickte. »Rufen Sie Miss Charles und Miss Smith nicht zu früh morgen im Lauf des Vormittags an und finden Sie möglichst einen Zeitpunkt, der allen genehm ist.«

»Ja, Sir.«

»Gut. Wollten Sie gerade gehen?«

»Ja, Sir.«

»Dann gehen Sie, Mann.« Tristan lächelte leicht, als Johnson sich mit sichtbarer Erleichterung zum Gehen wandte. » Oh, und Johnson?«

Der Gerichtsmediziner drehte sich wieder um und blinzelte ihn misstrauisch an. »Sir?«

» Sie müssen mich nicht Sir nennen, Sergeant.«

Johnson grinste. »Alles klar, Lieutenant.«

Joe trat neben Tristan. »Sie haben schamlos gelogen, Lieutenant«, murmelte er.

Tristans kühler Blick wandte sich ihm zu. »Wieso denn?«

»Ich habe Ihnen nie gesagt, dass Mack sehr gut ist in seinem Job.«

»Oh.« Belustigt stellte Joe fest, dass Tristan sich unbehaglich wand. Er hatte Mack gerade mächtig die Leviten gelesen, ohne mit der Wimper zu zucken, und dennoch schien es ihm peinlich zu sein, dabei ertappt zu werden, Johnson zu helfen, sein Gesicht zu wahren. »Ach das«, murmelte Tristan. »Nun ja, ich kritisiere nicht gern, ohne gleichzeitig etwas Nettes zu sagen.« Er lächelte schief. »Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass er keinen Heller wert ist, hoffe ich.«

»Nein. Sie haben dieses Mal ins Schwarze getroffen, Lieutenant.« Joe lachte. »Er ist verdammt gut in seinem Job.«

Kurz danach war auch der Rest der Spurensicherung fertig. Tristan ordnete an, das Apartment zu versiegeln, und steckte die Schlüssel ein, nachdem sie abgeschlossen hatten. Dann fuhr Joe ihn in ein preisgünstiges Motel nicht weit entfernt vom Dezernat.

Das Zimmer war wie Tausende andere in jeder Stadt der Staaten, war orangegold dekoriert und mit modernen, undefinierbaren skandinavischen Plastikmöbeln ausgestattet, und es war überheizt. Tristan zog sich bis auf die Unterhosen aus, hängte sorgfältig seine Kleidung auf und stellte die Schuhe ordentlich vors Bett. Seine Pistole im ledernen Schulterhalfter hängte er in Reichweite über die Rückenlehne des Schreibtischstuhls. Während er auf dem Rücken auf dem Bett lag, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, ließ er die letzten zehn Stunden gedanklich Revue passieren. Es kam ihm irgendwie so vor, als wäre er schon vor langer Zeit in Seattle aufgebrochen. Jede Menge Eindrücke und Reaktionen gingen ihm durch den Kopf. Er dachte an die neue Stadt, den Fall... die Charles-Frau.

Ein höllischer Tag, entschied er, als er in das unpersönliche Plastikzimmer starrte und zusah, wie rotes Licht aufglimmte und sich wieder abschwächte im Rhythmus mit dem An und Aus des Motelschilds vor seinem Fenster. Ein höllischer Tag.

Gefährliche Liebe

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