Читать книгу Das Vermächtnis der Feuerfrau - Susan Carroll - Страница 5
Prolog
ОглавлениеEine jener Nächte war angebrochen, in denen alles geschehen kann ...
Magie. Mondlicht. Das Meer, das wie ein Drache tost. Nebel, der aus der See aufsteigt und langsam das ganze Land überzieht.
Der kräftig gebaute Mann, der sich entlang der Küstenlinie bewegte, wirkte mit seinem glänzenden Kettenhemd und wehenden Umhang wie ein Ritter von König Artus’ , Tafelrunde, den es versehentlich ins 19. Jahrhundert verschlagen hatte und der den Weg zurück nach Camelot suchte.
Doch bei dem Recken handelte es sich um Lance St. Leger, und der trug noch sein Kostüm vom Mittsommernachtsfest. Schwergewichtige Fragen belasteten seine Gedanken, und da war es ihm offenbar entfallen, sich umzuziehen.
Sein Blick suchte den dunklen und stillen Strand vor ihm ab. Sorge und Anspannung kennzeichneten seine attraktiven Züge mit dem kantigen Kinn, der Adlernase, der sonnengebräunten Haut und dem rabenschwarzen Haar, das alles umrahmte.
Doch trotz seiner jugendlichen siebenundzwanzig Jahre veränderte bereits Zynismus das samtene Schwarz seiner Augen. Die Enttäuschung, welche seine vollen geschwungenen Lippen etwas herabhängen ließ, machte ihn älter und verlieh seinem Mund außer beim Lächeln etwas Hartes.
Im Moment war ihm allerdings überhaupt nicht zum Lachen zu Mute, als er ein verlassenes Fischerboot umdrehte. Die See kehrte mit kalten Gischtfingern über den Sand und verwischte alle Spuren.
Aber Lance war sich sicher, an eben diesem Ort vor gut einer Stunde überfallen worden zu sein. Ein vermummter Bandit hatte ihn angegriffen und bewusstlos geschlagen.
Als er wieder aufgewacht war, hatten ihm die Taschenuhr und der Siegelring gefehlt. Diesen Verlust hätte Lance noch ertragen können, doch der Räuber hatte auch das Schwert eingesteckt – die Klinge, welche sich seit Generationen im Besitz der St. Legers befand, die Waffe, welche mindestens ebenso sehr von Geheimnissen und Magie umrankt war wie die Familie selbst.
Lance hatte das Schwert an seinem achtzehnten Geburtstag übergeben bekommen und gleich die Macht gespürt, welche dem Stahl innewohnte. Schon als er das Schwert in die Hand genommen hatte, durchfuhren ihn Stärke und Vornehmheit, und seine Sinne schärften sich spürbar.
Danach hatte er feierlich den Eid geleistet, den alle Erben der Familie ablegen mussten:
»Ich schwöre, dass ich diese Waffe nur für eine gerechte Sache ziehen werde. Dass ich mit ihr niemals das Blut eines anderen St. Leger vergießen werde. Und an dem Tag, an dem ich den Ehebund schließe, werde ich meiner Braut dieses Schwert zusammen mit meinem Herzen und meiner Seele als Symbol meiner unsterblichen Liebe darreichen.«
Doch dieser Tag lag lange zurück, in einer Zeit, in der Lance noch an Werte wie gerechte Sache, Magie und wahre Liebe geglaubt hatte, in einer Zeit, in welcher er noch an sich selbst hatte glauben können.
Lance lief mit wachsender Verzweiflung um den Kahn herum, auch wenn er nicht wusste, warum er überhaupt die Mühe auf sich genommen hatte, an diesen Ort zurückzukehren. Was hoffte er eigentlich hier zu finden?
Dass ein Sinneswandel über den Missetäter gekommen war? Dass er, von schlechtem Gewissen getrieben, hier wieder auftauchte, um alle gestohlenen Schätze zurückzugeben und dabei zu stammeln: »Hier habt Ihr es wieder, Master Lance, das Schwert Eurer Vorfahren. Bitte vergebt mir meine Zudringlichkeit.«
Lance verzog verächtlich den Mund über seine Narretei. Er fluchte leise vor sich hin und verwünschte sich und den unbekannten Räuber. Er hatte in seinem jungen Leben gewiss schon manchen Fehler begangen und Schande über den Namen seiner Familie gebracht, aber etwas Schlimmeres, als sich das traditionsreiche Schwert abnehmen zu lassen, konnte einem St. Leger eigentlich nicht widerfahren.
Das stimmt nicht ganz, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Was du deinem Bruder Val angetan hast, war noch viel furchtbarer.
Aber Lance hatte nun wirklich anderes zu tun, als an seinen Bruder zu denken. Der Verlust dieser infernalischen Klinge erfüllte ihn mit so großen Schuldgefühlen, dass es ihn schüttelte.
Da er hier am Strand ja doch keine Spur von dem Unbekannten fand, wandte er sich ab und lief den Weg zum Dorf hinauf. Lance war zwar kürzlich ehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen worden, bewegte sich aber immer noch aufrecht und präzise. Kein Wunder, wenn man wie er neun Jahre als Offizier unter dem Herzog von Wellington gegen die Franzosen gekämpft hatte.
Er schlich leise an der Wand der Schmiede entlang und blickte dann auf die Reihen der weiß gekalkten Dörflerhäuser. Vor wenigen Stunden hatte es hier in Torrecombe noch vor Lachen, Lärmen und der Aufregung des Mittsommerfests gebrodelt. Aber jetzt lag der ganze Ort im Schlummer. Nicht einmal ein einsamer Zecher irrte über das Grün in der Mitte Torrecombes.
Lance überlegte kurz, ob er von Haus zu Haus gehen sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder, war es doch kaum vorstellbar, dass jemand aus dem Dorf es gewagt hätte, ihn hinterrücks anzugreifen. Die Menschen hier fürchteten die St. Legers und die Sagen, welche sich um sie rankten, viel zu sehr.
In manchen dieser Geschichten heißt es, die Familie stamme von einem berüchtigten Zauberer ab. Der mächtige Prospero, der Stammvater der St. Legers, mochte zwar ein furchtbares Ende gefunden haben und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sein, doch er hatte seinen Nachkommen sonderbare Gaben und Fähigkeiten hinterlassen. Auch Lance war davon nicht verschont geblieben.
Nein, ausgeschlossen, sagte er sich. Kein Dörfler würde jemals einem St. Leger in die Quere kommen. Bei dem Banditen musste es sich also um jemanden von außerhalb handeln, um einen Fremden. Doch heute Abend hatte es etliche Fremde zum Fest nach Torrecombe verschlagen. Viele von ihnen, verbrachten die Nacht im Gasthof Dragon’s Fire. Und deswegen würde Lance auch dort mit seiner Suche beginnen.
Er lief leisen Schritts über den großen Platz des Orts, bis der Gasthof vor ihm aufragte, ein altes Gebäude, das noch aus der Zeit Heinrichs VIII. stammte.
Ein Stallknecht ging über den Hof der Herberge und versorgte das Pferd eines späten Gastes. Lance blieb im Schutz der Schatten und beobachtete den Mann.
Vor langer Zeit hatte er seinem Vater versprochen, niemals jemandem, der nicht zur Familie gehörte, das Geheimnis seiner eigenen ebenso besonderen wie Furcht einflößenden Fähigkeit aufzudecken. Und man brach nicht leichtfertig ein Versprechen, das man Anatole St. Leger, dem Angst einflößenden Herrn von Castle Leger, gegeben hatte.
Lance dankte dem Schicksal dafür, dass sein Vater sich zurzeit fern des heimischen Cornwall aufhielt. Zusammen mit Lance’ Mutter und seinen drei jüngeren Schwestern hatte dieser sich zu einer ausgedehnten Auslandsreise aufgemacht. Zerknirscht sagte er sich jetzt, dass er seinem Vater schon genug Enttäuschungen bereitet hatte. Mit ein wenig Glück würde er das Schwert wieder an sich bringen, ehe Anatole von den jüngsten Eskapaden seines Erstgeborenen erfuhr. Er musste es einfach aufspüren!
Während Lance sich hinter einem Baum verbarg, wünschte er sich, wie seine Cousine zweiten Grades, Maeve, mit der Gabe der Hellseherei gesegnet zu sein. Das würde ihm die Suche erheblich erleichtern und sie beschleunigen.
Der verdammte Knecht nahm sich wirklich reichlich Zeit. Dieser elende Trottel hörte nicht auf das Ross zu striegeln und redete auch mehr mit ihm, als man gemeinhin von einem Stallburschen erwartete.
Lance warf einen beunruhigten Blick zum Himmel und versuchte abzuschätzen, wie viel Zeit ihm noch bis zum Morgengrauen blieb. Wenn die Sonne aufging und man ihn dabei erwischte, wie er seine besondere Fähigkeit einsetzte, würde ihm das kaum zum Vorteil gereichen. Im Gegenteil, Gefahr würde dann auf ihn lauern, und er müsste um Leib und Leben fürchten.
Lance atmete erleichtert aus, als der Knecht endlich das Pferd in den Stall führte. Er schlich sich aus seinem Versteck und näherte sich leise dem Gasthof. Nach einem Moment des Zögerns sammelte er sich.
Und glitt geradewegs durch die Außenwand.