Читать книгу Das Vermächtnis der Feuerfrau - Susan Carroll - Страница 8

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Miss Elfreda Fitzleger goss ihrer Besucherin Tee nach, und dabei tanzten ihre rotgoldenen Löckchen. Die scharf geschnittenen Züge verrieten deutlich, dass diese Frau die Maidenzeit längst hinter sich gelassen hatte. Krähenfüße zeigten sich in den Augenwinkeln und standen doch in einigem Widerspruch zu ihrer jugendlichen Frisur und dem mädchenhaften Schnitt ihres weißen Musselingewandes.

Obwohl Effie sich von der dreißig entfernte, statt sich ihr zu nähern, kicherte sie albern herum und verhielt sich ihrer Besucherin gegenüber auch sonst wie ein Backfisch. Gäste, vor allem solche, die aus der großen Welt jenseits des Dörfchens Torrecombe kamen, hatte sie nur selten. Und wenn es sich dabei auch noch um Personen von Stand handelte, war Effie fest entschlossen, sie nicht so rasch wieder abziehen zu lassen.

Rosalind unterdrückte hinter vorgehaltener Hand ein Gähnen. Solch schlechtes Benehmen beschämte sie, aber nach einer langen Nacht, in der sie kein Auge zugetan hatte, und angesichts der Redseligkeit ihrer Gastgeberin war Gähnen zumindest verständlich.

Auch herrschte in dem engen Salon von Miss Fitzleger schlechte Luft. Trotz des warmen Sommernachmittags prasselte ein munteres Feuer im Kamin. Rosalind saß unbequem auf einer harten Couch, das schwarze Kleid klebte ihr am Körper, und die Löckchen ermatteten unter der Haube und der Kappe.

Zu ihrer großen Verblüffung schien Miss Fitzleger die Hitze nicht das Geringste auszumachen. Sie hatte sich sogar eine Stola um die schmalen Schultern gelegt.

Als sie Rosalind auch noch eine dritte Tasse Tee anbot, schaute diese sehnsuchtsvoll zur Tür und entgegnete: »O nein, vielen Dank, Ma’am. Ich fürchte, ich habe Eure Gastfreundschaft schon über Gebühr in Anspruch genommen.«

»Aber im Gegenteil«, erwiderte Miss Fitzleger. »Ihr seid doch gerade erst gekommen.«

Eigentlich schon vor einer halben Stunde. Rosalind hatte jede einzelne Minute gezählt – natürlich mit Hilfe der Uhren in diesem Raum, von denen sich, grob geschätzt, mehrere Dutzend ausmachen ließen.

»Es war schon überaus freundlich von Euch, mich überhaupt zu empfangen«, sagte Rosalind und traf Anstalten, sich zu erheben. »Unangemeldet erschien ich vor Eurer Tür, und dabei sind wir uns vorher nicht einmal vorgestellt worden.«

»Ich bitte Euch, wozu denn solcher Aufwand?«, entgegnete Miss Fitzleger und drückte ihren Gast mit sanfter Gewalt auf die Couch zurück. »Kanntet Ihr nicht meinen teuren verblichenen Großvater? Außerdem verstehe ich mich ausgezeichnet darauf, den Charakter eines Menschen zu erkennen. Das finden übrigens auch meine vielen Bewunderer.« Sie kicherte, ehe sie fortfuhr: »Josiah Gramble hat neulich noch zu mir gesagt: ›Miss Effie – er nennt mich immer Effie, der freche Kerl, obwohl er doch der Vikar unserer Gemeinde ist – ›Miss Effie, Euer Wahrnehmungsvermögen ist so groß wie Eure Schönheit.‹ Und damit hat er ja Recht, denn ich bin mit der Gabe einer bemerkenswerten Intuition gesegnet. Daher habe ich in Euch auch gleich eine respektable Frau erkannt. Und davon abgesehen ist eine alte Freundin von Grandpapa immer auch meine Freundin.«

Rosalind gab es seufzend auf. Mehrere Male hatte sie Miss Fitzleger zu erklären versucht, dass sie nur eine flüchtige, bestenfalls kurze Bekanntschaft mit Mr. Fitzleger verband. Aber genauso gut hätte sie versuchen können den Tee abzuwehren, den ihre Gastgeberin ihr kontinuierlich nachschenkte.

»Der teure Grandpapa hätte sich sicher gefreut, Euch wiederzusehen«, meinte Effie nun, während sie mit sentimentaler Miene ihren Tee umrührte. »Wie schade, dass Euer Weg Euch nicht früher hierher geführt hat.«

»Ja«, sagte Rosalind nur und nahm einen winzigen Schluck Tee – um ihn nicht gleich wieder auszuspucken. Dieses Getränk war das Einzige in diesem Raum, dem keine Hitze innewohnte. Dann fragte sie höflicherweise: »Ist Mr. Fitzleger denn erst kürzlich von uns gegangen?«

»Aber nein! Er weilt schon seit zehn Jahren und länger nicht mehr unter uns. Doch ich vermisse ihn immer noch.« Miss Fitzleger senkte den Blick. »Ihr müsst wissen, ich war nämlich sein kleiner Liebling. Als meine Mutter im Kindbett starb, nahm er mich bei sich auf und zog mich groß. Ich war seine einzige Erbin.«

»Dann habt Ihr dieses Gehöft von ihm geerbt?«

»Ja, und noch mehr. Viel zu viel mehr.«

Diese Antwort wollte so gar nicht zu Miss Fitzleger passen. Kurz verhärteten sich auch ihre Züge, doch schon im nächsten Moment zeigte sich wieder ein breites Lachen auf ihrem Gesicht.

Miss Fitzleger wechselte rasch das Thema und kam auf ihre vornehmen Verehrer zu sprechen, von denen es eine ganze Reihe geben musste, wenn man ihren Worten Glauben schenkte. Eine weitere Viertelstunde verging so, in der Rosalind verzweifelte.

In ihrer Not betrachtete sie die Uhrensammlung in diesem Raum. Eine goldene Taschenuhr unter einer Glaskuppel fiel ihr besonders ins Auge und löste Kindheitserinnerungen in ihr aus – an einen sonnigen Nachmittag, an dem ein alter Mann einem ehrfürchtig staunenden kleinen Mädchen seine Taschenuhr in die Hand gelegt hatte, damit es sie betrachten konnte.

Sie hatte eben erfahren, dass der alte Vikar nicht mehr lebte. Eigentlich hätte sie damit rechnen müssen; dennoch erstaunte es sie, welchen Schmerz sie über diesen Verlust verspürte. Zwar hatte sie ihn nur wenige Stunden in ihrem Leben gesehen, doch er hatte in ihr den Eindruck hinterlassen, der weiseste und gütigste Mann auf der ganzen Welt zu sein.

Nach dem verrückten Abenteuer der vergangenen Nacht brauchte sie weisen Rat nötiger denn je. Unsicher und furchtsam saß sie da und durfte gar nicht an das Schwert unter ihrer Matratze denken.

Anfangs war Rosalind ziemlich stolz gewesen, Excalibur unbemerkt in ihr Zimmer geschafft zu haben. Aber dann stellten sich rasch Bedenken ein. Der Dieb würde nicht gerade begeistert sein, wenn er entdeckte, dass die Beute verschwunden war.

Nach dem, was sie aufgeschnappt hatte, traf sich allerlei Gelichter in ihrem Gasthof. Da war zum Beispiel Mr. Braggs mit dem verschlagenen Gesicht. Oder der Offizier der Zollpolizei, der irgendetwas an sich hatte, bei dem es einem kalt den Rücken hinunterlief. Nicht auszudenken, wenn einer dieser finsteren Gestalten herausfand, dass Rosalind das kostbare Schwert an sich gebracht hatte.

Jenny hatte ihr berichtet, dass es sich bei dem Offizier »um einen der Mortmains« handle, und in dieser Familie gebe es nur »Galgenstricke und Tunichtgute«, das könne ihr jeder im Dorf bestätigen.

Kurzum, Rosalind bekam es immer mehr mit der Angst zu tun. Sie überlegte schon ernsthaft, das Schwert dem nächsten Richter oder Gerichtsbeamten zu übergeben.

Aber was sollte sie dem Mann sagen?

»Bei dieser Waffe handelt es sich um das Schwert Excalibur. Sein rechtmäßiger Besitzer ist Sir Lancelot vom See. Ich habe es im Gasthof Dragon’s Fire gefunden und möchte es nun in sichere Obhut geben, bis es dem rechtmäßigen Besitzer ausgehändigt werden kann.«

Da könnte sie von Glück sagen, wenn man sie nicht gleich selbst als den Dieb verdächtigte oder ins Narrenhaus sperrte – und vielleicht wäre sie dort auch wirklich besser aufgehoben.

Am Morgen hatte noch alles so rosig ausgesehen. Da hatte sie sich in der Lage gewähnt, mit allem fertig zu werden – Geistern, Strolchen und sagenhaften Schwertern. Doch mittlerweile fühlte Rosalind sich nur noch ängstlich und verwirrt.

Am liebsten würde sie das Schwert unter die lose Diele zurücklegen. Doch das ging natürlich nicht.

Wegen ihm. Lancelot vom See.

So ein vornehmer und galanter Ritter. So eine verlorene Seele mit traurigen Augen und sanftem Lächeln, auf ewig dazu verdammt, nach Vergebung zu suchen. In den traumhaften Minuten, die Rosalind in seiner Gesellschaft hatte verbringen dürfen, hatte sie den Menschen hinter der Sagengestalt erkennen können.

Trotz seiner verzweifelten Lage und Suche hatte er sich die Zeit genommen, eine junge Witwe mit einem mitfühlenden Lächeln und einem freundlichen Wort zu bedenken. Wollte sie da wirklich Edelmut mit Feigheit vergelten und dem Dieb einfach das Schwert zurückgeben? Nein, so etwas wollte sie nicht einmal denken.

Aber alles wäre erheblich einfacher gewesen, wenn Lancelot ihr wenigstens einen kleinen Hinweis gegeben hätte, wann er sich ihr wieder zeigen würde. So vornehm hatte er sich von ihr verabschiedet, mit so viel Bedauern in der Stimme und Kummer im Blick.

Rosalind dachte an all die Bücher über die Artus-Zeit, die sie gelesen hatte

»Ich würde mich gern auf die rechte Weise von Euch verabschieden ...«

Was bedeuteten diese Worte. So etwas sagten Ritter zu ihren Ladys, wenn sie von ihnen eine Gunst erflehten ... einen Kuss!

Rosalind erstarrte, als dieser Gedanke in ihrem Bewusstsein Gestalt annahm. Hatte er das wirklich erbeten? Und wichtiger noch, hätte sie ihm diese Gunst gewährt? Nein, schon der bloße Gedanke erschien ihr als Betrug an ihrem verschiedenen Gemahl – so als würde sie König Artus selbst mit Lancelot betrügen.

Die Ironie dieser Situation brachte ein Lächeln auf ihre Lippen, aber sie musste immer wieder daran denken, wie es wohl gewesen wäre, wenn Lancelot sie geküsst hätte.

Sicher voller Romantik, denn der Ritter galt doch wohl als einer der edelsten Liebhaber der Geschichte. Hitze strömte in ihre Wangen, und die rührte nicht von der übergroßen Wärme in Miss Fitzlegers Salon her.

»Fehlt Euch etwas, Mylady?«, fragte Miss Fitzleger und zerstörte damit die Umarmung, in der Rosalind sich gerade gewähnt hatte.

Erschrocken kehrte sie in die Wirklichkeit zurück und registrierte verblüfft, dass ihre Gastgeberin ihren Redefluss eingestellt hatte. Dafür starrte sie Rosalind besorgt an.

»Ihr armes Ding. Eben habt Ihr gezittert, und jetzt klappert Ihr sogar mit den Zähnen. In diesem Raum zieht es wirklich wie Hechtsuppe. Wartet nur, ich lege noch etwas Holz nach.«

»Bitte nicht!«, rief Rosalind aus, aber ihr Einwand traf auf taube Ohren. Miss Fitzleger war flugs aufgestanden und schob neue Scheite in das flammende Inferno im Kamin. Doch das riss Rosalind endgültig aus ihren törichten Tagträumen über Sir Lancelot und führte sie in die entschieden grimmigere Wirklichkeit zurück.

Während ihre Gastgeberin ihr den Rücken zukehrte, widerstand Rosalind nur mit Mühe dem Drang, ihre Handtasche zu nehmen und das Weite zu suchen. Sie rutschte bis an den Rand des Sofas und legte sich passende Begründungen für ihren Aufbruch zurecht.

Aber Miss Fitzleger stieß einen Freudenschrei aus. »Da rollt eine Kutsche heran. Noch mehr Besuch.«

Rosalind hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ihre Gastgeberin das bei geschlossenen Fenstern, prasselnden Scheiten und dem Ticken von mindestens zwei Dutzend Uhren vernommen haben wollte. Doch als Miss Fitzleger zur Tür eilte, sah Rosalind ihre Chance und sprang ebenfalls auf. Wenn neue »Opfer« eintrafen – nein, Gäste, verbesserte sie sich in Gedanken reumütig –, könnte sie sich endlich verabschieden.

Aber als sie Miss Fitzleger erreichte, war der alle Freude aus dem Gesicht gewichen. »Beim gnadenreichen Himmel, der schon wieder!« Sie zog rasch den Vorhang zu und presste die dünnen Hände auf den flachen Busen.

Rosalind konnte erkennen, dass dieser Frau ein tüchtiger Schreck in die Glieder gefahren war. »Was ist denn mit Euch, Miss Fitzleger?«

»Ach, da kommt der unmögliche Valentine St. Leger wieder«, antwortete sie, als wäre damit schon alles erklärt, und wagte noch einen Blick durch den Vorhang. »Mit seinem unaufhörlichen Bedrängen scheint er es darauf anzulegen, mir das Leben gründlich zu vergällen ... Und was ist das? Jetzt bringt er auch noch seinen durchtriebenen Bruder mit! Gott steh uns bei, die beiden sind grausame Schurken!«

»Schurken«, wiederholte Rosalind und stöhnte. Die beiden kamen sicher, das Schwert zurückzuverlangen, das unter ihrer Matratze lag. Den Namen St. Leger hatte sie auch schon einmal irgendwo gehört. Jenny hatte die Familie erwähnt, die Herren dieser Gegend. Eine in jeder Hinsicht eher berüchtigte Sippe, die auf einer Burg mit dem Namen Castle Leger lebte.

Als die Zofe ihr von den unheimlichen Begebenheiten berichtet hatte, die sich um die St. Legers rankten, hatte sie das noch amüsiert. Aber den Hauptfiguren solcher Schauermärchen leibhaftig gegenüberzustehen, nein, das musste nun wirklich nicht sein. Vor allem, wenn sie nur kamen, um etwas von einem zu verlangen.

Schon hämmerte es an der Tür.

»Gottogott!« und »Herrje! Herrje!«, brachte Miss Fitzleger nur hervor, während sie abwechselnd einen Blick durch den Schlitz zwischen den Gardinen warf und die Hände rang.

Rosalind schlich zu ihr. »Miss Fitzleger, was wollen diese Männer von Euch?«

»Das, was sie immer wollen, Frauen!«

»Wie bitte? Ich glaube, ich verstehe nicht recht.«

»Ach, so richtig habe ich es auch nie verstanden«, schniefte Effie. »Irgendeine Form des Wahnsinns bemächtigt sich ihrer. Dann fängt ihr Blut an zu kochen, und sie finden keine Ruhe mehr. Ab diesem Moment bedrängen sie mich, bis ich ihnen Ehefrauen verschafft habe.«

»Ehefrauen? Dann seid Ihr eine Art Heiratsvermittlerin?« »Nein, viel eher eine Sklavin der St. Legers und ihrer Leidenschaft. Ach, meine Liebe, diese Arbeit ist so erschöpfend. Zuerst muss ich meine magischen Kräfte einsetzen, die in Frage kommende Braut zu suchen. Ist die dann gefunden, muss ich sie überreden, in so eine Familie von Sonderlingen einzuheiraten. Oft genug will so ein dummes Ding sich nicht in die Arme eines lüsternen Fürsten werfen lassen, welcher es kaum abwarten kann, sie vor den Altar und dann gleich in sein Bett zu zerren.«

»Das kann man ihr auch kaum verdenken«, flüsterte Rosalind mit zitternder Stimme und stellte sich vor, wie ein Hüne von einem Cornwalliser sich eine zu Tode erschrockene Frau über die Schulter warf und auf seine Burg trug. »Aber wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Heutzutage kann man doch keine Frau mehr dazu zwingen, gegen ihren Willen zu heiraten!«

»Ihr kennt die St. Legers nicht, Mylady. Sie machen nicht viel Federlesens, wenn sie etwas haben wollen. Ihr könnt es ja selbst sehen, wie sie mich jetzt bedrängen, ihnen eine Braut zu finden.«

»Warum machen sie sich nicht selbst auf die Suche?«

»Weil ihnen das verwehrt ist. Bei ihrer Herkunft und bei dieser Familie kann einen das auch kaum verwundern. In dieser Angelegenheit sind sie vollkommen von mir abhängig, denn ich bin ihre einzige und wahre Brautsucherin.« Miss Fitzleger blies sich voller Stolz auf so viel Bedeutung auf, doch gleich darauf machte sich wieder Trübnis auf ihrem Gesicht breit. »Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, Lady Carlyon, was es bedeutet, mit einer solchen Begabung belastet zu sein.«

Rosalind nickte mitfühlend, zog sich aber vorsichtshalber einen Schritt zurück. Wo war sie hier nur wieder hineingeraten? Sie wusste bloß, dass ihr das nicht gefiel. Miss Fitzleger bildete sich offenbar ein, über zauberische Kräfte zu verfügen, und die beiden St. Legers da draußen waren verrückt genug, sie auch noch in diesem Irrsinn zu bestärken.

Erst in diesem Moment ging Rosalind auf, dass sie zwar Witwe, aber durchaus noch im heiratsfähigen Alter war. Sie bewegte sich zur Tür hin, doch Effie kam vor ihr dort an. »Ich bitte Hurst, ihnen mitzuteilen, dass ich zurzeit nicht im Hause weile. Wenn wir uns still verhalten, werden die St. Legers auch keinen Verdacht schöpfen.«

»Miss Fitzleger, bitte ...«, begann Rosalind, doch diese zwinkerte ihr nur verschwörerisch zu und machte sich dann auf den Weg zu ihrer Haushälterin.

Rosalind fühlte sich benommen, und das rührte sicher nicht allein von der Hitze her. Vermutlich hatte sie Effie gründlich missverstanden, oder die Frau hatte maßlos übertrieben. Aber was immer auch zwischen Miss Fitzleger und den St. Legers vorgehen mochte, sie beschlich das ungute Gefühl, dass sie schon viel früher eine Gelegenheit hätte finden müssen, von hier zu verschwinden.

Den hohen Biberhut keck schief auf den Kopf gesetzt, betrachtete Lance St. Leger das efeubedeckte Cottage vor ihm. Seine zusammengepressten Lippen zeigten, wie wenig ihn die Aussicht begeisterte, mit der widerspenstigen Brautsucherin zu sprechen. Ausgerechnet heute, da er seine Zeit doch besser nützen könnte, den Dieb zu stellen, der ihn letzte Nacht überfallen hatte.

Dabei blieb er ganz auf sich allein gestellt, denn er konnte ja schlecht verbreiten, dass man ihm das kostbare Familienschwert gestohlen habe. Noch eine Seite dieses verwünschten St. Leger-Erbes. Vor den Dörflern musste man stets unfehlbar und wie jemand erscheinen, der genau wusste, was als Nächstes zu tun sei. Er hatte sich schon oft gefragt, wie sein Vater das früher zu Wege gebracht hatte. Vielleicht war Anatole aber auch von Natur aus unfehlbar.

Er erreichte Effies Tür, warf einen Blick über die Schulter und ärgerte sich, dass sein Bruder noch nicht weiter als bis zum Gartentor gekommen war. Doch dafür war weniger sein kaputtes Knie verantwortlich als vielmehr Kate, Miss Fitzlegers dürres Mündel.

Noch so eine Torheit dieser wirklich anstrengenden Frau. Als Effie vor Jahren zur Bäderkur nach Bath gereist war, brachte sie von dort Kate mit, die sie in irgendeinem Waisenhaus gefunden hatte, und gefiel sich fortan in der Rolle, Mutter zu sein.

Aber davon hatte die unbezähmbare Kate sie rasch kuriert. Und das war ja auch wirklich besser so, sonst hätte Effie noch angefangen, Kinder wie ihre Uhren zu sammeln.

Das Mädchen mit dem dichten schwarzen Haar und den blitzenden dunklen Augen zog an Val, als wollte es ihn am Weitergehen hindern.

»Nein, Val! Du darfst die verdammte alte Effie nicht bitten, dir eine Braut zu suchen!«

Da er sich nicht von ihr befreien konnte, legte Val ihr schließlich einen Arm um die mageren Schultern. Doch weder seine Ermahnungen, nicht zu fluchen, noch seine Versuche, vernünftig mit ihr zu reden, brachten den geringsten Erfolg. Im Gegenteil, das Mädchen verdoppelte nur noch seine Anstrengungen.

Lance erkannte, dass er eingreifen musste. Raschen Schritts erreichte er die beiden, riss Kate mit einer einzigen kräftigen Bewegung von seinem Bruder und überhörte dessen Proteste und ihren schrillen Schrei.

Nun musste Lance mit der kleinen Furie fertig werden, denn sie trat und schlug wütend nach ihm. Er hob sie einfach hoch und ließ sie auf der anderen Seite des Gartentors wieder runter. Dann hielt er ihr mit der Rechten beide Hände fest und kitzelte sie mit der Linken.

Kate brach auf dem Weg zusammen und konnte vor Lachen nicht mehr. »Verdammt ... sollst ... du ... sein ... Lance ... St. Leger«, keuchte sie. »Lass ... mich ... los!«

»Nur wenn du dich benimmst, Miss Katherine.«

»Scher ... dich ... zum ... Teufel!«

»Da muss ich sowieso hin. Und du begleitest mich, wenn du dich nicht endlich besserst, du Wildfang!«

Sie versuchte mit allen möglichen Finten sich zu befreien. Als ihr das nicht gelingen wollte, sah sie ihn finster an. Trotz ihrer Kräfte war Kate ein zierliches Mädchen, so dass man ihr Alter schlecht ermessen konnte.

Lance schätzte sie auf zwölf. Aber manchmal überraschte sie ihn mit einer Miene, als hätte sie schon alles Leid der Welt gesehen, und es bekümmerte ihn sehr, so etwas bei einem jungen Menschen erleben zu müssen. Doch in den Waisenhäusern ging es oft so schlimm zu, dass man es nicht beschreiben wollte.

Lance begegnete ihrem wütenden Blick mit einem von unerbittlicher Härte und lockerte seinen Griff an ihren Handgelenken nicht. Als Kate sich endlich wieder beruhigt hatte, ließ er sie vorsichtig los und fragte: »Was sollte denn dieser Aufstand, Miss Katherine?«

Sie klopfte sich den Staub von den Ellbogen und nahm sich auch sonst reichlich Zeit mit ihrer Antwort. Dann murmelte sie: »Ich will nicht, dass Val irgendeine dumme alte Kuh heiratet, die Effie ihm aussucht.«

»Und warum nicht?«

Kate senkte den Kopf, so dass ihr Gesicht hinter dem Vorhang aus schwarzem Haar verschwand. »Weil ich selbst eines Tages Val heiraten will.«

»Wie bitte?« Lance legte zwei Finger unter ihr Kinn und zwang ihren Kopf hoch. Kate hatte eine trotzige Miene aufgesetzt, und in ihrem Blick war so viel Verlorenheit, dass Lance das Lachen verging. »Meinst du nicht, mein Bruder wäre etwas alt für dich?«, fragte er vorsichtig.

»Ich hole schon zu ihm auf, wenn er nur auf mich wartet.«

»Das ist ziemlich viel verlangt, wenn er so lange warten soll, bis du ausgewachsen bist.«

»Das muss er aber! Wenn er mich nicht nimmt, werde ich niemals heiraten und so wie Effie als alte Jungfer enden.«

»Unsinn. Du wirst dich vor Verehrern kaum retten können. Allerdings müsstest du dazu regelmäßig dein Gesicht waschen. Und wenn alle Stricke reißen, kannst du immer noch mich heiraten.«

Kate schnaubte indigniert. »Nein, dich will ich nicht! Dich als Ehemann, das würden meine Nerven nicht aushalten!«

»Ganz recht«, sagte Lance lächelnd. Und als er ein paar Münzen in ihre Hand fallen ließ, fand auch Kate ihr Lächeln wieder.

Sie lief ein Stück den Weg entlang, blieb dann aber stehen und rief seinem Bruder zu: »Wir sprechen uns noch, Val St. Leger! Und wenn Effie dir eine Braut finden sollte, schieße ich die mausetot!«

Lance lachte laut, aber als sein Blick auf seinen Bruder fiel, sah er, dass dieser total entsetzt war. Doch die Begegnung mit dem kleinen Wildfang hatte Lance die gute Laune zurückgeben.

Er ging ohne übertriebene Eile zu ihm und bemerkte: »Ich muss schon sagen, Valentine. Kaum zu glauben, welche Wirkung dein Charme auf die holde Weiblichkeit hat.«

»Das arme Kind«, entgegnete Val jedoch und starrte ihr mit gerunzelter Stirn hinterher. »Ich wollte doch nur nett zu ihr sein. Wer hätte denn ahnen können, dass sie meine Bemerkung so furchtbar ernst nehmen würde?«

»Ach, zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Das ist doch nicht mehr als eine kindliche Schwärmerei. Und ich wette, Kate hat noch nicht genug zusammengespart, um sich ein Paar Duellpistolen kaufen zu können.«

»Dann wird sie eben zu dir kommen und sich deine ausborgen.« Val sah seinen Bruder ernst an. »Das Mädchen hat schon genug Unsinn im Kopf, ohne dass du sie auch noch ermutigst.«

»Ich? Was habe ich denn getan?«

»Du schimpfst ständig mit ihr und lachst nur, wenn sie flucht. Dann schenkst du ihr immer Geld, für das sie sich Naschwerk kauft. Von den vielen Süßigkeiten wird sie noch ganz krank.«

Lance geriet ins Nachdenken. Zugegeben, er hatte das Waisenmädchen in sein Herz geschlossen und verwöhnte es vielleicht auch. Aber ihm war noch nie in den Sinn gekommen, dass er Kate damit schaden könnte.

Die beiden setzten gemeinsam ihren Weg zum Haus fort. Lance belustigte Vals große innere Unruhe. Sein gedankenverlorener Bruder, der sich sonst so wenig um seine äußere Erscheinung scherte, zupfte heute abwechselnd an seinem Halstuch und an seinem Hut.

»Du musst nicht so verkrampft sein«, meinte Lance. »Selbst ich vermag kaum Effie dazu zu bringen, dir noch heute Nachmittag eine Braut aus dem Schrank zu zaubern.«

Aber vor der Tür half er Val doch, das Tuch richtig zu binden. Er selbst achtete sehr auf seine Kleidung, aber sein Bruder sah nur allzu oft so aus, als würde er sich grundsätzlich im Dunkeln anziehen.

In Momenten wie diesen glaubte Lance, Val sei Jahre jünger als er. Das Haar stand ihm ab, und in den Augen war ein verträumter Ausdruck. Val glaubte noch an Dinge wie die ewige Liebe, das dauerhafte Glück und Ähnliches. Das tat Lance schon lange nicht mehr.

»Das muss reichen«, sagte er schließlich. »Aber bevor Effie die Braut zu dir schickt, musst du mir versprechen, meinen Friseur zu empfangen. Deine Zukünftige hat nämlich vielleicht etwas dagegen, sich mit einem Spaniel zusammenzutun, der in einen Wirbelsturm geraten ist.«

Val lächelte matt, wirkte aber gleich wieder besorgt, und man merkte ihm an, dass ihm etwas anderes viel mehr zu schaffen machte als die Haare. Er hob den Gehstock mit dem Elfenbeingriff und fragte: »Aber meine Braut wird doch sicher etwas gegen das hier haben, oder?«

Val ließ sich nur selten anmerken, wie nahe ihm sein kaputtes Knie ging. Doch nun stand er so offen und verletzlich vor seinem Bruder, dass es Lance einen Stich ins Herz versetzte.

Er zwang sich zu einem Lachen. »Nein, ich bin davon überzeugt, dass deine Zukünftige sich beeindruckt zeigen wird. Vor allem, wenn du ihr berichtest, durch welch noble Geste du zu dieser Verletzung gekommen bist – indem du nämlich deinen nutzlosen Bruder gerettet hast. Ladys zeigen sich von solchen Heldentaten gern bewegt.«

»Lance ...«, begann Val, aber dieser hatte sich abgewandt, weil die Schuldgefühle ihn wieder befielen. Er betätigte Effies Türklopfer fester als beabsichtigt, um diesen Unfug endlich hinter sich zu bringen.

Die Tür öffnete sich, und die Haushälterin steckte den Kopf heraus. »Was wollt Ihr?«

»Seid doch bitte so freundlich und teilt Miss Fitzleger mit, dass mein Bruder und ich ...«

»Die Miss ist nicht zu Hause.« Die Haushälterin machte Anstalten, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Aber Lance hinderte sie daran. Er hörte Val hinter sich seufzen. Sein Bruder wäre sicher am liebsten gleich wieder gegangen, doch er ließ sich nicht so leicht abwimmeln.

»Meine liebe Miss Hurst«, begann er mit Engelsgeduld, »vielleicht seht Ihr noch einmal nach. Als ich nämlich das Gartentor erreichte, bemerkte ich Miss Fitzleger am Fenster.«

Die Alte starrte ihn an. Einzelne graue Strähnen hatten sich aus ihrer Haube gelöst. »Die Miss ist für Besucher nicht da. Jeder Gentleman würde das doch verstehen, was?«

»Wenn ich einmal einem begegne, werde ich ihn gewiss fragen.« Er schob die Tür mitsamt der Haushälterin auf, und Val blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Miss Hurst zischte wie eine Wildkatze, wovon Lance sich aber nicht beeindrucken ließ. Er nahm seinen Hut ab und warf ihn in den nächsten Sessel. Dabei sah er sich in der Diele um, in der sich ein großer Teil von Effies Uhrensammlung befand. An der Treppe erhoben sich zwei Standuhren wie stumme Wächter.

»Und wo ist Eure Miss gerade vor Anker gegangen?«, fragte Lance. »Im Esszimmer oder im Salon?«

Miss Hurst presste die Lippen zusammen, aber ein rascher Blick verriet ihm, was er wissen wollte. Lance setzte sich trotz der lautstarken Proteste der Haushälterin in Richtung Salon in Bewegung. Doch da kam Effie schon herausgestürmt und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

Sie legte Lance beide Hände auf die Brust, so als wollte sie ihn nach draußen schieben. »Verschwindet! Alle beide!«

Lance St. Leger zeigte sich etwas verwirrt. Eine solche Begrüßung war selbst für Effie ungewöhnlich.

»Ich hab’s versucht, Ma’am, aber dieser unverschämte Grobian ...«

»Das reicht, Hurst!«, sagte Lance in dem schneidenden Ton, mit dem er im Militärdienst die aufsässigsten Gefreiten zur Räson gebracht hatte. Die Haushälterin warf ihm einen giftigen Blick zu, verzog sich aber gehorsam.

Dann wandte sich Lance wieder Effie zu und bedachte sie mit seinem süßesten Lächeln »Aber, aber, meine Liebe, ist das etwa die Art, wie man seinen treuesten Bewunderer empfängt?« Er ergriff einfach eine ihrer Hände und hauchte einen Kuss darauf. »Wie könnt Ihr nur so grausam sein, mich unverrichteter Dinge fortschicken zu wollen?«

Effie schmollte, entgegnete aber: »Euch sehe ich doch immer gern, Lance, denn Ihr verlangt niemals etwas Unmögliches von einer armen, schwachen Frau. Den da möchte ich heute aber nicht hier sehen«, fügte Effie hinzu und zeigte auf seinen Bruder.

»Aber Effie!«, stieß Val aus. »Erst gestern habt Ihr noch gesagt, ich könne heute wiederkommen.«

»Ja, doch jetzt passt es mir nun einmal nicht. Ich habe nämlich bereits Besuch, eine liebe Freundin von außerhalb.«

»Ich könnte mir gut vorstellen, wie sehr diese liebe Freundin sich freuen würde, unsere Bekanntschaft zu machen«, bemerkte Lance.

»Das möchte ich doch stark bezweifeln. Sie ist an euch beiden nicht interessiert.«

»Tatsächlich?«, murmelte Lance und beobachtete, wie die Tür zum Salon sich unmerklich bewegte. Die angeblich desinteressierte Besucherin schien alles belauschen zu wollen.

Mit einem Grinsen ging Lance in raschen Schritten um Effie herum und riss die Tür ganz auf. Die Lauscherin stolperte in die Diele und fiel ihm direkt in die Arme.

»Hallo, wer kommt denn da?«, sagte Lance lachend. »Ich muss gestehen, mir hat sich noch nie eine Schöne gleich zu Füßen geworfen, aber ...«

Er verstummte, als die Besucherin den Kopf hob und ihn verwirrt anstarrte. Unter dem Rand der Kappe befand sich das Gesicht der Herrin vom See.

Wie gelähmt konnte Lance nur zurückstarren, und in diesem Moment nahm er nicht einmal mehr das infernalische Ticken der ungezählten Uhren wahr, von denen keine zwei gleich gingen.

Rosalind ... Rosalind Carlyon, ja, so hieß sie. Aber was hatte die junge Frau hierher geführt? Sie wollte doch eigentlich längst Cornwall kreuz und quer durchreisen, um den Geburtsort von Königs Artus zu finden oder sonst irgendwas Versponnenes.

Aber stattdessen stand sie hier vor ihm. Genauer gesagt, lag sie in seinen Armen, und zu seiner Verwunderung war ihm das auch sehr recht so.

Ohne nachzudenken, zog er sie näher an sich, bis sie einen Schrei ausstieß, der Lance in die Wirklichkeit zurückschleuderte.

Rosalind hatte alle Farbe aus dem Gesicht verloren, und sie sah ihn an, als hätte sie einen Geist vor sich.

Lance ließ sie los und bekam kaum mit, wie Effie die drei einander vorstellte, denn er suchte fieberhaft nach einer klugen Erklärung oder auch pfiffigen Ausrede, warum er dem Ritter Lancelot so ähnlich sah. Normalerweise hätte er sein Gehirn für so etwas nicht übermäßig anstrengen müssen, aber je länger er Rosalind in die blauen Augen blickte, desto weniger wollte ihm einfallen.

»Lady Carlyon ...«, stammelte er, »... ich kann Euch alles ... alles erklären ...«

Nein, das konnte er ganz bestimmt nicht, was aber nichts machte, denn Rosalind hatte ihm gar nicht zugehört. Sie streckte eine zittrige Rechte aus und bewegte sie auf Lance zu. Wollte sie etwa feststellen, ob ihre Hand durch ihn hindurchfuhr?

Als die Fingerspitzen gegen seine harte Brust stießen, stöhnte sie leise und fiel auf der Stelle in Ohnmacht. Lance konnte sie gerade noch auffangen.

Er hob sie hoch und hielt sie in den Armen, wobei er sich ihrer weiblichen Kurven durchaus bewusst wurde.

Eine Flut unterschiedlichster Empfindungen verwirrte ihn. Doch am allermeisten fühlte er sich hilflos und wusste nicht so recht, wie er darauf reagieren sollte. Lance hatte schon alles Mögliche mit Frauen erlebt – hysterisches Geschrei, Wutanfälle, Verwünschungen und Geschirr, das ihm um die Ohren flog. Eine feurige Opern-Diva hatte sogar versucht ihn zu erschießen. Aber dass eine Frau bei seinem Anblick in Ohnmacht fiel, war ihm noch nie widerfahren.

Er hätte jetzt etwas darum gegeben, eine praktische Frau wie seine Mutter an seiner Seite zu haben, die immer ein Fläschchen Riechsalz in der Handtasche mitführte. Aber ihm stand nur Effie zur Verfügung, und die erweckte ganz den Eindruck, als würde ihr gleich ebenfalls schwarz vor den Augen.

Lance wandte sich zu seinem Bruder um, doch der war ihm ebenfalls keine Hilfe. Der Wunderheiler, der sonst stets genau wusste, was im Fall einer Erkrankung zu tun sei, starrte nur wie ein Mondsüchtiger auf Rosalind.

»Val!«

Lance’ scharfer Ton riss ihn aus seiner Trance. Mit nüchterner, sachlicher Miene wollte er zu seinem Bruder, als Effie ihn am Arm packte.

»Gottogott! Sie ist es! Warum habe ich das denn nicht früher gefühlt?«

»Effie, wir haben jetzt keine Zeit für solche Ausbrüche!«, mahnte Lance. »Könnt Ihr nicht etwas Sinnvolles tun wie zum Beispiel Hurst auftragen, Wasser zu holen, oder ...«

»Aber sie ist es, wenn ich es Euch sage!«, beharrte Miss Fitzleger und rüttelte Val am Arm. »Eure Braut! Eure auserwählte Braut!«

Lance glaubte nicht richtig gehört zu haben, und sein Bruder ließ vor Schreck den Gehstock fallen. Dann breitete sich ganz langsam ein Ausdruck auf seinem Gesicht aus, wie Lance ihn noch nie bei Val erblickt hatte – Ehrfurcht, Zärtlichkeit und Freude, bis seine Augen glühten wie bei einem Fieberkranken. Mit ausgebreiteten Armen schritt er, ohne sein Humpeln zu bemerken, auf Lance zu, offenbar gewillt, sie mit einem Kuss zum Leben zu erwecken.

Aber dagegen hatte Lance etwas, wie er verwirrt feststellte. Nicht bei seiner Herrin vom See. Er schloss die Arme fester um Rosalind und entfernte sich mit ihr von seinem Bruder. Lance zog sogar die Oberlippe zurück, als wollte er die Zähne fletschen – und blinzelnd kam er wieder zur Vernunft. Waren sie nicht aus eben diesem Grund hierher gekommen? Damit Effie seinem Bruder eine Braut fände?

Aber warum musste das ausgerechnet Rosalind sein?

Was war denn bloß los mit ihm. Widerwillig zwang er sich dazu, Rosalind Val zu überlassen, als Effie erneut schrie: »Nein, nicht Valentines Braut, ihr Narren, sondern Eure!«

»Was?« Lance hätte vor Verblüffung beinahe Rosalind fallen gelassen. Dabei ruhte ihr Kopf doch an seiner Schulter, als gehörte er dorthin. Als Lance ihr wieder ins Gesicht sah, floss das Blut in seinen Adern schneller, und er empfand ein ungewohntes Bedürfnis nach Zärtlichkeit. Das durfte natürlich nicht sein.

»Hier!«, rief er und stieß Rosalind seinem Bruder in die Arme, als handelte es sich bei ihr um eine ansteckende Krankheit.

Aber Val war längst stehen geblieben und hatte die Arme sinken lassen. »Nein, Lance, das ist nicht meine Braut, sondern deine. Du hast doch gehört, was Effie gesagt hat«

»Ja, das habe ich, aber wir beide wissen doch, dass die Frau ziemlich konfus im Kopf ist und alles durcheinander bringt.«

»Wie bitte?«, empörte sich Miss Fitzleger. »In solchen Angelegenheiten habe ich mich noch nie geirrt.«

»Und was war damals, als ...«, begann Lance, unterbrach sich aber, weil ihm gerade die Unmöglichkeit dieser Situation aufgegangen war. Da stritt er sich mit einer verrückten Alten und seinem unfähigen Bruder um eine ohnmächtige Schöne.

Da er aber der Einzige zu sein schien, der noch nicht seinen Verstand verloren hatte, oblag es wohl ihm, sich um Rosalind zu kümmern. Er ging an Effie vorbei in den Salon und legte sie auf die Couch. Dabei wurde ihm bewusst, wie unsäglich heiß es in dem Raum war.

Mitten im Sommer hatte dieses verrückte Huhn ein prasselndes Feuer im Kamin entzündet und alle Fenster fest geschlossen. Kein Wunder, dass es der Herrin vom See die Besinnung geraubt hatte.

Als jemand hinter ihm den Salon betrat, glaubte er, sein Bruder sei gekommen, und rief über die Schulter: »Val, reiß alle Fenster auf, sonst kippe ich jeden Moment ebenfalls um!«

Aber stattdessen antwortete ihm Effie mit ernster Stimme: »Euer Bruder ist nicht mehr da. Ich habe ihn nach Hause geschickt. Niemand kann von mir verlangen, an einem Tag mehr als eine Braut zu finden. Ich fühle mich so ausgelaugt, dass ich nicht weiß, ob meine besondere Fähigkeit jemals wieder funktionieren wird. Es würde mich nicht verwundern, wenn ich auch gleich in Ohnmacht fiele!«

»Wenn Ihr das tut, trage ich Euch hinaus in den Garten und werfe Euch in den Fischteich. Jetzt hört endlich auf damit, Euch wie eine verdammte Närrin zu benehmen, und helft mir mit dieser Frau.«

»Was für ein undankbarer Grobian Ihr doch seid. Und das, nachdem ich Euch doch gerade eine Braut gefunden habe.«

»Ich will aber gar keine Braut haben!«

»Warum habt Ihr sie dann hier hineingetragen?«, erwiderte Effie mit beleidigter Miene. »Davon abgesehen ist es jetzt bereits zu spät. Bringt diese Frau zur Kirche, und heiratet sie. Und kommt bloß nicht auf die Idee, mich als Brautjungfer anzufordern.«

Jetzt brach sie in Tränen aus und floh aus dem Raum. Lance hatte keine Lust, ihr zu folgen, und marschierte zu den Fenstern, um frische Luft hereinzulassen.

Dabei fiel sein Blick auf Val. Der schlich gerade mit hängenden Schultern zurück zum Gasthof, wo sie ihre Pferde gelassen hatten. Sein Bruder sah aus, als wären all die Luftschlösser, die er eben erbaut hatte, auf ihn herabgestürzt.

Wie eigenartig, Val hatte noch nie jemandem Hilfe verweigert. Lance konnte nur ahnen, wie enttäuscht sein Bruder sein musste. Und wie er es drehte und wendete, in ihm wuchs mal wieder das Gefühl, für Vals Misere verantwortlich zu sein. Am liebsten wäre er seinem Bruder hinterhergelaufen, aber mit einer beleidigten Miss Fitzleger und einer bewusstlosen Rosalind waren ihm irgendwie die Hände – und Füße – gebunden.

Lance öffnete alle Fenster und eilte dann in die Diele zurück, um einen Bediensteten aufzutreiben. Aber wie nicht anders zu erwarten, ließ sich in Effies chaotischem Haushalt niemand finden, wenn man mal jemanden dringend brauchte. Selbst die »Perle« des Hauses, Miss Hurst, schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Verdrossen kehrte er in den Salon zurück und suchte nach einem Fächer, Riechsalz, Brandy oder sonst etwas, das jetzt weiterhelfen konnte. In seiner Not riss er einen Strauß Rosen, die ihre besten Tage längst hinter sich hatten, aus ihrer Vase und befeuchtete mit dem verbliebenen Wasser sein Taschentuch. Dann setzte er sich neben Rosalind auf die Couch und nahm ihr Kappe und Haube ab. Dabei löste sich ihr Chignon ein wenig, und goldene Strähnen fielen ihr über die Augen.

Lance schob sie beiseite und betrachtete das Antlitz der jungen Frau besorgt – immer noch so blass und keinerlei Anzeichen, wieder zu sich zu kommen.

Das lag natürlich an diesen Unmengen von Stoffschichten, in welche Frauen sich freiwillig einzwängten. Val wäre entgeistert vor solcher Tat zurückgeschreckt, aber Lance nahm Rosalind ohne Federlesens den Gazeschal ab, den sie aus Schicklichkeitsgründen trug.

Dann rollte er sie auf die Seite und öffnete die Knöpfe ihres Mieders. Danach löste er auch die Knoten an den Korsettbändern. Als er schließlich noch die weiche Chemise freigelegt hatte, schien Rosalind tatsächlich etwas leichter zu atmen.

Nun legte er die Lady wieder auf den Rücken und fühlte ihren Puls. Zu seiner Erleichterung ging er schwach, aber regelmäßig. Lance nahm sich tapfer vor, bei dieser Tätigkeit nicht auf die Reize der jungen Frau zu achten. Doch das fiel ihm sehr, sehr schwer, und Rosalind hatte reichlich Reize zu bieten.

Mit gesenkten Lidern bewunderte er dennoch das zarte Schlüsselbein, den Schönheitsfleck auf ihrem Busen, den spitzenbesetzten Saum des Hemds, der zwei runde, perfekte Halbkugeln umrahmte, und die dunklen Schatten der Brustwarzen.

Lance löste mit Gewalt den Blick von diesen Partien und richtete ihn wieder auf Rosalinds Gesicht. Er goss den Rest des Vasenwassers auf das Taschentuch und legte es dann auf ihre Stirn.

Die Herrin vom See konnte man gewiss nicht als Schönheit bezeichnen, zumindest nicht nach dem gerade herrschenden Schönheitsideal. Dagegen sprachen ihre Stupsnase, ihr entschiedenes Kinn und der Ansatz von Sommersprossen auf den Wangen.

Dennoch ging von ihren Zügen etwas Berückendes und Harmonisches aus, dem kein Mann widerstehen konnte. Ein sanftes Gesicht, so frisch wie Frühlingsblumen und mit einer Verträumtheit, bei der man unwillkürlich an längst vergangene, märchenhafte Tage denken musste – an Zeiten, als Maiden mit goldenen Haaren in rosenbewachsenen Lauben saßen, vor sich hin sangen und von dem Märchenprinzen träumten, der auf seinem prachtvollen Schimmel herangeritten käme.

Dieses Antlitz könnte einen Mann in die größten Schwierigkeiten stürzen, wenn er nicht höllisch aufpasste, sagte sich Lance jetzt und fragte sich, ob ihr das bereits gelungen war? Sie hatte letzte Nacht seine Seele bewegt und ihn so sehr abgelenkt, dass er darüber ganz die Suche nach dem Schwert vergessen hatte.

Und jetzt kam auch noch Effie Fitzleger und verkündete, Rosalind sei die ihm vorherbestimmte Braut. Lance hielt zwar nicht viel von den Fähigkeiten der Brautsucherin, aber die Familie würde die Entscheidung dieser Frau sehr ernst nehmen. Wenn seine Verwandten Wind von Effies jüngstem Spruch bekamen, würden sie geschlossen herbeieilen und ihn zur Hochzeit drängen. Und das war das Letzte, was Lance jetzt gebrauchen konnte.

Seine einzige Hoffnung bestand darin, die Brautsucherin davon zu überzeugen, diesmal einen Fehler begangen zu haben. Er selbst war auch ganz sicher, dass es sich gar nicht anders verhalten konnte.

Rosalind brauchte einen sanften, rechtschaffenen Mann mit einer reinen Seele. So jemanden wie Val.

Er rieb ihre Handgelenke und flüsterte ihren Namen. Plötzlich drehte sie den Kopf, und ihre Lider öffneten sich flatternd.

Ihr verwirrter Blick wanderte rasch durch den ganzen Salon und blieb dann an Lance hängen. Sofort breitete sich solche Freude auf ihrem Gesicht aus, wie er sie noch nie bei einer Frau erlebt hatte.

Leichte Röte kehrte auf ihre Wangen zurück. Als sie lächelte, kam es ihm so vor, als würde die Sonne nur für ihn scheinen.

Ja, Val wäre genau der Richtige für sie.

Noch während Lance das dachte, beugte er sich vor und berührte Rosalinds Mund mit seinen Lippen.

Das Vermächtnis der Feuerfrau

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