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3 Unstillbarer Hunger

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»Mit dir fühlt sich das Leben so leicht an, meine liebste Anna!« Freiherr von Wildbach drängte seinen nackten Körper noch enger an den seiner Geliebten und übersäte ihren Hals mit feuchten Küssen. Anna schloss die Augen und ließ es geschehen. Der Schweiß perlte auf ihrer Haut, ihr Atem ging schwer und stoßweise.

»Ja, mein Guter, du hast mich berauscht und beinahe in den Wahnsinn getrieben!« Um ihre Aussage zu unterstreichen, schüttelte sie wüst den Kopf. Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht und blieben an ihrer Stirn kleben. Von den Komplimenten angetrieben, suchte der Freiherr erneut nach der Scham seiner Geliebten.

»Dein Hunger nach mir scheint unstillbar«, flüsterte er, bevor er in ihrem Dekolleté versank. Erschöpft wischte sich Anna die Haare aus dem Gesicht und kicherte über seine Worte. Sie war sich sicher gewesen, dass er nach diesem Mal genug für heute hätte und von ihr ablassen würde. Aber sie schien sein Jungbrunnen zu sein. Mit jedem Besuch in ihrer kleinen Wohnung wuchs nicht nur seine Ausdauer, sondern auch seine Gier.

Anna genoss diesen Zustand des Begehrtwerdens und fühlte eine tiefe und stetig wachsende Verbindung zum Freiherrn. Freilich wusste sie, dass er verheiratet war, aber davon ließ sie sich nicht abschrecken. Immerhin musste sie nicht mehr im Laufhaus arbeiten und hatte ihr geregeltes Einkommen an seiner Seite. Zudem war er stets nüchtern, gepflegt und gut gekleidet. Er war ein angesehener Mann, dem die Frauen trotz seines Alters noch gerne hinterherblickten. Die aufrechte Haltung, die freundliche Miene, das weiche Lächeln und die sonore Stimme. All das machte ihn zu einem Objekt der Begierde. Und dennoch fand er sich Tag für Tag im Schoß von Anna ein.

Dass er verheiratet war, schien auch für ihn kein Hindernis darzustellen. Er erwähnte seine Gattin nur ab und an – die beiden beschritten seit Jahren verschiedene Wege und gewährten einander weitläufige Freiheiten. Anna sollte sich also glücklich schätzen. Und in gewisser Weise tat sie das auch. Hätte sie nicht viel höhere Ziele für sich gesetzt, hätte sie sich entspannt zurücklehnen können, um die schmatzenden Küsse des Freiherrn genüsslich über sich ergehen zu lassen.

»So könnte es immer sein, mein Guter«, hauchte sie ihm ins Ohr.

»Wie meinst du das?« Der Freiherr ließ nur ungern von den wohlgeformten Brüsten ab und hob den Kopf. »Es ist doch immer so!«

»Ist es nicht!«, erzürnte sich Anna, rückte von den lüsternen Händen des Freiherrn ab und zog das weiße Laken über ihre Oberweite. »Woche für Woche kommst du zu mir in mein Bett und verschwindest ebenso schnell, wie du aufgetaucht bist.«

»Erstens ist das nicht dein Bett. Es gehört mir und ich besitze die Güte, dich darin nächtigen zu lassen und mir ab und an kleine Gefälligkeiten als Gegenleistung zu erweisen. Zweitens war genau das mein Plan: Zu kommen, wann mir danach ist und zu gehen, nachdem du mir deine Dienste erwiesen hast. Genau das war unsere Abmachung.«

Anna war entsetzt über die Rüpelhaftigkeit, die in den Worten des Freiherrn mitschwang.

»Dann liebst du mich gar nicht?«, fragte sie zaghaft.

Der Freiherr begann zu lachen. Erst leise, dann immer lauter, bis sein Gelächter schließlich abartig schrill wurde.

Anna fühlte wieder diesen Kloß in ihrem Hals, der ihr zu sagen versuchte, dass sie ihr Leben nie in den Griff bekäme. Weder als Notarfrau noch als Mutter, Hure oder Geliebte. Sie war eine erbärmliche Versagerin, und hätte da nicht ein letztes Fünkchen Stolz durch ihr Herz pulsiert, hätte sie sich vor dem Freiherrn geohrfeigt. Wieder und wieder.

»Komm, lass uns nicht mehr darüber reden. Wir waren doch gerade bei einer viel angenehmeren Beschäftigung«, meinte er und zog Anna an sich, ohne die aufsteigenden Tränen in ihren Augen zur Kenntnis zu nehmen.

Anna fühlte sich wie versteinert, unfähig, sich gegen den Mann in ihrem Bett aufzulehnen. Sie wollte sich zusammenrollen und unter der Decke verstecken, wo niemand ihrer Verzweiflung gewahr werden konnte. Aber das war unmöglich, das wusste sie. Sie musste das Spiel weiterspielen, das sie begonnen hatte. Das Leben wollte ihr keine Pause gönnen, weder heute noch morgen. Sollte er sich doch nehmen, was er wollte, oder was ihm seiner Meinung nach zustand. Sie würde es ertragen, wie sie es schon so oft ertragen hatte. Sie wollte ihn nicht verdrießen, schließlich war sie auf seine Gunst angewiesen. Wenn sie ihn nicht mehr hätte, stünde sie wieder auf der Straße. Und dann böte sich ihr nur der erneute Gang ins Laufhaus.

Nein, nie wieder!, schwor sie sich und konnte dem Freiherrn sogar ein leises Stöhnen erübrigen.

Nachdem der Freiherr seiner Lust gefrönt hatte, stieg er wortlos aus dem Bett und griff nach seiner Kleidung, die Anna für ihn ordentlich über eine Sessellehne gehängt hatte.

»Du willst schon gehen?«, fragte Anna wehmütig.

»Ja!«, antwortete er kurz, ohne Anna eines Blickes zu würdigen. Rasch schlüpfte er in sein Hemd und verzichtete darauf, die Knöpfe an Kragen und Manschetten zu schließen.

Mit scharfem Blick beobachtete Anna die hastigen Bewegungen ihres Liebhabers. Er schien es eilig zu haben. Eiliger als sonst. »Die Nacht ist noch jung, Friedhelm, wir könnten noch eine gute Flasche Wein öffnen und es uns vor dem Kamin gemütlich machen.«

Der Freiherr schüttelte lustlos den Kopf und griff nach seinem Beinkleid. Seine gekräuselte Stirn zeugte von seinem gereizten Nervenkostüm, das wusste Anna nur zu gut, trotzdem hakte sie ein weiteres Mal nach. »Ich könnte das gute Öl aus dem Bad holen. Du weißt schon, das, mit dem ich deinen …«

»Ach hör schon auf, Anna, ich hab doch gesagt, dass ich wegmuss!«, unterbrach sie der Freiherr barsch. Zornig wischte er einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und machte sich auf die Suche nach seinem Schuhwerk.

»Hab ich etwas falsch gemacht, Liebster?«, fragte Anna, stand auf und ging auf den Freiherrn zu.

Dieser ignorierte sie nach Leibeskräften und gab weiterhin vor, intensiv nach seinem Schuhwerk zu suchen.

»Wart, ich will dir helfen«, wisperte Anna und beugte sich unter jeden Stuhl.

»Ich will dir sagen, was du falsch gemacht hast!«, schnauzte der Freiherr wild und warf einige Kissen von der gerundeten Sitzbank. »Du hast dich nicht an unsere Abmachung gehalten, meine Liebe.«

Anna starrte ihn mit großen Augen an und suchte nach den passenden Worten.

»Ja, du hast mich schon verstanden! Meine Anweisungen waren eindeutig: Wenn ich dich hier in der Wohnung aufsuche, dann hast du die Beine breit zu machen, mehr nicht! Ich will kein Geplapper vor dem Kaminfeuer und auch kein Geheule, dass ich länger bleiben möge. Und schon gar nicht will ich, dass du das Wort Liebe ins Spiel bringst! Wenn es für dich zu viel ist, dich an derart klare Regeln zu halten, dann ist es wohl besser, du ziehst noch heute aus!«

Anna biss sich auf die Lippen. Der Druck auf ihrem Brustkorb fühlte sich unbändig hart an und erschwerte ihr jeden Atemzug. »Bitte verzeih«, wimmerte sie.

Als der Freiherr das von Verzweiflung verzerrte Gesicht sah, atmete er tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Anna deutete die milden Züge ihres Geliebten falsch und ging mit ausgestreckten Händen auf ihn zu. »Liebster, wir gehören zusammen. Du fühlst sie doch auch, diese starke Verbindung zwischen uns!«

Bei diesen Worten verhärtete sich der Ausdruck im Gesicht der Freiherrn und auch seine Körperhaltung wurde wieder aufrecht und starr. »Du hast mich nicht verstanden, hast mir gar nicht zugehört, was? Es gibt nur eines, das ich von dir will, und das hol ich mir, wann immer mich danach verlangt. Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben und wünsche keine weiteren Veränderungen. Hast du jetzt verstanden? Ist dir nun klar, welche Rolle du zu spielen hast?« Der Freiherr wartete auf keine Antwort, sondern schnappte sich seine letzten Kleidungsstücke und verschwand aus der Wohnung, ohne sie sich überzuziehen.

Für Anna wurde es eine kalte und lange Nacht, in der sie versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Der Freiherr hatte ihr mehr als deutlich dargelegt, dass sie für ihn nur ein Objekt der Begierde war. Dass sie nie im Leben mehr sein würde, als seine heimliche Geliebte. Und vermutlich war das Wort Geliebte bereits eine Übertreibung. Er sah sie als seine Dirne, sein Eigentum, für das er bezahlte. Mehr nicht. Sie hatte auf das falsche Blatt gesetzt und verloren. Das Schlimmste an der Sache aber war, dass sie nicht nur die Hoffnung auf eine segensreiche Zukunft verloren sah, sondern ihre Empfindungen zutiefst verletzt worden waren. Ausgenutzt fühlte sie sich, schlimmer noch: Sie hatte das Gefühl, am Boden zu liegen und mit Füßen getreten zu werden. Immer und immer wieder.

Ein tiefes Schluchzen entfuhr ihrer Kehle, als ihr gewahr wurde, wie sehr sie an dem Freiherrn hing und wie sehr sie sich gewünscht hätte, den rechtmäßigen Platz an seiner Seite einnehmen zu dürfen.

Nun hatte sie die Wahl: Wollte sie dieses Leben weiterführen und warten, bis er ihrer abtrünnig wurde und sich eine neue Liebschaft angelte? Oder sollte sie gehen und sich nach einer anderen Stellung umsehen? Es konnte doch nicht so schwer sein, eine geeignetere Stellung zu finden. Schließlich war sie nicht dumm, ganz im Gegenteil. Ihr Vormund hatte ihr eine für eine Frau überdurchschnittlich gute Ausbildung zuteilwerden lassen. Sie konnte lesen, schreiben und sogar einfache Rechnungen lösen. Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn sie sich dieses Wissen nicht zunutze machen könnte.

Ins Laufhaus wäre auf keinen Fall ein weiteres Mal eine Alternative, das schwor sie sich. Sie kramte nach dem Beutel, in dem sie ihre wenige Habe aufbewahrte, und begann, das Geld zu zählen. Der Druck auf ihrem Brustkorb legte an Stärke zu, als nach vierhundert Gulden keine einzige Münze mehr im Beutel aufzufinden war. Dennoch würde sie nicht länger das Spiel des abgebrühten Freiherrn über sich ergehen lassen. Sollte er sehen, wie es sich auf sein Gemüt schlagen würde, wenn er die Wohnung leer vorfände. Keine Anna mehr, die ihn verwöhnte und ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen versuchte.

Ein Gefühl machte sich in ihr breit, das ihr sagte, dass der Freiherr sie vermissen und zu sich zurückholen würde. Ja, sie müsste ihm nur klar genug zeigen, dass sie nicht sein Eigentum wäre. Gleich am nächsten Tag würde sie ihre Habe packen und das Weite suchen. Egal wohin, einfach nur weg.

Erleichtert über diesen Entschluss, wickelte sie sich in ihre Decke ein.

»Das Leben ist nicht schlecht, es sei denn, man macht etwas Schlechtes daraus«, hatte ihr Vormund Marten Leuters stets zu sagen gepflegt.

»Ich bin noch lange nicht am Ende«, schwor sie sich, tupfte ihre Tränen von den Wangen und versuchte, die Schmach über die Abfuhr des Freiherrn zu verdrängen.

Die Giftmörderin

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