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4 Erdrückende Stille

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»Schreib uns, wann immer du kannst, ja?« So sehr ich auch versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken, es gelang mir einfach nicht. Stark wollte ich sein bei Peters Abschied, aber meine haltlose Verzweiflung steigerte sich ungebremst mit jeder Sekunde. »Und zieh dich immer warm an, hörst du?«

Anton legte das wenige an Gepäck in den Kofferraum des Taxis, während Peter aufgeregt in alle Richtungen blickte, als wollte er jedes Haus und jeden Baum unauslöschlich in sein Gedächtnis brennen.

»Nun lass doch den Jungen in Ruh! Der ist alt genug, um zu wissen, was er anziehen muss.«

»Jaja, schon gut«, murmelte ich, ohne Anton anzusehen.

»Ich pass auf mich auf, versprochen. Und ich schreibe euch, sobald und sooft es mir möglich ist.«

»Na los, steig ein, sonst fährt der Zug ohne dich«, zeterte Anton.

»Peter!«, rief ich, als dieser sich bereits auf den Weg zum Automobil gemacht hatte. »Peter.«

»Rese, was ist?«

Ich werde dich vermissen. Ich habe wahnsinnig große Angst um dich. Ohne dich wird es hier unerträglich. Was, wenn wir uns nicht wiedersehen?

»Komm gesund wieder, ja?« Ich mühte mir ein Lächeln ab und winkte ihm gespielt fröhlich zu.

Er strahlte mich an und streichelte mich mit seinem Blick, als ob es eine zärtliche Berührung wäre. Dann stieg er in den Wagen und schloss die Tür. Anton nickte mir zu und setzte sich zu seinem Sohn auf die Rückbank.

Wie gerne hätte ich die beiden begleitet und Peter erst am Bahnhof verabschiedet. Aber dergleichen gestattete mein Ehemann nicht. Er war der Meinung, dass dies eine Angelegenheit zwischen Vater und Sohn war und ich dabei nur nutzlos im Weg stünde. Vielleicht hatte Anton recht und es war gut, dass dieser Moment ihnen allein gehörte. Ich wünschte mir von Herzen, dass er es schaffte, sich würdig von seinem Sohn zu verabschieden, ihm Worte der Zuneigung zuzuflüstern und ihn in den Arm zu nehmen. Insgeheim wusste ich es besser. Er würde ihm vermutlich zu fest auf die Schulter klopfen und ihm raten, das Vaterland nicht zu beschämen.

Nachdem das Taxi am Ende der Straße abgebogen war, machte ich kehrt und trottete traurig zurück ins Haus.

»Was ist eigentlich mit dir?«, fragte ich, während ich mit dem Löffel in meiner längst erkalteten Suppe rührte.

»Was soll mit mir sein?«, brummte Anton mit vollem Mund.

»Hast du deinen Einberufungsbefehl schon erhalten?« Mein Herz schlug mir bis zum Hals, endlich hatte ich es gewagt, die eine Frage zu stellen, die sich mir seit Tagen im Kopf herumdrehte wie ein wildes Karussell.

»Einen Einberufungsbefehl? Ich? Das hättest du wohl gerne.« Scheppernd legte er seinen Löffel beiseite und warf die angebissene Brotscheibe auf die Tischplatte. »Dann wärest du die alleinherrschende Dame des Hauses.«

Ich wich seinen Blicken aus, denn ja, Anton hatte recht. Genau das wünschte ich mir sehnlichst.

»Da muss ich dich enttäuschen, meine Liebe. Als Bediensteter der Vollzugsanstalt leiste ich bereits meinen Dienst fürs Vaterland und bleibe somit vom Kriegsgeschehen verschont.«

Ich wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen, zu groß war meine Angst, dass er mir die Ernüchterung ansähe. »Was für ein Glück«, heuchelte ich und nahm einen kräftigen Schluck vom handwarmen Bier.

Dann schwiegen wir beide. Es war eine bedrückende Stille, die zwischen uns herrschte. Und ein beklemmendes Gefühl sagte mir, dass es noch schlimmer werden würde.

An einem freundlich sonnigen Vormittag im Frühling kam ich Antons Aufforderung nach und polierte die Fenster auf Hochglanz.

»Hast auch schon mal besser ausgesehen, Mädchen.« Ich erschrak, als mich eine kratzige Stimme aus meinen Gedanken riss. Ich legte den Putzlappen beiseite, streckte Rücken und Nacken durch, anschließend ging ich an den Zaun zur Nachbarin.

»Ich verstehe nicht«, sagte ich, während ich meine feuchten Hände an meinem gestreiften Kittel abwischte.

»Schlecht siehst aus, hab ich gesagt. Aber das war ja zu erwarten. Wenn Männer heiraten und dann noch dazu eine so junge Frau …«, sie brach den Satz ab und zwinkerte mir vielsagend zu.

Ich schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen.

»Aber du wolltest es ja nicht anders, hab ich recht? Hast dich einfach ins gemachte Nest gesetzt. Die arme Ludmilla, Gott hab sie selig. Wenn die wüsste, was ihre ach so geliebte Nichte mit ihrem Gatten treibt, dann würde sie sich im Grabe umdrehen.« Die Boshaftigkeit der alten Huberin war noch ausgeprägter als ihr Buckel. Soweit ich mich erinnerte, ging sie seit jeher am Stock, der gemeinsam mit ihr zu schrumpfen schien. Das hübsch geblümte Kopftuch, unter dem ihre grauen Augen hervorlugten, konnte meinen Eindruck von ihr nicht mehr beschönigen.

Ich überlegte, ob ich der Huberin meine Meinung sagen sollte, doch während ich in ihr fahles Gesicht schaute, überkam mich ein Anflug von Mitleid. Die Frau hatte sich ihr Leben lang selbst genug gestraft. Mit ihrer Bosheit hatte sie jeden Mann erfolgreich von sich ferngehalten und jede Freundschaft zunichtegemacht. Offensichtlich hatte sie mich zu ihrem neuesten Opfer auserkoren, aber ich würde ihr einen Strich durch die Rechnung machen und sie mit meiner Abweisung mehr bestrafen, als Schimpfwörter es je könnten.

Eine Weile starrte ich noch in ihre leeren Augen, dann schüttelte ich kaum merklich den Kopf und wandte mich von ihr ab. Ich würde lieber die Fenster fertigputzen, um danach guten Gewissens zu meiner geliebten Magdalena gehen zu dürfen.

»Aha, da habe ich wohl einen wunden Punkt erwischt, was?«, zischte die Huberin mir so zornig nach, dass ich glaubte, ihre Blicke im Rücken spüren zu können. »Ich werde ein Auge auf dich haben. Ich lass nicht zu, dass du Schande über Ludmillas Habe bringst.«

Ludmilla ist tot, dachte ich bei mir und wünschte, es wäre anders und ich hätte nie ihren Platz einnehmen müssen.

Trotz der Ablenkung durch die Huberin gelang es mir, meinen Zeitplan einzuhalten. Kurz nach Mittag holte ich mein Fahrrad aus der Scheune und trat leicht beschwingt in die Pedale. Der Weg zu Magdalena war seit meinem Umzug bedeutend länger als von meinem Elternhaus. Ich musste, vom Inn begleitet, an der alten Klosterkirche vorbei, in deren prächtigem Anbau nicht nur die Klosterschwestern wohnten, sondern auch der Schulunterricht stattfand. Dann führte mein Weg durch ein kleines Wäldchen und danach direkt an den Feldern entlang, die bereits zum Besitz der Eckers gehörten.

Dafür, dass es ein sonniger Frühlingstag war, erschien es mir um den Hof auffallend ruhig. Ich legte an Tempo zu und näherte mich rasch dem Innenhof. Dort lehnte ich wie gewohnt mein rostiges Fahrrad gegen die Mauer des Kuhstalls und verschaffte mir einen Überblick. Auch hier wirkte der Hof wie verlassen. Keine Frau Ecker, die schimpfend die Hühner fütterte, kein Knecht, der den Mist auf den Misthaufen karrte, kein Hämmern aus der Werkstatt und kein Singsang von Magdalena. Sogar die Tauben auf den Dächern hatten aufgehört zu gurren. Ich hatte mich bereits auf den Weg zum Bauernhaus gemacht, als ich hinter mir Schritte hörte.

»Rese?« Ich drehte mich um und blickte in Magdalenas verweinte Augen.

»Was ist passiert?«, fragte ich so leise, dass ich mich selbst kaum wahrnahm.

»Sie sind alle weg.«

»Wer, Magdalena, wer?«

»Meine Knechte. Sie wurden einberufen.«

»Aber das war doch zu erwarten, oder etwa nicht?«, fragte ich ahnungslos.

»Nein«, wimmerte Magdalena und wischte sich schluchzend die Tränen von den Wangen. »Wer soll denn nun die ganze Arbeit hier machen? Das Vieh, die Felder, sämtliche Reparaturarbeiten, das schaffe ich unmöglich. Selbst wenn ich Tag und Nacht schufte, kann ich dessen nicht Herr werden.« Verzweifelt nahm Magdalena am steinernen Brunnen, der in der Mitte des Hofes stand, Platz und vergrub ihr Gesicht in beiden Händen.

»Du bist doch nicht allein«, sagte ich und kniete mich vor ihr nieder. »Ich bin da und helfe dir.«

»Du?«, fragte sie und sah mich stutzig von oben bis unten an.

»Freilich bin ich kein Kerl und hab noch nie in meinem Leben ein Feld umgeackert, aber du bist ja da und dein Vater schließlich auch.«

»Vater, dass ich nicht lach. Seit die Knechte weg sind, hat er sich mit einer Flasche Schnaps oben in seiner Kammer vergraben. Am liebsten würde ich alles hinschmeißen.«

»Einen Schmarren wirst du! Das hier ist dein gesamtes Hab und Gut«, sagte ich und wies auf die Gebäude zu meiner Rechten. »Hier bist du groß geworden, und hier werden deine Kinder aufwachsen.«

»Kinder«, murmelte Magdalena und zog die Augenbrauen hoch.

»Wie auch immer, wir werden deinen Hof nicht einfach aufgeben.« Ich griff nach ihren Händen und drückte sie sanft. Meine Freundin sollte spüren, dass sie nicht alleine war. Ihre Knechte mochten im Krieg sein und ihr Vater seiner Trinksucht erliegen, aber ich würde ihr bis zum Ende zur Seite stehen.

Als ich sie verzweifelt vor mir sitzen sah, mit gekrümmtem Rücken und zittrigen Fingern, da wusste ich, dass ich ab diesem Zeitpunkt für uns beide stark sein musste. Über Nacht hatte meine Freundin ihre Kraft verloren. Sie war nicht mehr das große Mädchen mit den breiten Schultern, das auf dem Schulhof alle Jungen angerempelt hatte. Heute saß eine nachdenkliche Frau vor mir, die um ihre Zukunft bangte. Sanft strich ich durch ihr widerspenstiges Haar und umarmte sie mit all meiner Liebe, die ich seit jeher für sie empfunden hatte.

»Also, wo sollen wir beginnen?«, fragte ich und musste über Magdalenas ungläubigen Blick schmunzeln.

»In deinem feinen Wollmäntelchen kannst du unmöglich im Stall arbeiten. Wollen wir mal sehen, ob wir in meinem Schrank eine passende Schürze und ein Kopftuch für dich finden.«

»Ach wo, Anton liebt den zarten Duft von Gülle in meinem Haar.«

Magdalena kicherte und klopfte mir ein wenig zu fest auf die Schulter.

Leider musste ich mir rasch eingestehen, dass ich mich in allem geirrt hatte. Anton fand es nicht einmal annähernd akzeptabel, dass ich von nun an jeden Tag für Stunden außer Haus war und abends erschöpft kaum mehr Kraft für die Hausarbeit hatte.

»Die soll sich jemand anders für die Stallarbeit suchen«, meinte er eines Abends.

»Anton, es ist Krieg, es gibt niemanden sonst. Ich bin ihre engste Freundin, was würden denn die Leute denken, wenn ich daheim im Garten sitze, während Magda sich zu Tode schindet.«

Als Anton eine Weile grübelte, wusste ich, dass ich gewonnen hatte. Nichts war ihm wichtiger als sein Ansehen in der Gemeinde.

»Schau«, fuhr ich versöhnlich fort und legte eine Hand auf seinen Unterarm. »Es soll auch nicht umsonst sein. Jetzt, da fast alles Fleisch und Milch an die Nazis geht, bist sicher nicht beleidigt, wenn ich ab und an einen saftigen Braten heimschmuggle, oder?«

Anton nickte langsam und strich sanft über meinen Handrücken. »Hast ja ausnahmsweise recht. Im Krieg sollten wir zusammenhalten. Und solange weder Garten noch Haushalt vernachlässigt wird, spricht wohl nichts dagegen.«

In diesem Moment war es, als würde sich eine neue Welt für mich auftun. Endlich wusste ich, wie ich mit Anton umzugehen hatte, wie leicht er zu umgarnen war. Ein sanftes Lächeln, ein paar milde Worte und das ein oder andere schlagende Argument, und schon bekam ich meinen Willen. Freilich wusste ich nicht, ob eine derartige List ein jedes Mal funktionierte, aber fürs Erste war ich erleichtert, dass ich meiner Freundin weiterhin unter die Arme greifen durfte.

Magdalena, ihre Mutter und ich verrichteten täglich das Nötigste, und selbst das brachte mich an den Rand der Erschöpfung.

»Wir schaffen das nie und nimmer«, seufzte Magdalena mehr als einmal und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Sag das nicht«, war stets meine Antwort, die mit jedem Mal an Überzeugungskraft verlor.

Dennoch hielten wir tapfer stand, versorgten das Vieh, besorgten einen Bruchteil der Äcker und kümmerten uns um kleinere Reparaturarbeiten. Und gewiss hätten wir uns noch eine Ewigkeit gequält, wenn nicht wenige Wochen später Magdalena während der Stallarbeit in Ohnmacht gefallen wäre.

»Jesus und Maria, Kind, was hast?«, rief ihre Mutter aus und kniete sich neben den leblos wirkenden Leib ihrer Tochter. Voller Verzweiflung packte sie sie an den Oberarmen und rüttelte sie. Als das keine Wirkung zeigte, tätschelte sie ihre blassen Wangen. »Rese, nun komm doch zu Hilf!«, rief die Eckerin und blickte mir erschrocken entgegen. Völlig überfordert mit der Situation hockte ich mich zu den beiden und befühlte Magdalenas Puls.

»Lebt sie noch? Sag schon, lebt sie noch?« Die Eckerin griff mich fest am Handgelenk und bedachte mich mit einem Blick, der mir mehr Angst einjagte als die Ohnmacht meiner Freundin.

»Freilich lebt sie«, antwortete ich und horchte zur Sicherheit an Magdalenas Brustkorb. »Sie braucht Wasser!«, rief ich intuitiv und wies die Eckerin an, welches vom Brunnen zu holen. Ich öffnete den obersten Knopf von Magdalenas viel zu enger Bluse. Erst da fiel mir auf, wie üppig meine Freundin geworden war. Sofort überkam mich ein Gedanke, den ich aber wieder verwarf. Unter Aufwendung all meiner Kraft hob ich ihren Oberkörper an und bettete ihn auf meinen Oberschenkeln.

»Rese«, hauchte Magdalena. »Mir ist so schwindelig.«

»Du hast uns einen ganz schönen Schreck eingejagt«, sagte ich und strich die schweißnassen Haarsträhnen aus ihrer Stirn. »Du musst in nächster Zeit etwas kürzertreten.«

»In nächster Zeit?« Magdalena lachte müde auf und biss sich auf die Unterlippe. »Rese, ich bin schwanger.«

»Was?« Bestürzt nahm ich die Hände von ihrem Gesicht, als ob sie an einer ansteckenden Krankheit leiden würde. »Aber wie kann das sein?«, flüsterte ich. »Ich meine, wer ist der Vater?«

Magdalena schloss die Augen, und in diesem Moment hätte ihr Gesicht nicht verzweifelter aussehen können. »Magda, sprich mit mir!«, hauchte ich und legte beide Hände an ihre blassen Wangen.

»Ich flehe dich an, sag es nicht meinen Eltern.« Bei diesen Worten packte sie mich an den Unterarmen und krallte sich daran fest, als wäre sie eine Ertrinkende. »Kein Wort zu meinen Eltern, hast du verstanden?«

»Natürlich. Früher oder später erfahren sie es aber ohnehin, meinst du nicht auch?« Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. Warum hatte mich meine engste Freundin nicht in ihre offensichtlich geheime Liebschaft eingeweiht? Warum war es ihr so wichtig, dass niemand von ihrer Schwangerschaft erfuhr?

»Du musst mir helfen«, flüsterte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

»Ja«, antwortete ich und drückte ihre Hand. Magdalena hatte bereits den Mund geöffnet, als ihre Mutter zur Stalltür hereinkam.

»Heilige Maria, ist sie wieder munter, ja?« Besorgt reichte sie Magdalena den Becher Wasser. »Was ist nur los mit dir, Kind?« Fürsorglich strich sie Magdalena übers Haupt.

»Alles gut, Mama, nur ein kurzer Schwächeanfall.« Sie nahm einen weiteren Schluck, dann stand sie auf und machte sich mit wackeligen Beinen an die Arbeit.

»Du legst dich sofort ins Bett, und zwar für den Rest des Tages«, zeterte die Eckerin und wirkte dabei überraschend groß.

»Es geht schon wieder, Mutter«, antwortete Magdalena mit einem ungewohnten Maß an Strenge in ihrer Stimme und ihrem Blick.

Für einen Moment hatte ich den Eindruck, zwischen zwei Fremden zu stehen.

Kopfschüttelnd griff ich nach dem Melkschemel, um mich wieder der Arbeit zu widmen und mir dabei die Geschehnisse der letzten Minuten durch den Kopf gehen zu lassen.

»Du musst mir helfen!«, flüsterte mir Magdalena wenig später über die Schulter zu. »Ich kann das Kind unmöglich bekommen.«

Noch bevor sie diesen Satz ausgesprochen hatte, stockte mir der Atem.

»Bitte, Rese, ich brauche dich«, flehte sie mich an.

»Ich lass dich nicht im Stich, versprochen«, antwortete ich und meinte es so.

Als ich an diesem Nachmittag den Hof verließ, fühlte ich mich auf gewisse Weise leer. Der Tag bei Magdalena hatte mir alle Kraft geraubt – und das nicht wegen der schweren Arbeit. Immer wieder drehte sich in meinem Kopf diese eine Frage: Wann hatte Magdalena aufgehört, mir zu vertrauen?

»Freundin hin oder her, ab sofort verbiete ich dir, allein zu Magda rauszufahren, hast du gehört?«

Anton hatte schon die gesamte Zeit während des Abendessens geplaudert, aber meine Gedanken waren nur bei meiner Freundin. Ständig hatte ich ihr verzweifeltes Gesicht vor Augen.

Erst als Anton das Wort »verbieten« ins Spiel brachte, war ich mit einem Mal ganz Ohr. »Warum?«, fragte ich und legte meinen Löffel scheppernd zur Seite.

»Wegen der Zwangsarbeiter«, kam die knappe Antwort. Anton starrte mich an und schien sich zu fragen, warum ausgerechnet seine Frau von nichts eine Ahnung hatte.

»Du meinst die drüben in Mittich? Die sind nun schon seit ein paar Monaten hier, und wir haben noch nie einen von denen zu Gesicht bekommen.«

»Nein, nicht die Polen. Bei uns hier sollen einige Franzosen untergebracht werden.«

»Bei uns?«, fragte ich und war mit einem Mal besorgt. »Wozu das denn?«

»Meine Güte, Weib, du weißt einfach gar nichts, oder?« Anton schüttelte den Kopf und verließ den Esstisch. »Ist aber auch egal. Hauptsache, du hältst dich an mein Verbot.«

Ich saß noch eine Weile am Tisch und beobachtete Anton, der auf seinem Lesesessel Platz genommen hatte und in seiner Zeitung blätterte. Und mit einem Mal wurde mir klar, was ich zu tun hatte.

Zärtlichkeit der Stille

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