Читать книгу Die Verschwörung der Fürsten - Susanne Eder - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеIch habe noch eine Winzigkeit Aronstabwurzel beigemengt. Zur Melisse und Hagebutte wird der Trank Euch beruhigen und einen erholsamen Schlaf bescheren«, erklärte Garsende und überreichte Fastrada einen verschlossenen Krug. »Trinkt dreimal am Tag davon. Zwei Fingerbreit zur Sext und zwei zur Non’, und am Abend, bevor Ihr Euch niederlegt, vier Fingerbreit in einem Becher mit klarem Wein. Aber nicht mehr«, mahnte sie. »Sonst wird es Euch schaden.«
Sie hatte noch immer über den unerfreulichen Besuch des Grafen von Rieneck und über einen Ausweg aus ihrer verzwickten Lage nachgegrübelt, als Ludger von Blochens Gemahlin angekommen war, und war dankbar für die Ablenkung gewesen.
Nun musterte sie ihre Besucherin besorgt.
Fastrada trug ein teures Gewand aus dunkelgrüner, sehr fein gesponnener Wolle, das ihre hageren Gesichtszüge noch bleicher erscheinen ließ, als sie ohnehin schon waren. Ihr Tuch hatte sie so eng um ihre hochgezogenen Schultern geschlungen, als ob sie fröstelte.
»Ich empfehle Euch mithin, einen Chalcedon zu beschaffen«, fügte Garsende vorsorglich hinzu. »Ihr solltet ihn des Morgens kräftig anhauchen und dann auf der Haut tragen. Er wird Euch wärmen und Euch zu einem wohlgemuten Sinn verhelfen.«
Fastrada nickte und schenkte ihr ein sparsames Lächeln. Hinter ihr stand die mit Korb und Beutel beschwerte Magd, und neben der Magd ein junges Mädchen von seltenem Liebreiz. Das goldblonde, gelockte Haar des Mädchens fiel offen auf seine Schultern und unterstrich die Zartheit des rundlichen Gesichts. Sie hatte eine Haut wie Milch und Honig, die Lippen waren voll und schön geschwungen, und die großen blauen Augen schienen abwesend in der Ferne zu verweilen. Seit ihrer Ankunft hatte sie außer einer gehauchten Begrüßung noch kein Wort gesprochen.
Fastrada, die Garsendes Neugier offenbar bemerkte, gab dem Mädchen einen kleinen Stoß.
»Das ist Hermia«, sagte sie, und in ihrer Stimme lag so viel Abneigung, dass Garsende verwundert die Brauen hochzog. »Ihr Bruder, Rainald von Dachenrod, ist meiner Schwägerin Adeline versprochen.«
»Wie gefällt es Euch in Worms?«, wandte sich Garsende aus Höflichkeit an das Mädchen, obwohl das junge Ding nicht den Eindruck machte, als läge ihm viel an müßigem Geplauder. Hermias Gesicht überzog sich mit tiefer Röte, und sie schien den Kopf noch tiefer senken zu wollen. »Noch niemals habe ich so viele wunderbare Gotteshäuser gesehen wie hier«, flüsterte sie so leise, dass sie kaum zu verstehen war. Ihre Stimme klang, als wäre sie voller Tränen. Garsende warf ihr einen scharfen Blick zu, doch das Gesicht des Mädchens war unter ihren schönen Locken verborgen.
Fastrada räusperte sich. »Wir müssen weiter«, erklärte sie unwirsch, als wäre ihr Hermias Äußerung peinlich. »Frau Elgard sieht es nicht gerne, wenn ich meine Zeit mit Schwatzen und Trödelei verbringe.« Ein kleines, unechtes Lachen unterstrich ihre Worte.
Garsende begleitete sie vor die Tür und sah den dreien hinterher, wie sie den Pfad über die Lichtung zum Waldweg hinuntergingen. Kaum hatten sie den Waldsaum erreicht, als zwei andere Frauen vom Waldweg kommend auf die Lichtung traten. Garsende kniff neugierig die Augen zusammen. Eine der beiden war offenbar eine Magd. Die andere Frau trug einen alten Umhang, und rotblondes Haar lugte unter der Kapuze hervor, die sie über ihren Kopf gestülpt hatte.
Gütiger Himmel, die Burggräfin, schoss es Garsende durch den Kopf, als sie das Gesicht der Frau erkannte. Womöglich war das die Antwort auf ihre Gebete um Beistand gegen den Grafen von Rieneck. Wenn es ihr gelingen würde, Matthäas Wohlwollen zu gewinnen, würde die Burggräfin vielleicht ein gutes Wort für sie bei ihrem Gatten einlegen, dachte Garsende, während sie beobachtete, wie Matthäa stehenblieb und ein paar Worte mit Fastrada und dem jungen Mädchen wechselte. Obwohl sie ihr schon einige Male in Worms begegnet und überraschend freundlich von ihr gegrüßt worden war, hatte die Burggräfin sie noch nie aufgesucht. Als Matthäa sich verabschiedet hatte und auf sie zukam, fragte sich Garsende, was ihr wohl fehlen mochte.
»Setzt Euch doch«, bot Garsende an.
Matthäa hatte ihrer Magd beschieden, draußen zu warten, und war der Heilerin ins Haus gefolgt. Sie setzte sich und sah sich neugierig um. Garsendes Heim war angefüllt mit Töpfen und Krügen, denen ein Gemisch aus scharfen und süßen Gerüchen entströmte. Kräutersträuße, Zwiebelgirlanden und Pflanzenbündel baumelten, fein säuberlich aneinandergereiht, zum Trocknen von der niedrigen Decke. Über dem Herdfeuer hing ein schwerer Eisentopf, in dem ein scharf riechender Sud köchelte. Ein Schneidbrett lag neben einigen Wurzeln, an denen noch feuchte Erde haftete, auf dem Tisch, andere hatte sie bereits gesäubert und in einem flachen Korb aufgestapelt.
Während Matthäa ihre Stube einer Prüfung unterzog, musterte Garsende ihre Besucherin. Trotz ihres Lächelns wirkte die Haltung der Burggräfin verkrampft, und ihre frische Gesichtsfarbe konnte über die Schatten unter ihren Augen nicht hinwegtäuschen.
«Ich war überrascht, Fastrada hier zu begegnen«, bemerkte Matthäa endlich. «Ich hoffe doch, ihr fehlt nichts Ernstes?«
«Ein Anflug von Melancholie, der sie nachts nicht schlafen lässt«, antwortete Garsende leichthin. Sie nahm den Korb und die Wurzeln vom Tisch, um Platz für einen Krug mit Lavendelwein zu schaffen, den sie ihrem hohen Gast anbieten wollte.
Matthäa warf ihr einen abwägenden Blick zu. Es war ein langer Blick, doch was immer er ihr auch sagen mochte – was sie sah, schien die Burggräfin zu befriedigen. «Es ist wohl eher die Sorge wegen ihres Tunichtguts von Gatten, die ihr nachts den Schlaf raubt«, sagte sie überraschend offen, und ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. «Es heißt, Ludger stelle den Röcken nach und es bliebe dabei nicht nur beim Anschauen.«
Garsende seufzte. »Das mag ein Grund für ihre Unruhe sein. Doch mir will scheinen, als würde sie noch mehr bedrücken.«
»Du hast ein scharfes Auge, Heilerin. Ich denke, du hast Recht«, sagte Matthäa, und ihr Lächeln vertiefte sich. »Elgard, Ludgers Mutter, scheint im Haus das Zepter zu schwingen, und Fastrada hat offenbar nicht viel dabei zu sagen.« Sie schwieg einen Moment, schien zu überlegen, dann trübte sich ihr Blick, und ihre Stimme wurde spröde. »Hinzu kommt, dass Elgard ihr gram ist, weil Fastrada ihrem Mann noch keine Kinder geschenkt hat.«
Garsende merkte auf. Das schien ein wunder Punkt zu sein, den anzusprechen der Burggräfin augenscheinlich schwerfiel. Sie ließ den Weinkrug Weinkrug sein, setzte sich Matthäa gegenüber auf einen niedrigen Schemel und legte ihre Hände ruhig in den Schoß.
Die Burggräfin räusperte sich. »Ich sollte so etwas nicht sagen«, seufzte sie. »Man kann es Elgard wohl nicht verdenken, dass sie sich Kinder im Haus wünscht.«
»Ihr habt auch noch keine Kinder?«, fragte Garsende behutsam. Matthäa schüttelte den Kopf und brach in Tränen aus.
Die Glocken hatten die Vesper verkündet, und im Haus des Burggrafen war endlich Ruhe eingekehrt. Die Abgaben seiner Lehnsleute und Pächter, die schon heute ihren Michaelipfennig gebracht hatten – Säcke mit Dinkel und Roggen, Äpfel, Saubohnen und goldener Weizen; Wachteln, ein Ferkel, Hühner und Eier –, waren in Scheune und Keller verstaut worden. Prosperius hatte berichtet, dass bei den Zöllnern noch alles seine Ordnung hätte, und eine vorsorgliche Überprüfung seines Beutels hatte nurmehr Bosos Bußpfennig zutage gefördert. Auch Bandolf selbst war erfolgreich gewesen. Sein Besuch beim Scholasticus des Domstifts, Bruder Goswin, hatte ihm neue Erkenntnisse über Erzbischof Adalbert von Bremen beschert.
Im Lauf der vergangenen Jahre war aus seiner und Goswins gemeinsamer Vorliebe für die Werke der alten Griechen und Römer, namentlich die von Vergil, eine Freundschaft erwachsen, die auf gegenseitigen Respekt gegründet war. Bruder Goswins größte Leidenschaft galt jedoch seiner Chronik. Er arbeitete schon seit Jahren daran, denn sie sollte vom Anbeginn der Zeit bis zum heutigen Tag alle wichtigen Ereignisse rund um Stadt und Dom beinhalten. Bandolf kannte niemanden, der über all die Fürsten, welche die Geschicke des Reiches lenkten und gelenkt hatten, so viel wusste wie Goswin.
Der Burggraf saß am Ende der Halle und starrte abwesend auf die aufgeschlagenen Seiten eines Buches. Fackeln an der Wand gegenüber warfen ihr flackerndes Licht auf die Buchstaben und die Bilder, mit denen der Text geschmückt war. Seine Hauseigenen hatten sich bereits vor der Feuerstelle der Halle niedergelegt, und ihr Schnaufen und Schnarchen begleitete Bandolfs Gedanken.
Matthäa, die über einer qualmenden Talglampe bei ihm saß und sich damit abgemüht hatte, einen Riss in seinem Obergewand zu stopfen, legte ihre Näharbeit beiseite und rieb sich die Augen. Dann warf sie einen nachdenklichen Blick auf ihren schweigsamen Gatten.
»Euch muss etwas Unangenehmes beschäftigen, wenn Ihr so lange in dieses Buch stiert, ohne auch nur einmal umzublättern«, bemerkte sie. Bandolf fuhr aus seinen Grübeleien auf.
»Das könnt Ihr wohl laut sagen«, platzte er heraus. »Der fette Adalbero hat mir den Auftrag erteilt, den Mann zu finden, der Adalbert von Bremen vergangene Nacht angegriffen hat. Auf ausdrückliches Geheiß des Königs. Und das jetzt zu Michaeli, wo ich genug anderes um die Ohren habe.«
»Du meine Güte.« Matthäa runzelte besorgt die Stirn.
»Und weil das eigentlich die Aufgabe des Kämmerers wäre, nimmt er mir das Ansinnen des Königs übel. Ich stehe ja ohnehin nicht in der Gunst des Bischofs. Da könnt Ihr Euch vorstellen, was passieren wird, wenn ich den Dieb nicht finde. Wenn es denn überhaupt ein Dieb gewesen ist.«
»Aber wer sollte es denn sonst gewesen sein?«
»Das muss Euch nicht bekümmern«, sagte Bandolf, fuhr aber gleich damit fort, ihr zu erklären, was sie nicht zu bekümmern brauchte. Matthäa lächelte.
»Wenn man Bruder Goswin glauben darf – und ich habe keinen Grund, es nicht zu tun –, dann kämen eine ganze Reihe von Männern in Frage, denen es sehr gelegen käme, wenn Adalbert das Zeitliche segnen würde«, erklärte er und klappte Vergils Äneis zu.
Er war sehr stolz auf seine kleine Bibliothek. Sie bestand aus einer Bibel, die er von seinem Vater geerbt hatte, aus einem mit Gold umrandeten Stundenbuch, das ihm der verstorbene Bischof Arnold geschenkt hatte, einer Abschrift des Augenzeugenberichts von Dictys Cretensis über den Trojanischen Krieg und aus Vergils Äneis. Sie war ihm das liebste Buch, und obwohl er äußerst sorgfältig mit seinen Schriften umging, war das Kalbsleder der Hülle an den Rändern schon abgewetzt.
Seufzend strich Bandolf über den Einband, stand dann auf und begann, vor der Bank hin und her zu laufen.
»Nehmt als Beispiel den Erzbischof von Köln. Um nur einen zu nennen«, betonte er. »Während der Vormundschaft über den König haben sowohl Anno von Köln wie auch Adalbert von Bremen viele Pfründe und Ländereien des Reiches mit offenen Armen verteilt. Adalbert hat in das Säckel seiner eigenen Kirche gewirtschaftet, und Anno hat die Güter sich selbst, seiner Verwandtschaft und den Fürsten zugeschanzt, um sich bei ihnen lieb Kind zu machen.«
»Wo liegt denn da der Unterschied?«, wollte Matthäa wissen.
»Anno will die Macht in seinen eigenen Händen wissen, unterstützt von den Fürsten und mit Papst Alexander als Oberhaupt des Reiches. Wenn es so weit käme, wäre Heinrich jedoch nur noch ein Schattenkönig in den Fängen der Fürsten und völlig abhängig vom Papst«, erläuterte er. »Adalbert dagegen verfolgt andere Ziele. Wie es scheint, will er seine nordische Diözese zur Eigenkirche des Reiches erheben, unabhängig von Rom und mit dem König als Oberhaupt. Damit macht er sich aber nicht nur Anno von Köln zum Feind, sondern auch die Fürsten, die befürchten, der König könne auf diese Weise zu viel Macht in den Händen halten und ihre eigenen Privilegien beschränken.«
Endlich blieb er stehen und sagte nachdenklich: »Als ich zur Bestätigung meines Amts in der Bischofspfalz gewesen bin, habe ich selbst bemerkt, wie man über Adalberts Anmaßung und seine ständigen Forderungen an die königliche Schatulle geflüstert hat. Die Fürsten sind eifersüchtig auf den Einfluss, den Adalbert auf den jungen König ausübt, und sie neiden ihm die Gunst, mit der Heinrich ihn überschüttet.«
»Aber steht der König denn nicht ohnehin über den Fürsten, und haben nicht alle ihm Treue geschworen?«, protestierte Matthäa. »Wie können sie denn jetzt gegen ihn handeln?«
»Pah«, schnaubte Bandolf. »Was gilt den hohen Herren ein Treueschwur, wenn es sich um Land und Macht handelt? «
»Dann glaubt Ihr also, jemand aus dem Gefolge des Königs hätte den Erzbischof von Bremen angegriffen?«
Bandolf zuckte mit den Schultern. »Bruder Goswin sagte, es gehe auch das Gerücht, dass Adalbert vom König die Reichsabteien Lorsch und Corvey für sein Erzbistum gefordert hat. Und wie es scheint, ist Heinrich drauf und dran, ihm diese Gunst zu gewähren. Die beiden Klöster sind reich und mächtig und wollen ihre Unabhängigkeit als Reichsabteien natürlich behalten. Wer weiß schon, mit welchen Mitteln?«, antwortete er und fügte kopfschüttelnd hinzu: »Dieser Mann hat mehr Feinde als ich Ratten im Keller.«
Matthäa raffte ihr Nähzeug zusammen und stand auf. »Ich bin mir ganz sicher, dass Ihr den Täter finden werdet«, sagte sie und strich ihm liebevoll über die stoppelige Wange.
Der Burggraf warf ihr einen zärtlichen Blick zu. Eine rotblonde Strähne hatte sich aus ihrem aufgesteckten Haar gelöst und umschmeichelte ihr Gesicht. Sie schien viel heiterer zu sein als in den vergangenen Tagen, fand Bandolf und beglückwünschte sich, dass er Prosperius’ Rat befolgt und auf dem Markt einen Pfau anstelle der Gans für sie erstanden hatte. Ihre Freude darüber war offenkundig gewesen. Für einen Moment erwog er, sie zu fragen, wohin sie am Morgen in dem merkwürdigen Aufzug unterwegs gewesen war, entschied dann aber, dass es im Grunde unwichtig war. Sicher hatte sie sich den schäbigen Mantel geborgt, weil ihr eigener schmutzig gewesen war. Matthäa war ihm eine gute Frau und gab ihm nicht oft Anlass, sich über sie zu ärgern, doch konnte sie auch hin und wieder recht starrköpfig sein, wenn sie sich beleidigt fühlte oder meinte, dass er sich in ihre Belange einmischte. Und er verabscheute es, wenn sie tagelang mit hochgerecktem Näschen durchs Haus spazierte und ihn in aller Höflichkeit ignorierte.
Matthäa streckte sich und blinzelte ihn an. »Was werdet Ihr als Nächstes tun?«, unterbrach sie seine Gedanken.
Ein verwegenes Grinsen breitete sich über Bandolfs Gesicht. »Das werde ich Euch oben in der Schlafkammer zeigen.«
Matthäa lachte.
Hinreichend gestärkt durch etliche Humpen Bier und voller Befriedigung über seine eigene Schlauheit, schlurfte Schnorr, der Gerber, die Cappelgasse entlang. Eine halbe Mondscheibe am Nachthimmel begleitete seine unsicheren Schritte und den Gassenhauer, den er misstönend vor sich hin summte.
Was für ein Glück, dass es heute Mondlicht gibt, dachte er.
In der Zwerchgasse war er über einen Hundekadaver gestolpert und in einen Abfallhaufen gefallen, und dabei hatte er seine Lampe verloren. Er hatte den ganzen Müll danach durchwühlt, sie aber nicht wiederfinden können. Zunächst hatte er seinen Verlust mit wüsten Flüchen bedacht, bis ihm eingefallen war, dass er heuer auf dem Markt einfach eine neue Lampe erstehen konnte; eine gute Lampe und feines Öl dazu, zusammen mit dem besten Friesenstoff für einen neuen Kittel und Beinlinge.
Schnorr strauchelte erneut und fing seinen Sturz am Holzpfosten einer Hauswand ab. Er kicherte über sein Missgeschick. »Und falls mein altes Weib mich morgen früh nicht angeifert, dann soll sie auch ein neues Tuch kriegen«, raunte er dem Pfosten vertraulich zu, während er sich wieder aufrappelte. »Oder vielleicht sage ich ihr besser nichts davon. Die Weiber können den Hals doch nicht voll genug bekommen, wenn sie irgendwo ein gefülltes Säckel vermuten.«
Unwillkürlich tastete er nach seinem schäbigen Beutel, der an der Schnur um seine Hüfte hing. Das leise Klimpern darin entlockte ihm ein zufriedenes Lächeln, das urplötzlich wieder verschwand. Er umklammerte seinen kostbaren Beutel und sah sich hastig um. Ob außer ihm sonst noch jemand den anheimelnden Klang gehört hatte? Womöglich ein Beutelschneider, der ihm an der nächsten Ecke auflauern würde? Und war da nicht ein verdächtiges Kratzen gewesen, direkt hinter ihm? Gut, dass er nicht alles mitgenommen, sondern einen Teil seines kleinen Schatzes im Boden unter seiner Bettstatt vergraben hatte. Er lauschte, doch die Nacht war still, und auf der Gasse war niemand zu sehen.
Schnorr seufzte erleichtert auf und setzte seinen Weg fort. Er hatte es nicht mehr weit. Hinter dem Saugässchen begann das Gerberviertel, und dann noch ein paar Schritte weiter und er war dort, wo er hinwollte.
Als er an seiner Hütte vorbeischlurfte, den Gerbgruben zu, warf Schnorr einen abfälligen Blick auf den morschen Holzverschlag, hinter dem seine vielköpfige Familie schlief und den er in der Dunkelheit nur schemenhaft erkennen konnte.
»Da schnarcht Gutrun, mein altes Weib«, gluckste er und wollte sich plötzlich ausschütten vor Lachen. Er presste seine Hände vor den Mund, damit er nicht lauthals herausprustete und womöglich noch jemanden aufweckte.
Das würde ihm jetzt noch fehlen, wenn seine Gutrun daherkäme, auf der Gasse krakeelte und wissen wollte, wohin er wohl um die späte Stunde unterwegs sei. Nein, jetzt hieß es Maul halten und schlau sein!
Und ich bin schlau, dachte Schnorr triumphierend. Einer, der nicht so schlau war wie er, der hätte doch nicht gewusst, was tun, aber er, Schnorr, ja, er hatte die Gunst der Stunde genutzt und das Rechte getan. Ab morgen würde er es sich wohl sein lassen. Seine Gerbgrube konnte sein Ältester bestellen, und er würde vielleicht nach Bamberg gehen, nach Würzburg oder nach Köln. In Köln, hieß es, ließe sich gut leben, wenn man wüsste, wie man es anstellen musste. Vielleicht würde er auch eine große Pilgerfahrt machen, nach Santiago de Compostela zum Grab des heiligen Jacob, oder gar nach Rom, wo es unvorstellbare Reichtümer und Wunder zu sehen gab.
Schnorr verlor sich in seinen Träumereien und hatte unversehens die Gerbgruben erreicht. Ein Knacken, das in der nächtlichen Stille laut wie ein Donnerschlag klang, ließ ihn zusammenzucken. Schnorr fuhr herum und starrte in die finstere Gerbergasse zurück, aus der er gekommen war. Die Umrisse der Hütten schienen ein wenig zu schwanken. Der Gerber hielt den Atem an und kniff die Augen zusammen. War da hinten jemand? Ein dunkler Schatten, der sich von all den anderen dunklen Schatten abhob und näher kam?
Vielleicht ist er das schon?, beruhigte er sich.
Er war sich ziemlich sicher, dass er früh genug losgegangen war, um noch vor ihm bei den Gruben zu sein, wo sie sich verabredet hatten. Aber die Suche nach der Lampe hatte ihn aufgehalten, und vielleicht hätte er ja doch lieber auf den einen oder anderen Humpen Bier verzichten sollen.
Eine Weile starrte und lauschte Schnorr noch, dann wandte er sich ab, schlurfte an den Gruben der anderen Gerber vorbei, duckte sich unter den aufgespannten Häuten hindurch und machte an seiner eigenen Grube Halt.
Jetzt hieß es warten.
Schnorr musste nicht lange neben seiner Grube ausharren. Er kam, wie er es versprochen hatte, mit einem gut gefüllten Säckel, und der Handel war schnell abgeschlossen. Breit grinsend nahm Schnorr seinen Lohn in Empfang, wog den Beutel zufrieden in seiner Hand und dachte an Rom, wo es die feinsten Wirtsstuben gab, wo die Huren jung und glutäugig waren und mit nichts als ihrer Haut am Leib tanzten, wo der Wein reichlich floss und sogar die Börsen der Pfaffen gut gefüllt und locker am Gürtel hingen.
Gleich morgen werde ich den Beutel vergraben, aber vorher gönne ich mir noch einen Schlummertrunk, beschloss er und leckte sich in Vorfreude die Lippen. Laut sagte er: »Nun, da wir beide einig geworden sind ...«
Weiter kam er nicht. Kräftige Hände lagen plötzlich um seinen Hals und drückten zu. Der Beutel entglitt ihm und fiel auf den Boden. Von blankem Entsetzen gepackt, fühlte er seinen Urin warm an seinen mageren Schenkeln hinunterlaufen. Er japste und rang nach Luft.
»Hast du jemandem davon erzählt?«, raunte die vertraute Stimme an seinem Ohr. »Heraus damit, und lüge mich ja nicht an, sonst quetsche ich dir dein restliches bisschen Leben aus dem Hals.«
Schnorr wand sich in wilder Panik, würgte und krächzte hervor, was der Mann offenbar hören wollte.
Der Druck ließ nach, und Schnorr schnappte erleichtert nach Luft. Doch der Augenblick währte nur kurz. Die Finger gruben sich noch tiefer in seinen Hals, pressten zu, bis Schnorrs Kopf zu bersten schien und seine Traumgespinste zerstoben.
Der Burggraf erwachte noch vor Morgengrauen. Sein Arm war eingeschlafen und prickelte pelzig. Der Fensterladen, den er am vergangenen Abend nur angelehnt hatte, stand weit offen, und kalter Wind blies ihm ins Gesicht. Noch halb im Schlaf bewegte Bandolf die Finger und stellte fest, dass er seinen Arm nicht heben konnte. Er öffnete erschrocken die Augen und starrte auf ein Bündel aus grauem Fell, das eingerollt auf seiner Armbeuge ruhte. Penelope blinzelte ihn verschlafen an. Grunzend schubste er die schwere Katze von seinem Arm herunter, und sogleich begann das Blut darin wie tausend Nadelstiche durch seine Adern zu kreisen. Ein deftiger Fluch entfuhr ihm. Matthäa rührte sich, kuschelte sich fröstelnd in die Pelze und schaute ihrem Gatten zu, wie er die Katze am Genick packte und vor die Tür setzte. »Ihr seid schon wach?«, fragte sie träge blinzelnd.
»Die Katze hat mich geweckt«, antwortete er, schloss den Fensterladen und kehrte zur Schlafstatt zurück.
»Das geschieht Euch nur recht«, sagte Matthäa. »Wie oft habe ich Euch schon gesagt, Ihr sollt nachts den Laden zumachen, damit ...« Bandolf beugte sich über sie und verschloss ihren Mund mit einem Kuss. Als er ihre Lippen wieder freigab, japste sie nach Luft und lachte. »Am frühen Morgen schon so stürmisch?« Sie streckte die Arme aus, und Bandolf warf sich neben sie auf die Bettstatt. Ein Becher, der neben Matthäas Seite auf dem Boden gestanden hatte, fiel um, als Bandolf seine Arme um seine Frau schlang. Der Inhalt sickerte in die Binsen und verströmte einen merkwürdigen Duft.
»Was ist das für ein Geruch?«, fragte Bandolf, während er sich mühte, die Felle, in die sich Matthäa gewickelt hatte, von ihrem Körper zu streifen.
»Nur ein Trank, den mir die Kräuterfrau gegeben hat«, murmelte Matthäa und drängte ihm entgegen.
Bandolf stieß sie schroff zurück und richtete sich auf. Sein Gesicht war plötzlich weiß vor Zorn, und seine winterblauen Augen schossen Blitze, als er sie anbrüllte: »Ihr seid bei einer dieser gottverdammten Zauberdruden gewesen? «
Matthäa, erschrocken von dem heftigen Ausbruch, konnte nur nicken.
»Herrgott, Weib! Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen?«, schrie Bandolf, und seine Stimme überschlug sich. »Wollt Ihr Euch umbringen?« Er griff nach dem Becher, roch daran und schleuderte ihn mit angewidertem Gesicht an die Wand. Dann sprang er auf.
Matthäas Augen füllten sich mit Tränen, und sie schüttelte den Kopf. Bandolf packte ihr Handgelenk. »Heraus damit! Wie lange schleicht Ihr Euch schon heimlich davon?« Sein barscher Ton und die unsanfte Behandlung entfachten nun auch in Matthäa den Zorn. Sie riss ihre Hand aus seinem festen Griff. »Was fällt Euch ein, mich so grob zu behandeln?«, schrie sie aufgebracht zurück und rieb ihr Gelenk. »Ich bin dort gewesen, weil ich es leid bin, dass mein Schoß leer bleibt, wo andere Frauen gesegnet sind.«
»Ihr könnt doch nicht ernsthaft glauben, das Teufelszeug dieser Kräuterdirnen würde dabei helfen?«, donnerte Bandolf.
Matthäa rang um Fassung und versuchte, ihren Ton zu mäßigen. »Ich weiß, warum Ihr so aufgebracht seid, aber glaubt mir, Ihr irrt Euch. Garsende ist Heilerin und tut nichts Verwerfliches.«
Aber Bandolf schenkte seiner Gattin keinen Blick mehr und warf sich stattdessen in seine Gewänder. Argwöhnisch schaute Matthäa zu, wie er sich auch den Schwertgürtel umschnallte. »Was habt Ihr vor?«, fragte sie.
»Ich werde der Quacksalberei ein Ende bereiten und das Drudennest ausräuchern!«
Matthäa sprang von ihrer Bettstatt, schlang eines der Felle um ihren nackten Körper und versuchte, ihn am Arm festzuhalten. »Nein, das dürft Ihr nicht tun«, rief sie erschrocken.
»Und ob ich das tue!« Bandolf rauschte aus der Kammer und warf donnernd die Tür hinter sich zu.
Als der Burggraf die Treppe hinunterstapfte, sah er Filiberta in der Diele stehen. Die Magd bedachte ihren Herrn mit einem vorwurfsvollen Blick, drehte ihm dann ostentativ den Rücken zu und verschwand in der Halle. Hildrun lugte um die Ecke und zog rasch den Kopf zurück, als Bandolf ihrer ansichtig wurde. Der Burggraf stürmte in die Halle und packte Hildrun unsanft am Arm. »Wo bist du gestern Morgen mit deiner Herrin hingegangen?«, herrschte er sie an.
»Wir gingen gar nicht weit... Nur zu Garsende, zur Heilerin ...«, stammelte Hildrun eilig.
»Und wo finde ich dieses Weib?«
Hildrun rollte ängstlich mit den Augen und tat dann ihr Bestes, um den Weg zu beschreiben.
Betreten sahen die beiden Mägde zu, wie Bandolf zornig aus der Halle stürzte und nach Jacob um sein Pferd brüllte.