Читать книгу Küssen kann schon mal passieren - Susanne Fülscher - Страница 8
4.
ОглавлениеEinige Wochen vergingen, in denen mein Leben wie eine Bimmelbahn durch die flache norddeutsche Landschaft zuckelte: ruhig, gemächlich, ohne Höhen und Tiefen. Die Bremsen quietschten nicht gefährlich, niemand warf sich vor den Zug, nicht mal Rauchwölkchen stiegen in den Himmel auf.
Dabei war Frühling. Wonnemonat. Draußen grünte und blühte es und die Vögel zwitscherten, als wären sie betrunken. Gerne hätte ich mich von ihnen anstecken lassen, aber die Schule verhagelte mir immer wieder die Laune. Klausuren und Tests, Hausaufgaben und Referate – manchmal wuchs mir alles über den Kopf.
Doch es gab auch die freien Stunden danach, die ich umso mehr genoss. Ich flitzte mit meinem Rennrad durch die Gegend, ging mit Jade Eis essen und half ihr beim Basteln der Antipelz-Transparente, die sie anschließend mit ihren Bloody-Girls durch unsere vollkommen pelzlose Kleinstadt trug. Ich gönnte es ihr, dass sie sich wie die Retterin der Welt fühlte, trotzdem versuchte ich sie ein wenig in ihrem Höhenflug zu bremsen und sie vor allem von ihren Anton-Schwärmereien abzubringen. Gerüchten zufolge wälzte sich ihr Angebeteter jede Nacht in einem anderen Lotterbett. Jade hingegen hatte einen Supertypen verdient, einen, der es wirklich ernst mit ihr meinte.
Und dann war da noch Luca ... Klammheimlich und ohne gültige Eintrittskarte hatte er sich mehr und mehr in mein Leben geschlichen. Morgens gingen wir meist zusammen zur Schule, im Unterricht schnarrte seine Stimme in meinem Rücken, in der Pause stellte er sich hin und wieder zu uns Mädchen, und kaum schob ich mein Rennrad nachmittags auf die Straße, kam er mit Sicherheit von irgendwoher angeflitzt. Egal wo ich aufkreuzte, Luca war garantiert schon vor mir da. Und als ob das nicht genug wäre, saß seine Mutter seit dem Wasserrohrbruch häufiger in unserer Küche, als mir lieb war. Ich freute mich ja für Mama, dass sie endlich jemanden gefunden hatte, der sich ebenfalls für Malerei begeisterte und mit dem sie die Nächte durchquatschen konnte – trotzdem störte mich die Anwesenheit der gestylten Frau mit den rotblonden Haaren. Dabei wusste ich nicht mal genau, warum.
Jade unterstellte mir Eifersucht. Plötzlich wäre da eben jemand, der Mamas und meine Zweisamkeit durchkreuzte, aber das stimmte nicht. Ich hatte meine Mutter seit vierzehn Jahren ständig um mich und meistens nervte es mich nur, dauernd mit ihr über das Thema Nummer eins, unsere Geldsorgen, reden zu müssen. Das machte mir bloß ein schlechtes Gewissen. Einfach, weil es mich gab, weil ich essen musste, Schulsachen und Klamotten kaufen und noch viel mehr ...
Doch jetzt war da diese exotische Frau, Übersetzerin von Beruf, deren zielstrebiger Sohn Anwalt werden wollte. Auf Mama wirkte das wie eine Zauberformel. Jede freie Minute redete sie mir seitdem ins Gewissen, dass Anwältin doch vielleicht auch für mich ein prima Beruf wäre. Ich wollte aber kein Leben führen, das meiner Mutter als fixe Idee eingefallen war. Ich wollte etwas anderes, etwas Großes, etwas bombastisch Prickelndes, auch wenn ich noch nicht genau wusste, was das sein sollte. Weltenbummlerin vielleicht, aber das erzählte ich, weil es einfach zu albern war, nicht mal Jade. Nur vorm Einschlafen träumte ich mich in ferne, aufregende Welten. Mal war ich ein blinder Passagier auf einem Luxusliner, mal eine Agentin, die in 007-Manier Bösewichte zur Strecke brachte. Aber wenn ich am nächsten Morgen aufwachte, wusste ich, dass ich immer noch in einem norddeutschen Kaff saß, wo die einzigen Abenteuer darin bestanden, den Tag in verschiedenen Klassenzimmern zu verbringen, wo es mal nach feuchtem Tafelschwamm, mal nach Frau Gabowskis Hammerparfüm oder einfach bloß nach Schülermief stank.
* * *
Ein paar Tage später trafen Jade und ich Luca zufällig vorm Kino. War ja klar. Kein Tag ohne den Lackaffen. Wir lungerten an der Kasse herum und überlegten, in welchen Film wir gehen sollten, als er anmarschiert kam und sich sofort besserwisserisch in unsere Diskussion einmischte. Der Liebesfilm, das sei ja wohl klar. Und während er einen Schokoriegel auswickelte, fügte er hinzu, der Actionfilm habe schlechte Kritiken bekommen. Nur Geballere, pengpeng, explodierende Autos – und das alles aus der amerikanischen Traumfabrik.
»Du hast hier gar nichts zu melden«, erklärte ich scharf. Denn kitschige Liebesfilme kamen mir nicht in die Tüte. »Außerdem gehe ich mit Jade ins Kino. Und sie mit mir.« Insgeheim musste ich grinsen, weil er sich, wohl um größer und wichtiger zu erscheinen, auf die Zehenspitzen gestellt hatte.
»Man kann ja wohl trotzdem seine Meinung sagen«, brummte er, ohne tatsächlich beleidigt zu wirken.
»Du bist aber streng«, rügte mich Jade. »Ein Junge, der freiwillig Liebesfilme guckt – den sollten wir festhalten, abknutschen und nie wieder loslassen.«
»Ich kann mich gerade noch beherrschen«, ächzte ich, während Lucas scheppernde Lache losdröhnte.
Jade hakte sich bei mir ein. »Okay, ich hab vielleicht ein bisschen übertrieben, aber sein Filmgeschmack macht ihn fast schon sympathisch, oder?«
»Ich bin sympathisch«, gab Luca zurück, indem er Jade offen anlächelte. »Also der Liebesfilm? Ich lade euch auch ein.«
»Von mir aus«, ließ ich mich breitschlagen, nachdem mir Jade mit einem kleinen Klaps aufs Hinterteil zu verstehen gegeben hatte, dass dies eine ausgezeichnete Idee sei. Eigentlich hatte ich ja mit meiner Freundin allein gehen wollen, aber wenn Krösus Luca es kaum abwarten konnte, sein Geld loszuwerden, wollte ich ihm die Freude nicht nehmen. Wir gingen zur Kasse, Luca zückte sein Portemonnaie, doch dann fehlten ihm plötzlich zwei Euro und wir mussten ihm aushelfen.
»Hat dein Papi dir nicht genug überwiesen?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
»Lena Dachgeschoss.« Er klang mit einem Mal richtig sauer. »Ich muss dich auch nicht einladen.«
»Hab ich vielleicht darum gebeten?«, blaffte ich zurück.
Schon im nächsten Moment blitzten wieder Lachfältchen rund um seine Nutella-Augen auf. »Sorry. War bescheuert von mir. Natürlich zahle ich. Versprochen ist versprochen.«
Manchmal war mir Luca ein Rätsel. Diese Stimmungsschwankungen zwischen supernett, arschig und wieder total charmant. Aber vielleicht war er einfach so gestrickt. Interesse am Knutschen und weiteren Sachen unterhalb der Gürtellinie kamen jedenfalls nicht in Frage. Seine Anmache damals am Einzugstag war offenbar bloß Spaß gewesen. Luca hatte eine Freundin – Giulia – in Italien, die er, wie er in der Klasse herumerzählt hatte, über alles liebte. Sollte er nur. Ich brauchte keinen Freund und Luca schon gar nicht.
Trotzdem quetschte er sich im Kinosaal an meine Seite und schob zu allem Überfluss seinen Arm auf meine Lehne. Ich rammte ihn mit dem Ellbogen und sagte in das Geraschel von Jades Gummibärchentüte: »Hast du Notstand oder wieso rückst du mir so auf die Pelle?«
»Bescheuert oder was?«, schoss Luca zurück. »Ich bin bestens mit Mädels versorgt, und selbst wenn nicht... Du bist so was von überhaupt nicht mein Typ.«
»Da bin ich aber beruhigt. Du nämlich auch nicht meiner.«
Luca lachte heiser. »Umso besser. Ich hatte schon Angst, du könntest mir gleich, wenn’s dunkel wird, an die Wäsche gehen.«
»Was quatscht ihr da?« Jade, die auf meiner anderen Seite saß, beugte sich zu uns rüber.
»Luca meint, ich war nicht sein Typ«, petzte ich.
»Und was ist mit ihrem süßen Po?«, wollte Jade wissen.
»Der ist tatsächlich supersüß und knackig wie ein frisch geernteter Salatkopf«, meinte Luca, ohne die Miene zu verziehen.
Jade kicherte, aber ich presste mich tief in meinen Sitz und wünschte, ich hätte nichts gesagt. Jetzt konnte sich Luca an fünf Fingern abzählen, dass Jade und ich über alles quatschten und auch seine königliche Hoheit nicht aussparten.
Die Werbung war zu Ende, ein paar Trailer liefen, dann fing endlich der Film an. Ich hatte mir fest vorgenommen ihn bescheuert und kitschig zu finden, doch bereits nach kurzer Zeit war ich von der Geschichte wie verzaubert. Es ging um einen mittellosen Straßenmusiker und eine ebenso mittellose Pianistin, die sich ineinander verliebten, gemeinsam Musik machten und sich – wie ich schon bald vermutete – am Ende wieder trennen mussten.
»Du siehst der Blonden total ähnlich«, flüsterte Luca mir im Anschluss an eine ziemlich heiße Kussszene, bei der man Zungen in Aktion sehen konnte, ins Ohr. Ich fasste das als Kompliment auf, immerhin war die Schauspielerin sehr hübsch, doch dann schob er nach: »Allerdings ist sie nicht so schrecklich gefühlskalt.«
Ich boxte ihn auf den Arm. »Was bildest du dir eigentlich ein? Ich bin überhaupt nicht gefühlskalt!«
Luca lehnte sich für den Bruchteil einer Sekunde an mich. »Dann ist wohl einfach noch keiner vorbeigekommen und hat deine Gefühle aus dir rausgekitzelt.«
»Und bei dir ist wohl noch keiner vorbeigekommen, um dir die Besserwisserei aus dem Hirn zu operieren«, gab ich ihm Kontra.
In der Reihe vor uns beschwerte sich jemand, weil wir offenbar zu laut redeten, und als uns auch noch Jade einen bösen Blick zuwarf, hielten wir den Mund. Ich war nicht wirklich sauer auf Luca. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass es uns mittlerweile Spaß machte, uns gegenseitig zu piesacken und uns mit kleinen Gemeinheiten zu bombardieren.
Nach dem Kino gingen wir ins Tre Stelle, eine Eisdiele im Ort, wo es das beste Vanilleeis und die leckersten Fruchtcocktails gab. Es war schon klar, dass wir Luca das Geld würden vorstrecken müssen, er hatte ja keinen Cent mehr in der Tasche. Jade sank gleich beim Reinkommen halb ohnmächtig an meine Schulter, weil der gottgleiche Anton mit ein paar Freunden da war. Er winkte, als er uns entdeckte – vielleicht hatte er gerade kein anderes Mädchen am Start –, und Luca meinte im Vorübergehen abfällig, der Typ sei ein Arschloch, wir sollten ihm bitte den Gefallen tun und nicht auf den reinfallen.
»Um mich musst du dir da keine Sorgen machen«, erklärte ich, nachdem wir bei Filippo, einem Kumpel von Luca, bestellt hatten. »Aber wenn du Jade auch davon überzeugen könntest, wäre ich dir wirklich dankbar.«
»Jade! Liebste, schönste, beste Jade!« Luca ging vor ihr auf die Knie, was Anton von seinem Stützpunkt aus verstohlen beobachtete. »Mach dich nicht unglücklich. Der Typ vernascht Mädchen wie andere Leute Kartoffelchips. Und das Fatale ist: Dem wird nicht mal schlecht davon.«
»Woher willst du das denn wissen?«, entgegnete Jade mit eisiger Miene.
»Sagt Filippo. Und der muss es wissen. Anton hängt hier ständig mit immer anderen Frauen rum.«
»So, so, und du bist also von der ganz treuen Sorte?« Sie blinzelte ihn misstrauisch an.
»Na klar.« Luca rutschte zurück auf die rote Lederbank. »Seit sieben Monaten glücklich mit Giulia zusammen. Verliebt für zehn.«
»Verstehe, und deswegen gehst du auch gleich mit zwei Mädchen aus deiner Klasse ins Kino.«
»Wir sind nicht zusammen ins Kino gegangen, falls ich dich erinnern darf. Wir haben uns rein zufällig getroffen.« Luca lächelte abwechselnd in meine und in Jades Richtung. »Das ist ein Riesenunterschied. Oder läuft was zwischen uns? Falls ja, müsst ihr’s mir jetzt sagen. Dann hab ich’s wohl verpennt.« Er grinste breiter. »Obwohl es mir natürlich unglaublich schmeicheln würde, wenn ihr beide unsterblich in mich verliebt wärt.«
»Also ich garantiert nicht«, wehrte ich ab. »Eher verliebe ich mich noch in Monsieur Monier.«
»Wegen der fettigen Haare?«, gickelte Jade.
»Ja, und wegen seiner Wampe. Die ist echt sexy.«
»Da bin ich aber beruhigt!« Luca ächzte so laut, dass Anton wieder zu uns rübersah. »Vielleicht reicht es ja auch, wenn wir erst mal nur gute Freunde sind.«
Jade lachte quietschig auf. »Freunde? So ein Blödsinn! Jungs und Mädchen können keine Freunde sein.«
»Und wieso nicht?«, fragte Luca, während Filippo mit einem Tablett zu uns kam und die Getränke servierte. Dabei glitt sein Blick für einen Moment zu mir, was mich ein wenig aus dem Konzept brachte. Ich war es nicht gewohnt, dass Jungs mich auf diese Weise anguckten. Luca sagte etwas zu seinem Kumpel auf Italienisch, der daraufhin – ich sah es genau – schmierig grinste.
»Weil früher oder später einer von beiden immer was vom anderen will«, fuhr Jade fort.
»Da hat sie Recht«, mischte sich Filippo ungefragt ein. Er sprach zwar nahezu fehlerfrei, hatte aber im Gegensatz zu Luca einen deutlich italienischen Akzent. »Früher oder später kommen einem automatisch die Hormone dazwischen, veröl«
»Ihr redet vielleicht einen Quatsch!«, empörte ich mich.
Filippo zwitscherte wieder ab und Luca sagte: »Finde ich allerdings auch. Immerhin bin ich der lebende Gegenbeweis. Ich war ziemlich oft in meinem Leben mit Mädchen befreundet. Einfach nur so.«
»Und du wolltest nie was von denen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Dann bist du schwul.«
»Nicht dass ich wüsste. Ich stehe total auf Mädchen«, sagte er, ohne dämlich zu grinsen oder einen blöden Spruch abzulassen, was ihn mir in diesem Moment richtig sympathisch machte. »Im Grunde ist es doch egal, mit wem man befreundet ist. Ob mit Junge, Mädchen, Hund oder Meerschweinchen – Hauptsache, die Chemie stimmt.«
Jade gackerte los, aber ich konnte nicht mitlachen. Luca sah mich herausfordernd an. »Meinst du nicht auch, Lena?«
»Keine Ahnung. Meine Freundinnen waren bisher ausschließlich weiblich und mit Meerschweinchenfreundschaften kenne ich mich, offen gestanden, nicht besonders aus. Kann aber sein, dass du Recht hast.«
»Ja, super! Verbündet euch nur gegen mich«, knurrte Jade. Von einer Sekunde zur nächsten kippte ihre Stimmung und eine gefährliche Falte tauchte zwischen ihren Augenbrauen auf. Grund war jedoch nicht unsere Diskussion, sondern eine rotblonde Schönheit, die soeben hereingeschneit war, unter großem Hallihallo auf Anton zustürzte und ihn abknutschte. Sogar ich verstand, dass Jade das an die Nieren ging.
Kaum hatten wir unsere Gläser geleert, drängelte sie deshalb zum Aufbruch. Anton und die Schöne saßen ineinander verkeilt auf der Bank und küssten sich ziemlich hemmungslos. Ekelfaktor zehn!
Auf dem Rückweg kickte Jade alles, was nur irgendwie im Weg lag, wütend ins Gebüsch.
»Verdammt, Jade, such dir endlich ein anderes Liebesobjekt!«, heizte ich ihr ein, kurz bevor wir uns beim Schlossplatz trennten.
»Na, toll. Du meinst also, geeignete Liebesobjekte stehen an jeder Straßenecke rum. Lena, Liebe kann man sich nicht einfach aussuchen!« Bevor ich etwas entgegnen konnte, verschwand sie in der Dunkelheit und Luca und ich sahen uns ratlos an.
»Liebeskrank«, diagnostizierte er, während wir die Schlossstraße entlangschlenderten.
»Extrem liebeskrank!«
Luca nickte mir zu. »Komisch, ich hatte nämlich kurz mal den Verdacht...« Er stockte, guckte verlegen in die Auslagen eines Sanitärgeschäftes.
»Was?«
»Dass sie auf mich steht«, murmelte er in seinen Polohemdkragen.
Sofort fiel mir die Sache mit dem Opernglas ein, aber ich tat, als wäre ich überrascht. »Auf dich? Wie kommst du darauf?«
Lucas Kopf fuhr herum. »Weil sie zufällig mit einem Fernglas in mein Fenster geguckt hat. Das war sie doch, oder? Und du musst sie jetzt gar nicht erst decken, ich hab sie sowieso erkannt.«
»Okay, erwischt«, gab ich peinlich berührt zu.
»Und?«
»Was und? Sie hat manchmal solche kindischen Anwandlungen. Keine Ahnung, warum.«
Luca ritt zum Glück nicht weiter darauf herum, kam stattdessen auf den Liebesfilm zu sprechen. Wie schön der gewesen wäre. Und wie süß er es gefunden hätte, dass ich am Ende doch ein paar Tränchen verdrückt hätte.
»Stimmt ja gar nicht«, wehrte ich ab. »Ich hab überhaupt nicht geheult.« Nur beinahe, aber das musste Luca ja nicht wissen.
»Schade. Ich dachte, du wärst zumindest ein bisschen romantisch angehaucht.«
»Romantik macht einen doch nur unglücklich«, erklärte ich. »Guck dir Jade an.«
»Immerhin investiert sie überhaupt Gefühle! Wenn auch beim Falschen.«
»Und du?«, entgegnete ich. »Wie ist es so mit einer Freundin, die man zwar liebt, aber nie sieht, weil sie in einem anderen Land lebt?«
»Unschön. Aber was soll ich machen?«
Ich beschloss Luca ein wenig zu foppen und sagte: »Das, was du am liebsten tust. Super Noten schreiben. Super Abschluss machen. Super Anwalt werden. Super Kohle scheffeln.«
»Und was soll daran verkehrt sein?« Im Licht der Straßenlaterne sah Luca wie eine Wachsfigur aus.
»So ziemlich alles.« Ich schnaubte. »Seit unsere Mütter ständig zusammenhocken, hat deine meine angesteckt und jetzt meint sie, ich müsse auch Jura studieren. Weil das ja so ein tolles Fach wäre, das tollste überhaupt. Ohne Jura studiert zu haben, kann man sich eigentlich gleich die Kugel geben.« Ich redete mich so sehr in Rage, dass ich stolperte und strauchelte. Luca war sofort bei mir und fing mich auf.
»Wenn du übrigens glaubst, ich hätte es leichter, täuschst du dich«, sagte er. »Meine Mutter hält mir ständig vor, wie tough du bist.«
»Tough? Was soll an mir denn tough sein?«
»Hab ich sie auch gefragt.«
»Idiot!« Ich verpasste ihm einen zarten Magenschwinger.
»Im Ernst. Du putzt dein Zimmer selbst. Das findet sie riesig.«
»Und du? Lässt du etwa putzen?«
»Na klar. Ich meine, wozu hat Gott Mütter erschaffen? Für die Hausarbeit. Das ist ihre Berufung.«
»Was bist du bloß für ein ekelhafter Macho!«
Ich war enttäuscht und lief schneller, aber Luca ließ sich nicht abhängen. »Reingefallen! Ich hab nur Spaß gemacht.« Sein Lachen hallte in der Neubausiedlung. »Aber hör mal... Du willst nicht zufällig bei mir putzen?«
»Idiot!«
Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinanderher. Mit der Dunkelheit, die sich über den Ort senkte, wurden auch dunkle Wolken herangetrieben. Wahrscheinlich würde es gleich noch regnen.
Wir waren schon kurz vor meiner Haustür, als Luca mich fragte, ob ich zufällig wisse, wo man in diesem Kaff jobben könne.
Ich zückte einen Fünfer. »Fürs Kino. Wenn du so knapp bei Kasse bist.«
Luca hob abwehrend die Hände. »So war das nicht gemeint. Ich hab euch eingeladen und dabei bleibt es auch.« Er lächelte verlegen. »Die zwei Euro und die Kohle für die Getränke kriegt ihr wieder. Wenn ich erst was verdient hab.«
Ich sah ihn überrascht an. »Du bist echt blank? Ich dachte immer, du schwimmst nur so im Geld.«
»Falsch gedacht.« Er klang nicht ganz so eingeschnappt wie vorhin, als ich seinen vermeintlichen Goldesel-Papi ins Spiel gebracht hatte, aber sein Stimmungsbarometer rutschte dennoch in den Keller.
Ich hakte nicht weiter nach – es ging mich schließlich auch nichts an – und gab ihm bloß den Tipp, sich bei meinem Onkel im Blumenladen zu melden. Ab und zu beschäftigte er Aushilfen, die ihm auf dem Großmarkt zur Hand gingen oder Blumensträuße austrugen. Allerdings würde er keine Spitzenlöhne zahlen.
»Ganz egal«, sagte Luca. »Job ist Job.«
Ich versprach ihm, morgen Onkel Pauls Telefonnummer mitzubringen, dann verabschiedeten wir uns und ich schloss die Haustür auf. Auch wenn ich Luca inzwischen ganz gut zu kennen glaubte, gab er mir doch immer wieder Rätsel auf. Wieso sah er so nach Schotter aus und hatte doch keinen Cent in der Tasche?