Читать книгу Küsse und Café au Lait - Susanne Fülscher - Страница 10
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ОглавлениеDie Tür flog mit einem lauten Knall ins Schloss. Bevor sich Etienne aufs Bett warf, drehte er noch schnell die Anlage auf. Ça plane pour moi!, dröhnte es aus dem Boxen, ça plane pour moi! Immer wenn es ihm dreckig ging, legte er die Vinylplatte, die er mal auf dem Flohmarkt erstanden hatte, auf. Plastic Bertrand, Achtziger-Jahre-Punkrock. Sein Vater, der seinerseits gerne Wagner-Opern auf voller Lautstärke hörte, rastete jedes Mal total aus und hatte den alten Plattenspieler schon etliche Male zum Sperrmüll bringen wollen, aber Etienne -weigerte sich strikt. Genau wie diese Schallplatte war auch der Plattenspieler von historischem Wert, das musste sein Vater, Verfechter der alten und schönen Dinge, doch kapieren. An manchen Tagen veranstalteten die beiden regelrechte Wettbewerbe. Wer dreht am lautesten auf? Wer erträgt den Lärm des anderen am längsten? Meistens musste Albertine den kindischen Querelen ein Ende setzen, indem sie einfach beide Musikanlagen ausstellte.
Elda war da. Der Schreck seiner schlaflosen Nächte. Die reiche Tussi aus Deutschland, die auf dem Foto vor dem hauseigenen Pool posierte. Blond und hübsch. Das war sie auch in natura und allein ihr Koffer machte den Eindruck, als würden ihre Eltern ihr die Kohle nur so in den Hintern schieben. Deshalb hatte er ihr auch nur kurz die Hand hingestreckt und danach sofort den Rückzug angetreten. Nur weil irgendeine Organisation es so bestimmt hatte, dass dieses Mädchen für die nächste Zeit seine Schwester sein sollte, und dafür auch noch Geld kassierte, musste er ja nicht gleich mit ihr einen auf dicke Freundschaft machen. Dass sie nicht sein Fall war, hatte er gleich auf den ersten Blick gemerkt. Etienne’sche Menschenkenntnis. So eine würde sich garantiert nicht zu ihm ins Zimmer setzen und Ça plane pour moi! hören, die stand auf Shoppen gehen und gelackte Popmusik à la Kylie Minogue.
»Etienne, stell sofort die Musik leiser!« Seine Mutter hämmerte schon eine ganze Weile gegen die Tür, und weil Etienne keine Lust auf Streit hatte, gehorchte er, wenn auch murrend.
Kaum hatte er sich in seinen neuen Comic vertieft, klopfte es erneut. Diesmal war es sein Vater, der ohne Etiennes Antwort abzuwarten sofort ins Zimmer platzte und ihm das tragbare Telefon reichte. »Serge.«
Etienne nahm das Telefon, wartete aber, bis sein Vater sich wieder verdünnisiert hatte.
»Was gibt’s, Kumpel?«
»Nichts.« Serge räusperte sich. »Also jedenfalls nichts Besonderes.«
»Falls du wissen willst, ob Elda da ist. Ja, sie ist.«
»Weiß ich doch längst.« Glockenhelles Gekicher drang an Etiennes Ohr. »Ich hab sie mit abgeholt.«
Eine längere Pause entstand. Etienne hielt den Hörer ein paar Zentimeter vom Ohr weg und ließ das eben Gesagte auf sich wirken.
»He, sie ist nett«, sagte Serge. »Und sie sieht richtig gut aus. Sogar hübscher als auf dem Foto.«
»Moment mal… Du warst mit am Flughafen?«
»Ja. Nuschele ich etwa?«
»Bist du noch zu retten?«, ereiferte sich Etienne. »Warum zum Teufel?«
»Das konnte ich mir doch nicht entgehen lassen.« Wieder kicherte Serge auf diese mädchenhafte Art. »Komm! Sei nicht sauer.«
»Ich bin nicht sauer!«, würgte Etienne alles andere als begeistert hervor. Wenn er jetzt Serge gegenübersitzen würde, hätte er ihm wenigstens mit entsprechenden Gesten verklickern können, wie unsagbar bescheuert er diese Aktion fand.
»Ich hab versucht dich anzurufen, aber du bist nicht rangegangen. Pech.« Geknister in der Leitung. »Deine Eltern finden es übrigens auch affig, wie du dich anstellst.«
»Ach ja? Seit wann interessiert dich denn, was meine Alten finden? Mich interessiert nur, was ich finde.«
»Und das wäre?«
Die Tür ging auf und Elda steckte ihren Kopf ins Zimmer. Nur für ein, zwei Sekunden, dann zog sie die Tür sofort wieder hinter sich zu. Im gleichen Moment ging Etienne auf, dass dies ab sofort Realität sein würde. Eine Schwester, die einfach so ins Zimmer platzte. Erst als er später aufgelegt hatte, fiel ihm ein, dass Elda ein flaches Päckchen in rotem Glanzpapier in der Hand gehabt hatte. Vielleicht ein Geschenk für ihn? Grund genug, ein schlechtes Gewissen zu haben, aber Etienne schob den Gedanken einfach beiseite.