Читать книгу B.cool - Susanne Fülscher - Страница 4
Von genialen oder
weniger genialen Strategien
ОглавлениеAls ich am nächsten Morgen in die Küche komme, sitzt ein Mann mit Dreitagebart an unserem Frühstückstisch. Erst bei genauerem Hinsehen fällt mir auf, dass ich ihn kenne. Es ist Nick Rosenberg, der Typ, mit dem meine Mutter bereits vor einem halben Jahr liiert war. Damals hat das Techtelmechtel ganze zwei Wochen gedauert. Ich bin gespannt, wie lange die beiden es diesmal miteinander aushalten werden.
»Guten Morgen, Luisa!«, flötet Nick. Zum Glück trägt er Jeans und Hemd, und eine Rasierwasserwolke liegt in der Luft. Ich habe schon Zeiten erlebt, wo er mich ungeduscht und mit nacktem Oberkörper beglückt hat.
»Müsli? Ein Ei?« Meine Mutter strahlt, als wäre unsere bescheidene Dreizimmerwohnung ein Palast und der kahle Baum vorm Fenster eine Palme unter karibischer Sonne. Allerdings hat das nicht viel zu bedeuten. Nach der ersten Liebesnacht mit einem neuen (oder abgelegten Kerl) ist sie jedes Mal von Glückshormonen nur so durchflutet und daher nicht ganz zurechnungsfähig.
Ich schüttele bloß den Kopf und schnappe mir ein Croissant. Gestern Abend ist es spät geworden. Sehr spät. Wir haben getanzt, eine Schulkameradin ausgehorcht, die frisch von ihrem Austauschjahr aus den USA zurückgekehrt ist, aus der Ferne Alex beobachtet, und Tini wollte sich wegen unserer Wette gar nicht mehr einkriegen. Bloß unter Androhung von SMS-Entzug konnte ich sie davon abhalten, den anderen etwas zu verraten.
»Wie war das Schulfest?«, erkundigt sich Mami, ohne ihr Glücksrauschgesicht abzulegen.
»Ganz nett.«
»Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?« Sie plinkert mit ihren getuschten Wimpern. Wenn wir nur zu zweit frühstücken, würde sie nie auf die Idee kommen, sich vorher zu schminken.
»Nein, keine besonderen Vorkommnisse«, erwidere ich monoton, obwohl das, was gestern vorgefallen ist, in Wahrheit in die Kategorie Oberhammer! fällt. Ich, Luisa Stern, beschließe einfach mal eben so, das Sahneschnittchen Alex aufzureißen. Das Mädchen, das in Tinis Schwarz-Weiß-Welt bloß die graue Maus ist, das Aschenbrödel, das Neutrum. Aber damit ist jetzt Schluss.
»Und was liegt bei euch so an?«, frage ich das frisch erblühte Pärchenglück. Am besten gebe ich mich so normal wie möglich. Als wäre es gar nichts Besonders, Nick über ein viel zu weiches Frühstücksei gebeugt vorzufinden.
»Na ja.« Meine Mutter greift nach ihrem Eierlöffel und dirigiert damit ein imaginäres Orchester. Gleichzeitig tauscht sie mit ihrem Lover Liebesblicke aus, die für meinen Geschmack über jede Sitte und jeden Anstand hinausgehen. »Nick und ich denken gerade über einen Kurztrip nach Sylt nach.«
Nick und meine Mutter … Sylt … Und was ist mit mir?
»Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht, ein paar Tage allein zu bleiben«, fügt sie hinzu, als könne sie Gedanken lesen.
»Nein, nein!« Ich vergewaltige mein Croissant mit einem Klacks Butter. Natürlich macht es mir nichts aus, länger als eine Nacht oder ein Wochenende sturmfreie Bude zu haben, ganz im Gegenteil, aber eigentlich wollten meine Mutter und ich in den Frühjahrsferien nach Mailand jetten. Was damit ja wohl ins Wasser fallen würde. Sylt und Mailand übersteigt bei weitem unsere finanziellen Möglichkeiten.
Trotz allem lasse ich mir nichts anmerken und plaudere locker über die Wetterverhältnisse an der Nordsee, doch kaum habe ich das Croissant runtergewürgt, sehe ich zu, dass ich wieder in mein Zimmer komme. Ich stehe nicht auf fremde Männer beim Frühstück. Auch nicht auf bekannte, eigentlich kann ich es grundsätzlich nicht leiden, wenn Unbefugte in Mamas und mein Reich eindringen.
Statt mich wie geplant ans Bioreferat zu setzen, rufe ich Tini an. Zunächst ist ihre Mutter dran, dann ihr kleiner Bruder, schließlich gähnt Tini mir ins Ohr: »Was willst du? Es ist mitten in der Nacht!«
»Reg dich ab, es ist elf Uhr und in unserer Küche sitzt der Ex meiner Mutter! Ich glaub, er hat die Nacht mit ihr verbracht.«
»Ja und? Gönn ihr doch den Spaß. Sie ist alt!«
Das Wort alt klingt aus Tinis Mund, als befände sich meine Mutter bereits pflegebedürftig in einem Altenheim. Außerdem hat sie gut reden! Sie mit ihrer intakten Familie. Mutter, Vater, Schwester, Bruder, Katze, Meerschweinchen, und an Weihnachten gibt es sogar einen echten Tannenbaum. Bei uns ziert immer nur ein aufblasbarer Gummibaum das Wohnzimmer (meine Mutter findet das skurril).
»Kann ich jetzt weiterschlafen oder hast du endlich einen Alex-Plan, den du mit mir durchdiskutieren willst?« Tini gähnt schon wieder in den Hörer. Diesmal ganz ausführlich. Ganz schamlos. »Oder willst du etwa doch kneifen?«
»Natürlich nicht«, entgegne ich mit fester Stimme, wobei mir ein wenig mulmig wird. Das war gestern Abend, als die Idee in der Schultoilette spontan das Licht der Welt erblickt hat, noch nicht der Fall. Erst heute Morgen beim Aufwachen wurde mir schlagartig das Ausmaß meines Vorhabens klar. Den Schulschwarm erobern … Den Typen, den alle Mädchen toll finden … Den süßesten Jungen, der je an unserer Schule gesichtet wurde … Das ist, als würde Thommie versuchen Scarlett Johansson rumzukriegen.
»Und wie willst du’s anstellen?« Langsam scheint Tini wach zu werden.
»Keine Ahnung. Ist das denn so wichtig?« Ich bin wahnsinnig! Total verrückt!
»Nicht so wichtig?!« Tini lacht höhnisch auf. »Hör mal, das ist das A und O! Ohne Plan kein Alex!« Ihr Gelächter verebbt.
»Aber ohne Alex komme ich wenigstens gratis an eine Konzertkarte, das wäre auch nicht übel.«
»Freu dich nicht zu früh.« Von draußen dringt pubertäres Liebesgeturtel herein. Kichern, schnalzen, schmatzen, kreischen – Himmel! »Das mit Alex wird sich schon irgendwie finden«, erkläre ich mit vorgespieltem Selbstbewusstsein.
»… und dann lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage – und Luisa würde auch endlich, endlich – was für ein Segen! – ihre Jungfräulichkeit loswerden.«
»Du bist wirklich blöd, weißt du das?«
Tini hüstelt bloß und kichert ebenso blöde wie die Frischverliebten auf dem Flur. »Trotzdem brauchst du einen Schlachtplan, irgendeine richtig geniale Strategie … Andernfalls kannst du dir das Sahneschnittchen nämlich abschminken.«
»Luisa, wir gehen mal eben eine Runde spazieren!«, erschallt Mamis Stimme von draußen. »Willst du mit?«
»Nein, danke!«, rufe ich zurück, wohl ein wenig zu laut, denn Tini beschwert sich sofort, ich solle nicht so brüllen, ihr Trommelfell wäre überaus sensibel.
Kurz darauf klappt die Haustür zu und Tini erklärt: »Also ich an deiner Stelle würde Alex morgen nach Schulschluss abpassen und ihn einfach anquatschen.«
»Das nennst du genial? Sorry, das ist … einfach nur einfallslos.«
»Nicht, wenn du einen intelligenten Aufhänger findest.«
»Zum Beispiel?« Langsam beginne ich meine Blitzidee von gestern Abend zu bereuen.
»Du könntest sagen: Hi, Alex. Falls du’s noch nicht weißt, ich bin Luisa aus der Zehnten. Meine Schwester geht demnächst für ein Jahr nach Dubai, da wollte ich dich mal fragen …«
»Ich habe aber keine Schwester«, unterbreche ich Tinis Gefasel.
»Du hast vor allem keine Fantasie! Das ist dein Problem.« Tini seufzt und schnaubt und gurgelt, dann verabschiedet sie sich übereilt mit den Worten, mir helfen zu wollen sei vergebliche Liebesmüh. Ich würde ohnehin immer alles besser wissen.
Völlig geschwächt lege ich Sekunden später auf und frage mich, welcher Teufel mich gestern eigentlich geritten hat.
Am nächsten Tag in der Schule geht es mir um weitere 100 bis 200 Prozentpunkte schlechter und ich gäbe einiges drum, mich irgendwo wie ein Maulwurf eingraben zu können. Aber ich selbst habe den Alex-Eroberungsplan angeleiert und muss die Sache nun auch angehen – vorausgesetzt, ich will meine Ehre nicht ganz verlieren. Wie viel lieber würde ich jetzt auf den Knien robbend unsere Wohnung putzen, bis mir der Rücken wehtut, Einkäufe nach Hause schleppen, von mir aus auch die Hemden von Mamas Lover bügeln. Stattdessen sitze ich neben Tini in der ersten Reihe, kann dem Unterricht jedoch kaum folgen, weil mein Herz wie ein Formel-1-Wagen rast und es wie verrückt in meinem Bauch rumort.
Tini hat Recht! Nicht nur dass ich keinen Schimmer habe, wie ich es überhaupt anstellen soll – der heimliche Blick in meinen kleinen Taschenspiegel bestätigt, dass ich ein Nichts bin, ein graues, unscheinbares Etwas im Universum …
In der ersten großen Pause ist mir so hundeelend, dass ich mich im Klo einschließe, in der zweiten dasselbe Spiel, und als nach der sechsten Stunde der Klingelton ertönt, sacke ich mit meinem Kopf aufs Schreibpult und möchte mich einfach nur noch entmaterialisieren.
Tinis blumiges Parfüm umweht mich, bloß einen Atemzug darauf kitzelt sie mich am Ohr: »Und? Kneifen wir doch?«
Himmel, was soll ich jetzt bloß tun?! Über meinen Schatten springen und Alex anbaggern? | |
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Oder rasch die Flucht ergreifen und mich zu Hause einbunkern? | |
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