Читать книгу B.cool - Susanne Fülscher - Страница 6
Küss den Boden
und lass dich ruhig treten
Оглавление»Natürlich nicht!«
Wütend auf mich selbst stopfe ich meine Bücher und Hefte in die Tasche, stürme aus der Klasse und rette mich aufs Klo. Luft schnappen. Mich sammeln. Den großen Angriffsplan durchdenken. Doch solange ich auch in den Spiegel starre und auf eine Eingebung hoffe, mir will partout nichts einfallen. Lass es, Alex ist eine Nummer zu groß für dich, sagt mir eine Stimme in meinem Hinterkopf, eine andere wettert dagegen und behauptet: nichts und niemand ist zu groß für dich, du bist doch auch wer, selbst wenn deine Freundin Gegenteiliges meint.
Wie aufs Stichwort öffnet sich die Tür und Tini platzt in den Toilettenvorraum.
»Ach, hier steckst du.«
Ich gehe mit meiner Nase dicht an den Spiegel heran und prüfe die Mitesserlage. Alles im grünen Bereich.
»Da hilft jetzt auch nichts mehr«, trötet Tini und grinst so breit, als könne sie sich ein Bund Schnittlauch quer in den Mund stecken. Klar, ihr Gesicht ist ja auch zentimeterdick mit Make-up zugekleistert, der totale Albtraum für die Haut, aber Hauptsache, kein Pickelchen ist zu sehen.
»Kannst du zur Abwechslung auch mal was Nettes sagen?«
»Ja, du hast schöne blaue Augen!« Tini legt ihren Kopf auf meiner Schulter ab und sieht mich durch den Spiegel hindurch an. »Du solltest dich übrigens beeilen. Sonst ist Mister Tausendschön auf und davon.«
»Und was tue ich gerade?« In Windeseile zupfe ich meine Haare zurecht, dann reiße ich mich von meinem eher mittelprächtigen Spiegelbild los und taste mich an den hellgelben Kacheln entlang zur Tür, als wäre ich angetrunken. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?
»Mir ist eben übrigens die ultimative Anbaggermethode eingefallen«, sagt Tini, stößt die Tür auf und hakt sich bei mir unter.
Ich mustere sie argwöhnisch von der Seite. So wie sie sich kleidet, sind meistens auch ihre Ideen: chaotisch und ein bisschen durchgeknallt.
»Die Sache ist ganz einfach«, erklärt sie. »Du musst auf hilflos, klein und ein bisschen doof machen. Darauf fahren Jungs total ab.«
»Und wie macht man auf hilflos, klein und ein bisschen doof, wenn man in Wirklichkeit stark, groß und superschlau ist?«
Tini wiehert wie ein Pferd, woraufhin ich sie einmal kräftig zwicke. Schon nähern wir uns in Siebenmeilenschritten der Ausgangstür.
»Also. Was soll ich jetzt tun?«, zische ich.
»Knie dich hin.«
»Wozu?«
»Du tust einfach so, als hättest du deine Kontaktlinsen verloren, okay? Und jetzt sag bitte nicht: Ich trage aber gar keine Kontaktlinsen!«
»Ich trage aber gar keine …«
»Du musst total verzweifelt aussehen«, unterbricht sie mich völlig hektisch, »so als wärst du ohne Linsen halb blind!«
Auch wenn mich Tinis Vorschlag nicht überzeugt, lenke ich notgedrungen ein. Was habe ich auch für eine Alternative?
»Na hopp! Auf die Knie!«
»Und wenn mir jemand anders zu Hilfe kommt?«
»Schickst du ihn weg! Meine Güte! Bist du wirklich so schwer von Kapee?« Sie reckt ihren Daumen in die Höhe. »Be cool! Ich geh so lange am Schwarzen Brett in Deckung.«
Bevor ich etwas erwidern kann, ist sie weg und überlässt mich meinem Schicksal. Leise wimmernd lasse ich mich auf den verdreckten Linoleumboden sinken. Der Plan ist mies. Geradezu unterirdisch. Aber vielleicht immer noch besser ein unterirdischer Plan als gar keiner.
Noch während ich darüber nachgrübele, wie man überzeugend nach imaginären Kontaktlinsen sucht, ragen auf einmal Tizianos dünne Jeansbeine vor mir auf. Tiziano hat bloß drei nennenswerte Eigenschaften: Er geht in meine Klasse, ist ein Blödmann und die neugierigste Person unter der Sonne. Der hat mir gerade noch gefehlt.
»Luisa, was tust du da?«, fragt er.
»Gold suchen.«
»Gold? Echt?«
»Nein, ich mache nur ein bisschen Gymnastik.«
»Falls du Hilfe brauchst …«
»Ich. Brauche. Keine. Hilfe. Verzieh. dich.«
Vermutlich schieße ich mit den Augen Giftpfeile auf Tiziano ab, denn er hebt jetzt seine wie leblos wirkende Hand und verschwindet durch die Drehtür.
Danach passiert erst mal nicht viel. Außer dass ich auf dem Boden herumkrieche und ihn Zentimeter für Zentimeter mit den Fingerspitzen abtaste. Es muss aussehen, als wäre ich komplett irre, doch Schüler aller Altersklassen strömen an mir vorbei, ohne auch nur Notiz von mir zu nehmen. Warum sollten also gerade Alex’ Beschützerinstinkte geweckt werden? Tinis Idee ist absurd, von vornherein zum Scheitern verurteilt! Einmal flitzt sie zu mir rüber und kreischt mir ins Ohr, ich müsse unbedingt theatralisch aufstöhnen, falls Alex doch noch auftauchen sollte, doch ich zeige ihr einen Vogel. Ist es nicht schon erniedrigend genug, den Dreck von 580 Schülern mit den Händen aufzuwischen? Außerdem glaube ich ohnehin nicht mehr daran, dass er noch aufkreuzen wird. Bestimmt ist er so cool, dass er schon vor dem offiziellen Schulgong den Unterricht verlässt. Weil er’s nicht nötig hat. Weil er der King ist. King cool …
Ein Pfiff ertönt. Ich drehe den Kopf ein paar Zentimeter nach rechts und sehe, wie Tini heftig gestikuliert. Das kann nur eins bedeuten. Objekt im Anmarsch.
Und tatsächlich: Eine Freytag-Tasche mit der Aufschrift Beer quer über seiner abgewetzten grünen Lederjacke, stolziert er durch die Aula, fährt sich dabei durch seine Honighaare und lächelt die Luft an. Ich wette, dass bereits jedes einzelne Sauerstoffpartikel total in ihn verschossen ist, und bedaure zutiefst mir ausgerechnet ihn ausgesucht zu haben – den süßesten Typen der Schule.
Dann geht alles blitzschnell. Ich beuge mich so tief runter, dass ich fast mit meiner Nase den Boden berühre, und seufze leise – ja, ja, ich bin hilflos! –, doch genau in der Sekunde, in der ich Alex auf meiner Höhe vermute, fährt ein jäher Schmerz durch meine Finger, und als ich endlich begreife, dass mir Sahneschnittchen Alex auf die Hand getreten ist, entschwindet dieser bereits durch die Drehtür.
Zum Teufel noch mal!
Tini huscht zu mir rüber und macht ein zerknirschtes Gesicht.
»Das war ja wohl nichts.«
»Ja, das war ja wohl nichts«, echoe ich und versuche den Schmerz wegzupusten. Das Projekt Alex ist hiermit gestorben. Aus, Ende, vorbei. Nicht nur dass der Idiot mich komplett übersehen hat, er latscht mir auch noch auf die Hand, ohne es zu bemerken.
»Komm, wir gehen jetzt die Konzertkarten holen«, beschließe ich und will mich aufrappeln, als Tini in einer scharfen Kehrtwendung zum Schwarzen Brett zurückspurtet und zugleich unauffällig in Richtung Eingang deutet. Mein Kopf fährt herum und mir wird klar, was los ist: Das Sahneschnittchen ist umgekehrt und steuert – zumindest sieht es aus meiner Perspektive so aus – direkt auf mich zu. Herzkasperalarm! Vielleicht will er mir ja ein zweites Mal auf die Hand steigen, schießt es mir durch den Kopf, und ich richte mich so hastig auf, dass mir einen Moment lang schwarz vor Augen wird.
»Geht’s?«, ertönt eine tiefe Stimme irgendwo an meinem Ohr, während der Duft von Limetten, Urwäldern und Bärenfellen in meine Nase steigt und mir im Bruchteil einer Sekunde eine mittelprächtige Gänsehaut beschert.
»Alles klar bei dir?«
Jetzt legt mir das Sahneschnittchen auch noch seine Pranke auf die Schulter und sieht mich dabei an, als wolle er mich hypnotisieren. Augen wie Bernstein. So schön! Buff – macht es irgendwo in meiner Magengrube.
»Ja … ich … äh … geht so«, stottere ich, als wäre ich nicht des Sprechens mächtig.
Alex schnappt sich meine Hand. »Ich war schon draußen, da hab ich’s erst gecheckt …« Als hätte er es eben bei mir abgeguckt, pustet er auf meine Finger. »Tut mir wirklich leid. Ist sonst nicht meine Art, mich Mädchen so rabiat zu nähern.«
Er lächelt.
Ich sage nichts.
Er lächelt immer noch.
»Tut’s sehr weh?«
»Nur ein bisschen.«
»Wie kann ich das wiedergutmachen?«
Indem du mit mir ins Bett gehst, diktiert mir eine verwegene Stimme in meinem Hirn, doch ich sage bloß: »Schon okay.«
»Na, denn.«
Das Sahneschnittchen wendet sich bereits wieder zum Gehen und ich denke: Halte ihn zurück, irgendwie! Doch als wäre mein Kopf vollkommen blutleer und mein Mund mit Sekundenkleber versiegelt, bringe ich keinen Ton raus. Er marschiert los, lässig wie ein Cowboy, aber statt seinen Weg unbeirrt fortzusetzen, wie sich das für einen anständigen Cowboy gehört, bleibt er abrupt stehen und fährt herum. Einen Atemzug lang starrt er mit leeren Augen ins Nirgendwo, dann lächelt er mich an und steuert ein zweites Mal auf mich zu.
»Weißt du, an wen du mich erinnerst?«, fragt er und nestelt dabei an seiner Freytag-Tasche herum.
»Nein?« Mein Herz rast inzwischen so sehr, dass mir fast übel ist.
»An diese eine Schauspielerin … wie heißt sie noch gleich?«
Er schnalzt mit der Zunge, bereits im nächsten Moment kommt Tini wie zufällig angetrabt. Was soll das? Warum macht sie mir diesen Augenblick mit Alex, meinen Augenblick mit Alex, kaputt?
»Woher soll sie denn wissen, welche Schauspielerin du meinst?« Tini streckt Alex ihre Hand hin. »Ich bin übrigens Tini.«
»Hi, Tini!«, ruft das Sahneschnittchen aus, ohne sich netterweise selbst mal vorzustellen oder mich nach meinem Namen zu fragen. »Ich komm schon gleich drauf.« Er legt den Kopf in den Nacken und sucht die Decke mit den Augen ab, als würde der Name dort irgendwo eingraviert stehen. »Sie hat in … Moment …« Er schnipst mit den Fingern, als hätte er die Erleuchtung. »Meryl Streep! Ja, so heißt sie.«
»Aber ist die nicht schon fast scheintot?«, feixt Tini.
»Ich meine nicht ihr Alter. Nur ihre Nase. So zart und schmal.«
Zart und schmal – aha. Schön, dass die beiden über mich reden, als wäre ich gar nicht anwesend.
»Und meine Nase?«, will Tini jetzt von Alex wissen und kichert zu allem Überfluss so schrill wie eine Kreissäge. »Hat die zufälligerweise auch Schauspielerqualitäten?«
»Lass mal sehen.« Er packt Tini bei den Schultern und dreht sie um 180 Grad herum. Wahrscheinlich, um besser ihr Profil studieren zu können. »Mmm … ja … Du hast ein süßes kleines mädchenhaftes Stupsnäschen.«
»Oh, danke.« Tini knickst albern. »Ich meine, falls das ein Kompliment sein sollte.«
»Bitte. Gern geschehen. War eins.«
»Aber keine Ähnlichkeiten mit irgendwelchen Prominasen?«
»Hast du das etwa nötig?«
»Nein, ich dachte nur … Ist doch immer gut, wenn man irgendwem ähnlich sieht.«
Alex’ linke Augenbraue rutscht nach oben. »Wenn man wie man selbst aussieht, ist es aber auch nicht übel, oder?«
Laber, laber – und ich stehe die ganze Zeit wie Pik sieben daneben. Bin heilfroh, als Alex das Geplänkel nach ein paar Minuten mit einem entschiedenen »Oh, mein Bus fährt gleich« beendet.
Kaum ist er durch die Drehtür verschwunden, fauche ich Tini wie eine wild gewordene Katze an: »Verdammt, was sollte das denn?«
»Reg dich ab. Ich wollte eure Unterhaltung nur ein bisschen in Gang bringen. Weiß ja jeder, dass du nicht gerade ein Small-Talk-Genie bist.«
»Aber du, ja?«
Tini tastet nach ihrer süßen, kleinen Stupsnase, so als hätte sie Angst, Alex könnte sie ihr eben geklaut haben. »Jedenfalls habe ich bisher noch in jeder Situation den Mund aufgekriegt.«
»Klar. Vor allem wenn es darum geht, deiner besten Freundin den Flirt kaputt zu machen.«
»Meryl-Streep-Nase? Das nennst du Flirt?«
»Es war jedenfalls ein Kompliment.«
Tini lacht nur höhnisch und dreht dabei den Ring an ihrem Mittelfinger.
»Und weil du es nicht ertragen kannst, dass mir mal jemand etwas Nettes sagt«, fahre ich fort, »musst du dir natürlich gleich selbst ein Kompliment organisieren.«
»Was ja auch funktioniert hat.«
»Also gibst du’s zu!«
»Hey, lass uns nicht streiten.« Tini zwickt mich versöhnlich in die Wange. »Er hat uns eben beiden etwas Nettes gesagt, okay?«
»Du hättest es dir wenigstens verkneifen können, ihn so zuckersüß anzulächeln«, sage ich immer noch ein wenig verärgert.
»Ich? Er hat doch gegrinst, als würde er mich am liebsten vernaschen.«
Hat er? Ich weiß es nicht. Zuzutrauen wär’s ihm jedenfalls.
»Aber mach dir nichts draus. Jungs können eben nicht anders«, erklärt Tini wichtigtuerisch. »Wegen ihrer komischen Hormone sind sie dauernd auf der Jagd und geben erst Ruhe, wenn die Beute erlegt ist.«
Wahrscheinlich stammt dieser Schwachsinn auch aus einer ihrer Zeitschriften, aber letztlich spielt es keine Rolle. Im Moment ist nur wichtig, dass Alex überhaupt auf mich aufmerksam geworden ist. Der erste Schritt in die vielleicht richtige Richtung …
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