Читать книгу Sluga - Immer für Dich da - Susanne Kowalsky - Страница 7
KAPITEL 3
ОглавлениеHier liege ich. Auf meinem Bett. Eigentlich ist das Zimmer recht wohnlich. Mit dem alten Kasten wäre es noch schöner. Ein Tablett haben sie mir hingelegt. Da soll ich reingucken. Erst wischen, dann ... Vollkommener Blödsinn. Früher standen Gläser auf den Tabletts. Was denken die sich heutzutage? Denken die überhaupt? Die künstlichen Intelligenzbestien meine ich.
Damals war alles besser. Bald wird es wieder so sein wie einst. Ich muss nur durchhalten. Will ich überhaupt durchhalten? Vielleicht mache ich die Augen zu. Ich lasse sie zu, für immer. Wenn sie mich beerdigt haben, wandel ich auf Serpentinen der Musik entgegen. Links und rechts stehen Kapellmeister. Sie bewundern mich, meine Schuhe, meinen elastischen Gang. Mit jedem Schritt komme ich meinen Träumen näher, dem Paradies. Im Himmel kann ich das Tanzbein schwingen, ganz genau so wie damals. Die alten Meister waren göttlich. Sie rissen das Publikum mit. Man flirtete auf der Tanzfläche, verabredete sich für den nächsten Musikabend, freute sich einen ganzen Monat lang darauf. Ich war ein vortrefflicher Tänzer, der König des Bossa Nova. Die Mädels rannten mir hinterher. Alle. Eine hat mir besonders gefallen.
«Klopf, klopf, klopf. Halloho! Wie geht es dir? Willst du dich mit mir unterhalten?»
Oh Schreck! Vor mir stand eine glatzköpfige Plastikfigur mit blauen Augen, wie Puppen sie meistens haben. Meine Tochter hatte so eine gehabt. Ihre Ohren lagen eng an. Die Lippen waren schmal und kurz, kaum breiter als die kleine Nase. Auf der faltenlosen Stirn war das Wort ‹Sluga› aufgedruckt.
«Lass‘ mich in Ruhe. Wo ist Inge?»
«Ich bin Sluga.»
«Das weiß ich. Hältst du mich für blöd?»
«Nein. Wer ist Inge? Sollen wir uns unterhalten?»
«Das tun wir doch schon.»
«Wer ist Inge?»
«Sie war meine Frau.»
«Inge war bestimmt schön.»
«Woher will ein Plastikteil wie du das wissen?»
«Ich bin Sluga. Sluga möchte sich mit dir unterhalten.»
«Inge war mein ein und alles. Weißt du überhaupt, was das bedeutet?»
«Ja. Du kanntest nur Inge. Sonst niemanden. Aber das macht nichts. Jetzt kennst du mich.»
«Dich? Du hast ja keine Ahnung, wovon ich überhaupt rede. Du gehörst nicht mal zur Schöpfung.»
«Warte bitte. Sluga denkt.» Verifiziere Schöpfung.
«Und wie lange soll ich warten?» Keine Antwort. «Sluga? Ich dachte, du wolltest dich mit mir unterhalten.»
Definition Schöpfung: von Menschen Geschaffenes.
«Sluga? Was ist das überhaupt für ein Name? Sluga! Sag was!»
«Entschuldige. Sluga ist immer für dich da. Für dich, immer. Sluga gehört zur Schöpfung.»
«Hau ab! Du kommst auf keinen Fall in meinen Himmel. Verschwinde!»
«Du möchtest, dass Sluga geht? Bis morgen.»
Wenn doch nur meine Inge da wäre. Sie war ein Mensch aus Fleisch und Blut. Bewundert hat sie mich. Getanzt habe ich wie kein anderer. Von Anfang an waren wir auf derselben Wellenlänge. Träume hatten wir. Sehnsüchte. Urlaubsreisen. Eigenheim mit kleinem Garten. Wahre Liebe. Kinder. Wir haben so lange auf Cassandra gewartet.
«Bist du schon wieder da?»
«Naya kommt jeden Tag.»
«Du warst vorhin schon mal da.»
«Negativ. Alles muss immer sauber sein. Die Wäsche, die Zimmer, die Medikamente.»
«Was meinst du mit negativ? Saubere Medikamente? Du spinnst wohl. Geh weg!»
«Naya geht weg, wenn alles sauber ist.»
«Rede keinen Unsinn!»
«Du meinst Sluga. Sluga redet Unsinn. Naya nicht. Ich bin Naya.»
«Wo ist Inge?»
Naya filterte die Datenbank der Beschäftigten sowie der Bewohner nach deren Vornamen mit einer Relation zu Norbert. Seine Pillen legte sie in die soeben von ihr frisch sterilisierte Schale.
«Ich habe dich was gefragt! Wo Inge ist, will ich wissen.»
«Inge ist nicht existent. Du kannst dich darauf verlassen.»
«Inge hat mich nicht verlassen! Von mir ist sie gegangen. Gelitten hat sie wie keine andere.»
«Die Einträge sind fehlerfrei. Die Schnittstelle zu meinem Modul arbeitet korrekt. Ich habe das gerade überprüft.»
«Inge? Inge!» Wie kann dieses, dieses, was auch immer, behaupten, meine Inge sei nicht, wie war das noch? Ich roch ihr Parfüm, spürte ihre Wärme, ihre Umarmung, ihren Atem. Mein Gott! Ich sitze hier. Ich heule wie ein Schlosshund. Ich, ein Vorbild für viele Schülerinnen und Schüler. Damals. Beschützt habe ich sie. Ich war der beste Schülerlotse überhaupt. Da bin ich mir sicher. Mein Schluchzen erfüllte mein neues Zuhause. Ist es das? Niemals, nein. Vorbei das einstige Glück, vorbei die Nähe der Kinder, aus. Nichts bleibt. Meine Sinne schwinden langsam. Was ist Wirklichkeit? Was lebt nur in meiner Erinnerung? Wo ist die Grenze? Scheiß Demenz. Was macht das Gehirn mit mir? Wieso habe ich keinen Einfluss darauf? Und das mir, ausgerechnet mir.
Cassandra hat mich hergebracht, weil sie meint, ich käme allein nicht mehr zurecht. Möglicherweise stimmt das. Aber wohl eher nicht. Ich bin ja immer klar gekommen. Es gab überhaupt keinen Grund, mich aus meiner gewohnten Umgebung zu reißen, nur, weil der Kopf von Zeit zu Zeit Achterbahn fährt. Da draußen laufen genug Bekloppte rum. Wenn man denen allen die Wohnung wegnehmen würde ...
«Naya? Welche Tabletten muss ich denn nehmen? Sind die schon für morgen früh oder noch für heute Abend?»
Wieso ist dieser Pillenroboter wieder weg? Von wegen, unbeschwert leben. Was mache ich nur mit den ganzen Medikamenten? Ein leises Klopfen an der Tür. Besuch? Jetzt, um diese Zeit? Wie spät ist es? Eine weitere Schreckensgestalt trat ein, diesmal eine mit Brille.
«Hallo. Da bin ich. Wie geht es dir?»
«Gut, dass du wieder da bist. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt einnehmen soll».
«Was?»
«Die hier. Die Tabletten. Für wann sind die?»
«Das weiß Rabota nicht. Rabota wäscht dich, putzt dir die Zähne, zieht dich um, sorgt für eine gute Nacht. Komm. Komm mit mir ins Badezimmer.»
Ich ließ die Prozedur über mich ergehen. Mir blieb gar nichts Anderes übrig. Wenn doch nur Inge hier wäre. Niemals hätte ich gedacht, dass ich sie mal so vermissen würde. Mit dem Waschlappen rubbelte die Schießbudenfigur über meinen Hintern. Ich hielt mich am Griff neben dem Waschbecken fest.
«Lass kurz los. Es passiert nichts. Versprochen.»
Die Stellen unter den Armen waren dran. Wieder festhalten. Besser. Seife. Waschhandschuh, Brust, Bauchnabel. Nein! Doch. Selbst über das längst nicht mehr so gute Stück schrubbte Rabota hinweg. Wenn Inge mich dort angefasst hatte, war es anders. Vor allem tat es nicht weh. Der Himmel auf Erden. Gibt es so was? Vielleicht ja, vielleicht nein, aber sicher nicht hier, nicht jetzt, nicht in einer Zeit, in der Roboter jegliches Privatleben ignorieren. Wenn ich im Himmel bin, werde ich keinen rein lassen außer meiner lieben Frau, vielleicht noch meine Tochter, bestimmt aber die Herren von der Copacabana und ihren Bossanova. «Wie hießen die noch?»
«Wie hieß wer noch?»
«Was?»
«Rabota möchte wissen, wen du meinst.»
Ich konnte mich nicht erinnern, eine Frage gestellt zu haben. Selbst wenn. Was ging es dieses Schrubberdingsbums an? «Ich meine gar nichts. Bist du endlich fertig?»
«Rabota mus noch deine Füße waschen.»
«Nein.»
«Doch. Wenn Rabota deine Füße nicht wäscht, bleiben sie dreckig.»
«Die sind überhaupt nicht dreckig.»
Rabota drängte mich auf den Duschstuhl. Gnadenlos drehte sie das Wasser auf. Sie schrubbte, schrubbte, schrubbte. «Aua!»
«Was ist das für ein Wort?»
«Du tust mir weh! Merkst du das denn nicht?»
«Rabotas Auftrag ist es, dich zu reinigen. Sauberkeit schmerzt nicht. Sonst wäre ein Warnsignal hinterlegt.»
Hoffentlich ist die Prozedur bald vorbei. Was hat Cassandra sich nur dabei gedacht, mich hier reinzustecken, in eine Mühle, aus der es kein Entrinnen gibt? Das ist keine Pflege. Das ist moderne Folter unter dem Deckmantel des Wohlwollens.