Читать книгу Mord im Kloster Eberbach - Susanne Kronenberg - Страница 14

10

Оглавление

Wiesbaden

Donnerstag, der 16. September

Nach dem Gespräch mit Ecki Winterstein fuhr Norma nach Hause, um eine Reisetasche zu packen. Während sie einige Kleidungsstücke zusammensuchte, dachte sie über den Auftrag nach. Hatte sie unüberlegt eingewilligt? Sicherheitsbeauftragte für eine Filmcrew, eine Bezeichnung, die alles und nichts bedeuten konnte. Reizvoll war daran vor allem die Aussicht, die kommenden Tage im Umkreis eines Tatorts zu verbringen. Tief in ihrer Brust schlug nun einmal das Herz einer passionierten Mordermittlerin. Zumal sie dem Opfer im wahrsten Sinn des Worts hautnah gekommen war. Ein Mann in den besten Jahren hatte auf grausame Weise sterben müssen. Was verrieten die Umstände, die es in den Tod befördert hatten, über das Opfer? Was sagte die Tötungsart über den Täter aus? Dass er kräftig sein musste zum Beispiel und kaltblütig genug, um einen Mann – nur durch eine Kirchenmauer von knapp 1.000 Menschen getrennt – zu strangulieren. War der Kahlköpfige ein Zufallsopfer? Oder hatte der Mörder ihm gezielt aufgelauert? In diesem Fall hatte er den Winzer womöglich aus der Basilika zur Klostergasse hinausgelockt.

Sie stellte die gepackte Tasche aufs Bett, hockte sich daneben und nahm ihr Smartphone zur Hand. Das digitale Presseportal des Polizeipräsidiums Westhessen verkündete im »Mordfall Winzer« keine Neuigkeiten, was nichts bedeuten musste. Norma konnte ihre Ungeduld nicht länger beherrschen. Wolfert oder Milano, überlegte sie. Der schwergewichtige Kommissar gefiel sich in der Rolle des Wissenden und ließ sich interne Informationen mit Schmeicheleien entlocken. Im Gegenzug würde sie sich seine rauen Pöbeleien anhören müssen. Bei Wolfert hatte sie einen dicken Stein im Brett, was ihn jedes Mal aufs Neue in die Bredouille brachte, wenn er zwischen Freundschaft und der Verschwiegenheit des korrekten Beamten abwägen musste. Welche Seite gewinnen mochte, ließ sich nicht vorhersagen. Ein flinkes Tippen und Wolfert war am Telefon. Nach der erfreuten Begrüßung schlich sich eine hörbare Anspannung in die Stimme. Er stecke mitten in den Vorbereitungen für eine Vernehmung.

»Ihr habt schon einen Verdächtigen?«

»Allerdings, und die Meldung geht heute noch an die Öffentlichkeit. Die Leute warten ungeduldig auf erste Ergebnisse. Bis dahin behalte es für dich.«

»Dirk, du weißt, ich kann schweigen wie ein Grab. Also?«

»Was also?«, fragte er unwillig.

»Wer A sagt, muss auch B sagen«, versuchte sie, ihm Informationen zu entlocken. »Bitte, spann mich nicht auf die Folter. Wen habt ihr im Visier?«

Das unwillige Murren hätte von Milano stammen können. Auf eigenartige Weise schienen sich die Kommissare mehr und mehr anzugleichen.

Widerstrebend gab Wolfert ein weiteres Detail preis. »Der Verdächtige ist ein Weinbauer, er wohnt in der Nähe des Klosters. Über Jahre lag er im Clinch mit seinem Nachbarn.«

»Was du nicht sagst! Und dieser streitbare Nachbar war unser Toter? Axel Teubener?«

»Korrekt. Teubener hat die Leute nebenan, ein Winzerpaar, aufs Übelste schikaniert. Er terrorisierte regelrecht deren Kundschaft, das ging an die berufliche Existenz. Zu allem Unglück kam die Frau unseres Verdächtigen ums Leben, unmittelbar nach einer Auseinandersetzung mit Teubener, was er diesem anlastet. Die Frau erwartete ein Kind! Wen wundert’s, wenn so jemand rotsieht?«

»Hört sich furchtbar an. Was habt Ihr Handfestes gegen ihn?«

»Norma!«

»Ach, komm schon!«

»Also gut, so viel darf ich dir verraten: Teubener wurde mit einem Stück Weinbergdraht zum Tode befördert.«

»Hmm, so ein Draht ist vermutlich in jedem Weingut zu finden.«

Sein Seufzer hörte sich enttäuscht an. »Unser Pech. Ein absolut übliches Produkt. Wir haben die Schlinge in der Klostergasse gefunden.«

»DNA? Fingerabdrücke?«

»Negativ«, brummte Wolfert. »Der Täter war vorsichtig.«

»Was sagt euer Mann?«

»Daniel Lenges verweigert jede Aussage.«

»Danke für den Namen«, erwiderte sie verblüfft.

Wolferts leises Lachen drang an ihr Ohr. »Den Namen hättest du mit einem Klick selbst herausgefunden. Du muss im Netz nur nach ›Winzerquerelen im Rheingau‹ suchen.«

Genau das tat Norma, nachdem sie sich von Wolfert verabschiedet hatte. Sie wechselte vom Bett an den Küchentisch und ging, von frisch gebrühtem Espresso belebt, die lange Ergebnisliste zum Winzerstreit durch. Die seriösen Quellen begnügten sich damit, die Kontrahenten als »Axel T.« und »Daniel L.« zu bezeichnen. Andere Medien scheuten nicht davor zurück, die vollständigen Namen zu nennen. Die Weingüter Teubener und Lenges lagen zentral zwischen den Winzerstädtchen Hallgarten, Hattenheim und Kiedrich, wie Norma anhand der Onlinekarte sehen konnte: in nachbarschaftlicher Alleinlage inmitten von Rebhängen und nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt vom Kloster Eberbach. Als Auslöser des Streits, so stand es in den Onlineberichten einhellig zu lesen, galt die schicke Neugestaltung der Gutsschänke im Weingut Lenges. Mit der »extravaganten Edel-Vinothek mit Traumausblicken auf Rheintal und Rebstöcke«, wie ein Journalist euphorisch berichtete, habe die Straußwirtschaft des Nachbarhofs nicht mithalten können. Eine Einschätzung, die Norma nach einem Blick auf die Webseiten der Weingüter nur teilen konnte. Anstatt sich wie bei Lenges zwischen gediegenen Bruchsteinwänden, schimmerndem Holz und edlem Leder mit einem Schoppen niederzulassen, musste man sich nebenan im abgewirtschafteten Gastraum zwischen Gelsenkirchener Barock, schmiedeeisernen Deckenlampen und geblümten Gardinen zuprosten. Während sich das Winzerpaar Lenges vor Buchungen kaum habe retten können, sei die Bude nebenan leer geblieben, vermeldete ein Artikel im Netz. Der schöne Schein war nicht alles gewesen. Zwischen den Zeilen ließ der Verfasser durchblicken, dass Winzermeister Teubener selbst seine treusten Gäste mit schlechter Laune vergrätzt und regelrecht zu den Nachbarn hinübergetrieben habe.

Weitere Berichte beschrieben den Unfall, der Daniels Ehefrau das Leben gekostet hatte. In Steillage war ein Traktor umgestürzt und hatte Alina Lenges unter sich begraben. Die schwangere 26-Jährige verstarb kurz darauf im Krankenhaus. Der Fahrer des Traktors war ihr eigener Ehemann gewesen. Hatte Wolfert nicht gesagt, dass Lenges den Tod seiner Frau dem zänkischen Nachbarn anlastete? Bevor Norma herausfinden konnte, inwieweit Axel Teubener in das Unglück verwickelte war, unterbrach ein Anruf ihre Nachforschungen. Es war Winterstein, der sie zum Mittagsessen einlud. Bei der Gelegenheit wollte er sie dem Team als neue Kollegin vorstellen. Norma versprach, sich in Kürze auf den Weg zu machen. Sie spülte die Tasse ab, verstaute das Tablet in der Reisetasche und drehte eine Runde durch die Wohnung, um nachzusehen, ob alle Fenster geschlossen waren. Auf dem Dachfenster im Schlafzimmer zeichnete sich ein dicker, dunkler Kloß ab: Kater Leopold im Gegenlicht. Mit einem gnädigen Maunzen sprang er ihr in die Arme, nachdem sie ihm geöffnet hatte. Mit dem gewichtigen Kartäuser über der Schulter schloss sie das Fenster wieder, nahm die Reisetasche auf und verließ die Wohnung.

Eine Etage tiefer, im mittleren Stockwerk, klingelte sie bei Eva und überreichte ihr den Kater mit der Erklärung, sie habe einen Auftrag und wohne deswegen für eine Weile im Rheingau. Dabei fiel ihr ein, dass sie nicht darüber gesprochen hatten, wann Eva ausziehen wollte.

»Frühestens im Oktober«, antwortete Eva.

Norma kraulte den Kater zum Abschied zwischen den Ohren, wünschte Eva einen schönen Tag und machte sich auf den Weg nach Eberbach – mit gespannter Erwartung, was der Job als Sicherheitsbeauftragte bereithalten würde.

Mord im Kloster Eberbach

Подняться наверх