Читать книгу Schuster und nichts als die Wahrheit - Susanne Lieder - Страница 8
Kapitel 4
ОглавлениеAm Werdersee
Der Fundort war großräumig abgesperrt worden, weil man noch immer hoffte, irgendwo etwas zu finden.
Schuster stieg aus dem Wagen und schaute sich um. Hier also ist sie heute früh langgegangen, ihren kleinen Hund bei sich. Er blickte nach rechts, dann nach links. Sie ist hier lang, dann wird sie da drüben weitergegangen sein …
Er schob sich unter dem Absperrband hindurch.
Leises Wasserplätschern war zu hören, irgendwo schnatterte eine Ente und eine Möwe schrie. Langsam ging er weiter. Schließlich blieb er stehen und betrachtete den Boden. Dann hob er den Kopf und blickte in den Himmel. Eine Möwe kreiste über ihm, vielleicht in der Hoffnung, dass er etwas Essbares bei sich hatte. Dabei fütterte er grundsätzlich keine Möwen, was das Tier nicht wissen konnte. Sie lauerten überall, sogar in der Stadt auf dem Domshof stolperte man fast über sie. Seinen Blick auf die Erde gerichtet, ging er vorsichtig weiter. Nach Spuren hatte man bereits alles abgesucht, trotzdem war er auf der Hut.
Von irgendwoher war Stimmengemurmel zu hören, und er drehte sich um. Dann ein Aufblitzen von einer Kamera. Sabine Deisterkamp, Reporterin bei der Tageszeitung, und ihr Fotograf standen einige Meter entfernt.
Wahrscheinlich glaubte sie, er würde sie nicht besonders mögen, doch sie täuschte sich. Er mochte sie, und er hielt sie für eine ausgesprochen fähige Journalistin. Nicht zu leugnen war allerdings, dass sie ihm so manches Mal den letzten Nerv geraubt hatte mit ihrem Herr Kommissar, nun reden Sie schon. Herr Kommissar, die Bevölkerung ist besorgt. Herr Kommissar, warum sind Sie eigentlich so verstockt?, und so weiter und so fort. Einige Male hatte er überlegt, ihr die Finger in der Autotür einzuklemmen und es wie einen Unfall aussehen zu lassen, wenn sie ihn wieder mal abgefangen und mit Fragen gelöchert hatte.
Jetzt winkte sie ihm fröhlich und beinahe überschwänglich zu.
Er winkte deutlich verhaltener zurück.
„Hallo, Herr Kommissar.“ Sie gab dem Fotografen ein Zeichen. „Pass auf, dass du den Hintergrund mit drauf hast“, wies sie ihn an. Immerhin standen sie hinter der Absperrung.
„Was tun Sie denn hier?“, fragte er sie.
„Wir sehen uns den Tatort an.“ Sie fummelte an ihrer riesigen Umhängetasche herum und warf mit einer ungeduldigen Handbewegung ihr langes dunkelblondes Haar über die Schulter.
Er bemühte sich um ein freundliches Gesicht. „Es wird eine Pressekonferenz geben, Frau Deistermann.“ Er hatte sich im Laufe der Jahre angewöhnt, sie aufzuziehen, indem er sie mit immer neuen Abwandlungen ihres Nachnamens ansprach.
Diesmal schien sie darauf zu verzichten, ihn zu verbessern. Stattdessen zückte sie ihr Mikrofon und hielt es ihm unter die Nasenlöcher. „Herr …“
Er schob es beiseite. „Es gibt nichts zu sagen.“
„Sie werden mir doch irgendwas über das Opfer sagen können.“
„Es ist eine Frau.“
Sie verdrehte die Augen. „Das wissen wir schon.“
Er nickte, als würde ihn das zufriedenstellen, und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste, dass das fürchterlich dämlich aussah und er überhaupt nicht der Typ für dieses Sieh-mal-wer-ich-bin-Gehabe war. Er hatte es getan, um sie ein bisschen zu verwirren.
Und es schien funktioniert zu haben. Sie warf ihrem Fotografen einen fragenden, etwas verunsicherten Blick zu, den er mit einem gelangweilten Schulterzucken quittierte. Er war kein Mann der großen Worte oder Gesten, das wusste Schuster inzwischen. Der Fotograf hielt die Kamera weiterhin auf ihn, und er legte kurzerhand die Hand aufs Objektiv. „Lassen Sie das, Günther.“
„Guido.“
Sie kritzelte etwas in ihr Notizbuch, wobei sie sich das Mikro unter die Achsel geklemmt hatte.
„Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, hier rumzustreunen“, warnte Schuster sie mit ernster Miene.
Sie blickte ihn treuherzig an. „Wofür halten Sie mich, Herr Kommissar?“
„Das wollen Sie gar nicht wissen“, gab er zurück, konnte sich ein Grinsen aber nicht verkneifen.
„Glauben Sie, dass der Täter hierher zurückkommen wird?“, wollte sie wissen.
„Das ist nicht ausgeschlossen.“
„Vielleicht weiß er noch gar nicht, dass sein Opfer noch lebt“, überlegte sie und legte den Finger unter die Nase.
„Vielleicht stromert er auch noch irgendwo hier rum und wartet nur darauf, dass Sie allein sind.“
Sie sah ihn einen Moment verdutzt an, dann lachte sie. Gleich darauf wurde sie wieder ernst. „Darf ich Sie noch was fragen?“
„Was denn noch, Frau Deistermann?“
„Wie geht es der Frau?“
Er musterte sie wohlwollend. „Sehen Sie, das ist eine Frage, die mir gefällt. Die Frau liegt im Koma. Mehr wissen wir noch nicht.“
In Stuhr-Heiligenrode
Er hatte sein abendliches Lauftraining auf sechs, sieben Kilometer reduzieren müssen, da es bereits dunkel war, und freute sich jetzt auf eine heiße Dusche.
Louisa war in ihrem Zimmer und hörte laut Musik.
„Ich bin wieder zu Hause!“, rief er. Zu Hause. Wie wunderbar sich das anhörte.
„Mama ist mit Alex im Kino!“, rief Louisa von oben.
Ach ja, richtig, das hatte er völlig vergessen.
Er schlüpfte aus seinen Sportschuhen und schielte nach rechts, dorthin, wo seine Wildlederschuhe standen. Jana hatte sie wieder weggeräumt, ganz nach unten ins Regal, so wie sie es seit dem Tag machte, an dem sie zusammengezogen waren.
Er selbst stellte seine Wildlederschuhe immer neben das Regal, in einem besonderen Abstand und mit der ihm eigenen Präzision. Sie hatten einfach so dastehen müssen, es beruhigte ihn eben. Anders konnte er es nicht erklären.
Verstohlen drehte er sich um, ob Jana nicht vielleicht doch zu Hause war und ihn heimlich beobachtete. Dann nahm er die Schuhe aus dem Regal und stellte sie daneben, richtete sie mehrmals aus, bis sie so dastanden, wie er wollte. Seine Sportschuhe stellte er direkt daneben.
Er lag ausgestreckt auf der Couch, als er weiche, warme Lippen auf seiner Stirn spürte. Er machte die Augen auf und blickte direkt in Janas Gesicht. „Hallo. Wie war der Film?“
„Ach … na ja.“
„Oh, so gut? Ich hab Lasagne gemacht. Steht im Kühlschrank.“ Er setzte sich auf und gähnte. „Wie spät ist es?“
„Kurz nach elf.“
„Lasagne?“, fragte er wieder und schmunzelte, als er ihr Gesicht sah. Er brauchte ihre Antwort nicht. „Warte, ich hole dir was.“
Mit dem Teller auf ihrem riesigen Bauch saß sie wenig später da und betrachtete ihn, während sie aß. „Sie ist köstlich, aber das weißt du ja sicher.“
„Was nicht heißt, dass ich mich nicht über ein Kompliment von dir freue.“
„Wie war dein Tag?“, fragte sie.
„Eine Frau wurde am Werdersee gefunden. Sie wurde niedergeschlagen und liegt im Koma. Sie hat einen kleinen Sohn. Kiran.“ Wie immer sprudelte es nur so aus ihm heraus, sobald sie ihn fragte: Wie war dein Tag?
Mit seiner ersten Frau Silke hatte er selten über seinen Beruf gesprochen, vielleicht war das einer der Gründe gewesen, warum sie sich so entfremdet hatten. Er war allein gewesen mit seinem Job, der knallharten Welt voller Mord und Totschlag und schräger Typen. Möglicherweise wäre es anders gekommen, wenn er sich ihr öfter anvertraut, sie mit in seine Welt genommen hätte. Silke hatte jedoch immer so getan, als sei sein Job etwas, mit dem sie nichts zu tun haben wollte, und er hatte das respektiert.
Jana war da ganz anders. Sie wollte alles mit ihm teilen, seine Sorgen, seine Freuden und seine Wünsche. Und auch wenn er von sich aus selten davon anfing, war er immer froh, wenn sie signalisierte, dass sie ihm zuhören wollte. Nicht nur das, häufig hatte sie ihm einen Rat gegeben, ihn getröstet, ihm Mut zugesprochen oder einfach nur ihre Meinung gesagt. Manchmal genügte das schon.
„Wie furchtbar. Kommt sie durch?“
„Das hoffe ich.“ Er gähnte wieder.
„Ich weiß, dass es dich wahnsinnig macht, wenn ich deine Schuhe wieder ins Regal stelle.“
Er stutzte. „Woher weißt du …“
„Heiner Schuster, ich lebe jetzt lange genug mit dir zusammen, da entgeht einem so was nicht.“
„Dir vielleicht nicht“, murmelte er.
„Das hab ich gehört“, gab sie ungerührt zurück.
„Tut mir leid. Ich bin eben so.“
„Wie, so?“ Sie schürzte die Lippen. „So frech? So uneinsichtig? Apropos einsichtig oder uneinsichtig. Du wolltest doch einen Sehtest machen lassen.“
„Ja, ja.“
„Du eitler Gockel.“ Sie lächelte, und dieses Lächeln ging ihm durch Mark und Bein. „Entschuldige dich nicht dafür, dass du bist, wie du bist. Genau deswegen wollte ich dich haben. Aus genau diesem Grund sitze ich hier mit dir in unserem wunderhübschen Wohnzimmer, du Blödmann. Wenn es dir lieber ist, stelle ich deine Schuhe nicht mehr ins Regal. Sie bleiben stehen, wo du sie hinstellst.“ Und bevor er etwas entgegnen konnte, sagte sie: „Und wehe, du sagst jetzt, dass du immer ein, zwei kleine Neurosen haben wirst und entschuldigst dich dafür.“
Dienstag, 14. Mai, Polizeipräsidium
„Was grinst du denn so wie ein Honigkuchenpferd?“, wollte Lahm wissen, der heute früh gespenstisch ausgeruht und frisch aussah. Fast so, als hätte er eine Frischzellenkur hinter sich. Er saß an seinem Schreibtisch, die Füße auf der Tischplatte.
Schuster setzte Teewasser auf. Hatte er gegrinst? Ganz abwegig war das nicht, hin und wieder rollte eine Welle puren Glücks und Vorfreude über ihn hinweg, einfach so. „Gibt’s was Neues aus der Klinik?“
„Bisher nicht.“
Schuster hielt kurz inne, den Teebeutel in der Hand. „Keine Nachrichten sind gute Nachrichten.“
„War das ein Mantra oder so was?“
Kuhn kam herein, wobei er so leise gewesen war, dass ihn seine Kollegen verblüfft anstarrten. „Manta? Kenn ich. Mein Onkel hat in den Siebzigern einen gefahren. Die Mädchen sollen ganz wild nach ihm gewesen sein.“
„Nach deinem Onkel?“
„Nee, nach dem Auto.“ Kuhn hockte sich auf Schusters Schreibtischkante und baumelte mit einem Bein.
„Es ging übrigens nicht um das Auto Manta“, klärte Schuster ihn auf und stellte seine Teetasse auf den Tisch.
„Nicht? Worum dann?“
„Heiner hat ein Mantra aufgesagt“, sagte Lahm.
„Ich hab nur gesagt, dass keine Nachrichten wahrscheinlich gute Nachrichten sind.“
Lahm schleuderte zwei Kugelschreiber hintereinander in den Papierkorb.
Kuhn beobachtete ihn dabei. „Restmüll.“
„Weiß ich.“
„Ich wette, du wolltest gerade noch was sagen.“
„Ach ja? Und was zum Beispiel?“
„Ich tippe mal auf Klugscheißer.“
Lahm überging Kuhns Worte einfach. „Ist euch eigentlich noch gar nicht aufgefallen, wie fantastisch ich heute aussehe? Ausgeruht und wie das blühende Leben.“
Schuster hob den Kopf und grinste. „Ist mir aufgefallen.“
Außerdem war ihm aufgefallen – wieder mal -, dass er selbst endlich eine Brille brauchte. Eitelkeit hin oder her. Erst neulich hatte er über der Tastatur gesessen und das W gesucht. Und Lahm hatte ein wenig spitz gemeint: „Wenn ich dir irgendwie behilflich sein kann …“ Sein eigenes „Eben war es noch da“ war auch nicht besser gewesen. Schlimmer noch, es passierte ihm immer wieder, dass er Käse, der nur noch ein paar Tage haltbar war und Müsli mit Rosinen kaufte – er hasste Rosinen – oder wie vor Kurzem Tennissocken in Größe 39-42.
Lahm ballte die Faust und reckte sie in die Luft. „Bin um zehn ins Bett, Telefon aus, Handy aus, und hab geschlafen wie ein Baby.“
Schuster lachte. „Na also.“
Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Kuhn fuhr zusammen und zeigte auf den Apparat. „Wetten, dass das was mit deinem Mantra zu tun hat.“ Er zog den Kopf ein, sprang vom Tisch und verschwand in seinem Kabuff.
Schuster nahm den Hörer ab.
„Hier ist Doktor Bertram, Klinikum Mitte. Sie möchten doch mit dem jungen Mann sprechen …“
Er schoss von seinem Stuhl hoch. „Dann ist er wach?“
„Wach ja. Es geht ihm nicht besonders, aber kommen Sie ruhig und versuchen Sie Ihr Glück.“
„Wir sind gleich da.“ Er legte auf, nippte an seinem noch viel zu heißen Tee und schob die Tasse beiseite.
Lahm stand auf. „Eine gute Nachricht also.“
Klinikum Mitte
„Ich begreife einfach nicht, wie man sich so volllaufen lassen kann“, meinte Schuster, als sie nebeneinander die Treppen hochgingen.
Lahm zuckte mit den Schultern. „Manche besaufen sich, wenn sie Probleme haben. Und unser junger Freund hatte ja ganz offenbar gleich mehrere.“
Schuster sah ihn überrascht an. „Ach ja? Und welche?“
„Na hör mal, er bekommt seinen Sohn nicht zu Gesicht, er ist über die Trennung von seiner Ex-Freundin nicht hinweggekommen. Wer weiß, was es da noch gab!“ Er hielt ihm die Glastür auf.
Der junge Arzt kam auf sie zu. „Da sind Sie ja schon. Den Gang entlang, nach dem Schwesternzimmer die dritte Tür rechts.“ Er warf einen Blick auf den Beeper, den er in der Kitteltasche trug. „Er ist völlig durcheinander. Ich befürchte, dass Sie nicht viel aus ihm rausbekommen. Wenn irgendetwas ist, rufen Sie einfach eine Schwester.“
Schuster klopfte an die Tür, und als kein „Herein“ folgte, öffnete er sie leise. Der junge Mann lag im Bett, die Bettdecke bis zum Hals hochgezogen, die Augen geschlossen.
„Herr Faber?“
Der Mann schlug die Augen auf. „Sind Sie von der Polizei?“
Schuster stellte seinen Kollegen und sich selbst vor. „Wir würden Sie gern ein paar Dinge fragen.“
Lahm nahm zwei Stühle, und sie setzten sich an Fabers Bett.
„Ich hatte ’nen Kreislaufkollaps“, sagte der mit leiser, brüchiger Stimme. „Zumindest hat mir der Arzt das erzählt. Was war denn los? Ich hab keine Ahnung, warum ich überhaupt hier bin.“
„Sie sind betrunken aufgefunden worden.“
Faber blinzelte. „Okay“, sagte er dann gedehnt.
„Sehr betrunken“, ergänzte Lahm. „Um ehrlich zu sein, Sie waren so stockbesoffen, dass Sie hierhergebracht werden mussten. Sie lagen mit den Füßen in der Weser …“
„Was?“ Faber wollte sich aufsetzen, ließ sich aber gleich wieder aufs Kissen zurücksinken. „Aber …“ Er verzog das Gesicht, als er sich anders hinsetzen wollte und sich dabei auf sein linkes, bandagiertes Handgelenk aufstützte.
„Sie erinnern sich nicht daran?“, fragte Schuster ihn und zeigte auf dessen Handgelenk. „Gebrochen?“
Faber schüttelte den Kopf. „Nein, nur eine Prellung.“ Auf seiner linken Schläfe klebte ein größeres Pflaster.
„Ihre Ex-Freundin Miriam Schmidt lag nur ein paar Meter entfernt und …“
Fabers Finger krallten sich um den Bettbezug. „Was? Was reden Sie denn da? Was ist mit Miri? Wo ist sie?“
„Sie liegt auf der Intensivstation. Die Ärzte haben sie ins Koma versetzt.“
Faber blickte von Lahm zu Schuster. „Aber … ich verstehe das alles nicht.“
„Erinnern Sie sich daran, dass Sie ihr nachgegangen sind?“
„Miri? Nein.“ Er schüttelte langsam den Kopf.
„Sie wurde mit einer Flasche niedergeschlagen. Und Sie wurden mit einer leeren Flasche in der Hand aufgefunden, Herr Faber.“
„Sie wollen mir gerade sagen, dass ich Miriam niedergeschlagen habe? Niemals!“
„Es sieht leider danach aus, Herr Faber“, sagte Schuster sanft. Er konnte nicht anders: Faber tat ihm leid. Er war so ganz anders, als Schuster erwartet hatte.
Faber rutschte unruhig hin und her. „Ich würde ihr doch nie …“ Er riss die Augen auf. „Was ist mit meinem Sohn? Wo ist mein Sohn?“
„Beruhigen Sie sich. Es geht ihm gut.“
„Dann war er … er war nicht dort?“
Schuster schüttelte den Kopf. „Er war bei seiner Großmutter.“
Faber schloss für einen Moment die Augen. „Ich kapier das alles nicht.“ Er war unglaublich blass, fast bleich, hatte Ringe unter den Augen, und sein dunkelblondes Haar stand wirr vom Kopf ab.
Lahm runzelte die Stirn. „Wollen Sie wirklich andeuten, Sie würden sich nicht erinnern?“
„Ich erinnere mich an nichts, rein gar nichts.“
„Auch nicht daran, dass Sie getrunken haben?“
„Ich hab einen Whisky getrunken, daran erinnere ich mich. Vielleicht auch zwei oder drei.“
„Wo?“
„In meiner Wohnung. Ich weiß noch, dass ich auf der Couch lag und …“ Faber stieß ein Zischen aus. „Aber dann ist alles irgendwie … weg. Ich hab keine Ahnung, was danach passiert ist.“
Lahm stand auf und ging zum Fenster. „Sie wollen uns nicht allen Ernstes sagen, dass Sie einen Filmriss haben?“
„Doch, ich …“
Lahm drehte sich zu ihm um. „Für wie bescheuert halten Sie uns? Sie haben sich einen angetrunken und zwar nicht zu knapp. Sie waren sauer auf Miriam, weil Sie Ihren Sohn nicht sehen konnten. Sie waren sogar richtig sauer. Und dann sind Sie vielleicht eingeschlafen, und als Sie wieder aufgewacht sind, da haben Sie weitergesoffen. Und dann haben Sie irgendwann gedacht: Das lass ich mir nicht bieten. Und Sie sind aus dem Haus. Sie wussten, dass Miriam morgens am Werdersee spazieren geht. Sie sind hin und haben vielleicht versucht, mit ihr zu reden. Und als sie nicht wollte, haben Sie ihr die leere Flasche über den Kopf gezogen.“
„Nein!“
„Doch, ich glaube, genauso war’s.“ Lahm setzte sich wieder.
„Sie müssen die ganze Nacht durchgetrunken haben, Herr Faber. Sie hatten 2,8 Promille im Blut. Für zwei, drei Whisky etwas viel, finden Sie nicht?“, fragte Schuster.
Faber setzte sich ruckartig auf und stöhnte leise. „Schön, ja, vielleicht waren’s ein paar Whisky mehr. Aber ich renne nicht zum Werdersee und schlage Miri …“
„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte Lahm dazwischen.
Faber sank zurück aufs Kissen. „Ich könnte ihr nie so was antun.“
„Sind Sie sicher, dass Sie nur Whisky getrunken haben?“
„Was? Ja, nein … keine Ahnung.“ Faber stöhnte wieder. „Ich erinnere mich nicht mehr, verdammte Scheiße. Sie halten mich jetzt bestimmt für einen Säufer. Das bin ich aber nicht.“
Schuster stand auf und gab seinem Kollegen ein Zeichen. „Sie bleiben erst mal hier zur Beobachtung. Und dann sehen wir weiter.“
„Werde ich dann verhaftet?“, fragte Faber leise.
„Sie sind dringend tatverdächtig, Herr Faber. Es sei denn, es findet sich bis dahin jemand, der bezeugen kann, wie Sie nur am Werdersee spazieren gegangen sind. Dann müsste er oder sie allerdings auch gesehen haben, was genau dort passiert ist.“ Schuster ging zur Tür und drehte sich noch mal um. „Wir werden Ihre Fingerabdrücke nehmen.“
Faber nickte schwerfällig. „Ja, klar.“ Er schloss die Augen. „Was für eine Scheiße“, hörten sie ihn noch murmeln, bevor sie die Tür hinter sich zuzogen.