Читать книгу Abends bei Clark's - Susanne Lieder - Страница 7
2. Kapitel
ОглавлениеSonntag, 26. August
Katja
Auf der Fahrt zum Seniorenheim betete Katja.
Bitte, bitte mach, dass sie heute einen ihrer lichten Tage hat. Lass sie nicht im Sessel dasitzen und Trübsal blasen. Und wenn es nicht zu unverschämt ist, bitte mach noch, dass sie heute Apfelstreuselkuchen dahaben.
Es hatte Tage gegeben, da hatte ihre Mutter nur am Fenster gesessen, ihre Häkelarbeit, die sie ja doch nie fertigbringen würde, auf dem Schoß. Manchmal hatte sie gelächelt und leise gesungen. Dann wieder war sie ernst und niedergeschlagen. Katja wusste nie, worauf sie sich einstellen musste. Nachdem ihre Mutter einen Schlaganfall gehabt hatte, von dem sie sich bis heute nicht wieder vollständig erholt hatte, wohnte sie im Seniorenheim. Der Schlaganfall hatte alles verändert, genau wie der Tod von Katjas Vater wenige Monate zuvor. Sie hätte ihre Mutter gern zu sich genommen, Platz war ausreichend vorhanden. Doch sie wusste, dass sie sich nicht genug um sie kümmern konnte. Sie hatte einen Beruf, und wenn sie ehrlich war, war sie froh, dass sie diese Rechtfertigung, diesen überzeugenden Grund hatte. Ihre Mutter bei sich im Haus zu haben, wäre sehr wahrscheinlich mehr als anstrengend für alle Beteiligten.
Sie konzentrierte sich auf den Straßenverkehr. Vor ihr fuhr seit geraumer Zeit ein älterer Herr, wie sie in seinem Spiegel gesehen hatte. Neben ihm eine ältere Dame. Wahrscheinlich machten die beiden einen hübschen kleinen Sonntagsausflug.
Sie schlug aufs Lenkrad. „Warum immer ich?“, murmelte sie vor sich hin. „Entweder ich habe einen Drängler hinter mir oder einen Opa mit Cordhut vor mir.“
Wenn sie doch nur überholen könnte. Konnte sie aber nicht, dazu war die Straße zu kurvig.
Ein dunkler Kleinwagen raste an ihr vorbei, am Steuer ein junger Mann mit roter Baseballkappe. Er grinste sie unverschämt an und machte das Victory-Zeichen. Auch die älteren Herrschaften vor ihr überholte er und scherte dicht vor ihnen wieder ein.
„Manchmal wünschte ich, ich wäre Schwarzenegger. Dann würde ich ihn aus dem Wagen zerren und …“ Sie atmete langsam aus. „Nein, ich bin ganz ruhig und entspannt.“
Am Morgen hatte sie wieder eine völlig überflüssige Diskussion mit ihrem Mann gehabt. Ulf wollte einen riesigen Flachbildfernseher, sie einen Urlaub in der Bretagne. Beides war dieses Jahr einfach nicht drin. Sie hatten viel am Haus gewerkelt, die Terrasse überdacht, ein neues Badezimmerfenster einbauen lassen.
Urlaub konnten sie beide gebrauchen, auch wenn Katja am liebsten allein verreisen würde. Aber Ulf musste ja unbedingt einen dieser riesigen Fernseher haben. Den er auch garantiert kaufen würde. Inzwischen kannte sie ihn gut genug.
Er hatte keine Lust gehabt, mitzukommen und ihre Mutter zu besuchen. Er hatte „Besseres zu tun, als einer alten, tütteligen Frau dabei zuzusehen, wie sie sich mit Bienenstich bekleckert“.
Aber im Grunde war sie ganz froh, allein fahren zu können. Und ihrer Mutter war es vermutlich sowieso ziemlich egal, ob ihr Schwiegersohn mitkam oder nicht.
Sie fuhr auf den großen Parkplatz und atmete ein paarmal tief durch.
Die Sonne schien, kaum eine Wolke war am Himmel.
Sie freute sich auf den September. Die Farben, das Licht, der Geruch, all das liebte sie.
Vielleicht hatte ihre Mutter heute einen guten Tag. Einen Tag für ein Gespräch, eine liebevolle Berührung, einen Austausch wundervoller Erinnerungen. Sie hatte eine wunderbare Kindheit erleben dürfen, voller Liebe, Wärme und Fürsorge, und sie erinnerte sich gerne daran.
Sie selbst hatte bisher nicht die Chance bekommen, eine liebevolle Mutter zu werden. Im Moment war sie auch ganz froh, dass Ulf und sie keine Kinder hatten.
Sie verriegelte den Wagen, hängte sich ihre Handtasche um und wickelte den Blumenstrauß aus, den sie ihrer Mutter mitgebracht hatte.
Eine Pflegerin kam ihr im Treppenhaus entgegen. „Ihrer Mutter geht es heute gut, Frau Hellmer.“
„Wirklich? Oh, das ist schön.“
„Sie kommen doch später zum Kaffeetrinken in den Speiseraum?“
„Natürlich.“ O ja, und ob sie das tun würden.
Sie klopfte an die Tür und wartete auf ein Herein.
Als sie die zaghafte Stimme ihrer Mutter hörte, lief ihr Herz beinahe über. Sie schob die Tür auf. „Hallo, Mama. Ich bin da.“
Ihre Mutter saß in ihrem alten Sessel am Fenster, das obligatorische Häkelzeug auf dem Schoß. Und sie lächelte.
Katja ging zu ihr und nahm ihre Hände. „Wie geht es dir?“
„Gut, Kind, gut.“
„Das ist schön. Was häkelst du da?“
„Ach, nichts Besonderes. Nur eine Kleinigkeit für Tante Christa.“
Christa war seit zwei Jahren tot. Ihre Mutter hatte den Tod ihrer Schwester nie wirklich begriffen. Sie und Christa hatten sich sehr nahegestanden.
Katja glaubte, dass ihre Mutter es einfach nicht akzeptieren wollte. Christa war nicht tot, basta.
Und sie hatte irgendwann kapituliert. Warum sollte ihre Mutter nicht weiterhin mit ihrer Schwester sprechen, ihr Häkeldeckchen und unmoderne Mützen schenken, wenn es sie glücklich machte?
Sie setzte sich auf den Stuhl und rutschte damit neben den Sessel ihrer Mutter. Dann fiel ihr ein, dass sie die Blumen vergessen hatte. Sie hatte den Strauß auf dem kleinen Tisch neben dem Bett abgelegt.
Sie stand wieder auf und ließ Wasser in eine kugelrunde Vase.
„Ich habe dir Astern mitgebracht, Mama.“
„Wie lieb von dir, Kind.“
Sie stellte die Vase aufs Fensterbrett und setzte sich wieder. „Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang? Es ist herrliches Wetter.“
Ihre Mutter blickte verträumt aus dem Fenster. „Ach, warum eigentlich nicht. Ein Spaziergang wird mir guttun.“
Katja holte eine Strickjacke aus dem Kleiderschrank und legte sie ihrer Mutter um. Dann wartete sie, bis sie sich bei ihr eingehakt hatte, und ging mit ihr zur Tür.
„Wir werden doch keinen Ärger bekommen?“, fragte ihre Mutter besorgt.
Katja musste lachen. „Wer sollte uns Ärger machen?“
„Dann darf ich mein Zimmer verlassen?“
Sie blieb stehen und sah ihre Mutter ungläubig an. „Ob du dein Zimmer verlassen kannst? Aber sicher, Mama. Wie kommst du denn darauf, dass du dein Zimmer nicht verlassen darfst?“
Ihre Mutter zuckte verwirrt mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Es ist mir so durch den Kopf gegangen.“
Katja streichelte ihre Hand. „Mach dir keine Sorgen. Wir schlendern ein bisschen durch den Park, und danach gehen wir ein Stückchen Apfelkuchen essen.“
„Oh, hast du welchen gebacken?“
„Wir gehen in den Speiseraum, da gibt’s heute Apfelkuchen.“
„Ach, tatsächlich? Christa liebt Apfelkuchen, wusstest du das?“
„Ja, Mama, ich weiß.“
„Sie werden doch nichts dagegen haben, wenn sie mit uns am Tisch sitzt?“
„Natürlich nicht. Mach dir keine Gedanken, Mama.“
Ulf saß am Küchentisch und aß Abendbrot, als Katja zurückkam. „Hat der Motor wieder geklopft?“, fragte er sie.
Sie seufzte verhalten. Sie erinnerte sich nicht, jemals etwas vom Motor ihres Autos erwähnt zu haben. „Nein, mir ist nichts aufgefallen.“
„Was nichts heißen muss.“
Sie schnalzte mit der Zunge. „Sagt der, der gerade mal ein Auto von einem Motorrad unterscheiden kann.“
Ulf atmete heftig aus, und sie wusste, was gleich kommen würde. Schließlich lebte sie seit zehn Jahren mit diesem Mann zusammen.
Und tatsächlich: „Ich hab jedenfalls mehr Ahnung als du.“
Sie hatte fast jedes Wort leise mitgesprochen, während sie zum Schrank gegangen war, um sich einen Teller und Besteck zu holen.
Ulf funkelte sie an. „Hast du mich gerade nachgeäfft?“
„Ich?“ Sie nahm sich eine Scheibe Vollkornbrot aus dem Korb. „Gibt’s keinen Käse?“
„Klar, nur nicht auf dem Tisch“, gab er trocken zurück.
Sie stand wieder auf und holte die Käseglocke aus dem Kühlschrank. Erst jetzt entdeckte sie den aufgeschlagenen Prospekt auf dem Tisch. Sie tippte mit dem Finger auf einen der Fernseher. „Sag jetzt bitte nicht, dass du schon einen bestellt hast.“
Ulf schwieg.
„Ulf? Hallo? Jemand zu Hause?“
Er schaute sie an, als würde er sie gerade zum ersten Mal sehen. „Ja?“
Sie schnappte nach Luft. „Das ist nicht dein Ernst. Wir hatten doch darüber gesprochen, dass wir noch mal darüber sprechen wollen.“
„Das ist mir zu kompliziert.“ Er stand auf und räumte sein Geschirr in den Geschirrspüler.
Sie schwieg, wobei sie so heftig die Zähne zusammenbiss, dass es wehtat. Sie biss kräftig in ihr Käsebrot.
Im Vorbeigehen tätschelte Ulf ihre Schulter. „Reg dich nicht auf, Karla Kolumna. Ich hab nicht gesagt, dass ich schon bestellt hab.“
Dienstag, 28. August
Anna
Anna zog die Tür ihres Zimmers fest hinter sich zu.
Sie vergewisserte sich rasch, dass ihre Perücke nicht verrutscht war. Hans hatte sie noch nicht aufgespürt, sie konnte es selbst kaum glauben. Sie hatte täglich damit gerechnet, dass er ihr an der nächstbesten Ecke auflauern würde. Er war ein geschickter Rhetoriker, ein brillanter Redner, der seinem Gegenüber das Blaue vom Himmel versprach. Sie eingeschlossen. Oft genug hatte sie sich einwickeln lassen und seinen Versprechungen geglaubt. Dabei hätte sie längst begreifen müssen, dass es ihm immer nur darum gegangen war, Macht über sie zu haben. Von Liebe war nie die Rede gewesen.
Aber wurde Liebe nicht vielleicht hoffnungslos überschätzt?
An diesem Abend war sie mit ihrer Schwester verabredet, es gab eine Menge zu besprechen. Sie wollte sich endlich eine eigene Wohnung und einen Job suchen. Es wurde Zeit, dass sie auf eigenen Füßen stand.
Sie hatte ein Taxi bestellt, das bereits unten vor dem Haus wartete. Bevor sie einstieg, warf sie einen Blick auf den Fahrer. Glaubte sie ernsthaft, dass Hans still und heimlich den Taxiführerschein gemacht haben könnte, um sie direkt nach Hause zu fahren?
Der Fahrer war ein junger Mann mit Schiebermütze und Dreitagebart. „Wohin soll’s denn gehen, schöne Frau?“
„Bei Clark’s. Kennen Sie das?“
„Nee, aber Sie werden mir bestimmt gleich verraten, wo das ist.“ Er drehte das Radio leiser.
„Das ist ein Sternerestaurant am Marktplatz.“
Er nickte. „Alles klar.“
Während sie fuhren, blickte Anna aus dem Fenster und hing ihren Gedanken nach. Als sie ausstieg, gab sie ein üppiges Trinkgeld und amüsierte sich über das verblüffte Gesicht des jungen Mannes.
„Das ist aber großzügig“, sagte er strahlend und wünschte ihr überschwänglich einen wunderbaren Abend.
Ja, den würde sie hoffentlich haben.
Katja
Katja stand vor dem Spiegel und überlegte, was sie anziehen sollte. Lustlos nahm sie einen kniekurzen, beigefarbenen Jeansrock vom Bügel und hielt ihn sich an. Sie hatte zwei, drei Kilo zugenommen.
Nun, auf einen Versuch käme es an.
Als sie den Reißverschluss zuzog, musste sie die Luft anhalten. Gütiger, wann hatte sie den Rock zuletzt getragen? Vor zehn Jahren?
Aus den Augenwinkeln sah sie Ulf im Türrahmen lehnen. Und sie wettete, dass jetzt wieder einer seiner Standardsprüche kommen würde.
„Wie die Wurst in der Pelle.“
Wie gut sie ihn doch kannte.
„Charmant wie immer“, gab sie zurück.
„Komm schon, Katja, du weißt, dass ich diese Hungerhaken, diese Bügelbretter auf zwei Beinen nicht leiden kann. Eine Frau darf durchaus griffig sein.“
Um ihr zu zeigen, wie griffig er sie fand, kam er näher und umfasste mit beiden Händen ihre Brüste. Er raunte etwas in ihr Ohr und sabberte ihr Ohrläppchen nass. Was hatte er gerade gesagt? Dass sie scharf wie eine Chilischote war?
Sie machte sich los. „Lass das, Ulf, ich bin schon spät dran.“
Er war beleidigt, das sah sie sofort. Er hatte sich schon immer schlecht verstellen können.
„Wieso wirfst du dich für deine Freundin eigentlich so in Schale?“, fragte er sie und blähte seine Nasenflügel auf.
Katja wandte sich ab, weil sie lachen musste. Eine kindliche Albernheit, die sie sich tief in ihrem Innern bewahrt hatte, brach sich gelegentlich Bahn. Dann quiekte sie vor Lachen und riss nicht selten ihre Mitmenschen mit. Ulf dagegen gehörte zu den Menschen, die sich schnell veralbert fühlten.
Also biss sie sich auf die Zunge.
„Lass das, Ulf, ich bin schon spät dran“, äffte er sie nach, und es war vorbei mit ihrer Beherrschung.
Der Lacher brach aus ihr heraus, noch bevor sie ihn unterdrücken konnte.
Ulf murmelte irgendetwas und verließ das Zimmer. Sie hörte ihn auf der Treppe fluchen, als er über Kater Henry steigen musste, der es sich gern auf einer Stufe bequem machte und döste.
Sie nahm eine verwaschene Jeans vom Bügel. Okay, die müsste passen. Dazu eine längere Bluse, vielleicht noch ihr neues hellgrün gemustertes Tuch – und die neuen knallroten High Heels. Sehr schlicht, mit einem hohen, spitzen Absatz, aber ohne jeglichen Schnickschnack. Das brauchte dieser Schuh auch gar nicht, er kam wunderbar ohne aus.
Anschließend drehte sie sich vor dem Spiegel, nahm ihre Handtasche, prüfte, ob alles darin war, was sie brauchen würde, und ging die Treppe hinunter.
Ulf war offenbar dabei, den Geschirrspüler auszuräumen, wobei er ein Mordsgetöse veranstaltete. Offenbar war er noch immer eingeschnappt und ließ seinen Ärger nun am Geschirr aus.
Sie blieb in der Tür stehen. „Ich fahr dann jetzt.“
„Schönen Abend.“
„Dir auch.“ Sie wartete ein, zwei Sekunden, ob er sich zu ihr umdrehen würde.
Das tat er tatsächlich, seine Augen weiteten sich und er pfiff durch die Zähne. „Holla, die Waldfee.“ Er winkte sie zu sich, und sie ärgerte sich, dass sie nicht gleich weitergegangen war. „Du siehst klasse aus.“ Er begutachtete sie von Kopf bis Fuß. „Tolle Hose, tolle Schuhe, toller BH.“
Sie war irritiert. Toller BH? „Sieht man meinen BH so deutlich?“
„Und ob.“
„Mist. Doppelmist.“ Sie überlegte, ob sie sich noch schnell umziehen sollte, entschied dann aber, es bleiben zu lassen. Sie würde das Tuch darüber drapieren. „Bis später, brauchst nicht auf mich zu warten.“
„Wie du meinst. Und fahr vorsichtig.“
Sie warf ihm einen Blick zu, den sie immer dann auf Lager hatte, wenn sie ihm zu verstehen gab, dass sie ein großes Mädchen war.
„Du trinkst ja hoffentlich nicht, wenn du fahren musst.“
„Ich nehme ein Taxi.“
„Taxi? Ich dachte, du nimmst das Auto.“ Er kratzte sich am Kinn. „Sei trotzdem vorsichtig.“
Sie salutierte und schlug die Hacken zusammen. „Jawohl, Papa.“
Rita
Rita hatte einen grauenvollen Tag hinter sich.
Wobei die Nacht davor nicht viel besser gewesen war. Sie hatte wieder von ihm geträumt und war nassgeschwitzt und um sich schlagend aufgewacht. Würden diese Albträume denn nie aufhören?
Später war sie mit üblen Kopfschmerzen und noch dazu viel zu spät im Büro erschienen und hatte sich einen anständigen Anpfiff von ihrer Chefin anhören müssen. Wie sie diesen Job hasste!
Seit sie hierhergezogen war, arbeitete sie als Sachbearbeiterin in einer kleinen Baufirma. Dabei war sie komplett überqualifiziert für diesen Job. Sie war eigentlich Werbekauffrau, hatte jahrelang in einer großen Werbeagentur in Hamburg gearbeitet. Doch sie hatte hier keine geeignete Stelle gefunden, und alles war besser, als weiterhin in Lübeck zu wohnen und Tag für Tag in Angst leben zu müssen.
Nach Feierabend war sie ins Fitnessstudio gegangen, um sich ordentlich auszupowern. Danach hatte sie sich einen Film im Kino ansehen wollen, aber keiner hatte ihr zugesagt, also war sie nach Hause gefahren und hatte die Decke angestarrt.
Vielleicht sollte sie sich ein Haustier anschaffen, einen kleinen Hund oder lieber eine Katze, der es nichts ausmachen würde, tagsüber allein zu sein.
Als ihre Laune auf dem Tiefpunkt gewesen war, hatte Christian angerufen. „Ich schulde dir noch ein Essen. Um acht auf dem Marktplatz?“
Es war bereits kurz nach acht, als sie aus dem Taxi stieg.
Sie hatte sich verspätet, weil sie sich drei Mal umgezogen hatte. Und warum? Weil sie Christian beeindrucken wollte.
Hatte sie sie eigentlich noch alle? Christian war verheiratet, sie beide waren Arbeitskollegen, Freunde, nichts weiter.
Ihr Handy klingelte.
Es war Christian. „Tut mir leid, Rita, ich kann nicht kommen.“ Er erzählte, dass er zu seinem Wagen gelaufen und dabei weggerutscht sei, wobei sein rechter Fuß zwischen Autotür und Bordsteinkante geraten war. „Meine Frau hat mich gleich ins Krankenhaus gefahren.“
„Ach herrje, gute Besserung. Dann werde ich wieder nach Hause fahren.“
„Der Tisch ist bestellt. Du könntest allein …“
„Allein? Ich weiß nicht …“
„Das Essen ist köstlich dort, glaub mir.“
Sie musste lachen. „Ich weiß ja nicht mal, wo du reserviert hast.“
„Bei Clark’s“, erklärte er. „Das ist das Nobelrestaurant direkt am Markt.“
Sie blickte sich suchend um und drehte sich um die eigene Achse.
Dann hatte sie das Restaurant entdeckt: ein hübsches weißgraues Haus mit zwei riesigen Buchsbaumkugeln, die in hohen, schmalen Gefäßen steckten, gleich neben der breiten Glastür. Bei Clark’s stand auf dem Schild über der Tür.
„Das Essen geht natürlich auf mich.“
„Na schön, überredet, Christian.“
Katja
Martina wartete bereits und winkte Katja zu, als sie durch die große Glastür hereinkam.
Toni, der charmante Kellner, begrüßte sie. „Guten Abend, Frau Hellmer. Bitte hier entlang.“ Er ging voraus, und sie schmunzelte. Den Weg zu Martina hätte sie auch so gefunden. „Ich habe Ihre letzte Kolumne gelesen. Wunderbar, ganz wunderbar. Ich hab mich sehr amüsiert.“
„Das freut mich, Toni. Mein Angebot gilt: Wenn Sie eine Idee haben, worüber ich unbedingt mal schreiben sollte, immer her damit.“
Er rückte ihr den Stuhl zurecht. „Ich wüsste da was.“ Er beugte sich vertraulich zu ihr und zwinkerte. „Wie wär’s mit: Neid und Missgunst unter Sterneköchen?“
„Ob Clark damit einverstanden wäre?“ Sie winkte ab. „Ach, Unsinn, er liest meine Kolumnen ja gar nicht.“
Sie bestellte zwei Gläser Sekt, und Toni zog wieder ab. Sie umarmte Martina und stellte neidlos fest, wie toll ihre Freundin an diesem Abend aussah. Die Bluse stand ihr großartig, sie passte hervorragend zu ihrem brünetten Haar. Katja hatte nicht das leiseste Problem damit, so etwas anzuerkennen. Neid und Missgunst mochte es unter Sterneköchen geben, nicht aber unter besten Freundinnen.
Der Tisch war wieder mal hinreißend gedeckt. Sie betrachtete die Tischdekoration, rückte erst die bordeauxfarbene Kerze und dann die viereckige weiße Vase zurecht, in der eine einzelne Calla steckte. Eine blöde Angewohnheit.
„Ist alles zu deiner Zufriedenheit?“, erkundigte sich Martina.
„Wie geht’s den Zwillingen?“, fragte Katja sie über den Rand der Speisekarte hinweg. „Ich hab keine Ahnung, was ich nehmen soll. Das Thunfisch-Carpaccio vielleicht?“
„Sie haben die letzte Impfung nicht gut vertragen. Haben den ganzen Tag gequengelt. Mich lacht die Maispoularde an.“
„Ja, ich glaub, ich nehme das Thunfisch-Carpaccio und danach die Maispoularde auf Zwiebeljus. Ich find’s gut, dass ihr eure Kinder impfen lasst. Machen ja heute nicht mehr alle.“
„Stimmt. Fahrlässig finde ich das. Nein, warte, ich nehme die Steinpilzravioli und davor die Jakobsmuscheln.“
„Ich würde meine Kinder auch impfen lassen. Steinpilzravioli, hmm …“ Katja überlegte. „Nein, ich nehme die Poularde.“ Sie klappte die Karte zu. „Und sonst? Wie geht’s Theo?“
„Gut. Dem geht’s immer gut. Und was macht deine neueste Kolumne?“
„Die macht mich wahnsinnig.“