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Sternenbild

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Hans Feddersen lehnte sich einen Moment in seinem Bürostuhl zurück und blickte auf die unruhige Nordsee hinaus. Der Blanke Hans schlug seine kräftigen Arme schäumend gegen die Kaimauer am Hafen. Er mochte es nicht, wenn das Wasser so unruhig war wie heute. Ebenso wenig mochte er den Sprühregen im November, der die Hansestadt schon den ganzen Tag über in einen grauen Schleier hüllte. Er fuhr seinen Rechner herunter, 16.00 Uhr, Feierabend.

„Schietwetter heute“, sagte der Busfahrer zu ihm, als er wie jeden Tag in die Linie 146 einstieg.

„Das sagen Sie mal laut, meine Knochen ziepen schon an allen Stellen. Man ist eben nicht mehr der Jüngste.“

Als er durch den Gang ging, um sich wie jeden Tag auf seinen Stammplatz zu setzen, war dieser bereits belegt. Er nahm seinen Hut ab, setzte sich auf den Platz gegenüber und schaute aus dem Fenster. Mit einem leichten Ruck fuhr der Bus an und warme Luft drang durch einen schmalen Schlitz am Boden an seinem Knie entlang. Die Fensterscheibe spiegelte das Bild der Frau, die auf seinem Platz saß, sie schien zu schlafen. Er freute sich auf sein altes, aber bequemes Sofa und die Nachrichten. Wassertröpfchen rannen still die Scheibe herunter.

„Siehst du die Sterne?“, flüsterte die Frau plötzlich und fuhr mit einem Finger die Spur der Wassertröpfchen entlang. Feddersen bekam einen leichten Schreck und starrte die Frau an: „Entschuldigen Sie bitte, was sagten Sie gerade?“

Sie öffnete die Augen: „Unsere Sternenbilder sind wieder da, genauso wie du.“

Er wusste darauf keine Antwort und schaute wieder aus dem Fenster.

„Wo bist du so lange gewesen?“, flüsterte sie.

„Verzeihung, kennen wir uns?“, Feddersen sah die Frau wieder an und bekam ein mulmiges Gefühl im Magen, denn er mochte keine Unterhaltung mit fremden Menschen.

Die Frau begann leise und fein zu lächeln. Erst jetzt bemerkte er, dass sie unter ihrem Mantel ein weißes Nachthemd trug. Er schaute sich nach den anderen Fahrgästen um, die teilweise in ihren eigenen Unterhaltungen vertieft waren. Ein junges Mädchen wiegte ihren Kopf leicht hin und her, ihm fielen die kleinen Kopfhörer auf, die aus ihren Ohren herausschauten. Sie alle waren in ihrer eigenen Welt, niemand schien ihn und die Frau im Nachthemd zu bemerken. Er scharrte ein wenig mit seinen schmutzigen Schuhen und wäre ihr dabei fast auf die bloßen Füße getreten.

„Muscheln unter unseren Füßen im heißen Sand, salziges Wasser auf den Lippen und unsere Haut, die schon leicht brannte. Und am Abend unsere Sternenbilder am Himmel“, flüsterte sie wieder vor sich hin.

Dabei drehte sie einen schmalen Goldring an ihrem Finger. Vielleicht wäre es am besten, wenn er einfach mitspielte, dachte Feddersen.

Er hatte in seinem ganzen langweiligen Leben niemals eine feste Freundin gehabt, geschweige denn eine Ehefrau. Griesgram, Eigenbrötler nannten die Leute ihn hinter vorgehaltener Hand. Plötzlich nahm sie seine Hände in ihren Schoß, fast wäre er vor Schreck zusammengezuckt, und sah ihm tief in die Augen. Sie waren bernsteinfarben, solche Augen hatte er vorher noch nie gesehen.

„Auf einer unserer vielen Reisen hat das Meer einfach deinen Ring genommen.“

Sprachlos nickte Feddersen und konnte seinen Blick nicht von ihrem fast faltenfreien Gesicht wenden. Jetzt brachte sie ihre fein gezeichneten Gesichtszüge wieder ganz nah an die Scheibe heran und hauchte dagegen. Langsam malte sie mit einem Finger ein großes Herz auf das Glas rund um die Wassertröpfchen herum.

Er spürte einen Schweißfilm auf der Stirn, die Frau griff in ihre Manteltasche und holte ein Stofftaschentuch daraus hervor. Sie schlug es auf und wischte ihm damit zärtlich über die Stirn. Er hatte noch nie ein so sinnliches Gefühl gehabt. Währenddessen hielt der Bus an den verschiedenen Haltestellen und fuhr wieder an. Aber Feddersen achtete nur noch auf die Frau ihm gegenüber, wie sie versuchte, ihre grauen Haare in Ordnung zu bringen oder ein kleines Loch in ihrem Mantel zu verbergen.

„Ich habe immer die Fenster geöffnet und selbst gepflückte Blumen aus unserem kleinen Garten auf den Küchentisch gestellt“, sagte sie jetzt zu ihm und lächelte wunderbar. Er räusperte sich: „Genau so, wie ich es mag“, antwortete er ihr und drückte ihre Hand fest in seine.

„Unser Deich hat mich stets beschützt, wenn du auf dem Meer warst, um zu fischen. Tagelang saß ich auf ihm und habe mich von der Sonne wärmen lassen. Aber sobald ich einen Schatten auf dem Wasser sah, bin ich fast verrückt geworden vor lauter Sehnsucht. Dabei sangen mir die Möwen fröhlich ihr Liedchen vor.“

„Schön, dass du auf mich gewartet hast, auch ich hatte immer Sehnsucht nach dir“, Feddersen begann das Spiel zu gefallen, er mochte ihre Stimme, ihre schöne Ausdrucksweise, ihren reizenden Gesichtsausdruck. Jetzt summte sie vor sich hin und er hätte sie am liebsten in den Arm genommen.

Plötzlich nahm er eine schnelle Bewegung in seinem Rücken wahr und schaute neben sich in den Gang.

„Sind Sie belästigt worden?“, fragte ihn ein stämmig aussehender Mann burschikos.

„Was soll das?“, antwortete Feddersen mit einer Gegenfrage und spürte, wie unangenehm ihm diese Störung war.

Erst jetzt fielen ihm die weißen Klamotten auf, die der Mann trug. Er sah wie ein Arzt aus. Er bückte sich zu der Frau hinunter und griff ihr unter den Arm. Dann zog er sie in die Höhe: „Frau Hein, hab ich sie wieder erwischt. Dieses Mal sind sie Bus gefahren. Sie können es aber auch nicht lassen“, lächelnd sah er der Frau ins Gesicht.

„Knut und ich reisen halt gern“, dabei sah sie Feddersen liebevoll an.

„Ja, das tun wir“, sagte er wie aus der Pistole geschossen zu dem stämmigen Pfleger. Wie um diese zerbrechliche, ihm fremde Frau zu unterstützen. Der Pfleger nickte ihm dankbar zu. Dass die Frau keine Schuhe trug, war für ihn offensichtlich nichts Neues, denn er hatte ein paar rosa Fellstiefel dabei, die er ihr nun rasch anzog. Der Bus hielt so lange an der Haltestelle, bis die beiden ausgestiegen waren. Feddersen beobachtete, wie sie mit dem Pfleger in den Wagen eines Altenheimes stieg und fühlte sich plötzlich so alleine wie noch nie. Als hätte man ihn um einen Schatz beraubt. Während der restlichen Fahrt starrte er aus dem Fenster und fragte sich, wer von ihnen beiden verrückt gewesen war, denn er selbst hatte in den Wassertröpfchen noch nie ein Sternenbild gesehen.

Tödliche Flaschenpost & Tausend Träume

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