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B. Was ist Stress und wie entsteht er?

Sehen wir uns nun die einzelnen Stationen unserer beiden Rückkopplungsmechanismen genauer an. Dafür stellen wir zuerst die Frage, was genau Stress eigentlich ist und wie er entsteht. Und welche äußeren, aber auch inneren Faktoren dazu beitragen, dass wir uns gestresst und angespannt fühlen.

Stress und seine Auslöser

Das Wort „Stress“ stammt eigentlich aus der Physik und bezeichnet dort den physikalischen Druck, der auf ein Material, speziell Metall, oder auf einen Gegenstand ausgeübt wird und dort eine Verformung oder Spannung hervorruft.

In den 1940er-Jahren übertrug der aus Österreich stammende, kanadische Mediziner Hans Selye den Begriff auf den Menschen. Seiner Auffassung nach war Stress die Reaktion des Körpers auf jegliche Herausforderung zur Veränderung. Selve war auch einer der Ersten, der nachweisen konnte, dass anhaltender Stress starke Veränderungen in Geweben hervorruft und damit den Körper schädigt.

Einer allgemeineren Definition zufolge ist Stress die körperliche und verstandesmäßige Reaktion auf jeglichen Druck, der das normale Gleichgewicht stört. Stress ist also nicht mehr das, was von außen kommt, sondern die eigene Reaktion darauf. Und auch wenn das vielleicht wie Haarspalterei klingt, so ist es doch ein ganz entscheidender Unterschied und auch eine gute Nachricht: Wenn unsere Lebenserfahrung und Lebensqualität eine Kombination aus inneren und äußeren Faktoren ist, dann haben wir tatsächlich die Wahl: Wir können der Welt entweder weiterhin die Schuld an unserem Stress geben – oder aber erkennen, welch entscheidende Rolle wir dabei selbst spielen und können so wieder die Verantwortung für unsere Reaktion übernehmen. Wir können bewusst unser emotionales „Klima“ verändern und anders auf die gleichen Ereignisse unseres Lebens reagieren. Das Ziel der hier vorgestellten Übungen ist deshalb die Etablierung von dauerhafter innerer Harmonie und Stärke, selbst wenn wir weiterhin äußerem Stress ausgesetzt sind.

Was genau sind nun diese äußeren und inneren Faktoren, die Stress in uns auslösen? Äußere Faktoren sind unter anderem die zunehmende Geschwindigkeit und Informationsfülle, der wir täglich ausgesetzt sind, sowie der stetige Wandel, kombiniert mit einer großen Unsicherheit in Bezug auf die Wirtschaftslage, den Arbeitsmarkt und globale Themen wie die Klimaveränderung. Was für viele Menschen noch dazu kommt, ist der Leistungs- und Zeitdruck und das dadurch oft entstehende Gefühl einer permanenten Überforderung. Individuelle Stressfaktoren können Beziehungsprobleme sein, Krankheiten von uns selbst oder von Angehörigen, Schwierigkeiten bei der Arbeit oder ähnliche Probleme.

Innere Faktoren, die Stress in uns auslösen, sind unter anderem andauernde Wut oder Groll, Ärger, Einsamkeit, Sinnlosigkeit, Schuldgefühle, Selbstabwertung, Anspannung, überzogene Erwartungen an uns selbst und andere sowie Unzufriedenheit.

Was genau geschieht bei Stress im Körper?

Wenn wir unter Stress geraten, dann laufen im Körper mehr als 1400 physikalische und chemische Reaktionen ab, um diese Nachricht zu verbreiten und darauf zu reagieren. Die beiden wichtigsten Systeme sind dabei unser vegetatives Nervensystem, das wir später noch näher kennen lernen werden, und unser Hormonsystem.

Bei Stress wird das Hormon Adrenalin in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Es sorgt dafür, dass sich Herzfrequenz und Blutdruck erhöhen, dass unsere Muskeln sich anspannen und die Atmung sich beschleunigt. Das soll uns für eine Kampf- oder Fluchtsituation vorbereiten, was aus der Sicht der Evolution auch lange Zeit sinnvoll war, bei einer Auseinandersetzung im Büro oder an der Supermarktkasse aber heute keine effektive Reaktion mehr ist. Andere Hormone, wie Noradrenalin und Kortisol, werden bei Stress ebenfalls aktiviert und können noch bis zu sechs Stunden nach dem Stress auslösenden Ereignis (oder Gedanken) erhöht sein. Die ständige Ausschüttung dieser Hormone sorgt langfristig für eine Schädigung des gesamten Organismus.

Ein großes Problem dabei ist die Tatsache, dass unser Gehirn, wenn wir längere Zeit unter Stress stehen und über einen längeren Zeitraum viel Kortisol produzieren, sich auf diesen erhöhten Kortisolspiegel einstellt und den Körper dazu veranlasst, die erhöhte Kortisolproduktion beizubehalten – und zwar auch dann noch, wenn wir längst nicht mehr unter Stress stehen. Ein chronisch erhöhter Kortisolwert stört unsere Immunabwehr, fördert Osteoporose, setzt die Verwertung von Glukose herab (was oft mit einer erhöhten Fettansammlung an Taille und Hüften einhergeht), reduziert die Muskelmasse, stört die Neubildung von Hautzellen und ihre Regeneration, beeinträchtigt aber vor allem auch unser Gedächtnis und das Lernen und zerstört Gehirnzellen.

Wir gewöhnen uns in gewisser Weise an den Stress, dem wir täglich ausgesetzt sind, und halten ihn für normal; unser Körper dagegen gewöhnt sich nicht daran. Er ist einem ständigen biochemischen Bombardement ausgesetzt und kann die Folgen nach einer Weile auch nicht mehr ausgleichen. Deshalb nützen Entspannungs- und Ruhephasen ab einem bestimmten Punkt nichts mehr, solange der Adrenalin- und Kortisolspiegel permanent erhöht ist. Eine kurzfristige Adrenalin- und Kortisolausschüttung kann unsere Leistung steigern und uns beflügeln – wenn beide Hormonspiegel danach wieder absinken und wir zur Ruhe kommen. Ist der Spiegel dagegen chronisch erhöht, werden wir ernsthaft krank.

Was tun mit unserem Stress?

Wir wissen jetzt, dass Stress, vor allem chronischer, schädlich für uns und unseren Organismus ist. Nun stellt sich natürlich die Frage, was wir mit unserem Stress denn tun sollen, wenn er auftritt. Im Prinzip können wir unseren Ärger oder Stress ausdrücken oder ihn unterdrücken. Zum Unterdrücken zählen Strategien wie ihn zu rationalisieren, ihn schönzureden oder ganz zu verdrängen. Im Allgemeinen gilt die Überzeugung, dass es gesünder ist (zumindest für denjenigen, der sich ärgert), Stress und Ärger auszudrücken und sich damit Luft zu machen. Der Psychologe Aaron Siegman hat allerdings in einer Studie nachgewiesen, dass das nicht richtig ist. Er hat gezeigt, dass Menschen, die ihren Ärger ausdrücken, häufiger Herzerkrankungen entwickeln als diejenigen, die ihren Ärger unterdrücken.1

Das bringt uns in eine schwierige Lage – wenn es gleichermaßen ungesund ist, unseren Ärger und Stress auszudrücken, wie ihn zu unterdrücken, was bleibt dann noch? Die Forschungen des Instituts für HerzIntelligenz® haben darauf eine Antwort gefunden: Wir können unseren Ärger und Stress wahrnehmen, dann unsere Aufmerksamkeit auf unsere Herzregion verlagern und die Herzintelligenz für uns arbeiten lassen. Damit können wir die Situation ganz anders wahrnehmen und viel gesünder auf sie reagieren. Statt unseren Stress auszudrücken oder ihn zu unterdrücken, nehmen wir ihn wahr und transformieren ihn auf eine gesunde und effektive Art und Weise.

Wahrnehmung

Wie wir uns selbst, unser Leben und die Welt um uns herum erleben, ist untrennbar verbunden mit unserer Wahrnehmung. Die Wahrnehmung ist der zentrale Punkt, der über unsere Reaktion auf Ereignisse und über unsere Lebensqualität entscheidet.

Es ist interessant, dass jeder Mensch der Ansicht ist, er oder sie nähme die Welt objektiv wahr, also so, wie sie tatsächlich ist, und er oder sie reagiere auf die einzig richtige und sinnvolle Art. Das ist insofern interessant, dass von den ca. 20 000 000 (Millionen) Bits an Informationen, die jede Sekunde auf uns einströmen und von unserem Organismus verarbeitet werden, uns nur zwischen 20 und 40 Bits bewusst werden.2 Das ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade viel. Welche von diesen vorhandenen Informationen uns bewusst werden, hängt sehr von unseren Filtermechanismen ab. Diese entscheiden, was wir wahrnehmen, indem sie das auswählen, was wir als wichtig empfinden. Was genau das ist, hängt von unseren Erfahrungen, Einstellungen und inneren Programmen ab. Wir nehmen also nicht die Realität um uns herum wahr, sondern nur einen extrem kleinen, gefilterten Ausschnitt davon und reagieren entsprechend dieser minimalen Information. Das gilt besonders dann, wenn wir versuchen, mit dem Verstand Ereignisse zu analysieren und entsprechend zu reagieren. Sind wir dagegen auch mit der Intelligenz des Herzens verbunden, können wir auf ein wesentlich größeres Potenzial an Informationen zurückgreifen, da das Herz zum einen Kohärenz schafft, also ein harmonisches und effektives Zusammenarbeiten von Herz und Verstand, und zum anderen offensichtlich mit einer höheren Intelligenz verbunden ist – auf diesen Punkt werden wir einem späteren Abschnitt noch genauer eingehen. Wir können damit wesentlich umfassender, objektiver und freier die Welt um uns herum wahrnehmen und angemessener (und liebevoller) auf sie reagieren.

Es ist also so, dass nicht die Ereignisse selbst Stress in uns auslösen, sondern es ist unsere subjektive Wahrnehmung und Interpretation dieser Ereignisse. Das heißt nicht, dass es nicht Situationen gibt, die jeden von uns überfordern, ängstigen oder stressen würden, aber diese sind eher selten. Was viel häufiger der Grund für chronischen Stress ist, sind unsere automatischen inneren Programme und emotionalen Grundhaltungen. Diese filtern unsere Wahrnehmung und setzen eine Kaskade biochemischer Reaktionen in Gang, die dann wiederum auch die folgenden Wahrnehmungen prägen. Ein ängstlicher Mensch filtert aus den Dingen und Ereignissen der Umgebung diejenigen heraus, die potenziell gefährlich sind, und nimmt sie verstärkt wahr. Das hat zur Folge, dass er sich bedroht und verunsichert fühlt und daraufhin noch stärker nach potenziellen Gefahren Ausschau hält. Der Stress im Organismus steigt bei dieser Rückkopplung ständig an und wird irgendwann zu einer Grundeinstellung und somit chronisch.

Um aus diesem Kreislauf auszubrechen, müssen wir also unsere Wahrnehmung ändern. Dass das sehr viel leichter gesagt als getan ist, wird jeder von Ihnen bestätigen können, der schon einmal ernsthaft versucht hat, eine Einstellung oder Verhaltensweise zu verändern. Es ist vor allem deshalb schwierig, weil wir es normalerweise aus dem gleichen „System“ heraus versuchen, in dem sich auch unser Problem befindet. Wir versuchen es mit Argumenten und positivem Denken, aber oft klappt das einfach nicht – wir sind immer noch ängstlich oder wütend oder gestresst, auch wenn wir es lieber nicht wären. Um hier wirklich dauerhaft und tief greifend etwas zu verändern, müssen wir das System wechseln und umschalten – vom Verstand, mit seiner eingeschränkten Funktion, auf das Herz. Dadurch ist es möglich, die meisten Einstellungen, Programme, Sichtweisen und Automatismen umzuwandeln und den Ereignissen des Lebens, auf die wir keinen Einfluss haben, intuitiv, selbstsicher und angemessen zu begegnen. Das erfordert Übung, Beharrlichkeit und Disziplin, ermöglicht es uns aber auch, uns von gewohnheitsmäßigen negativen Reaktionen, einer konditionierten Sichtweise und vorschnellen Urteilen zu befreien und stärker aus dem Herzen heraus zu leben. Doc Childre und Howard Martin fassen das in ihrem Buch Die HerzIntelligenz®-Methode zusammen.

„Die Fähigkeit, sich in Elend und Leid hinein zu denken, liegt in Ihrem Inneren. Ebenso die Fähigkeit, damit aufzuhören. Viel körperliches und emotionales Leid kommt dadurch zustande, dass der Verstand zwischen angstvollen Gedanken hin und her springt und überlegt, wie er hätte handeln sollen, sich selbst im Nachhinein ständig kritisiert und alte Emotionen mit sich herumschleppt. […] Selten erkennt er an, dass er den Stress selbst verursacht – bis es zu einem Zusammenbruch kommt. Dieser selbstzerstörerische Ablauf lässt sich stoppen. Sie können sich jetzt die Kraft und Intelligenz Ihres Herzens zunutze machen und viel Stress reduzieren oder ausschalten, indem Sie Kopf und Herz in Einklang bringen, bevor der Stress gegen Ihren Willen seinen Preis fordert. Dadurch werden Sie freier und treffen effizientere Entscheidungen.“ (S. 93)

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