Читать книгу Kurzgeschichten, wie sie das Leben so schreibt - Susanne Uenal - Страница 6
ОглавлениеDer Kochkurs
Marianne liebte die chinesische Küche. Zu ihrem großen Leidwesen konnte aber ihr Mann Werner damit gar nichts anfangen. Und das als Küchenchef! Sie hatte schon lange überlegt, wie sie Werner doch noch dazu bringen konnte, diese Küche kennenzulernen. Und als dann in der Zeitung ein chinesischer Kochkurs angeboten wurde, fackelte sie nicht lange. Sie meldete sich und ihren Mann sofort an. Als Werner dann nach Hause kam, kam strahlend seine Frau auf ihn zu: „Rate mal, was wir nächsten Dienstagabend zusammen machen werden.“ Nichts ahnend zuckte Werner die Schultern. „Ich habe uns für einen chinesischen Kochkurs angemeldet.“ „Was? Muss das sein?“ Werner war nicht gerade entzückt. Doch weil er wusste, wie sehr Marianne daran gelegen war und weil er seine Frau schließlich liebte, gab er gutmütig nach. Marianne freute sich riesig. Sie war überzeugt, dass es am Schluss sogar ihrem Mann schmecken würde. Hätte sie geahnt, wie der Abend verläuft, hätte sie schnellstens ihre Anmeldung wieder rückgängig gemacht …
Der Dienstag kam. Marianne hatte extra eine weitere Kochschürze für ihren Mann besorgt. Freudig erregt die eine, skeptisch der andere, betraten sie die Kochschule. Werner war der einzige Mann unter ca. 15 Frauen. Er fühlte sich sichtlich wohl als Hahn im Korb. Die Kochleiterin machte ein paar einleitende Worte, stellte dann 2er- Gruppen zusammen, die jeweils ein kleines Gericht vorbereiten und kochen mussten. Sie würde dann bei jedem mal vorbeikommen. Marianne und Werner hatten es mit einem Gemüsegericht zu tun. Ihre Nachbarin, ein rundliche Dame, die zum 2. Mal mit einem Italiener verheiratet war, konnte gar nicht genug tratschen. „Ist das hier ein Kaffeekränzchen oder ein Kochkurs? Und überhaupt, wie die alle so kochen, man könnte meinen, die hätten noch nie vor einem Herd gestanden! Schau mal, sogar die Kochleiterin hat Schwierigkeiten!“ Werner stänkerte. Marianne stupste ihm in die Seite: „Hör’ auf, Schatz. So reklamier doch nicht immer. Es macht doch Spaß. Und auch ein Küchenchef kann immer noch dazulernen, meinst du nicht auch?“ „Aber hier bestimmt nicht“, brummelte Werner, der weiterhin die Kochleiterin beobachtete.
Diese hatte nämlich offensichtlich Schwierigkeiten. Jeder hatte Fragen an sie, ständig musste sie hin und her eilen. Und mitten im Stress explodierten doch tatsächlich die Frühlingsrollen im heißen Öl! Werner war fast gleichzeitig wie die Lehrerin dort. Während diese verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammenschlug, nahm Werner geistesgegenwärtig eine Kelle und fischte den Rest der Frühlingsrollen aus dem Öl. Danach schupste er gebieterisch die 2 Leute, die dafür verantwortlich waren, zur Seite und übernahm das Zepter. „Also, so was ist mir in meinen Kochkursen noch nie passiert“, jammerte die Kochleiterin, während Werner geschickt neue Frühlingsrollen vorbereitete und ins Öl gleiten ließ. Bewundernd schauten ihn die Frauen an. Sichtlich stolz erzählte Marianne, dass ihr Mann schließlich Küchenchef sei. „Wow, solch einen Mann hätte ich auch gerne. Er sieht gut aus und kann auch noch kochen“, tuschelten die Frauen untereinander.
Später deckten sie zusammen den großen Tisch. Es wurde ein Buffet aufgebaut. Jeder brachte sein Gericht, das er vorbereitet hatte, und stellte es irgendwohin. Alle bedienten sich. Dazu gab es Tee, Mineralwasser oder Wein. Es wurde viel geredet und gelacht. Jeder war bereit, etwas aus seinem Privatleben zu erzählen. „Also doch ein Kaffeekränzchen“, flüsterte Werner seiner Frau ins Ohr. Als diese nicht reagierte, schaute er ihr besorgt ins Gesicht. „Ist dir nicht gut? Du bist so weiß im Gesicht.“ Marianne fing plötzlich an zu schwitzen. „Ich weiß auch nicht, was los ist. Ich denke, ich habe zu viel gegessen.“ Werner leuchtete das nicht ein, denn er hatte mehr gegessen, und ihm ging es gut. Den anderen war nichts aufgefallen. Sie hatten begonnen, abzudecken und abzuwaschen.
Endlich wurden sie von der Kochleiterin verabschiedet. Als sie das Haus verließen, bekam Marianne fürchterlich weiche Knie. Sie konnte sich kaum mehr aufrecht halten. Werner konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: „Was ist? Ist dir die chinesische Küche nicht gut bekommen?“ Wenn Marianne nicht so übel gewesen wäre, hätte sie ihm schon eine geharnischte Antwort entgegengeschleudert. Sie setzte sich auf eine Steinbank, hielt sich mit der einen Hand den Bauch, die andere legte sie um ihren Hals. Doch es nützte alles nichts. Sie konnte gerade noch zum nächsten kleinen Bäumchen rennen, wo sie sich heftig übergeben musste. Und weil der Druck derart groß war, wurden ihr Tränen herausgepresst, und auch ihre Blase hielt nicht stand. Mein Gott, war das peinlich! So was war ihr noch nie im Leben passiert! Zu allem Übel lachte ihr Mann lauthals. Sie war so wütend auf ihn und diese Situation, sie hätte Werner am liebsten alle Schande gesagt. Doch sie hatte einfach nicht die Kraft dazu. Außerdem war ihr immer noch übel. Die Knie zitterten, sie war von oben bis unten nass. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken! Gott sei Dank war es dunkel. Und in der Nebengasse, wo sie sich aufhielten, befand sich auch keiner. Werner wollte sie stützen, doch Marianne zischte ihn erbost an: „Lass mich ja in Ruhe! Du musst gar nicht so gönnerhaft tun!“ Wiederum musste Werner lachen, aber er überließ sie dann großzügigerweise ihrem Selbstmitleid. Sie bewegten sich auf ihr Auto zu.
Während der Heimfahrt konnte es sich Werner einfach nicht verkneifen: „Na, mein Schatz, wie hat dir die chinesische Küche geschmeckt?“ Marianne antwortete ihm nicht. Sie fror und schämte sich entsetzlich. Zu Hause ging sie sofort unter die Dusche, steckte danach ihre Kleider in die Waschmaschine. So ein Blödsinn, dachte sie, dass mir das ausgerechnet jetzt passiert ist. Ich vertrage doch sonst die chinesische Küche so gut. Warum diesmal nicht? Und Werner werde ich wohl nie mehr zu einem Kochkurs geschweige denn zum chinesischen Essen überreden können. Ich könnte heulen! Ohne dass Werner es bemerkte, schlich sie ins Gästezimmer. Dort lag nämlich die Anmeldung für den chinesischen Kochkurs II. Schnell zerriss sie den Zettel und warf ihn in den Abfalleimer. Schließlich wollte sie sich nicht noch einmal blamieren …