Читать книгу Kurzgeschichten, wie sie das Leben so schreibt - Susanne Uenal - Страница 8
ОглавлениеTurbulente Ferien
„Nein, nein!“ „Wieso nicht? Mal was anderes!“ Manuela sah ihre Cousine Fränzi entrüstet an: „Ich denke ja gar nicht daran, in die Türkei zu reisen! Dort, wo mittelalterliche Zustände herrschen mit all den dominanten Männern und den armen Frauen. Wer weiß, was dort so alles passieren kann. Ich will in ein friedliches Land.“ Fränzi lachte sie aus. „Ach was, selbst die Türkei ist in der Zwischenzeit modern geworden. Abgesehen davon ist es bestimmt interessant, mal eine ganz andere Kultur kennenzulernen.“ Fränzi konnte sehr überzeugend sein, wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hatte. Und Manuela mochte ihre Cousine, die sie zuweilen als „meine Schwester“ bezeichnete, viel zu sehr, als dass sie ihr einen Wunsch abschlagen konnte. Sie seufzte und gab nach. „Aber du bist schuld, wenn unsere Ferien nicht schön werden!“ Als ihnen dann die Beraterin im Reisebüro noch einen Sonderrabatt von 400.- pro Person gewährte, war die Sache sowieso gelaufen. Beide freuten sich unheimlich auf ihre gemeinsamen Ferien. Eine Woche in der Türkei, viel Sonne, Strand und faulenzen. Mal ganz weg vom Alltag, zusammen die neu gewonnene Freiheit genießen: einfach herrlich!
Manuela mit ihren 30 Jahren war genau 2 Jahre älter als ihre Cousine. Sie waren praktisch gemeinsam aufgewachsen, sahen sich auch sehr ähnlich. Nur die Augenfarbe stimmte nicht. Aber auch sonst gab es Parallelen in ihrem Leben. Beide hatten fast am selben Tag Geburtstag, sie interessierten sich für dieselben Dinge, hatten die gleichen Hobbys und hatten in ihrer ersten Ehe jeweils einen Mann mit demselben Sternzeichen geheiratet. Und fast auf den Monat genau hatten sie sich vor ein paar Monaten wieder scheiden lassen. Manuela hatte allerdings 2 Kinder im Gegensatz zu Fränzi, die bis anhin der Karriere den Vorzug gegeben hatte. Und nun wollten sie sich nach der Scheidung etwas gönnen. Es traf sich sehr gut, dass Manuelas Exmann einverstanden war, die gemeinsamen Kinder für eine Woche zu sich zu nehmen, gerade zu einem Zeitpunkt, wo auch Fränzi Ferien hatte. Und das musste man schließlich ausnutzen.
Sie fühlten sich ausgesprochen heiter und beschwingt, als sie sich wie vereinbart auf dem Flughafen trafen. „Ich kann’s noch gar nicht fassen! Eine Woche nur Sonne und Strand, kein Kinderlärm und an nichts denken müssen. Am liebsten würde ich laut jauchzen!“ Übermütig schwenkte Manuela ihren Flugschein vor Fränzis Nase. „Komm, beeil dich mit dem Einchecken, damit wir einen guten Platz ergattern können.“ Fränzi schaute ihre Cousine lächelnd an. „So kenne ich dich ja gar nicht, Schwesterchen. Sonst bist du doch die Ruhigere von uns beiden. Anscheinend kann aus dir wirklich noch was anderes werden als das Hausmütterchen, das du bisher warst!“ „Warte nur, du wirst noch staunen! Was du kannst, kann ich schon lange!“ Sie neckten sich gegenseitig, während sie im Warteraum auf die Ankunft des Flugzeuges warteten.
Endlich kam die Turkish Airline. Es war eine kleine Maschine, die nicht sehr Vertrauen erweckend wirkte. „Denkst du, diese kleine Maschine kann deine vielen Koffer tragen?“, witzelte Manuela. „Ha, du musst gerade was sagen! Wie ich gesehen habe, hast du dir ein Beauty-Case zugetan. Schau’ nur selber, dass du all deine Ware gut unterbringst!“ Auf dem Weg zum Flugzeug beäugte Manuela kritisch die türkischen Männer. Die waren ihr einfach nicht geheuer. Nein, also diesen Männern würde sie nie über den Weg trauen. Gott sei Dank gingen sie nur in die Ferien und mussten nicht dort bleiben. Im Flugzeug suchten sie sich ihre Plätze. Sie verstauten ihr kleines Gepäck und machten es sich auf den Sitzen bequem. Plötzlich stupste Manuela ihre Cousine in die Seite und deutete stumm mit dem Kopf auf das Ehepaar neben ihnen. Dieses war ihr schon vorher negativ aufgefallen.
Es wirkte schon etwas grotesk, wie der türkische Mann demonstrativ einen kleinen Plastiksack getragen hatte, als wäre dieser eine Tonne schwer, während seine Frau ein große schwere Nähmaschine in der einen Hand und einen kleineren Koffer in der anderen Hand gehalten hatte. Und nun hatte sie Schwierigkeiten, diese Nähmaschine zu verstauen. Sie versuchte es auf alle möglichen Arten. Ihr Ehemann dachte nicht im Traum daran, ihr zu helfen. Er schaute interessiert aus dem kleinen runden Fenster und tat so, als hätte er die Probleme seiner Frau nicht bemerkt. Schließlich half ihr die Stewardess. Die Nähmaschine wurde zwischen ihrem und dem vorderen Sitz auf dem Boden eingeklemmt, sodass die Türkin gezwungen war, im Schneidersitz zu sitzen.
Fränzi grinste und sagte nur „typisch türkischer Mann“, während Manuela empört den Ehemann fixierte. Doch diesen schien das nicht zu stören. Komischerweise schaute auch die Türkin ganz fröhlich drein. Wahrscheinlich war sie das freche Benehmen ihres Mannes schon lange gewohnt, argumentierte Manuela für sich. Die Arme! Ich sag’s ja, warum müssen wir auch ausgerechnet in die Türkei? Der Flug verlief ruhig. Sie lasen und hörten Musik aus dem Walkman. Nach der Landung mussten sie eine satte Stunde draußen auf dem Rollfeld warten. Es war glühend heiß. Beide schwitzten und waren mehr als froh, als sie endlich durch den Zoll konnten. Im Bus, der sie in die Hotelanlage bringen sollte, fielen sie erschöpft in die Sessel. „Puh, diese Hitze! An die muss ich mich erst noch gewöhnen“, stöhnte Manuela. „Übrigens, ich will dich nur noch mal an unsere Abmachung erinnern, liebes Schwesterchen. Keine Männer! Egal, was passiert, keine Männer! Kein Ferienflirt, nicht mal reden oder dergleichen. Und wenn die Männer noch so gut aussehen – keine Männer, hast du mich verstanden?“ Fränzi lachte. Sie war einverstanden, schließlich hatten sie beide eine schwere Zeit hinter sich und wollten vorläufig nichts mehr mit Männern zu tun haben. Nichts außer entspannen und genießen.
Doch Manuela kannte ihre Cousine nur zu gut. Im Vergleich zu ihr hatte sie selber geradezu keusch gelebt. Fränzi ohne Männer – das konnte sie sich kaum vorstellen. Aber es war ihr mehr als recht, wenn sie sich einmal für eine Weile daran hielt. So hatte sie mehr von ihrer Cousine. Knapp eine Stunde später erreichten sie ihr Hotel. Mit dem Gepäck und dem Schlüssel in der Hand begaben sie sich auf ihr Zimmer. Beide waren sich einig, erst einmal zu duschen. Während Fränzi ihren Koffer auspackte und die Kleider in den Schrank legen wollte, widmete sich Manuela ihrem neu erworbenen Beauty-Case. Stolz holte sie das kleine Schlüsselchen hervor und öffnete den Deckel. Ein lauter Schrei entfuhr ihr, gefolgt von einem Schluchzen. „Diese Saukerle! Was haben die mit meinem Beauty-Case bloß gemacht? Tennis damit gespielt oder so was? Der ganze Inhalt ist durcheinander. Alle meine Make-up- Döschen sind offen und kaputt. Das rosa Wangenrouge ist in tausend Teile gegangen und hat sich im ganzen Köfferchen verteilt. Der kleine Spiegel am Deckel ist auch kaputt. Ich sehe nur noch rosa!“
Wie ein Häufchen Elend saß Manuela da. Sollte sie weinen oder lachen? Die Hitze machte ihr zu schaffen, dann der Flug, später die lange Abfertigung und Busfahrt – das war einfach zu viel. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Doch nur ein paar Sekunden lang. Ein heftiges Poltern und Fluchen sorgte dafür, dass Manuela ruckartig vom Bett aufsprang. Eine wütende Stimme befahl ihr, sie gefälligst aus dem Schrank zu befreien. „Ja, sag’ mal, Fränzi, wo steckst du denn überhaupt? Und was machst du im Schrank?“ „Frag’ doch nicht so blöd, du siehst doch, was passiert ist. Die Schranktür hat geklemmt. Darum bin ich in den Schrank gegangen und wollte von innen die Tür reparieren. Dabei sind mir die Tablare auf den Kopf gefallen. Und die Türe ist auch zu. Also hilf mir gefälligst wieder hinaus!“ Manuela kam der Aufforderung nach und öffnete die Tür. Doch als sie ihre Cousine verschwitzt und wütend am Boden sitzen sah, konnte sie nicht mehr. Sie lachte schallend los. Sie konnte sich einfach nicht mehr beruhigen. Fränzi schaute zuerst perplex, aber dann stimmte sie in das Lachen ein. „Na, das kann ja heiter werden!“ Fränzi rappelte sich wieder auf, und während sie die Tablare wieder installierte und ihre Kleider einordnete, putzte Manuela zuerst einmal ihr geliebtes Beauty-Case. Die kaputten Sachen warf sie fort. Aber schon nahte das nächste Unglück.
Fränzi stürmte aus dem Badezimmer. „Diese Türken haben nicht einmal Wasser! Das glaubt mir einfach keiner! Nicht mal duschen kann ich. Hör’ auf, Cousinchen, du musst gar nicht lachen. Hast du nicht vorhin gesagt, du müsstest dringend aufs WC? Ha, kannst du vergessen. Das WC funktioniert auch nicht!“ Beide standen mitten im Zimmer und schauten sich an. Lachen oder weinen? „Tja, Fränzi, du wolltest ja unbedingt in die Türkei!“ Sie entschieden sich fürs Lachen. Kurz entschlossen verließen sie ihr Zimmer Richtung Rezeption. Dort wurden sie beruhigt mit den Worten, dass sie gleich jemanden raufschicken würden für die Reparatur. Sie sollten sich doch in der Zwischenzeit die Hotelanlage anschauen und danach etwas trinken. Das taten sie dann auch. Zuerst aber begaben sie sich an den Strand. Der war wirklich herrlich und entschädigte sie für beinahe alles. Sie machten ein paar traumhafte Fotos.
Wieder beim Hotel, sahen sie sich die verschiedenen hoteleigenen Läden an. Vor einer Boutique standen zwei Türken, die sie grinsend von oben bis unten betrachteten. „Hallo! Einen schönen Tag wünschen wir!“ In fast perfektem Deutsch wurden sie angesprochen. Während Manuela nur kurz angebunden den Gruß erwiderte und schnell weitergehen wollte, blieb Fränzi prompt stehen und grüßte die beiden mit einem gekonnten Augenaufschlag. Das ist doch nicht zu fassen, flirtet die doch tatsächlich schon wieder, dachte Manuela und zerrte erbost am T-Shirt ihrer Cousine. „Denk’ an unsere Abmachung“, zischte sie ihr ins Ohr. Doch diese grinste nur; sie war definitiv wieder in ihrem Element.
Langsam schlenderten sie zurück in ihr Zimmer. Alles funktionierte nun tadellos. Nach dem Duschen fühlten sich die beiden schon erheblich wohler. Sie machten sich hübsch und begaben sich dann in das Restaurant fürs Nachtessen. Es wurde draußen serviert, d. h. einen Teil des Essens konnte man sich selber vom Buffet holen. Auf einer Bühne gab es eine Tanzvorstellung mit türkischer Musik. Manuela wurde vom Chef de Service auf Türkisch begrüßt. Das war wieder mal typisch. Selbst in der Schweiz passierte es ihr immer wieder, dass sie auf Italienisch angesprochen wurde, weil sie offenbar ein etwas südländisches Aussehen hatte. Und nun hielt man sie sogar für eine Türkin! Sie klärte den Irrtum auf. Der Chef de Service, der perfekt deutsch sprach, lächelte und begrüßte sie fortan, wann immer sie auftauchte, demonstrativ mit „Hello, turkish girl!“
Sie genossen ihr Essen, den netten Service und die Musik, dazu den Sternenhimmel und den lauen Nachtwind. Später wechselten sie hinüber zur Bar, wo sie sich einen kleinen Drink genehmigten, während sie einem Animateur, genannt Patric, zuhörten. Er imitierte perfekt Elvis Presley. Manuela und Fränzi, die ausgesprochene Rock’n’-roll-Musik-Fans waren, hielten es auf ihren Sitzen nicht mehr aus. Sie sprangen auf, klatschten in die Hände, tanzten und sangen begeistert mit. Bald taten es ihnen die anderen Gäste nach. Plötzlich entdeckte Manuela einen der beiden Türken, die sie bei der Ankunft begrüßt hatten. Es war der Größere der beiden. Manuela musste zugeben, dass er gar nicht schlecht aussah.
Trotzdem wollte sie nichts von ihm wissen. Vom Flirten hatte sie noch nie was gehalten, geschweige denn von Ferienflirts. Deshalb drehte sie ihm demonstrativ den Rücken zu, als sich dieser ihr näherte. Anscheinend respektierte der junge Mann diese Geste. Er blieb aber in ihrer Nähe stehen und klatschte und sang fleißig mit. Es gefiel ihr, dass er nicht aufdringlich wurde. Trotzdem wartete sie ab, bis er mal kurz verschwand. Sie schrieb nämlich leidenschaftlich gerne Ansichtskarten an ihre Freunde, wenn sie in den Ferien war. „Ja, geh’ nur und besorg dir die Karten. Ich hole dann morgen ein paar.“ Fränzi hatte glänzende Äuglein und klatschte fleißig weiter, während sich Manuela schnell in die Boutique begab und ein Dutzend Karten aussuchte. Sie schaute um sich. Nein, der große Türke war nicht in Sicht. Gott sei Dank. Ihm allein gegenüberstehen zu müssen, wäre ihr gar nicht recht gewesen.
Schnell hastete sie zur Kasse, streckte die Karte dem Verkäufer unter die Nase – und schaute direkt in ein paar dunkle Augen, die sie anstrahlten. Ihr Gesicht lief dunkelrot an, und in ihrer Verlegenheit wusste sie gar nicht, was tun. „Hallo! Schön, dich wiederzusehen. Ich habe dich beobachtet, wie du zur Boutique, wo ich arbeite, gegangen bist. Deshalb bin ich schnell auch hierhin gekommen.“ Ohne etwas zu antworten, wollte ihm Manuela das Geld in die Hand geben und wieder weggehen. Aber so schnell ließ der Türke nun nicht mehr locker. „Ich würde mich freuen, wenn du morgen Abend mit mir in den Ausgang gehen würdest!“ Auch das noch!
Manuela schwirrte der Kopf. Sie war völlig ungeübt im Flirten und wusste einfach nicht, was tun. Wenn ich Nein sage, wird er bestimmt wütend, dachte sie verzweifelt. Türken werden doch immer schnell wütend. Wer weiß, was dann passiert. Warum musste auch ausgerechnet ihr das passieren? Sonst liefen die Männer doch immer nur ihrer Cousine nach. Ihre Gedanken liefen auf Hochtouren. Na komm schon, forderte sie sich selber auf. Sag’ etwas Neutrales. Der junge Mann schaute sie immer noch lächelnd an. Irgendwie wirkte er wie ein liebenswerter kleiner Lausbub. Sie brachte es einfach nicht übers Herz, Nein zu sagen. So hauchte sie schnell ein „Vielleicht“ und begab sich umgehend wieder zu Fränzi.
Atemlos erzählte sie ihr, dass sie bereits eine Einladung erhalten hätte. „Ich auch“, lautete lakonisch die Antwort von Fränzi. „Der Barkeeper hat mich gefragt.“ „Und was hast du geantwortet?“ Manuela wartete gespannt auf ihre Antwort. „Vielleicht. Und du?“ „Auch vielleicht.“ Spontan fielen sie in ein Gelächter. Beide hatten aber nicht vor, die jeweilige Einladung anzunehmen. Sie amüsierten sich noch eine Weile. Danach begaben sie sich ins Zimmer. Während Manuela noch schnell ihre Karten schrieb, fiel Fränzi todmüde ins Bett.
Gutgelaunt und ausgeruht standen sie am nächsten Morgen auf. Schon beim Frühstück auf der Terrasse glühte die Sonne auf ihre Köpfe hinab. Da bot es sich geradezu an, den Tag am Pool zu verbringen. Sie packten ihr Badezeug zusammen und begaben sich zum Pool. Mit einem Mineralwasser in der einen Hand und einem Liebesroman in der anderen machten sie es sich auf einem Liegestuhl gemütlich.
Fränzi döste schnell wieder ein. Dabei fiel ihr das Glas mit dem Mineralwasser aus der Hand und fiel zu Boden. Schon war ein aufmerksamer Kellner an ihrer Seite und brachte ihr ein neues Glas. Fränzi lugte unter ihrer Sonnenbrille hervor und war begeistert vom Service. „Ich muss schon sagen, es gefällt mir immer besser hier. Die Türken sind sehr aufmerksam, höflich und sehen noch gut aus!“ Anerkennend schaute sie dem Kellner nach. „Hast du denn immer nur Männer im Kopf?“ Manuela schüttelte liebevoll mit dem Kopf. Ihre Cousine war schon eine Marke für sich. Doch was war das? Hatten sie soeben richtig gehört?
Beide schauten sich verblüfft an, dann drehten sie den Kopf Richtung Pool. Mitten im Wasser stand der Animateur von gestern. Diesmal sang er nicht Elvis-Presley–Songs, sondern animierte die Leute für die Wassergymnastik. Wortwörtlich hatte Patric lautstark „Wer macht mit bei der Wasser-Erotik?“ geschrien. „Hast du auch das verstanden, was ich verstanden habe?“ Fränzi hob anzüglich ihre Augenbraue. Manuela war genauso begeistert und sprang sofort auf. Sie hüpften zu den anderen ins Wasser und machten während einer halben Stunde zu poppiger Musik Wassergymnastik. Sie hatten viel Spaß und lachten viel.
Danach sonnten sie sich, bis sie Hunger verspürten. Auf dem Weg zur Snackbar lief ihnen prompt wieder einer der beiden Türken vom Vortag über den Weg. Diesmal allerdings der Kleinere von beiden. Er hielt die beiden an und fragte sie, ob sie nicht Lust hätten, bei der Modenschau, die 2 Tage später am Abend stattfände, mitzumachen. Sie dürften Kleider aus der Boutique vorführen, zusammen jeweils mit einem Hotelangestellten. Das sei nämlich eine gute Werbung. Fränzi war natürlich sofort begeistert. Sie mit ihrer guten Figur hatte schließlich auch nichts zu befürchten. Und sich zu präsentieren, machte ihr Spaß.
Doch Manuela schaute kritisch an sich runter. Sie hatte ein paar Kilos mehr als ihre Cousine. Und blamieren wollte sie sich schließlich nicht. Auch war ihr nicht ganz wohl beim Gedanken, vor so vielen Gästen auf dem Laufsteg zu stehen. Doch der Türke zerstreute ihre Bedenken. Es seien noch andere Gäste, die wesentlich mehr Kilos als sie hätten, bei der Modenschau dabei. Und das Lampenfieber gebe sich bestimmt auch. Warum also eigentlich nicht? So stimmten beide zu. Am Nachmittag vor dem Abend sei dann noch eine kurze Probe mit den jeweiligen Partnern.
Nach dem Imbiss lustwandelten sie etwas in der Hotelanlage, wo es schön kühl war. Vor dem Schaufenster der Boutique mit den schönen Hemden blieben sie wieder stehen. Das hätten sie besser nicht getan. Schon standen nämlich wieder die beiden Türken neben ihnen und fingen ein Gespräch an. Ehe sie es realisierten, saßen die beiden mitten in der Boutique an einem kleinen Tischchen und unterhielten sich angeregt. Der Größere von beiden hieß Tarkan und war mal eine Weile lang Model gewesen. Da es ihm aber zu langweilig war, nur schöne Kleider vorzuführen, verkaufte er nun diese in der Boutique. Der andere hieß Mehmet und war Mitinhaber der Boutique. Es vergingen nur ein paar Minuten, und schon hatten die 4 abgemacht, dass sie sich am Abend vor dem Hotel treffen würden. Sie wollten in einem anderen Hotel die Disco besuchen.
Wieder am Pool, schauten sich die beiden verblüfft an. „Wie konnte denn das passieren? Wie haben die uns nur rumgekriegt? Hast du begriffen, wie es dazu kam, dass wir nun genau das machen, was wir eigentlich nicht wollten?“ Manuela schaute leicht irritiert ihre Cousine an. „Nee. Sogar mir ging das viel zu schnell. Das sind ja zwei ganz ausgefuchste Kerle! Also ganz geheuer kommt mir das aber nicht vor. Was haben wir uns da nur aufgehalst? Die sind es wohl gewohnt, Touristinnen aufzureißen.“ Sie studierten, wie sie wieder aus dieser Sache herauskamen. Am besten war es wohl, wenn sie den Abend so schnell wie möglich hinter sich brachten und danach die beiden in Zukunft ignorierten.
Zufrieden damit, bestellten sie sich etwas später ein Taxi und fuhren in die nächste Stadt. Dort bummelten sie durch die Marktstände. Schließlich landeten sie in einem Ledergeschäft. Sie wurden freundlich begrüßt. Während sie sich umschauten, bot man ihnen Tee und Zigaretten an. Fränzi konnte nicht widerstehen, als der Verkäufer auf ihre diesbezügliche Frage antwortete, dass es gar kein Problem wäre, für sie innerhalb von 3 Tagen einen 2-teiligen roten Lederanzug maßgeschneidert anzufertigen. Und als Fränzi den günstigen Preis hörte, war die Sache geritzt. Schnell wurden ihre Maße genommen. Sie sollte in 2 Tagen zur Anprobe vorbeikommen. Glücklich verließ Fränzi den Laden, im Schlepptau ihre Cousine. „Also, du bist wirklich etwas verrückt, Fränzi. Wie kannst du nur Geld für so etwas Flippiges ausgeben? Das trägst du doch niemals in der Schweiz!“ „Irrtum, Cousinchen. Ich werde dich vom Gegenteil überzeugen. Nun sei doch endlich etwas lockerer und spiel nicht immer den Moralapostel. Genieß das Leben und mach auch einmal etwas Verrücktes!“ Liebevoll hängte sie sich bei Manuela ein.
Nachdem sie noch ein paar andere Kleinigkeiten gekauft hatten, suchten sie sich ein Taxi. Ein netter junger Mann öffnete ihnen die Tür zu seinem Auto, und sie stiegen ein. Der Taxifahrer war sehr gesprächig. Unter anderem erzählte er ihnen, dass es durchaus Gegenden gäbe, wo Türken nicht dunkle Haare und Augen hätten, sondern wie er selber blonde Haare und blaue Augen. Die beiden staunten, denn dies war ihnen neu. Kurz vor Ankunft im Hotel kam dann prompt wieder die Frage, ob sie nicht Lust hätten, noch am gleichen Abend zusammen mit ihm und einem Freund in eine Disco zu gehen. Als sie ihm erklärten, dass sie bereits eine Einladung hätten, und zwar mit den beiden Typen von der Boutique, reagierte der Taxifahrer überraschend aufgebracht. „Natürlich! Boutique-Besitzer sind halt etwas Besseres als einfache Taxifahrer!“ Er war so ärgerlich wegen ihrer Ablehnung, dass er, ohne ihre Bezahlung abzuwarten, einfach davonfuhr.
„Was war das denn?“ Sogar Fränzi war es nicht ganz geheuer. „Anscheinend vertragen die Türken das Wörtchen Nein wirklich nicht. Hoffentlich passiert heute Abend nichts, wenn wir den beiden Typen nach dem Discobesuch klarmachen, dass wir sie nachher nie mehr sehen wollen.“ Etwas bedrückt begaben sie sich zu ihrem Zimmer. Aber es kam noch dicker. Unterwegs begegnete ihnen ausgerechnet auch noch der Barkeeper, der am Abend zuvor Fränzi eingeladen hatte. Er fragte sie lächelnd, wann er sie denn abholen dürfe. Manuela musste mit Erstaunen feststellen, dass sich ihre weltgewandte Cousine innerlich wand. Wohl oder übel musste sie ihm gestehen, dass sie schon anderweitig eine Einladung angenommen hätte. Wieder kam die gleiche Reaktion. Mit bösem Blick entfernte sich der Barkeeper. „Puh! Wenn das nicht ein schlechtes Omen ist! Langsam habe sogar ich genug von Einladungen!“ Nichts konnte sie mehr halten. Blitzschnell rannten sie die Treppe hinauf direkt in ihr Zimmer.
Etwas später gingen sie wieder runter fürs Nachtessen. Während sie aßen, wurden sie, wie alle anderen Gäste, vom Hotelfotograf geknipst. Plötzlich lächelte Fränzi und zeigte auf das Gebüsch hinter Manuela. Diese drehte sich um und erblickte Tarkan. Er hatte seinen Kopf durch das Gebüsch gedrückt und blickte Manuela ganz verliebt an. Spontan musste auch sie lächeln. „Nur keine Angst, wir haben’s nicht vergessen. Wir sehen uns dann nachher, wie verabredet.“ Daraufhin zog sich Tarkan wieder zurück. Fränzi zwinkerte Manuela verschmitzt zu. Ein Kellner näherte sich ihnen, um abzudecken. Dann hielt er inne, schaute kurz Manuela an und fragte dann beide schüchtern, ob er und ein Freund von ihm sie beide zum Tanzen einladen dürfen! Fränzi und Manuela schauten sich sprachlos an. Da es ihrer Cousine offensichtlich an Worten fehlte, antwortete Manuela mit all ihrem Charme, den sie aufbringen konnte, dass sie leider schon eine Verabredung hätten. Der Kellner zog sich sofort nett und höflich zurück.
Manuela tat er richtig leid. Zudem sah er auch noch unwahrscheinlich gut aus. Noch nie in ihrem Leben hatte sie auf einen Schlag derart viele Verehrer gehabt. Fränzi sah sie bewundernd an. „Du hast dich wirklich sehr charmant und ohne ihn zu verletzen aus der Affäre gezogen. Nicht einmal ich wusste, wie Nein sagen, ohne eine böse Reaktion zu erhalten. Aber du hast es geschafft. Respekt!“ Kaum hatte sie ihre Worte ausgesprochen, stand der Kellner wieder neben ihnen. Mit einem seelenvollen Blick schaute er Manuela an und betonte, dass er eine seriöse Einladung gemeint hätte. Er hätte nicht aufdringlich sein wollen. Ob sie es sich nicht noch einmal überlegen würden? Und dabei sah er sie bittend an. Manuela brach es schier das Herz. „Ich weiß, dass Ihre Einladung seriös gemeint war. Und wir würden gerne ihre Einladung annehmen. Doch dass wir schon eine Verabredung haben, stimmt leider auch. Es geht wirklich nicht.“ Der Kellner nickte betrübt und entfernte sich. „Ich hab’ ja gar nicht gewusst, wie souverän du mit Männern umgehen kannst.“ Fränzi schaute sie staunend an. Und Manuela fühlte sich einfach wohl. Es musste wohl etwas in der Luft liegen.
Etwas später waren sie in ihrem Zimmer und machten sich schön. Vor dem Hotel wurden sie schon von den beiden jungen Männern erwartet. Mehmet fuhr sie mit seinem Auto in ein Hotel, das ein großes Dancing mit angenehmer Atmosphäre führte. Sie unterhielten sich gut. Nachdem sie etwas zu trinken bestellt hatten, begaben sich alle 4 auf die Bühne, um zu tanzen. Manuela wusste gar nicht, wie es dazu kam, doch irgendwie schien es einfach natürlich, Tarkan zu küssen. Sie genoss es unbeschreiblich, in den Armen eines großen, gut aussehenden Mannes zu liegen. Fränzi traute kaum ihren Augen. Das konnte doch unmöglich ihre etwas spröde Cousine sein? Doch keine 10 Minuten später lag auch sie in den Armen von Mehmet. Na also, dachte Manuela. Sie tanzten, unterhielten sich, knutschten und flirteten. Beschwingt verließen sie nach Lokalschluss das Hotel. Während Fränzi mit Mehmet eng umschlungen zum Auto ging, hielt Manuela Tarkan auf. Es musste einfach sein, dachte sie. „Damit es klar ist: Ich mag dich, Tarkan. Aber nur weil wir uns geküsst haben, heißt das noch lange nicht, dass ich auch mit dir ins Bett gehen will. Und schon gar nicht heute, an unserem ersten Tag!“ Nie hätte sie gedacht, dass sie den Mut aufbringen würde für solche Worte. Aber hier in der Türkei musste wirklich etwas Besonderes in der Luft liegen. Tarkan wirkte beleidigt. „Denkst du, ich bin so einer? So was hatte ich überhaupt nicht im Kopf!“ Somit war die Lage geklärt.
Auf dem Heimweg sprachen sie nicht viel. Aber viele verliebte Blicke flogen umher. Artig wurden sie beim Hoteleingang abgesetzt, ein letzter Kuss (ohne irgendwelche weitere Versprechungen und Einladungen), und das Auto fuhr davon. Fränzi war es offensichtlich nicht wohl. Sie schüttelte den Kopf und schaute kritisch drein. „Was ist denn los mit dir?“ „Ach, ich weiß nicht. Das alles gefällt mir einfach nicht. Es geht mir zu schnell. Und so was war ja auch nicht geplant. Ich kann gar nicht verstehen, dass du so gelassen dastehen kannst.“ Manuela kicherte: „Du hast recht. Normalerweise liegt mir so ein Flirt wirklich nicht. Aber irgendwie fühle ich mich so beschwingt und lebendig wie schon lange nicht mehr. Und was ist denn schon passiert? Nichts, außer ein paar Küsse. Ich zumindest habe Tarkan klar gesagt, dass daraus nicht mehr wird. Wir bestimmen, wie es weitergeht. Warum also machst du dir Sorgen?“ Fränzi lächelte. Aber als die Erfahrene in Sachen Flirten ahnte sie, dass die Geschichte noch lange nicht vorbei war. Und sie hatte recht.
Der nächste Morgen kam. Während Manuela vor sich hin summend aufstand, um sich zu waschen, lag Fränzi noch etwas griesgrämig im Bett. „Steh’ auf, du faule Liesel. Es ist ein herrlicher sonniger Tag. Und den wollen wir doch genießen, nicht wahr?“ Fränzi erhob sich, doch ihre Miene besserte sich keineswegs. Als sie später zur Tür hinaus und diese schließen wollten, erblickte Manuela von Weitem Tarkan, der sich zur Boutique begab. Spontan rief sie ihm ein „Guten Morgen“ zu. Er drehte den Kopf in ihre Richtung und winkte ihr lächelnd zu. „Ha, ist es nicht ein wunderbarer Morgen?“ Fränzi schaute sie von der Seite an. „Ja, ja, schon gut“, brummte sie. Sie frühstückten, packten dann wieder ihre Badesachen zusammen und machten es sich am Pool bequem. Es waren kaum Leute da. Die meisten waren wahrscheinlich zum Strand gegangen oder machten einen Ausflug. Faul dösten sie vor sich hin. Noch im Halbschlaf hörte Manuela plötzlich ein verdächtiges Kichern. Sie öffnete leicht ihre Augen – lag doch ihre Cousine tatsächlich wieder in den Armen von Mehmet und schmuste hingebungsvoll. Na also, dachte sie und schlief weiter. Das zog sich über mehrere Stunden hin.
Während Manuela ab und zu ihre Runden im Pool drehte, alberten Fränzi und Mehmet herum, warfen sich gegenseitig ins Wasser oder schmusten. Allmählich begann es sie zu wurmen. Sie hatte zwar Tarkan gesagt, dass sie nicht mehr wolle als einen Flirt. Doch dass er es so wörtlich genommen hatte und sie tatsächlich in Ruhe ließ, gefiel ihr dann doch nicht. Einmal hätte er sich ja blicken lassen können. Wieder mal kam Fränzi zum Zug, während sie leer ausging. Verflixt noch mal! Sie redete sich ein, dass es ihr gar nichts ausmache, doch ihre Miene zeigte etwas anderes. Später wurden sie vom Animateur zum Dartspielen aufgefordert, während Mehmet in der Boutique schnell nach dem Rechten schaute. Fränzi gewann prompt und wurde zu einem Glas Champagner ins Hotel eingeladen. Sie selber war Letzte geworden (wie treffend!) und lag nun betrübt und allein auf ihrem Liegestuhl. Sie schlenderte zum Strand, wo ein Volleyballspiel zwischen den Angestellten ihres Hotels und des benachbarten Hotels stattfand. Sie setzte sich auf das Mäuerchen und feuerte die Mannschaft mit den Angestellten ihres Hotels mit heftigem Klatschen an.
Es lag eine eigenartige Atmosphäre in der Luft. Die Sonne ging langsam unter, am Himmel waren wunderschöne Farben zu sehen, dazu das Meer und die Palmen. Manuela erlebte so etwas zum ersten Mal. Genießerisch hob sie ihr Gesicht in den Wind und ließ die Atmosphäre auf sich wirken. Da passierten gleich 3 Dinge miteinander: Erstens verlor „ihre“ Mannschaft, zweitens setzte sich Fränzi mit ihrem Mehmet neben sie und drittens wurde ihr liebevoll durchs Haar gefahren. Sie hob den Kopf und schaute direkt in die Augen von Tarkan. „Ach nee, auch mal Zeit für mich?“ Manuela konnte sich diese Frage nicht verkneifen. Tarkan setzte sich ganz nah zu ihr, nahm ihre Hand und flüsterte ihr verzweifelt zu: „Wie hätte ich denn können? Mehmet verschwand einfach den ganzen Tag und hat mich allein in der Boutique gelassen. Jemand muss ja im Laden sein, um Kleider zu verkaufen. Denkst du, ich wollte nicht in deiner Nähe sein? Und wie! Ich habe mich beinahe verzehrt nach dir! Aber nein, Mehmet amüsierte sich, und ich musste zusehen.“ Manuela wurde es ganz warm ums Herz. Noch wärmer wurde ihr, als Tarkan sie küsste.
Zu viert beschlossen sie, nach dem Abendessen etwas zu unternehmen. Mehmet holte sie wieder vor dem Hotel ab. Es gab in der Nähe einen romantischen kleinen Wasserfall. Während Fränzi und Mehmet eng umschlungen herumliefen, setzten sich Manuela und Tarkan an einen kleinen Abhang. Sie schmusten heftig. Sie konnten gar nicht genug davon kriegen. Plötzlich hob Tarkan ruckartig den Kopf. Manuela merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Tarkan stand angespannt da und schaute aufmerksam den Abhang hinauf. Während Manuela instinktiv schnell ihren Pulli in die Hose stopfte, bemerkte sie einen älteren Mann, der hastig den Abhang hinunterstolperte. Er war in Begleitung eines anderen Mannes, der aber viel langsamer ging.
Dann ging es Schlag auf Schlag. Der ältere Mann, offensichtlich betrunken, griff Tarkan verbal an. Tarkan konterte ruhig, aber ganz klar. Manuela stand wie erstarrt da. Obwohl sie kein Wort verstand, begriff sie sofort, um was es ging. Der ältere Mann dachte wohl, sie sei eine billige Touristin, die nur auf Sex aus war und es mit jedem trieb. Und wenn sie es schon mit Tarkan trieb, könne sie es wohl auch mit ihm. Sie spürte die brenzlige Situation. Zu ihrer Verwunderung war sie innerlich ganz kalt. Sie wusste, die Situation war ernst, und sie musste auf alles gefasst sein. Zumal ja der Mann in Begleitung war.
Sie überlegte krampfhaft. Sie hatte in den letzten 4 Jahren während der Wintersaison fleißig an Selbstverteidigungskursen teilgenommen. Und sie hatte zu den Besten gehört. Also veränderte sie ihre Körperhaltung, stand breitbeinig auf dem Boden und machte sich bereit, den möglichen Angreifer aufzufangen und hinter sich ins Wasser zu werfen. Zu ihrer Verwunderung merkte sie, dass sie in diesem Moment sogar bereit gewesen wäre, zu töten. Schließlich ging es um ihr Leben. Während der Streit immer heftiger wurde und der ältere Mann versuchte, die beiden nach hinten in ein kleineres Wäldchen zu stoßen, was aber Tarkan zu verhindern wusste, nahm Manuela Augenkontakt mit dem Begleiter auf.
Sie hatte bemerkt, dass dieser weit weniger besoffen war und sehr unsicher wirkte. Sie stellte sich naiv und gab ihm mit Augenmimik zu verstehen, dass sie angeblich nicht wusste, um was es ging. Weiter bemühte sie sich um ein harmloses fragendes Lächeln. Sie spürte, dass er jetzt notfalls bereit wäre, seinen Freund davon abzuhalten, sich an ihr zu vergehen. Oder dass er sich zumindest nicht auf Tarkan stürzen würde, wenn sein Begleiter auf sie losging. Tarkan hatte anscheinend etwas gesagt, was den älteren Mann plötzlich unsicher machte. Er beruhigte sich etwas, verlangte aber, dass er wenigstens einen flüchtigen Kuss bekäme. Obwohl Tarkan vor Wut beinahe schäumte, gestattete es ihm Manuela. Danach zogen die beiden endlich ab.
Beide waren ein paar Minuten völlig gelähmt. Auch hatten sie Angst, die Männer könnten Verstärkung holen und wiederkommen. Bei diesem Gedanken begannen sie, Fränzi und Mehmet zu suchen. Diese kamen lachend auf sie zu und begriffen erst gar nicht, was geschehen war. Erst als Manuela hysterisch zu weinen anfing und auf den Boden sank, begriff ihre Cousine, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Während Tarkan Manuela tröstend in seine Arme nahm und sie beruhigend hin und her wiegte, erzählte er den beiden, was passiert war. Mehmet machte sich die größten Vorwürfe, weil er es gewesen war, der sie hierhin gebracht hatte und weil sie nicht in der Nähe geblieben waren. Nun musste auch noch Fränzi ihren Mehmet beruhigen. Die Situation wirkte so grotesk, dass plötzlich alle zu lachen anfingen. So entspannte sich die Situation etwas. Sie setzten sich ins Auto und fuhren an den Strand. Während sie etwas am Strand entlangliefen, das Wasser ihre nackten Füße umspülte und der Mond hell schien, beruhigten sie sich. „Was hast du eigentlich zu ihm gesagt, dass er sich dann so schnell verdrückte?“ Manuela schaute Tarkan fragend an. „Ich habe ihm gedroht, dass ich sein Benehmen dem Securitas-Mann vom Hotel, wo ihr wohnt, mitteilen würde.“
Manuela verstand nicht. „Was hat denn der Securitas-Mann, der mir übrigens schon negativ aufgefallen war mit seinem düsteren Blick, damit zu tun?“ Tarkan zuckte die Schultern. Schließlich wisse jeder hier in der Umgebung, dass dieser Mann zur türkischen Mafia gehöre, antwortete er lakonisch. Manuela riss erschrocken ihre Augen auf. Das wurde ja immer schöner! Inzwischen kamen sie bei einem kleinen Feuer neben einem kleinen Getränkestand an. Sie holten sich was zu trinken und setzten sich zu den wenigen Leuten, die ums Feuer saßen. Ohne zu reden starrten sie ins Feuer und ließen die Ruhe auf sich wirken. Als sie zurück zum Auto gingen, blieb Mehmet plötzlich stehen. Er schlug sich die Hand an die Stirn, runzelte diese und schaute dann belämmert die anderen an. Fränzi ahnte Böses. „Du bist doch nicht etwa so blöd gewesen und hast den Autoschlüssel im Auto stecken lassen?“ Mehmet schaute sie entschuldigend an.
Fränzi flippte beinahe aus. Da standen sie nun, ca. 10 km vom Hotel entfernt, weit nach Mitternacht, und wussten nicht weiter. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, Cousinchen. Aber ich muss dringend aufs Klo.“ Sie stiegen auf eine kleine Anhöhe hinauf, wo dann die beiden Frauen ihr Geschäft erledigen konnten. „Was sind das für Bungalows dort hinten?“ Manuela zeigte mit dem Finger in die Richtung von einem halben Dutzend Bungalows. „Die kann man mieten.“ Manuela, die als Einzige ihre Handtasche mit etwas Geld und dem Pass bei sich hatte, atmete erleichtert auf. Sie hatten also Glück im Unglück. Es klappte. Sie konnten 2 Bungalows mieten, das Frühstück war inbegriffen. Allerdings müssten sie ihre Betten selber beziehen. Aber auf das kam es ihnen auch nicht mehr an. Sie wollten am nächsten Morgen einen befreundeten Automechaniker anrufen, der dann ihr Auto „aufbrechen“ sollte. Sie wünschten sich gegenseitig eine gute Nacht und betraten dann ihre jeweilige Hütte.
Es war kalt. Die Erlebnisse und die kältere Nachtluft führten dazu, dass Tarkan schlotternd in einer Ecke stand, während Manuela die Betttücher hervorholte. Auch sie fror, doch schließlich mussten die Betten ja gemacht werden. „Wäre es zu viel verlangt, wenn du mir helfen würdest?“ Etwas ironisch schaute Manuela Tarkan an. Sie verstand gar nicht, warum er sie so hilflos anstarrte und bewegungslos in der Ecke stand. Sofort kam er zu ihr und half. Aber alles immer noch wortlos. Als sie die nassen Hosen im Badezimmer aufgehängt hatten, schlüpften sie schnell unter die Decke. Manuela wollte sich an Tarkan kuscheln, doch er wirkte immer noch hilflos.
Manuela schaute ihn aufmerksam an. Sie versuchte, seine Gedanken zu lesen. Und plötzlich wusste sie instinktiv, was los war. Das war doch der Hammer! Aber das konnte natürlich nur ihr wieder passieren. Ausgerechnet sie war an eine männliche Jungfrau geraten! Auf ihre diesbezügliche Frage nickte Tarkan verlegen. Er hätte zwar einmal ein nächtliches Abenteuer mit einer jüngeren Touristin gehabt. Aber da sei nicht viel gelaufen, zumal sie nachher sehr bald nichts mehr von ihm wissen wollte. Natürlich hätte er Chancen gehabt. Doch für Affären sei er sich immer zu schade gewesen. Erst bei ihr hätte er sofort gewusst, dass sie seine Traumfrau sei. Und jetzt wisse er nicht, was sie von ihm fordere. Manuela lachte hell auf. „Nur keine Panik. Ich fordere dich zu nichts auf. Wir sind beide todmüde. Ich glaube, das Beste für uns ist, noch ein wenig zu kuscheln und dann ausgiebig zu schlafen.“
Und das taten sie dann auch. Am frühen Morgen wachte Manuela auf. Sie hatte trotz allem sehr gut geschlafen. Und sie hatte sich in den Armen von Tarkan wohlgefühlt. Dieser schaute sie schläfrig an und lächelte. Sie schmusten eine Weile. Etwas später stand sie dann auf. Sie wollte duschen und dann Frühstück holen. Tarkan lachte aus vollem Hals, als er sie kurz darauf laut fluchen hörte. Es schien, als würde die Dusche nur kaltes Wasser hergeben! Erfrischt kam sie wieder aus der Dusche und überließ ihm mit zuckersüßem Lächeln die Dusche. Er schlenderte provozierend langsam an ihr vorbei und schaute ihr dabei tief in die Augen. Dann zwinkerte er ihr fröhlich zu und verschwand im Bad. Als ihr ein lustiges Pfeifen zu Ohren kam, wurde Manuela misstrauisch. Sie erlaubte sich einen kurzen Blick in die Dusche. Das war gemein! Wahrscheinlich hatte Tarkan genau gewusst, dass es immer eine Weile dauerte, bis das Wasser warm wurde. Er auf jeden Fall genoss die warme Dusche in vollen Zügen! Sie ging hinaus in die warme Sonne.
An der Rezeption konnte sie sich das Frühstück abholen. Wieder zurück, klopfte sie an die Tür von Fränzi und Mehmet, die bald darauf auch auftauchten. Es war herrlich angenehm, in der noch nicht allzu starken Sonne zu frühstücken. Munter plauderten sie und machten Pläne. Als Erstes mussten sie mit dem Automechaniker telefonieren. Dieser tauchte eine Viertelstunde später mit seinem Auto auf. Zusammen fuhren sie zum Strand, wo Mehmets Auto stand. Mit einer Brechstange versuchte der Mechaniker, die Tür zu öffnen. Fränzi wurde immer ungeduldiger. „Das ist doch typisch Mann! Jetzt braucht der schon eine halbe Stunde dafür. Bei mir wäre es bestimmt nicht so lange gegangen!“ Endlich war die Tür offen. Sie bezahlten seine Arbeit und entließen ihn dann. Sie wussten, dass sie am Nachmittag pünktlich zur Modenschau-Probe im Hotel sein mussten.
So fuhren sie zurück zum Hotel. Während sich die Frauen auf ihrem Zimmer frisch machten, begaben sich die Männer zur Boutique. Nach einem kleinen Mittagsimbiss gingen Manuela und Fränzi im ersten Stock des Hotels auf die Terrasse. Dort warteten schon die anderen Gäste, zusammen mit den Hotelangestellten und Mehmet. Tarkan war in der Boutique geblieben, da er sich geweigert hatte, an der Modenschau teilzunehmen. Es fand zuerst eine Kleiderprobe statt. Jeder musste zweimal die Kleider wechseln und auf dem Laufsteg auf und ab gehen. Der ganze Ablauf wurde besprochen, passende Musik ausgewählt. Fränzi hatte als Partner ihren Mehmet zugeteilt bekommen, Manuela bekam einen der Animateure namens Hassan. Patric moderierte. Alle Namen wurden noch notiert, dann wurden sie entlassen. Während Tarkan und Mehmet arbeiteten, legten sich die beiden Frauen an den Strand und ließen sich bräunen.
Schon während des Nachtessens wurde die Bühne und der Laufsteg aufgebaut. Manuela war ganz aufgeregt, aber sie freute sich. „Na, Schwesterchen, freust du dich auch? Bist ganz blass im Gesicht!“ Fränzi gab zu, dass sie wohl ein wenig Lampenfieber hätte. Diese verstand gar nicht, wie ihre Cousine Manuela so ruhig dasitzen konnte. Sie staunte immer mehr. In den letzten paar Tagen hatte sie ihre Cousine von einer ganz anderen Seite kennengelernt. So souverän, aber auch ausgelassen hatte sie Manuela noch nie erlebt. Irgendwie war sie ganz stolz auf sie. Meine Cousine, dachte sie. Schon bald mussten sie hinter die Bühne und sich zum ersten Mal umziehen. Es gab ein großes Gerangel, aber am Schluss hatte jede ihr passendes Kleid gefunden. Die Hotelgäste hatten sich alle schon gesetzt und warteten gespannt auf den Auftritt. Die Musik ging los, und Patric sagte die Show an. Er nannte jeweils die Namen und was sie tragen würden.
Zuerst mussten Fränzi und Mehmet auf die Bühne. Im ersten Gang wurden Lederhosen und schöne Blusen und Hemden gezeigt. Fränzi stolperte beinahe vor Lampenfieber und war mehr als froh, als sie es hinter sich hatte. Dann kamen Manuela und Hassan, der übrigens auch ganz gut aussah, dran. Sie bewegten sich gelassen zur Musik, drehten sich wie abgemacht und gingen auf ihre Plätze zurück. „Das macht ja richtig Spaß!“ Manuela war begeistert. Doch Fränzi graute vor dem zweiten Gang. „Wie kann dir so was nur gefallen“, stöhnte sie. Doch sie biss tapfer auf die Zähne und ging das zweite Mal auf den Laufsteg. Diesmal waren Lederjacken angesagt. Mitten in den Zuschauern stand Tarkan und machte fleißig Aufnahmen, wie es ihm Manuela vorher aufgetragen hatte. Dass die Bilder schlussendlich völlig unscharf waren, schrieb Manuela später Tarkans Aufregung zu. Auf der einen Seite war er sichtlich stolz, dass sich seine neue Freundin so gut gemacht hatte. Auf der anderen Seite bereute er es tief, dass nicht er, sondern Hassan an ihrer Seite gegangen war.
Während der ganzen Show hatte der hoteleigene Fotograf Fotos geschossen, die man später auch kaufen konnte. Es hatte alles geklappt, und die Gäste applaudierten stürmisch. Gar kein schlechtes Gefühl, dachte Manuela, so im Mittelpunkt zu stehen und Applaus zu kriegen. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen! Man schüttelte ihnen zum Dank die Hand, dann waren sie entlassen. Tarkan und Mehmet arbeiteten noch etwas in der Boutique. Danach fuhren sie in ein einfaches Restaurant, wo sie sich was zum Essen bestellten. Sie beschlossen, die Nacht im Angestellten-Hotel zu verbringen. Dort gab es keine Kontrolle, wer hinein oder heraus ging. Allerdings war es schon eher eine Absteige als ein Hotel. Als Fränzi dann die einzige Toilette, die es dort gab, besichtigte, rümpfte sie die Nase: „Also hier bleibe ich bestimmt nicht. Diesen Dreck muss ich mir nicht zumuten. Wie ihr das aushaltet, begreife ich nicht.“ Die beiden Männer zuckten nur die Schultern. Schließlich hatten sie ja keine Wahl. Gemeinsam beschlossen sie, in das benachbarte kleine Hotel zu gehen und dort 2 Zimmer für eine Nacht zu mieten. Die Zimmer waren ihr Geld wert.
Es waren kuschelige und saubere Zimmer mit einem schönen Bad. Voller Freude hüpften Manuela und Tarkan ins Bett. Diesmal ging es richtig zur Sache. Auf diese Nacht waren sie schließlich vorbereitet gewesen. Sie waren beide genug verliebt, dass alles wie von allein klappte. Manuela wurde sogar etwas misstrauisch. „Sag’ mal, hast du mir die Wahrheit gesagt?“ „Warum? Bin ich denn so gut gewesen?“ Schelmisch, aber auch mit Stolz in der Stimme zwinkerte er ihr zu. „Hm.“ Mehr sagte Manuela nicht. Aber insgeheim wünschte sie sich, dass sich jeder so viel Zeit beim Lieben genommen hätte, wie es Tarkan getan hatte. Und sein sicheres Gespür hatte ihn gut geleitet. „Glaub’ mir, Süße, du bist meine erste Frau. Und ich muss sagen, das Warten hat sich gelohnt.“ Verliebt schaute er sie an. Sie schmusten und alberten noch etwas herum, dann schliefen sie zufrieden aneinandergekuschelt ein.
Am nächsten Morgen fuhren sie wieder zurück zum Hotel. Während die Männer ihre Arbeit in der Boutique aufnahmen, machten sich die Frauen in ihrem Zimmer frisch und frühstückten danach ausgiebig auf der Restaurant-Terrasse. Sie tuschelten wie Teenager und kicherten ab und zu. Fränzi konnte es immer noch nicht glauben, dass Tarkan noch Jungfrau gewesen war. Ihr Mehmet war da ein ganz anderer! Sie fühlte sich jetzt genauso beschwingt wie ihre Cousine. Sie besprachen, was sie am heutigen Tag unternehmen wollten. „Ach du meine Güte! Jetzt fällt mir gerade ein, dass wir noch unbedingt zur Anprobe meines Lederanzugs in die Stadt müssen. Am Nachmittag, wenn Siesta herrscht und die Männer ihre Boutique für ein paar Stunden zumachen können, könnten wir ja die Kolosseum-Ruine besuchen und ein paar heiße Fotos schießen.“ Manuela war einverstanden. Sie informierten noch schnell Mehmet und Tarkan, verabschiedeten sich mit ein paar heißen Küssen und fuhren dann mit einem Taxi in die Stadt.
Im Ledergeschäft wurden sie schon erwartet. Der Anzug war zwar angefertigt, sass aber nicht besonders. Fränzi machte einen Schmollmund. Sie verlangte, dass die Änderungen so schnell wie möglich gemacht wurden, sonst würde sie den Rest nicht bezahlen. Manuela war inzwischen mit Tee versorgt worden. „Nimm’s gelassen, Cousinchen. Wir haben ja Zeit. Wenn wir in 2 Tagen wieder erscheinen, ist bestimmt alles in Ordnung. Gehen wir noch ein wenig bummeln.“ Dazu musste Fränzi erst gar nicht ermuntert werden. Sie hakten sich unter und schlenderten gemütlich von Stand zu Stand. Sie kauften ein paar Kleinigkeiten als Andenken. „Hast du eigentlich schon deine Ansichtskarten gekauft?“ Fragend schaute Manuela Fränzi an. „Wenn nicht, dann hätte ich dir hier, gerade die Richtige.“ Fränzi schaute neugierig die Karte an, die Manuela aus einem Kartenständer genommen und ihr entgegengestreckt hatte. Dann prustete sie los. „Manuela, was für schmutzige Gedanken hast du nur?“ Gespielt entrüstet wehrte sie ab. Auf der Karte war das Bild einer kleiner Statue aus einem Museum zu sehen. Ganz offensichtlich handelte es sich dabei um einen nackten Mann, dessen Penis länger als er selber zu sein schien. „Aber weißt du was? Du hast recht, bis jetzt bin ich noch gar nicht dazu gekommen, Karten zu kaufen geschweige denn zu schreiben und abzugeben. Ich nehme die und schicke sie meiner spröden Nachbarin. Na, die wird sich freuen!“ Ohne zu erröten ging sie mit dieser Karte zur Kasse, um zu bezahlen. Den verruchten Blick des Verkäufers ignorierte sie geflissentlich.
Wie sie später erfuhren, war diese Nachbarin beim Erhalt der Karte gar nicht erfreut gewesen. Ausgerechnet an jenem Tag hatte sie einen Einschreibebrief bekommen, für den sie quittieren musste. Darum hatte ihr der Postler alle Post persönlich überbracht – zuoberst hatte demonstrativ diese Karte gelegen und die Nachbarin schön in Verlegenheit gebracht!
Sie fuhren zurück zum Hotel und holten etwas später ihre beiden Freunde ab. Mit Mehmets Auto fuhren sie zum Kolosseum. Dort spielten sie Verstecken, lachten und machten viele schöne Erinnerungsfotos. Da sie noch genug Zeit hatten und Fränzi einmal erwähnt hatte, dass sie regelmässig reite, fuhren sie danach weiter zu einem Reiterhof. Dort mietete sich Fränzi für eine halbe Stunde ein Pferd. Mehmet stand am Holzzaun und feuerte sie an. Doch alles nützte nichts. Anscheinend war es das Pferd gewohnt, nach jeder Runde kurz eine Pause zu machen. Fränzi konnte machen, was sie wollte, das Pferd blieb einfach nach jeder Runde für 1 Minute stehen. Tarkan und Manuela hatten es sich bei einem Tee gemütlich gemacht. Mit großer Belustigung schauten sie den verzweifelten Bemühungen von Fränzi zu. Irgendwann gab sie resigniert auf. So kam sie gar nicht richtig zum Reiten. Trotzdem hatte es ihr gefallen, wieder mal auf einem Pferd zu sitzen. In der Zwischenzeit hatte Tarkan Manuela beigebracht, wie „Ich liebe dich“ auf Türkisch heißt. Etwas später fuhren sie wieder zurück zum Hotel.
Spät am Abend wurde den Hotelgästen wieder einiges geboten. Es wurde gesungen und getanzt. Als Mehmet und Tarkan endlich ihre Boutique schließen konnten, waren die beiden Frauen schon ganz ausgelassen. Sie packten ihre beiden Freunde und schleppten sie zum Strand hinunter, wo sie ganz ungeniert schmusten. Schließlich waren sie nicht die Einzigen, die diese Idee gehabt hatten. Überall sah man Liebespaare an mehr oder weniger versteckten Plätzen. „Heute schlafen wir wieder mal in unseren Hotelbetten, denn in unserem Alter braucht man den Schönheitsschlaf.“ Mehmet und Tarkan schauten ganz enttäuscht. Doch als ihnen die Frauen versprachen, dafür die nächste Nacht wieder im selben Hotel mit ihnen zu verbringen, hellte sich ihre Miene zusehends auf. Sie verabschiedeten sich voneinander und gingen getrennten Weges davon.
Im Zimmer erzählte Fränzi, sie hätte gehört, dass es in der Nähe eine Schmuckfabrik gebe. Dort könne man direkt zusehen, wie Schmuck entsteht. Diesen könne man dann auch gleich kaufen, und zwar zu einem günstigen Preis. Manuela, die bis dahin von Schmuck nicht so viel gehalten hatte, schlug vor, Mehmet und Tarkan zu fragen. Vielleicht wussten sie, wo diese Fabrik stand und würden sie dorthin begleiten. Beide gähnten wie auf Kommando, es machte sich bemerkbar, dass sie in den letzten Tagen zu wenig Schlaf bekommen hatten. Fränzi war so müde, sie hätte im Stehen schlafen können! Prompt bekam sie von ihrer Cousine zu hören, dass sie im Moment wirklich nicht gerade vorteilhaft aussähe. Spontan nahm sie ihr Kissen und warf es Manuela an den Kopf. Doch die wich geschickt aus und konterte. Lachend fielen sie auf ihre Betten. Es dauerte keine 30 Sekunden, bis sie eingeschlafen waren.
Sie schliefen aus und verpassten beinahe ihr geliebtes Frühstück. Das Personal war nicht begeistert, als sie knapp vor dem Abräumen noch auftauchten. Sie genossen die warme Sonne und ließen es sich schmecken. Danach machten sie einen Besuch in der Boutique, wo sie schon sehnsüchtig erwartet wurden. Die Männer waren sofort einverstanden, sie an diesem Tag während der Siesta in die Schmuckfabrik zu begleiten. Es war wirklich nicht allzu weit weg. Sie durften sich überall umsehen. Selbst Manuela, die ja kein Schmuckfan war, konnte nicht widerstehen und kaufte sich eine hübsche Filigran-Halskette für wenig Geld. Sie fuhren weiter an den Strand, wo sie im Wasser plantschten und sich an der Sonne bräunen ließen. Für einen Imbiss an einem Stand in der Nähe mussten sie einen kleinen Platz mit allerlei Unrat und Scherben überqueren. Da Manuela barfuß war, Tarkan hingegen Sandalen anhatte, nahm er sie kurzerhand auf die Arme und trug sie bis vor den Stand. Von dort erscholl Musik von Chris Rea, der „On the Beach“ sang. Wie passend, fand Manuela. Sie genoss es sichtlich, auf Händen getragen zu werden.
Während die Männer etwas zu essen und trinken holten, setzten sich die beiden Frauen in den Sand. Fränzi erzählte ihrer Cousine ganz aufgeregt, dass Mehmet mit seiner Mutter telefoniert und ihr gesagt hätte, er habe nun endlich seine Traumfrau gefunden! Mit großen Augen schaute Manuela ihre Cousine an: „Ja, hoppla, seid ihr denn schon soweit? Ist dir bewusst, was das heißt?“ Fränzi schaute etwas verlegen drein. „Ich weiß, es geht alles so schnell. Aber ich habe das Gefühl, dass einfach alles zusammenpasst. Und was soll ich mich denn noch dagegen sträuben? Ich will ja schließlich nicht als alte einsame Jungfer sterben. Und mindestens ein Kind möchte ich auch noch haben. Aber sicher bin ich natürlich noch nicht. Mehmet und ich müssen das noch genau miteinander besprechen.“ Spät am Nachmittag fuhren sie wieder ins Hotel zurück. Die beiden Frauen duschten und machten es sich bei leiser Musik mit einem Liebesroman auf ihren Betten bequem. Der Abend verlief dann wie üblich. Sie aßen auf der Restaurant-Terrasse und trafen sich nachher wieder mit ihren Freunden. Die Zeit verging wie im Flug.
Am nächsten Tag gönnten sich Manuela und Fränzi wieder einmal eine „Erotik“-Stunde im Pool mit Patric und den anderen Hotelgästen. Danach mussten sie leider ihre Runden im Pool allein drehen. Der Hoteldirektor hatte mitbekommen, dass da etwas zwischen seinen Angestellten und Touristinnen lief. Die Liebe konnte er ja nicht verbieten, aber dass sich seine Angestellten am Pool aufhielten, schon. So vereinbarten sie, dass sie sich am Nachmittag am öffentlichen Strand treffen würden. Vorher fuhren die beiden Frauen noch einmal in die Stadt, wo sie den Lederanzug von Fränzi abholen wollten. Diesmal klappte alles. Der Anzug saß, und Fränzi bezahlte die Restschuld. In einem anderen Geschäft sahen sie glänzende Jogging-Anzüge. Da diese in der Schweiz ziemlich teuer waren, betraten sie den Laden und fragten nach dem Preis. Frech handelten sie den Preis hinunter bis auf 30.- pro Anzug. Da hatten sie wirklich ein gutes Geschäft gemacht! Schnell ließen sie sich wieder zum Hotel zurückchauffieren. Dort verstauten sie ihre neuen Errungen-schaften, packten ihre Badesachen und fuhren wie verabredet weiter zum Strand.
Mehmet und Tarkan warteten schon. Beide hatten ein Geschenk mitgebracht. Fränzi bekam ein rotes T-Shirt, Manuela ein weißes. Als sie ihnen von ihrem Handeln im Laden berichteten, schauten sie die Männer ganz stolz an: „Ihr benehmt euch ja schon wie echte Türkinnen!“ Sie hielten sich eine Weile im Wasser auf. Danach fragte sie plötzlich Mehmet, ob sie Lust hätten, mit ihm etwas weiter weg zu fahren. Seine Mutter (die Witwe war) hätte sich nämlich dort eine Wohnung gekauft. Der Wohnblock werde gerade jetzt gebaut. Ob es sie interessieren würde? Alle waren einverstanden, und so fuhren sie weiter. Sie fanden den Wohnblock schnell und bestiegen die Treppe in den 3. Stock. Dort befand sich die 5-Zimmer-Wohnung. Alles war noch im Rohbau. Stolz zeigte ihnen Mehmet die Zimmer. Wenn es mal fertig war, würde es sicher schön aussehen.
Besonders Fränzi schaute sich alles sehr genau an. Wer weiß, dachte sie, vielleicht werde ich mich in nicht allzu ferner Zukunft auch ab und zu dort aufhalten. Danach schauten sie sich noch etwas die Stadt an und aßen eine Kleinigkeit. Bald mussten sie aber wieder zurückfahren. Wieder in ihrem Zimmer, erfrischten sich die beiden. Komischerweise wirkten beide lustlos. „Ist dir eigentlich klar, dass unsere Woche hier in der Türkei bald vorbei ist?“ Fränzi schaute ihre Cousine traurig an. Auch Manuela wirkte bedrückt. Zu ihrem Erstaunen gefiel es ihr in der Türkei immer besser. All ihre Vorurteile hatten sich in Luft aufgelöst. Die Menschen waren meist guter Laune und sehr entgegenkommend. Das Land gefiel ihr auch immer besser. Sie fühlte sich schon fast wie eine Einheimische hier. Das war bestimmt nicht das letzte Mal, dass sie in der Türkei weilte, dachte sie. Und sie sollte recht behalten. In den nächsten Jahren flog sie noch über ein halbes Dutzend mal dorthin.
„Ich weiß zwar nicht, wie es mit mir und Tarkan weitergehen wird. Es ist mir im Moment auch nicht so wichtig wie dir mit deinem Mehmet. Aber du hast recht. Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wieder in die kleine Schweiz zurückzufliegen.“ Beide hingen ihren Gedanken nach.
Den letzten Abend vor der Abreise hatten sich Mehmet und Tarkan freigenommen. Doch es wollte einfach keine gute Stimmung aufkommen. Sie waren zu einem kleinen romantischen Restaurant gefahren. Sie waren dort die einzigen Gäste. Nach dem Essen blieben Fränzi und Mehmet eng umschlungen am Tisch sitzen, während Manuela und Tarkan sich draußen ein Plätzchen suchten. Völlig überrascht stellte Manuela fest, dass Tarkan Tränen in den Augen hatte. „Wie soll es nur weitergehen ohne dich? Du weißt, ich habe keine guten Familienbande. Das Geld für meinen Job reicht kaum zum Essen. Den Pass habe ich schon vor einer Weile verloren. Und ohne den kann ich dich nicht mal in der Schweiz besuchen. Die Leute vom Militär haben gesagt, erst müsse ich meinen Militärdienst von 2 Jahren absolvieren. Erst dann bekäme ich einen neuen Pass. Aber als Kurde, der ich bin, wird es mir garantiert schlecht unter den Türken im Militär gehen. Ich habe solche Zukunftsangst.“
Tarkan hatte seinen Kopf in Manuelas Schoß gelegt und vergoss weitere Tränen. Sie wusste erst gar nicht, was sagen. Sie strich ihm übers Haar und überlegte. Anscheinend erhoffte sich Tarkan Hilfe von ihr. Doch dazu war sie nicht bereit. Sie mochte ihn sehr, aber wenn er nicht selber sein Leben in den Griff bekam, war ihre Beziehung sowieso chancenlos. Auch wusste sie nicht, ob Tarkans Gefühlsausbruch echt war oder nur eine momentane Regung. Sie tröstete ihn und versuchte ihm Mut für die Zukunft zu machen.
Wie sich später herausstellen sollte, hatte Tarkan tatsächlich mehr als genug Gründe für seine Tränen gehabt. Er hatte eine sehr schwere Zeit.
Nachdem sich Tarkan etwas beruhigt hatte, u. a. deshalb, weil ihm Manuela versprochen hatte, ihn fleißig aus der Schweiz anzurufen, gingen sie wieder hinein ins Restaurant. Fränzi schaute mit glänzenden Augen auf und teilte ihnen mit, dass Mehmet ihr einen Heiratsantrag gemacht und sie diesen soeben angenommen hätte. Meine Cousine, dachte Manuela liebevoll und gratulierte. Tarkan bemühte sich, nicht schon wieder zu weinen. Seine Zukunft sah nicht so rosig aus wie die der beiden Verliebten. Sie fuhren weiter in das Hotel, wo sie schon mehr als einmal übernachtet hatten. Bei einer guten Gelegenheit nahm Manuela ihre Cousine schnell zur Seite: „Du weißt, wir müssen morgens um 4.00 Uhr aufstehen und zurück zum Hotel gehen. Dort packen wir schnell, bevor wir vom Bus abgeholt werden. Tarkan ist derart traurig, dass ich denke, dass es besser ist, wenn ich ihn nicht wecke, wenn ich fortgehe. So kann er ausschlafen, und der Trennungsschmerz ist dann auch nicht so groß. Also weck’ mich bitte ganz leise.“ Fränzi verstand sie und war einverstanden. Als dann der Wecker klingelte, weckte sie zuerst Mehmet, der versprochen hatte, sie zum Hotel zurückzubringen. Dann ging sie rüber ins andere Zimmer und stupste sachte ihre Cousine an, die sofort wach wurde. Leise zog sie sich an, schrieb ein paar Zeilen für Tarkan und verschwand mit Fränzi und Mehmet in die Nacht.
Der Abschied von Mehmet fiel beiden Frauen nicht sonderlich schwer. Beide wussten ja, dass er, sobald er das Visum von Fränzi erhalten hatte, in die Schweiz kommen würde und sie ihn wiedersehen konnten. Manuela hatte Tarkan seine Lieblingskassette geklaut, die sie während des ganzen Heimflugs hörte. Wieder in der Schweiz, fielen sich die beiden in die Arme und verdrückten ein paar Tränen. Beide hofften, dass alles nicht nur ein schöner Traum gewesen war, sondern noch eine Fortsetzung hatte …
Nachtrag: Es hatte eine Fortsetzung gegeben. Schon am nächsten Tag bekamen beide Anrufe von ihren Freunden. Sie wurden schrecklich vermisst. 3 Monate später kam Mehmet für ein paar Monate in die Schweiz. Weitere 2 Monate später folgte in Ankara die türkische Verlobung im Familienkreis von Mehmet. Selbstverständlich waren Manuela und Tarkan (als zukünftige Trauzeugen) auch eingeladen. 1 Jahr später heirateten Fränzi und Mehmet und bekamen in der Folge 2 Kinder. Zum selben Zeitpunkt gab es ein Missverständnis zwischen Tarkan und Manuela. Als dieses ein paar Monate später aufgeklärt wurde, war es allerdings schon zu spät.
Manuela hatte in der Schweiz einen Türken kennengelernt, der total in sie vernarrt war und mit dem sie sich kurze Zeit später einließ.