Читать книгу Rom. Eine Stadt in Biographien - Susanne Wess - Страница 10
ОглавлениеNERO
37–68 n.Chr.
Am Anfang war er eine kleine Figur in einer Welt der Intrige. Dann wurde er Kaiser, zunächst bescheiden und sogar ziemlich klug. Bis er sich zu einem mörderischen Tyrannen und Rom-Erneuerer entwickelte.
In der Eingangshalle des Hauses hatte eine 120 Fuß hohe Kolossalstatue mit dem Porträt Neros Platz. Die Anlage war so groß, dass sie drei Portiken von einer Meile Länge und einen künstlichen See umfasste, der fast ein Meer war, umgeben von Häusern so groß wie Städte … Einige Teile des Hauses waren vollständig vergoldet … In den Speisesälen gab es bewegliche Decken aus Elfenbein, durch die Blumen herabgeworfen und Parfüm versprengt werden konnte. Der Wichtigste von ihnen war kreisrund und bewegte sich bei Tag und bei Nacht ständig, wie die Erde. Die Bäder wurden mit Meer- und Schwefelwasser gespeist. Als Nero das Haus einweihte, zeigte er sich sehr zufrieden und sagte, dass er jetzt endlich in einem Haus wohne, das eines Menschen würdig sei.« So beschreibt der römische Schriftsteller und Verwaltungsbeamte Sueton den goldenen Palast des größenwahnsinnigen Kaisers Nero – die Domus Aurea, das goldene Haus.
Erst 2007 wurden die freigelegten Teile des Palastes auf dem Palatin der Öffentlichkeit für Sonderführungen wieder zugänglich gemacht. Zwei Jahre später entdeckte man den rotierenden Speisesaal. Endlich konnte sich die Nachwelt ein Bild machen vom drehbaren Kuppelbau, den Sueton beschrieben hatte und der mittels einer aufwendigen Mechanik den Wechsel von Tag und Nacht simulierte. Und endlich hatte man ein Bild von der irren Verschwendungssucht dieses Tyrannen vor Augen, den einst Peter Ustinov so unvergleichlich im Film dargestellt hat.
War dieser Nero wirklich so? War er das grausame Scheusal, das wir aus Schulbüchern kennen, der Unhold, Brandstifter und Christenverfolger? Oder war er ein gebranntes Kind, das unter dem Einfluss seiner herrischen und intriganten Mutter Agrippina stand? War er der Erneuerer Roms und ein großer Förderer der Kunst oder ein geisteskranker Kulturliebhaber, dessen Leidenschaft mörderische Blüten trieb? Vermutlich war Nero von allem etwas – und seine Lebensgeschichte ist derart widersprüchlich, bizarr und irrwitzig, dass sie selbst in unserer sensationsgierigen Zeit wie das realitätsferne Drehbuch eines übergeschnappten Autors anmutet.
Nero wurde am 15. Dezember 37 n.Chr. als Lucius Domitius Ahenobarbus in der Küstenstadt Antium, dem heutigen Anzio, geboren, als Sohn des Landadeligen Gnaeus Domitius Ahenobarbus. Ein Kind also, das von seiner Herkunft ohne Aussichten auf eine überragende Karriere war. Die Weichen für sein späteres Leben als Kaiser stellte seine machthungrige Mutter Julia Agrippina, eine Tochter des Feldherrn Germanicus, geboren in Oppidum Ubiorum, dem heutigen Köln. Ihr Bruder war der Kaiser Caligula. Somit stammte sie aus der iulisch-claudischen Herrscherdynastie. Ihr Sohn verbrachte seine Jugend im Haus seiner Tante Lepida unter der erzieherischen Aufsicht von zwei Hofmeistern, von denen der eine Tänzer, der andere Barbier war, während Agrippina von Caligula auf die Pontinischen Inseln verbannt worden war.
Nach der Ermordung Caligulas im Jahr 41 n.Chr. wurde Claudius Kaiser; er holte seine Nichte Agrippina nach Rom zurück und heiratete sie acht Jahre später. Die Herrschergemahlin setzte alles daran, ihren Sohn aus erster Ehe zum römischen Kaiser zu machen. Sie ließ ihm die bestmögliche Ausbildung in Latein, Mathematik, Kunst und Literatur angedeihen und engagierte für ihn den Philosophen Seneca als Erzieher.
Im Jahr 50 n.Chr. überredete Agrippina ihren Mann Claudius, Lucius zu adoptieren, war doch sein eigener Sohn Britannicus aus der Verbindung mit seiner ersten Frau Messalina wie sein Vater Epileptiker. Als Tiberius Claudius Nero Drusus Germanicus Caesar, wie er seit seiner Adoption hieß, 16 Jahre alt war, verheiratete ihn seine Mutter mit der erst 13-jährigen Claudius-Tochter Octavia. Nach dem Tod seines Adoptivvaters – er starb am 13. Oktober 54 n.Chr. an einem Gericht von Giftpilzen, das ihm seine Gemahlin Agrippina reichen ließ – wurde Nero folgerichtig als Kaiser ausgerufen. Weil er aber erst 17 war, lagen die Regierungsgeschäfte zunächst in den Händen seines klugen Mentors Seneca, in militärischen Angelegenheiten hatte der Prätorianerpräfekt Sextus Burrus das Sagen. Ihnen hat das Volk von Rom zu verdanken, dass die ersten fünf Jahre von Neros Amtszeit als »goldenes Quingennium«, das glückliche Jahrfünft, bezeichnet werden. Der junge Imperator zeigte sich zunächst als fähiger Richter, der seine Urteile wohlüberlegt fällte. Als er zum ersten Mal ein Todesurteil unterschreiben musste, soll er ausgerufen haben: »Wenn ich doch bloß nicht schreiben könnte!«
ER LIEBTE GESANG UND SCHULTE DIE STIMME
Nero widmete seine Zeit überwiegend der Kunst, holte den Kithara-Sänger Terpnus an seinen Hof, ließ sich tagelang von ihm vorsingen und »begann allmählich selbst das Studium und die Übungen dieser Kunst, ohne dabei etwas zu versäumen, was derartige Virtuosen zur Erhaltung und Kräftigung ihrer Stimme zu tun pflegen«, wie Sueton berichtet. »Ja, er trug sogar, auf dem Rücken liegend, eine Tafel von Blei auf der Brust … enthielt sich des Genusses von Obst und der Stimme schädlichen Speisen«, heißt es weiter. Weil Lauch schon im alten Ägypten als Nahrung für Sklaven beim Pyramidenbau sehr geschätzt war und Nero daran glaubte, dass das Gemüse wegen seiner Senföle seine Stimme verschönern könnte, legte er einmal im Monat einen »Lauchtag« ein. Das brachte ihm den Spitznamen »porrophagus« ein – Porreefresser.
Nach den milden Anfangsjahren seiner Regierung begann die buchstäbliche Horrorphase des Imperators. Süchtig nach dem Beifall des Publikums für seine Auftritte als Sänger, Wagenlenker und Olympionike begannen persönliche Intrigen und Morde die Jahre bis zu Neros Tod zu bestimmen. Seinen Stiefbruder Britannicus ließ er im Februar 55 n.Chr. bei einem Abendessen vergiften. Auch das Verhältnis zu seiner Mutter Agrippina verschlechterte sich zusehends: Sie hatte keinen Einfluss mehr auf den 21-jährigen Herrscher. Und obwohl sie ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem Sohn hatte, musste sie den kaiserlichen Palast verlassen. Sie wurde im März 59 n.Chr. in ihrer Villa ermordet. Außerdem ließ sich Nero von seiner Frau Octavia scheiden, er schickte sie in die Verbannung und gab 62 n.Chr. den Auftrag, ihr die Pulsadern aufzuschneiden und sie mit heißem Dampf zu ersticken. So geschah es auch. Damit konnte er seine Geliebte Poppaea Sabina heiraten. Sie gebar ihm 63 n.Chr. die Tochter Claudia, die aber nur vier Monate alt wurde. Poppaea starb zwei Jahre später möglicherweise nach einer Fehlgeburt, der Despot soll der Schwangeren in den Unterleib getreten haben. Im Jahr darauf heiratete Nero Statilia Messalina, die ihn als einzige seiner Frauen überleben sollte.
In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 64 n.Chr. bricht auf dem Circus Maximus ein verheerender Brand aus. Er breitet sich schnell aus und greift auf zehn der 14 Bezirke Roms über, wobei drei von dem Feuer, das neun Tage lang wütet, vollkommen zerstört werden. Schon bald wird Nero verdächtigt, den Brand eigenhändig verursacht zu haben, um beim Anblick des Flammenmeers Verse vom Untergang Trojas zu rezitieren. Das ist jedoch historischer Unsinn: Erwiesenermaßen weilte Nero zum Zeitpunkt des Brandausbruchs in seinem 50 Kilometer entfernten Heimatort Antium. Doch der Verdacht, dass Nero den Großbrand quasi als heiße Sanierung angestiftet hat, um Platz für seinen riesigen Neubau der Domus Aurea 19 ( ▶ G 6) zu schaffen, kann nie ausgeräumt werden. Zwar soll er persönlich an vorderster Front gegen die Flammen gekämpft und obdachlose Brandopfer in seine Gärten gelassen haben, doch fest steht auch: Nero produziert sich auffällig als genialer Erneuerer Roms. Er baut die Stadt größer und monumentaler denn je auf, inklusive neuer Brandschutzbestimmungen. Und politisch schlachtet er die Katastrophe derart aus, dass er der jungen christlichen Gemeinde die Schuld an dem Feuer gibt. Die ersten mörderischen Christenverfolgungen setzen ein.
MORD IST DAS STILMITTEL SEINER POLITIK
Der Wiederaufbau Roms – es geht sogar das Gerücht um, Nero wolle die Stadt in Neropolis umbenennen – verschlingt Unsummen, die Staatskasse ist innerhalb kürzester Zeit leer. Nero hat sich so verausgabt, dass er nicht einmal mehr den Sold für seine Soldaten bezahlen kann, was eine unmittelbare Gefährdung seiner Macht darstellt. Da lässt der Imperator tausendfach reiche Leute ermorden, um deren Vermögen zu konfiszieren. Er ordnet Steuererhöhungen an und schreckt am Ende nicht mal mehr vor der Plünderung der Tempelschätze zurück. So kommt es 65 n.Chr. zur Pisonischen Verschwörung, in die ein Großteil der Senatoren verwickelt sind. Nero lässt alle nur im Geringsten Verdächtigen hinrichten oder in den Selbstmord treiben, darunter auch seinen ehemaligen Lehrer Seneca.
Erst als in Gallien stationierte Legionen revoltieren und sich das Militär von ihm abwendet, handelt der Senat und erklärt Nero zum Staatsfeind. Der wählt am 9. Juni 68 n.Chr. wie viele seiner Opfer den Freitod. Seiner Nachwelt hinterlässt er noch einen letzten Satz: »Was für ein Künstler stirbt mit mir.« Dann rammt er sich mithilfe seines Sekretärs einen Dolch in den Hals.
Ausdruck seiner Eigenliebe und Machtbesessenheit war eine 36 Meter hohe Bronzestatue, die Nero mit einer Krone aus Sonnenstrahlen zeigte und die er in der Vorhalle seiner Domus Aurea aufstellen ließ. Inspiriert wurde er vom Koloss von Rhodos, einer 30-Meter-Figur des Gottes Helios, die 280 v.Chr. über der Hafeneinfahrt der Insel errichtet wurde und später einem Erdbeben zum Opfer fiel.
Als nach Neros Tod alle seine Standbilder in Rom zerstört wurden, ließ sein Nachfolger Vespasian auch den Bronzekopf des Nero entfernen und dem riesigen Standbild das Haupt des Sonnengottes Sol aufsetzen. Unter Kaiser Hadrian musste die Statue einem Tempel weichen. Sie wurde von 24 Elefanten 100 Meter weiter auf den Platz des neuen Amphitheaters transportiert. Die größte Arena der damaligen Welt hatten die Flavischen Kaiser auf dem Grundstück der Domus Aurea errichten lassen, ihr Name geht auf den Koloss des Nero zurück – das Kolosseum 16 ( ▶ G 6). Heute ist nur noch die quadratische Basis der Statue zu sehen. Ein kleines Mosaiksteinchen im Schreckensbild von Nero.
Piazza del Colosseo, Monti
▶ Metro: Colosseo
(wegen Einsturzgefahr u.U. keine Besichtigung möglich)
Via della Domus Aurea, Giardini di Colle, Monti
▶ Metro: Colosseo