Читать книгу Rom. Eine Stadt in Biographien - Susanne Wess - Страница 9

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SIMON PETRUS

unbekannt–ca. 64 n.Chr.

»Du bist Petrus und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen«, soll der Herr seinem Apostel gesagt haben. Auf diesen einen Satz geht das christliche Abendland zurück. Und der erste Papst in Rom.

War er wirklich hier, und wenn ja, wie mag er wohl ausgesehen haben? Wohl jede(r) der vier Millionen Pilger, die jedes Jahr in Rom nach den Spuren von Simon Petrus suchen, stellt sich diese Frage. Das Mysterium Petrus setzt nach allem, was wir von ihm gehört haben, allerlei Fantasien frei: Begegnen wir einem ergebenen Märtyrer oder einem leidenschaftlichen Missionar, dem im heiligen Zorn schon mal die Schwerthand ausrutschen kann, oder doch einem furchtsamen Menschen, der sich seinen bedingungslosen Gottesglauben mühsam erarbeitet hat? Dann sieht man an der Fassade des Petersdoms 36 ( ▶ A 4) eine Marmorfigur unbeirrbaren Ausdrucks – das Monument eines Heiligen, der den Schlüssel zum himmlischen Paradies besitzt. Ein Charakterschädel und ein Blick, der keinerlei Einwände duldet. Petrus, der Fels, auf dem die Kirche wurzelt.

Erstaunlicherweise weichen die optischen Petrus-Interpretationen selbst im Laufe der Jahrhunderte kaum vom Grundmuster ab. Stets wird ein ergrauter, bärtiger Lockenkopf dargestellt, der bisweilen an Haarausfall leidet. Eine patriarchalische Mischung von Großvater und Gerichtspräsident. Man könnte ihn auch ohne Untertitel erkennen. Und doch sind graduelle Unterschiede wahrzunehmen. Das Fresko in der Reverenda Fabbrica di San Pietro in den Vatikanischen Museen 31 ( ▶ A 3) zeigt einen Petrus aus der zweiten Hälfte des 13. Jh. Sein Blick ist ergeben, die herabgezogenen Mundwinkel könnten auf Zweifel schließen lassen, und die roten Wagen deuten darauf hin, dass dieser Mann vor dem Stadium seiner Askese das Leben in vollen Zügen genossen hat.

Voller düsterer Symbolik und nahezu fotografischer Eindringlichkeit ist Caravaggios Gemälde »Die Kreuzigung des heiligen Petrus« in der Cerasi-Kapelle von Santa Maria del Popolo 43 ( ▶ D 2): Ein fast nackter alter Mann wird kopfüber ans Kreuz genagelt, das von den Henkersknechten aufgerichtet wird. Wir spüren die Todesangst des Delinquenten, aber noch etwas ganz anderes. In seinem Blick glüht ein zorniger und schließlich alles hinwegfegender Kampfesmut, der das Opfer zum endgültigen Sieger macht.

Bildnisse eines Menschen, den Skeptiker zwar für eine Legende halten, dessen Historizität jedoch aufgrund übereinstimmender Angaben in den frühen Texten der Evangelien und archäologischen Funden angenommen wird. Außerdem glauben 2,1 Milliarden Christen an seine Existenz als Gründungsvater der Kirche, eine machtvolle Position, die so noch kein anderer Mensch innehatte. Nach der Überlieferung im Matthäus-Evangelium vertraute der Gottessohn Jesus seinem Jünger, dem Apostel Petrus, seine Kirche an. Die katholische Kirche sieht ihn als ersten Papst. Seither geht diese Führungsgewalt, die Jesus auf ihn übertragen hat, von einem auf den nächsten Papst über. Alle Päpste sind bis heute gleichzeitig Bischof von Rom und Oberhaupt der katholischen Kirche, alle führen den Titel »Stellvertreter Christi auf Erden«.

Zurück zu den Anfängen: Simon, den alle Evangelien so nennen und dessen Geburtsjahr unbekannt ist, lebte mit Frau und Kindern in Kafarnaum am See Genezareth. Gemeinsam mit seinem Bruder Andreas wurde er von Jesus zum Jünger berufen. »Als er aber am Galiläischen Meer entlangging, sah er Simon und Andreas, Simons Bruder, wie sie ihre Netze ins Meer warfen, denn sie waren Fischer. Und Jesus sprach zu ihnen: ›Folgt mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen!‹ « (Markus 1, 16–17).

Diese Szene, die Berufung von Petrus und Andreas, hat Caravaggio um 1604 in einem Gemälde dargestellt, das sich im Besitz der Königin von England befindet. Eine andere häufige Kunstdarstellung ist die Befreiung von Petrus aus dem Kerker. Nach der christlichen Mythologie hatte der jüdische König Herodes I. einige Jünger, die nach Tod und Wiederauferstehung Jesu das Lob des Herrn priesen, festnehmen lassen, unter ihnen auch Petrus. Sein Freund Jacobus, ein Bruder des Johannes, wurde sofort enthauptet; Petrus sollte am nächsten Tag sterben. Da geschah das Wunder: Ein Engel erschien im Verließ, die Ketten fielen von Petrus ab, der Apostel konnte ungehindert an den schlafenden Gefängniswächtern vorbeigehen und entkommen. Raffael hat diese Szene in einem Fresko in der Stanza di Eliodoro im Vatikanspalast oder Apostolischen Palast dargestellt. Die Ketten werden heute im Reliquienschrein der römischen Kirche San Pietro in Vincoli (St. Peter in Ketten) 41 ( ▶ G 6) verwahrt. Fresken von Paris Nogari erinnern dort auch an Petrus, den ersten Bischof von Rom.

In der Apostelgeschichte nimmt Simon im Kreise der Jünger Jesu eine Sonderstellung ein: Er missioniert als Einziger außerhalb Jerusalems, er wird vom verklärten Jesus als Fels (griechisch: petros) erwählt, auf dem der Gottessohn seine Kirche bauen will, und er erhält »die Schlüssel des Reichs der Himmel«. Nach der katholischen Lehre soll Petrus nach Rom gereist sein; es wird überliefert, dass er in Santa Maria di Leuca an Land ging, die Menschen dort vom Minervakult zum Christentum bekehrte und die Stadt der Muttergottes Maria widmete. Demnach ist die aus dem Minervatempel hervorgegangene Kirche (43 n.Chr.) die älteste in ganz Europa. In Rom soll er von 33 bis 67 n.Chr. als Leiter der jungen christlichen Gemeinde gewirkt haben und dem Apostel Paulus begegnet sein. Kaiser Nero gab den beiden die Schuld am Tod seines Hofmagiers Simon und ließ sie in das Gefängnis Carcere Mamertino werfen.

PETRUS FÜGT SICH IN DEN MÄRTYRERTOD

Petrus gelingt es, sich der Hinrichtung zu entziehen. Bei seiner Flucht erscheint ihm Christus auf der Via Appia. Und nun kommt es, der Überlieferung zufolge, zu der berühmten Szene: »Quo vadis, Domine?«, fragt Petrus, »wohin gehst du, Herr?« Jesus antwortet: »Ich gehe nach Rom, mich ein zweites Mal kreuzigen zu lassen.« Da beschließt Petrus, der seinen Herrn und Meister bereits in der Nacht vor seinem Erlösertod von Jerusalem aus Angst dreimal verleugnet hat, zu Neros Schergen zurückzukehren; er fügt sich in den Märtyrertod. Im Zirkus des Nero, dort, wo heute der Petersdom 36 ( ▶ A 4) steht, wird er ans Kreuz geschlagen, auf eigenen Wunsch mit dem Kopf nach unten, weil er sich nicht für würdig hält, wie sein Heiland zu sterben. Das soll im Jahr 64 n.Chr. geschehen sein.

Sein Leichnam soll auf dem Vatikanischen Hügel bestattet worden sein. Kaiser Konstantin ließ über seinem Grab um 324 die erste Petersbasilika bauen (auch Alt Sankt Peter genannt), die abgerissen und ab 1506 im Auftrag von Papst Julius II. durch den monumentalen Bau der Peterskirche, des größten Gotteshauses der Welt, ersetzt wurde; deren Altar befindet sich über dem angenommenen Petrusgrab. Bei archäologischen Nachuntersuchungen fand man unter dem Säulenmonument tatsächlich ein schlichtes Grab aus dem 1. Jh., das allerdings leer war, im Gegensatz zu rundherum angeordneten Erdgräbern aus dem gleichen Zeitalter, sie enthielten Knochen von Personen verschiedenen Alters und Geschlechts. Einige Wissenschaftler deuten das als Hinweis auf eine frühchristliche Kultstätte, die auf Petrus zurückzuführen ist.

Petrus’ Romaufenthalt ist zwar historisch nicht zu belegen, doch die kirchlichen Schriftsteller gehen bereits im 2. Jh. n.Chr. wie selbstverständlich davon aus. Für alle apostolischen Nachfolger auf dem Heiligen Stuhl ist Simon Petrus der menschliche Ahnherr des Christentums, der größten Religionsgemeinschaft der Welt. Die Geschichte verzeichnet insgesamt 304 kirchenhistorisch relevante Päpste; davon waren 31 Gegenpäpste in Rom, fünf in Avignon, zwei in Pisa. Bleiben noch 266 Päpste, von denen 261 in Rom residierten. Die Päpste Stephan II., Coelestin IV. und Hadrian V. starben noch vor der Weihe.

In der 2000-jährigen Papstgeschichte tauchen Heilige auf und Visionäre, Machtpolitiker, Papstkönige und Intriganten, Einfältige und Despoten, die auch vor Mord nicht zurückschreckten. Der Vatikan, das älteste noch existierende Staatsgebilde der Welt, inszenierte sich über viele Jahrhunderte hinweg mit dem Prunk und Anspruch einer absoluten Weltmacht, die oft nicht nach christlichen Maßstäben, sondern nur nach ihrer Interessenslage agierte. Andererseits stellte die Kirche mit dem Papst an der Spitze bisweilen eine unwiderstehliche moralische Autorität dar, die diktatorische Weltreiche zum Einsturz bringen konnte. Berühmte (und umstrittene) Päpste waren, um nur einige zu nennen:

Gregor VII. (1073–1085) gilt als einer der bedeutendsten Päpste überhaupt, Zeitgenossen nannten ihn durchaus anerkennend die »Zuchtrute Gottes« oder den »heiligen Satan«. Er kämpfte für die Vorrangstellung der geistlichen Gewalt gegenüber den weltlichen Machthabern und verhängte gegen den deutschen König Heinrich IV. den Kirchenbann, worauf dieser zum Kirchenoberhaupt über die Alpen nach Canossa pilgerte, um Abbitte zu leisten.

Sixtus IV. (1471–1484) war der Erbauer der Sixtinischen Kapelle. Er sah das Pontifikat als dynastische Chance, verlieh sechs Familienmitgliedern die Kardinalswürde und förderte seine unehelichen Söhne.

Alexander VI. (1492–1503) war aus dem Geschlecht der Borgia und ein skrupelloser Machtpolitiker. Er liebte die Frauen, stand zu seinen zahlreichen Kindern und hielt Hof wie ein Feudalfürst. Giovanni di Medici, der spätere Papst Leo X., soll bei seinem Amtsantritt gesagt haben: »Jetzt sind wir in den Fängen des vielleicht wildesten Wolfs, den die Welt je gesehen hat.«

Julius II. (1503–1513) gründete zum Schutz seiner Person die päpstliche Leibwache Schweizergarde und legte 1506 den Grundstein für den Petersdom 36 ( ▶ A 4).

Leo X. (1513–1521) war kein Geistlicher; der Medici-Fürst musste nach seiner Wahl erst zum Bischof geweiht werden und soll dann gesagt haben: »Da Gott Uns das Pontifikat verliehen hat, so lasst es Uns denn genießen.« Er liebt die Jagd, ausschweifende Feste und Karnevalsumzüge und soll so große Schulden hinterlassen haben, dass man bei seinem Begräbnis noch nicht mal Kerzen anzünden konnte.

Diese Bandbreite der Historie geht mit all ihrem Glanz und Elend auf jenen einfachen heiligen Mann zurück, der aus der Armut am See Genezareth kam. Sein Grab ist das Fundament der Kirche im wahrsten Sinne des Wortes. Wer ihm die letzte Ehre erweisen will, kann nicht so ohne Weiteres zu ihm vordringen. Der Besuch des Petrusgrabes in der unterirdischen Gräberstadt, die Archäologen um 1950 freigelegt haben, bedarf einer schriftlichen Anmeldung im Ufficio Scavi, neben der Sakristei des Petersdoms. Es werden auch E-Mails akzeptiert (scavi@fsp.va).

MUSEI VATICANI, REVERENDA FABBRICA DI SAN PIETRO 31A 3

Viale Vaticano, Borgo

mv.vatican.va

▶ Metro: Cipro-Musei Vaticani

PETERSDOM, FASSADE UND PETRUSSTATUE 36A 4

Piazza San Pietro, Borgo

▶ Metro: Ottaviano-San Pietro

SAN PIETRO IN VINCOLI, FRESKEN UND RELIQUIENSCHREIN 41G 6

Via delle Sette Sale, Monti

▶ Metro: Colosseo, Cavour

SANTA MARIA DEL POPOLO, CAPPELLA CERASI 43D 2

Piazza del Popolo, Campo Marzio

▶ Metro: Flaminio-Piazza del Popolo

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