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AUF DER INSEL REICHENAU

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Marianne lädt sie zu einem verlängerten Wochenende ein und so fahren sie am Freitagmorgen los. Sie haben Glück, denn eine warme Sonne unter einem wolkenlosen Himmel begrüßt den Morgen und begleitet sie an den Bodensee.

Als sie auf die Insel abbiegen, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Zu beiden Seiten funkelt der See in einem leuchtenden Mittelblau durch das hohe Schilfgras, während die hellgrünen Pappeln der Reichenauer Allee den Eindruck vermitteln, als säumten sie einen Weg auf eine Märcheninsel. Die alte Ruine, am Ende der Allee, verstärkt diesen Eindruck. Auch Klara fühlt sich der Realität entrückt. Wenn ich diesen kleinen Teil der Insel beschreiben müsste, würde ich Attribute wählen wie romantisch, märchenhaft, verträumt, fast eine eigene kleine Welt, überlegt sie, während sie zum Fenster hinausblickt. Seit sie auf der Insel angekommen sind, haben ihre Aufgeregtheit und Angst einer angenehmen Entspanntheit Platz gemacht. Seit Wochen ist das ihr erster großer Ausflug in die Welt nach draußen. Staunend und dankbar erlebt sie sich wieder als einen kleinen Teil davon.

Das alte Häuschen von Marianne steht direkt am See. Blauweißes Fachwerk ziert die leicht schiefen, dicken Mauer, in denen die blauen Fensterchen wie kleine Augen wirken, die munter in die Welt schauen. Einen heimeligen Eindruck vermittelt zudem das spitzwinkelige, rote Giebeldach. In einem leicht verwilderten Vorgarten steht ein alter, krummer Apfelbaum, der seinen Schatten einer kleinen Sitzecke spendet, die aus einer hellgrünen Holzbank, einem runden Tisch und zwei ebenfalls hellgrünen Holzstühlen besteht. Überall blüht es in vielen Farben. Das sanfte, helle Bimmeln von kleinen, tibetischen Messingglöckchen, die der leichte Seewind hin und her schwingt, ist zu hören und mischt sich mit dem leisen Geplätscher des Sees und dem zänkischen Geschrei einzelner Möwen. Sie betreten den Garten. Marianne hat das Auto schon gehört und öffnet die Haustür. Sunny springt ihr aufgeregt schnüffelnd entgegen. Nachdem sie zuerst den Hund begrüßt hat, wendet sie sich Margo und Klara zu, die sie beide herzlich umarmt.

»Ich freue mich, dass ihr da seid!« Kurz führt sie die beiden durch das Haus, zeigt ihnen ihre Zimmer, wo sie ihr Gepäck abstellen können und lässt sie einen Blick durch die geöffnete Terrassentür des Wohnzimmers werfen. Dem Auge bietet sich ein weiter Blick direkt auf den See.

»Du wohnst wirklich wunderschön. Ich bin jedes Mal aufs Neue begeistert«, schwärmt Margo. »Und jede Jahreszeit entfaltet tatsächlich ihren eigenen Zauber am See.«

»Das stimmt schon, aber dieses Jahr hat sich der Nebel hier wochenlang zäh niedergelassen. Während in anderen Gegenden schon die Frühlingswärme zu spüren war, haben wir in dieser permanenten Feuchtigkeit gefroren. Das ist so eine ekelige und durchdringende Kälte, vor allem wenn der Ostwind dazu kommt. Aber es hat halt alles seinen Preis. Auch das Paradies kostet.« Marianne fährt sich mit der Hand durch ihre dunklen, halblangen Haare und lacht laut.

Sie haben sich zu einem zweiten Frühstück unter dem Apfelbaum niedergelassen. Sunny sitzt mit erhobener Nase neben dem Tisch. Eine rotbraun getigerte Katze, die souverän durch den Garten schlendert, erklärt Sunnys Erregtheit. Die Katze scheint keine Berührungsängste zu kennen, denn sie kommt direkt auf die Sitzecke zu.

»Hat dein Hund etwas gegen Katzen?«

»Nein, im Gegenteil, sie liebt sie, vor allem von Margos Kater ist sie begeistert.« Klara streichelt Sunny über die strubbeligen Haare.

»Dann kannst du sie ruhig von der Leine lassen, denn Manu mag Hunde und ist auch an sie gewöhnt.« Vorsichtig nähert sich Sunny der Katze, hält dabei aber eine gewisse Distanz zu ihr.

»Ich habe mir gedacht, dass wir den heutigen Tag einfach nur genießen. Ich habe mir frei genommen und so können wir später einen Spaziergang über die Insel machen, beim Campingplatz einen Kaffee trinken, ihr könnt mit dem Ruderboot auf den See oder einfach im Garten bleiben, in der Sonne faulenzen und die Sicht auf den See genießen.« Marianne möchte, dass Klara sie in einem entspannten Zusammensein besser kennenlernt und Vertrauen fasst, denn sie spürt deren Unsicherheit und Erwartungsdruck. Der Vorschlag wird von beiden freudig angenommen. Zuerst unternehmen sie einen ausgiebigen Spaziergang über die Insel, trinken Kaffee in Mittelzell. Mittags geht Margo mit dem Boot auf den See, während es Klara vorzieht, am sicheren Ufer zu bleiben. Sie macht es sich mit ihrem Buch auf einem Liegestuhl gemütlich.

Am nächsten Morgen wird Klara durch lautes Vogelgezwitscher geweckt. Die Sonne scheint durch das kleine Fenster und sie hört das leise Geplätscher der Enten auf dem See. Sie hat sehr gut geschlafen und spürt eine Energie in sich, die sie schon lange nicht mehr empfunden hat. Genüsslich streckt sie sich und verlässt schwungvoll das Bett. Margo und Marianne erwarten sie bereits am gedeckten Frühstückstisch unter dem Apfelbaum.

»Guten Morgen, ihr Lieben. Seid ihr schon lange wach? Bin ich zu spät?« Klara setzt sich und schenkt sich eine Tasse Tee ein.

»Guten Morgen Klara. Wir sind auch gerade erst gekommen. Hast du gut geschlafen?« Marianne streichelt Sunny, die neben Klara aufgetaucht ist.

»Ja, danke, sehr gut. Du auch, Margo?«, fragt Klara.

Margo nickt bejahend, denn sie hat den Mund voll.

»Ich möchte heute nach Konstanz zum Einkaufen und fahre früh los, um die Stadt noch einigermaßen leer zu erleben.« Margo schenkt sich ein Glas frischgepressten Orangensaft ein. »Haben wir es nicht gut?«, fragt sie begeistert. »Wir sitzen an einem warmen Tag am Ufer des Bodensees und frühstücken im Garten. Gibt es etwas Schöneres?«

Marianne und Klara stimmen ihr lachend zu.

Klara hat heute Morgen ihre erste Sitzung bei Marianne. »Ich finde, wir bleiben bei diesem schönen Wetter im Garten«, schlägt sie vor. Das ist Klara sehr recht. Draußen fühlt sie sich freier und ungezwungener.

Klara erzählt Marianne von ihren Träumen, die seit dem plötzlichen Tod ihrer Mutter wieder vermehrt auftreten und in ihr Angst und Schlafstörungen auslösen. Ihre Panikattacken, die sie so plötzlich überfallen haben und mittlerweile ihre Angst vor der Angst sind Themen in dieser ersten Stunde.

»Ich hoffe, dass du mir helfen kannst, wieder gesund zu werden.« Klara schaut Marianne hoffnungsvoll an.

»Viele meinen, allein der Besuch bei einem Therapeuten würde schon genügen, um gesund zu werden. Das ist ein Irrglauben, mit dem man heutzutage viel Geld verdient. Therapie bedeutet immer, an sich selbst zu arbeiten. Der Therapeut gibt nur Impulse, umsetzen muss sie der Klient selbst. Das kann unter Umständen sehr schmerzhaft sein, denn das heißt, mit eigenen Schattenanteilen konfrontiert zu werden, alte Traumata, Verdrängtes oder Unverarbeitetes aufzudecken oder noch einmal zu durchleben. Ein Therapeut kann nicht heilen. Gesundwerden kann der Mensch nur aus sich selbst heraus und den Weg dorthin, muss er allein gehen. Verstehst du, was ich damit sagen möchte?«, fragt Marianne.

Klara nickt beklommen. Ihr wird es erst jetzt richtig bewusst, dass sie einen weiten Weg zurücklegen muss.

»Ich werde mitarbeiten, denn ich möchte wieder ganz gesund werden!«

»Sehr gut, dann beginnen wir mit der Therapie.«

Am nächsten Tag fährt Margo allein nach Stuttgart zurück. Klara hat sich entschlossen, mit Sunny eine längere Zeit bei Marianne zu bleiben. Für Klara beginnt eine interessante Zeit.

Ein klar strukturierter Tagesplan wird aufgestellt. Meditation, Yoga und Atemübungen, Spazierengehen, gesunde, vollwertige Ernährung und frühe Bettruhe stehen auf dem Programm. Gespräche, Malen, Plastizieren und Tagebuchschreiben füllen ihre Zeit aus. Als Klara ihre Träume schildert, fragt Marianne, ob sie eine Schwester gehabt hätte, die gestorben sei, was Klara aber verneint. Marianne versetzt Klara daraufhin in Hypnose: Sie führt sie in das Alter von drei Jahren zurück. Klara geht einen Weg entlang. Plötzlich steht sie vor einem großen, schmiedeeisernen Tor, das verschlossen ist. Das Weitergehen wird ihr verwehrt. Marianne fragt sie, was sie sieht, wenn sie durch die Eisenstäbe des Tores schaut. Klara kann nichts erkennen, denn dahinter ist alles schwarz. Aber aus der Ferne ertönt Meeresrauschen und sie hört das bitterliche Weinen eines Kindes. Als Klara beginnt, unruhig zu werden, führt Marianne sie aus der Hypnose zurück. Die Türe zu ihrer Kindheit scheint noch fest verschlossen zu sein!

Klara erzählt viel von ihrer verhärteten, abweisenden Mutter und dem Vater, der die Familie verlassen hat, als sie gerade fünf Jahre alt war.

»Wie sind deine Gefühle zu ihnen?«

»Wenn ich an meine Mutter denke, dann fühle ich Schmerz über ihre Ablehnung und auch Ärger und Wut. Trauer über ihren Tod fühle ich momentan nicht. Meinem Vater kann ich seinen Weggang nicht verzeihen!« Auch von ihrer Ehe mit Jens berichtet sie und das erste Mal kann sie mit jemandem über den Schmerz und den Hass sprechen, mit dem sie seit bald zwanzig Jahren lebt. Auch ihm könne und wolle sie nicht verzeihen.

Klara geht nach dieser schmerzhaften Stunde bei Marianne mit Sunny spazieren. Die Erinnerungen kommen ganz unvermittelt und mit einer solchen Klarheit, dass sie sich auf eine Bank setzen muss. Sie erlebt wieder die Freude ihrer Schwangerschaft. Sie ist jetzt schon im fünften Monat. Ihr Baby, es wird ein Mädchen, ist lebhaft und strampelt. Sie freut sich, die Bewegungen ihres Kindes zu spüren. Sie wollen sie Lena nennen. Auf diesen Namen haben sie sich endlich geeinigt. Lena, mein kleiner Schatz, spricht sie in Gedanken mit ihr. Ich freue mich, wenn du bald bei uns bist. Jens kommt an diesem Tag früher nach Hause, denn sie sind am Abend zu einer Party eingeladen. Klara hat keine Lust und möchte zu Hause bleiben und es sich auf der Couch gemütlich machen, doch Jens überredet sie mitzukommen. Auf der Heimfahrt passiert es dann. Jens merkt zu spät, dass die Straße gefroren ist. Er fährt zu schnell und kommt ins Schleudern. Das Auto überschlägt sich und bleibt auf dem Dach an einem Baum liegen. Als Klara wieder zu sich kommt, liegt sie schwer verletzt im Krankenhaus. Jens hat Glück gehabt, er ist nur leicht verletzt. Klara aber hat ihr Kind verloren! Sie gibt Jens die ganze Schuld an dem Unglück. Er hat ihr Kind umgebracht! Das kann und will sie ihm niemals verzeihen. Daran zerbricht ihre Ehe.

Klara hat in den vielen Jahren nie darüber gesprochen, auch die Trauer hat sie nicht zugelassen. Nun kann sie endlich um ihr Kind weinen und trauern.

Die Tage vergehen und Klara geht es mit jedem Tag ein wenig besser.

»Marianne, soll ich die Medikamente absetzen? Was meinst du?«, fragt sie eines Tages.

»Das musst du selbst entscheiden. Du kannst die Tabletten schrittweise absetzen, aber sage mir dann bitte Bescheid.« Klara beginnt wieder zu malen. Oft sitzt sie stundenlang am See, schaut den majestätisch dahingleitenden Schwänen zu, beobachtet die Fischreiher, die auf einem Bein stehend, stundenlang mit ihrem Blick in die Ferne schweifen und freut sich an den Entenfamilien, die aufgeregt piepend ihre Runden drehen. Sie erfreut sich am hohen Schilfgras, das sich sachte im Wind wiegt und das im Sonnenlicht silbern glänzt. Die Natur lässt sie jede Menge Motive entdecken und es entstehen hübsche Blumenaquarelle und stimmungsvolle Landschaftsbilder in Acryl. Das Malen, die Ruhe und der Frieden, den der See mit seiner schönen Umgebung ihrer Seele schenkt, lassen sie mit jedem Tag mehr gesunden. Sie hat noch einen weiten Weg vor sich, das ist ihr mittlerweile klargeworden, denn in der Tiefe ihrer Seele ist ein Schmerz verborgen, der angeschaut und geheilt werden möchte, doch sie fühlt, dass sie auf einem guten Weg ist.

Mittlerweile sind drei Wochen vergangen. Klar geht es ohne ihre Medikamente gut. Sie ist aktiver und das nebelige Gefühl, wie sie zu Marianne sagt, sei weg. Manchmal träumt sie ihren üblichen Traum, aber er ängstigt sie nicht mehr. Marianne hat ihr erklärt, dass Träume aus dem Unbewussten aufsteigen können, um Botschaften zu vermitteln, um zu zeigen, dass vielleicht etwas im Leben nicht in Ordnung ist oder auch um Tageseinflüsse verarbeiten zu können.

Panikattacken hat sie hier keine mehr bekommen.

Sie sitzen sich unter dem Apfelbaum gegenüber und genießen seine schattige Kühle, denn der Sommer hat sich am Bodensee niedergelassen und Hitze mitgebracht. Marianne sieht Klara prüfend an.

»Ich denke, dass deine Zeit hier bald vorbei ist. Du hast deinen Schmerz um den Verlust deines Kindes endlich zugelassen und konntest darum trauern. Das ist ein Erfolg. Die Panikattacken und die Angstgefühle sind bisher nicht wiedergekommen und du hast gelernt, was du tun kannst, wenn die Angst wieder auftreten sollte. Doch ich habe bei dir den Eindruck gewonnen, dass du noch sehr viel Wut und Groll in dir trägst. Wenn du wirklich ganz gesund werden möchtest, dann solltest du Vergebungsarbeit leisten, bei deinen Eltern und bei deinem Mann. Ich könnte mir vorstellen, dass es gut wäre, wenn du dich auf die Suche nach deinem Vater begibst. Ich habe so ein Gefühl, dass das dir weiterhelfen könnte. Vielleicht bringt dir ein Gespräch mit ihm Klarheit und Erkenntnisse über deine Kindheit. Ich kann dir im Moment nicht mehr weiterhelfen, du musst nun allein weitergehen.«

Klara schaut Marianne bestürzt an.

»Aber wie soll ich ihn denn finden, ich weiß ja gar nicht, wo er lebt!«

»Wenn du ihn finden möchtest, dann wird sich zum richtigen Zeitpunkt eine Türe öffnen. Vertraue auf deine Führung.«

»Wer soll mich denn führen?«

»Gott wird deine Seele führen und dir den richtigen Weg zur richtigen Zeit aufzeigen. Aber du musst es wollen!« Klara steht ärgerlich auf. Sie braucht jetzt Bewegung. Mit Sunny macht sie sich auf zu einem Spaziergang zum Campingplatz. Sie ist enttäuscht von Marianne. Sie lässt mich einfach allein. Meinen Vater finden! Auch wenn ich seine Adresse hätte, möchte ich ihn nicht sehen! Es ist gemein, mich jetzt wegzuschicken! Wenn Klara aber ehrlich zu sich wäre, dann müsste sie zugeben, dass sie das behütete Leben hier genießt und Angst davor hat, sich zuhause dem Alltäglichen zu stellen. Bei Marianne fühlt sie sich geborgen und beschützt.

Sie läuft mit schnellen Schritten auf einem Feldweg an den Gewächshäusern entlang zum Campingplatz. Unterwegs muss sie einige Male stehenbleiben und sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischen, denn die Sonne scheint heiß auf den schattenlosen Weg. Sunny sieht ab und zu mit erstaunten Blicken zu hier hinauf. Sie kommt zum Restaurant, setzt sich an einen Tisch mit See Sicht und bestellt eine Cola, in der köstlich kalte Eiswürfel schwimmen. Sunny hat sich unter den Tisch verzogen und schlabbert ausgiebig das kalte Wasser aus dem Hunde Napf, den Klara vor ihr auf den Boden gestellt hat. Klaras Blick verliert sich in der Weite des Sees. Langsam wird sie ruhiger. Ich habe Angst vor dem Alltag daheim, gesteht sie sich ein. Ich möchte so gerne wieder arbeiten. Was ist, wenn die Angst wiederkommt? Sie hat in den letzten Wochen in einer heilen Welt gelebt, irgendwann muss sie sich dem alten Leben wieder stellen, das ist ihr bewusst. Margo hat sie sehr unterstützt, aber auf die Dauer kann sie die Galerie nicht allein führen, das ist ihr klar.

Mittlerweile sind alle Tische draußen besetzt und etliche Leute haben sich mit ihren Fotoapparaten und Stativen am Strand niedergelassen. Kurz darauf weiß Klara auch warum. Die Sonne versinkt als riesiger Feuerball im See, verfärbt den Himmel rot und zeichnet eine orangerote Bahn auf das Wasser. Es ist ein grandioses Schauspiel, das die Natur hier bietet und das viele Fotografen mit ihren Kameras einfangen möchten. Klara spürt, wie die rote Kraft des Feuerballs auch ihre Seele mit Kraft und Energie erfüllt. Dumm, dass ich so ärgerlich reagiert habe, denkt sie. Marianne gibt sich so viel Mühe mit mir.

Sie haben schöne, harmonische Tage miteinander verbracht. Die Gespräche mit ihr haben bei Klara einiges aufgedeckt, sie sieht jetzt vieles klarer.

Doch diese Vergebungstheorie kann sie nicht teilen. Sie kann ihnen nicht vergeben und nach ihrem Vater zu suchen, kommt für sie schon gar nicht in Frage.

Als Klara nach Hause kommt, dämmert es bereits. Sie findet Marianne auf der Terrasse hinter dem Haus. Von dort hat man einen wunderschönen Blick direkt auf den See. Marianne hat viele Kerzen angezündet und sitzt, eine zufrieden schnurrende Manu auf dem Schoss, vor einem Glas Rotwein, das rubinrot im flackernden Kerzenlicht leuchtet.

»Hallo, darf ich mich zu dir setzen?« Klara steht zögernd an der Terrassentür.

»Ja, gerne, bring dir ein Glas aus der Küche mit.« Sunny nimmt Anlauf und springt neben Marianne auf die Bank und lässt sich zufrieden auf einem Kissen neben Manu nieder. Klara setzt sich neben Marianne und schenkt sich ein Glas Rotwein ein.

»Es tut mir leid, dass ich so ärgerlich reagiert habe.«

»Das ist eine ganz normale Reaktion. Es macht erst einmal Angst, wieder in die normale Welt zurückzukehren. Doch ich finde, dass du sehr gestärkt und erholt nachhause gehst und du hast hier gelernt, wie du mit der aufkommenden Angst umzugehen hast. Aber du solltest das, was du dir hier in den letzten Wochen angeeignet hast, natürlich auch daheim anwenden. Viele kehren aus der Klinik zurück und fallen sofort wieder in ihre alten Muster und Lebensweisen, dann ist der Rückfall vorprogrammiert.«

Klara nickt. »Aber ich habe Angst, dass die Panikattacken und die gedrückten Stimmungen wiederkommen!« »Denk dran, die Angst und eine negative Einstellung ziehen Angst und Probleme an. Du bestimmst, wie positiv oder wie negativ dein Leben weitergeht. Du bist die Gestalterin, nicht die anderen. Denke auch noch einmal über das Vergeben nach. Mit Groll und Hass im Herzen kann keine Heilung stattfinden. Übrigens findest du dazu gute Literatur in der Buchhandlung. Ich kann dir dazu auch ein Buch ausleihen, wenn du magst.« Doch Klara geht auf den Vorschlag nicht weiter ein.

Die beiden Frauen sitzen noch lange in der lauschigen Lounge und genießen die warme Sommernacht. Die einzige Lichtquelle auf der Terrasse entspringt aus den vielen Kerzen, die Marianne aufgestellt und angezündet hat. Der See wird von einem hellen Mondlicht beleuchtet, das eine silberne Spur auf seine ruhige Oberfläche zeichnet. Immer wieder schwirren Fledermäuse knapp über ihren Köpfen und drehen gekonnt ihre kurvenreichen Flüge.

Die verbleibende Zeit vergeht für Klara wie im Fluge. Die Hitze hält weiterhin an, so dass sie ihre Tage mit Baden, Malen und Spazierengehen ausfüllt.

»Wann wollte Margo kommen?«, fragt Marianne Klara, die träge in der Hängematte liegt und den Schatten genießt, den ihr das Blätterdach des großen Apfelbaumes spendet. Diese streckt ihren Arm aus, um nach dem Wasserglas zu hangeln, das auf einem kleinen Holztisch steht und verliert dabei beinahe das Gleichgewicht. Marianne greift helfend ein, indem sie die schaukelnde Hängematte festhält.

»Jetzt wäre ich fast aus der Matte gekippt«, meint Klara lachend und nimmt genüsslich einen großen Schluck aus ihrem Glas.

»Sie hat gesagt, wenn es keinen Stau gibt, dann ist sie am späten Nachmittag hier.«

Am Abend sitzen die Freundinnen auf der Terrasse. Klara hat einen griechischen Salat zubereitet, dazu gibt es warmes Baguette, Käse und einen halbtrockenen, italienischen Rotwein, den Margo mitgebracht hat. Marianne hat ein köstliches Tiramisu beigesteuert.

»Es ist schön, wieder hier bei euch zu sein und dazu das fantastische Essen.« Margo seufzt genüsslich und lehnt sich in die Polster zurück. »Jetzt bin ich so was von satt«, stellt sie zufrieden fest.

»Ich auch«, erwidert Klara. »Kommt, lasst uns auf meine schöne und erfüllte Zeit und auf meinen letzten Abend hier anstoßen. Vielen Dank Marianne! Für alles, was du für mich getan hast.«

Sie lassen die Gläser aneinander klingen und Klara umarmt Marianne mit Tränen in den Augen.

»Auch ich möchte mich bei dir für dein Vertrauen und deine Mitarbeit bedanken. Es war für mich ebenfalls eine sehr tiefe und schöne Zeit. Und jetzt bin ich froh, wenn ich ab morgen endlich wieder meine Ruhe habe«, betont sie lachend. Alle drei heben noch einmal ihre Gläser und prosten sich zu.

»Trinken wir auf ein glückliches Wiedersehen«, sagt Margo.

Leas Steine

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