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DIE ENTSCHEIDUNG

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Langsam arbeitet sich Klara wieder ein. Sie besucht einige Künstler, wählt Bilder und Objekte aus und stellt Ausstellungen zusammen. Sie achtet auf sich, schaut auf ihre Ernährung und versucht Stress zu vermeiden, aber von einer versöhnlichen Stimmung ist sie noch weit entfernt. »Wir sollten jetzt endlich Mamas Wohnung ausräumen, dass wir sie bald zum Verkauf anbieten können. Ich könnte das Geld gut gebrauchen. Bist du wieder fit genug?« Andreas sitzt bei Klara im Wohnzimmer.

»Ja, wir müssen endlich damit anfangen«, murmelt Klara kleinlaut. Am liebsten würde sie sich davor drücken. Sie hat Angst vor den Gefühlen, die aufsteigen, wenn sie sich in der Wohnung ihrer Mutter befinden und ihre Sachen aussortieren. Die Gespenster der Kindheit!

Sie reservieren sich dafür das kommende Wochenende. Klara freut sich über Andreas’ Engagement, aber sie weiß auch, dass es ihm vor allem um sein Erbe geht. Die Möbel und anderes sperriges Gut lassen sie von einer Entrümpelungsfirma abtransportieren, um die kleinen Dinge müssen sie sich wohl oder übel selbst kümmern und das heißt, sich noch einmal mit Erinnerungen und aufsteigenden Gefühlen auseinanderzusetzen.

Den Kleiderschrank ihrer Mutter zu leeren, kostet Klara die größte Überwindung, denn seit sie denken kann, war der Schrank ihrer Mutter verschlossen, für die Kinder ein absolutes Tabu! Sie erinnert sich, wie gerne sie nur ein einziges Mal in den Schrank geschaut, an den Kleidern ihrer Mutter den leichten Parfumgeruch geschnuppert hätte, um wenigstens auf diese Weise eine Nähe zu ihr herstellen zu können. Doch der Schlüssel wurde sicher im verschlossenen Schreibtisch ihrer Mutter verwahrt. Zögernd, als täte sie etwas Verbotenes, öffnet sie den Schrank.

Teure Designer Kleider, Abendroben, teilweise noch mit Preisschildern versehen, hängen wohlgeordnet in Plastikhüllen auf den Bügeln. Im unteren Teil des Schrankes stehen die passenden Schuhe und Handtaschen. Klara holt tief Luft.

»Andreas komm einmal ins Schlafzimmer! Schnell!«

Sie kann nicht fassen, was sie da sieht. Der teure Traum ihrer Mutter! Seit sie sich erinnern kann, hatten sie nie genügend Geld. Der Vater habe kaum Unterhalt bezahlt, klagte ihre Mutter ständig. Wenn andere Kinder auf Klassenfahrten gingen, mussten Andreas und sie zu Hause bleiben, da nicht genügend Geld vorhanden war.

Andreas fehlen die Worte.

»Das kann doch nicht wahr sein! Für uns hat es kaum gelangt und hier hängen diese teuren Fummel, die sie noch nicht einmal getragen hat!« Andreas reißt die Kleider ärgerlich von den Bügeln. Schweigend füllen sie die Kleidersäcke. Jeder hängt seinen eigenen düsteren Gedanken nach.

Klara nimmt sich nun noch den Schreibtisch vor, dann ist die Wohnung endlich leer. Sie findet jede Menge alte Rechnungen und Prospekte, die sie sofort in den Papiersack steckt. Plötzlich hält sie in ihrer Bewegung inne. Ein adressiertes Briefkuvert weckt ihr Interesse. Klaus Winter liest sie. Ihre Mutter hat an ihren Vater geschrieben! Klara dreht das Kuvert um. Es ist zugeklebt. Mit zitternden Händen lässt sie den Brief in ihrer Tasche verschwinden. Jetzt im Moment möchte sie ihn Andreas nicht zeigen.

»So fertig!« Andreas kommt ins Zimmer. »Wie weit bist du?«

»Ich bin auch fertig.« Müde steht sie auf. »Morgen kann die Putzfrau kommen und übermorgen geht der Schlüssel an den Makler.«

Aufatmend verlassen sie die nun leere Wohnung. Jetzt ist die Kindheit endlich abgeschlossen, denkt Klara erleichtert. Trotzdem fühlt sie eine eigentümliche Leere in sich aufsteigen und ist froh, dass sie sich in Margos gemütlichem Haus zum Essen verabredet haben und dass dort ihre kleine Sunny auf sie wartet.

Margo und Sunny erwarten sie schon im Garten.

»Ach, tut das gut, euch beide zu sehen!« Sie nimmt ihre Freundin in den Arm und streichelt einer freudigen Sunny über den Kopf.

»War es so schlimm?«

»Viel schlimmer!« Klara lässt sich schwer in einen Korbstuhl fallen.

»Was war denn? Gibt es mit der Wohnung Probleme?« Margo schenkt ihr einen Tee ein und fordert sie auf, sich ein Brot zu nehmen. Klara nimmt erst einmal einen Schluck Tee, dann erzählt sie Margo von ihrem Fund im Kleiderschrank und von dem Brief.

»Das ist heftig! Was sagt Andreas dazu?«

»Der ist immer noch stinksauer. Den Brief habe ich ihm gar nicht gezeigt.«

Die beiden essen schweigend. Plötzlich fällt Margo etwas ein.

»Sag einmal, ist der Brief voll adressiert?«

Klara nimmt ihn aus der Tasche.

»Ja, es ist die gesamte Anschrift drauf. Woher sie die wohl gehabt hat?«

»Dann hast du ja jetzt die Adresse deines Vaters!«

Klara stutzt. Soweit hat sie überhaupt nicht gedacht!

»Ja, das stimmt, aber das interessiert mich nicht!«

Daheim kommt ihr Marianne in den Sinn: Du wirst geführt und wenn es sein soll, dann wirst du deinen Vater finden. Aber sie möchte ihn nicht finden!

Sie nimmt den Brief noch einmal in die Hand. Was hat ihre Mutter dem Vater wohl nach so langer Zeit geschrieben? Oder ist das gar nicht der erste Brief, den sie an ihren Mann geschickt hat? Diese Fragen lassen Klara nicht in Ruhe. Am liebsten würde sie den Brief lesen. Ich könnte ihn über Wasserdampf öffnen. Die Versuchung ist groß, doch die Skrupel überwiegen.

Die nächsten Tage ist sie viel unterwegs, besucht Künstler und besucht ihre Galerie in München. Ihre Mitarbeiterin möchte die Galerie gerne ganz übernehmen. Klara ist erstaunt, doch sie verspricht, es sich zu überlegen. Sie nimmt sich vor, mit Margo darüber zu sprechen. Vielleicht wäre eine Reduzierung der Arbeit nicht schlecht und sie müsste nicht dauernd nach München fahren. Je länger sie darüber nachdenkt, desto besser gefällt ihr der Gedanke, die Galerie aufzugeben.

Doch der Brief und die Fragen, die er aufwirft, lassen sie nicht in Ruhe. Sobald sie allein in ihrer Wohnung ist, tauchen die Gedanken daran auf wie lästige Besucher, die man nicht mehr loswird. Vielleicht sollte sie ihren Vater in Sorrent doch besuchen. Dieser Gedanke geht ihr nicht mehr aus dem Sinn. Als sie Margo in der Galerie trifft, schneidet sie das Thema an.

»Ich überlege, ob ich meinen Vater doch besuche.«

Margo nickt zustimmend.

»Ich würde das gut finden und vielleicht kann er deine Fragen beantworten.«

Immer wieder überlegt sich Klara, ob sie nun fahren soll, oder nicht. Als sie merkt, wie ihre Gedanken wieder zu kreisen beginnen und die Angst wiederkehrt, ruft sie Marianne an. Sie schildert ihr Problem.

»Klara, hast du Zeit? Kannst du herkommen?«

Klara bejaht freudig. Ein Wochenende bei Marianne ist genau das, was sie gerade braucht! Die Tage am Bodensee sind diesmal zwar verregnet und kühl, doch die Gespräche mit Marianne nehmen ihr den Druck und bringen ihr Klarheit. Sie möchte endlich Antworten auf ihre vielen Fragen erhalten! Im Herbst wird sie ihren Vater in Sorrent besuchen!

Leas Steine

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