Читать книгу Sturmzeit auf Island - Susanne Zeitz - Страница 9
KAPITEL 3
ОглавлениеJulia
Julia wird vom Rauschen des Regens geweckt. Schwungvoll verlässt sie das Bett. Nach einer erfrischenden Dusche kehrt sie ins Schlafzimmer zurück, schlüpft in die bereitgelegte hellblaue Jeans und einen dunkelblauen Baumwollpulli.
Nach einem hastig eingenommenen Frühstück verlässt sie mit ihrem Gepäck die Wohnung und steigt in das wartende Taxi.
Ihr Islandabenteuer beginnt.
Das Flugzeug verliert an Höhe und bereitet sich auf die Landung vor. Kurz darauf setzt es mit einem harten Ruck auf der Landebahn auf.
Julia blickt durch das kleine Fenster. Der Flughafen von Keflavik. Regennasser Asphalt unter einem trüben, wolkenverhangenen Himmel.
Sie zupft aufgeregt an ihrem Zopf. Die Frage, die sie sich schon während des Fluges gestellt hat, drängt sich wieder in den Vordergrund. Wie wird sie sich hier fühlen, im Land ihrer Eltern und Vorfahren? Wird sie überhaupt etwas spüren? Vielleicht ist es einfach nur eine Urlaubsinsel?
Julia schließt den obersten Knopf ihres Anoraks und stülpt die Kapuze über den Kopf. Kalter Wind und Nieselregen. Sie schluckt die aufkommende Enttäuschung hinunter. Sie ist schließlich auf Island und nicht auf Mallorca. Wenig später bringt sie der Bus in ihr Hotel nach Hafnarfjördur.
Lavafelder entlang der Straße, karge Vulkanberge, im Norden das Meer im blaugrauen Dunst, fast eins mit dem Himmel. Julia kann sich nicht sattsehen. Das ist also das Land ihrer Eltern.
Der Bus hält vor einem modernen Touristenhotel in leuchtend grüner Farbe. Nicht romantisch, eher zweckmäßig.
Nachdem Julia eingecheckt und sich in ihrem Zimmer eingerichtet hat, fährt sie mit dem Bus nach Reykjavik.
Das Wetter hat sich zum Positiven verändert. Der graublaue Himmel reißt immer mehr auf und gibt einer milden Sonne die Möglichkeit, die feuchte Luft zu erwärmen.
Reykjavik ist eine moderne, pulsierende Stadt. International und jung. Julia fühlt sich sofort wohl, doch sie vermisst ein wenig das Alte und Romantische der südlichen Städte.
Sie besichtigt die bekannte Hallgrims-Kirche und fährt mit dem Aufzug auf die Aussichtsplattform des Turms. Der Blick über die roten, blauen und grünen Wellblechdächer der kleinen Häuser, die sich an das Ufer des Stadtsees schmiegen, ist wunderschön.
Gemächlich schlendert sie durch die Altstadt und fotografiert die kleinen, bunten Holz- und Wellblechhäuser, die sie an Norwegen erinnern. Nicht weit entfernt, im alten Hafen, schaukeln Fischerboote und kleine Segeljachten. Daneben das Konzerthaus Harpa, ein architektonisches Meisterwerk aus Hunderten von Glasbausteinen.
Julia geht ein Stück an der Uferpromenade entlang. Steine zu Figuren aufgetürmt, erinnern sie an den Bodensee, und sie fühlt sich nicht mehr so fremd.
Sie dreht dem Hafen den Rücken zu und lässt sich durch die Einkaufsstraßen treiben. Imbissbuden, Restaurants, Bäckereien und Cafés bieten kulinarische Stärkung an, um für Buchläden, schrille Boutiquen und Souvenirläden gerüstet zu sein. Isländische Wollpullover, Schmuckstücke aus geschliffenen Lavasteinen, bunte recycelte Designerklamotten und originelle Handtaschen reizen zum Kauf, doch als Julia die Preisschilder sieht, verflüchtigen sich die Gedanken an Mitbringsel schnell.
Als ihr der verführerische Kaffeeduft aus dem Inneren eines Cafés in die Nase steigt, kann sie nicht widerstehen. Sie braucht jetzt eine Stärkung, denn ein Blick auf die Uhr zeigt, dass sie bereits seit drei Stunden durch die Stadt marschiert.
Sie hat Glück und findet einen freien Platz an einem kleinen Tisch vor dem Café. Aufatmend lässt sie sich auf den Stuhl fallen. Als Erstes raus aus den Schuhen. Während Julia auf ihren Kaffee wartet, dringen Wortfetzen verschiedener Sprachen an ihr Ohr. Englisch, Französisch, mitunter auch Deutsch. Am Tisch gegenüber unterhält sich eine Gruppe Japaner in ihrem für sie eigenen Singsang.
Entspannt streckt sie ihr Gesicht einem milden Sonnenstrahl entgegen und öffnet den Reißverschluss ihrer Jacke. Dann nimmt sie ihr Smartphone aus dem Rucksack, macht ein Selfie und schickt es ihrer Mutter mit einer kurzen Nachricht:
Bin in Reykjavik. Es ist wunderschön hier. Auch das Wetter! Fühle mich sehr wohl.
In dieser entspannten, freudigen Stimmung trifft sie plötzlich ein Blick, der sich wie ein Messerstich anfühlt. Spitz und schmerzhaft. Julia zuckt zusammen. Ein graugrünes Augenpaar scheint Laserstrahlen in ihre Richtung zu schleudern. Was ist denn los? Ist sie gemeint? Aber warum?
Julia wendet sich ab, tut so, als ob sie in ihrem Reiseführer lese und mustert die Frau verstohlen aus den Augenwinkeln. Das Klischeebild einer Gouvernante Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts. Graubraune Klamotten, streng aus dem Gesicht gekämmte graue Haare, sicher als Dutt am Hinterkopf zusammengedreht. So Anfang siebzig, schätzt Julia, obwohl, sie könnte auch erst um die sechzig sein.
Die Frau wendet ihr hageres Gesicht nun ihrer Begleiterin zu, sagt irgendetwas, worauf auch diese nun zu Julia herüberschaut.
Julia spürt, wie Ärger in ihr aufsteigt.
So ein unmögliches Benehmen. Wenn es um ihre auffallende Erscheinung geht, dann soll sie halt wegschauen. Julia ist daran gewöhnt, die Blicke wegen ihrer leuchtend roten Haare auf sich zu ziehen, doch sind diese meist bewundernd, wohlwollend, nicht ablehnend, fast hasserfüllt, wie jetzt.
Herausfordernd erwidert Julia den Blick, doch die Frau schaut sofort weg.
Kurz darauf steht sie abrupt auf, schleudert Julia noch einen wütenden Blick zu, legt Geld auf den Tisch, verabschiedet sich von ihrer Begleiterin und verlässt mit gehetzten Schritten das Café.
Als ob sie vor mir auf der Flucht wäre, denkt Julia und schaut der hageren Peron hinterher. Hoffentlich kein schlechtes Omen für meinen Islandaufenthalt! Julia läuft ein kalter Schauer den Rücken hinab. Nervös zupft sie an ihrem Zopf.
Sie greift zum Smartphone und schreibt ihrer Mutter eine WhatsApp:
Gerade eine merkwürdige Begegnung mit einer Frau gehabt. Hat mich entsetzt angeschaut, so als ob sie einen bösen Geist gesehen hätte.
Julia wartet, doch ihre Mutter antwortet nicht. Schade. Enttäuscht steckt sie ihr Handy in die Tasche.
Wolken bedecken mit einem Mal den Himmel. Woher sie so plötzlich gekommen sind? Das Wetter scheint hier schnell zu wechseln und mit dem Verschwinden der Sonnenstrahlen ist auch die laue Wärme weg. Julia schließt den Anorak, nimmt ihren Schal aus dem Rucksack und kuschelt sich hinein. Ein bisschen Geborgenheit. Ein Blick auf die Uhr. Es wird Zeit, langsam ins Hotel zurückzukehren. Bald gibt es Abendessen. Julia verlässt schnell das Café. Das leere Gefühl und ein Anflug von Heimweh drängen sie in die Sicherheit der Reisegruppe und des Hotels.
In ihrem Zimmer angekommen, fällt ihr Blick in den Spiegel. Eine bleiche Julia mit ängstlichen Augen schaut sie hilfesuchend an. Sie schüttelt bei ihrem Anblick ärgerlich den Kopf.
„Was ist denn los mit dir? Du wirst dich doch nicht von dieser unsympathischen Frau einschüchtern lassen?“, fragt sie ihr Spiegelbild streng. Sie ist schließlich hier, um Urlaub zu machen und sich wohlzufühlen. Sie wird sich ihre Ferien nicht von den dunklen Vorahnungen ihrer Mutter und erst recht nicht von dieser unfreundlichen Person vermiesen lassen! Punkt.
Sie begibt sich unter die Dusche. Das warme, nach Lavendel duftende Geriesel spült die dummen Gefühle weg.
Erfrischt, die Haare hochgesteckt, die Augen mit ein wenig Lidschatten und Mascara betont, schlüpft sie in hellgrüne Jeans und zieht eine weiße Spitzenbluse an. Wieder einen Blick in den Spiegel. Schon besser, findet sie, legt sich ein goldgrün gemustertes Plaid um die Schultern und verlässt beschwingt das Zimmer in Richtung Speisesaal. Ihr Magen knurrt erwartungsvoll. Sie ist gespannt auf ihre Reisegruppe. Hoffentlich sitzt sie mit netten Leuten an einem Tisch.