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Wochenend‘ und Esoterikvermeidung

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„CamCon IT Enterprises, Sie sprechen mit Adrian Mönch?“ leierte ich meinen Standardsatz runter. Stand zu hoffen, dass diejenige welche wenigstens 20 Minuten in der Warteschleife ausgeharrt hatte, so 2 Stunden vor meinem wohlverdienten Wochenende.

„Na endlich bekommt man hier mal jemanden an die Strippe, das dauert ja eine Ewigkeit!“ meckerte die schrille Stimme in den Apparat. Viel versprechend.

„Was kann ich für Sie tun?“

„Wenn ich meinen Computer starte, den ich bei Ihnen gekauft habe, ist nur oben links ein weißer Balken auf schwarzen Grund.“

Zart schaumgebremst, aber mit Sicherheit ein lösbares Problem. Zeit, meinen ganzen Charme auftrumpfen zu lassen.

„Steckt ein Datenträger in einer der USB-Anschlüsse?“

„Bitte was?“

„Haben Sie Ihren PC im Blickfeld?“

„Ja.“

„Guckt da irgendwo an ihrem Computer was raus. So ein langes, dünnes, äh, Ding?“

„Bitte was?“

„So ungefähr 5 cm lang, abgeflacht und vermutlich schwarz oder silbern.“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

„Schauen Sie bitte noch einmal auf der Rückseite nach.“

Drei Schritte, dann wieder drei Schritte zurück.

„Nein!“

„Würden Sie jetzt bitte in Ihr DVD-Fach schauen und mir sagen, ob dort ein Datenträger eingelegt ist? Eine CD oder DVD.“

„Was ist das?“

„Das ist ganz oben an dem Gerät, so ein breiter, dünner Schlitz.“ Oh mein Gott! Willkommen in Superdauland! Knurrendes Geräusch seitens meiner durch Telekom-Scout vermittelten neuen Freundin. Zwei Minuten zogen durchs Land. Blättern in einem Handbuch, die gezischten Worte: „Wer soll denn dieses Kauderwelsch verstehen?“, dann wieder am Apparat.

„Nein.“

„CD’s oder DVD’s sind runde, silber glänzende Schei…“

„DAS WEISS ICH SELBST!“

Meine Laune fror langsam ein, obwohl es an sich draußen recht warm war. Bernd, ein Kollege wie ich an vorderster Front, kam herein spaziert.

„Brauchst Du noch lange, Adrian?“

„Ich fürchte ja.“ Seufzte ich, in diesem Moment recht unzufrieden mit meinem Schicksal.

„Also?“

„Geben Sie mir bitte Ihre Adresse, ich komme vorbei und kümmere mich drum!“

„Das will ich auch hoffen!“

Gesagt, getan…

„Wo gehst Du jetzt noch hin? Ist Viertel nach Eins!“ kommentierte Kollege Ralf die Tortour des Tages.

„Muss noch mal klemptnern gehen!“

„Oh Mann, schon wieder die Arschkarte gezogen, was?“ mitfühlender Blick „Dau?“ ich nickte deprimiert.

„Schlimmer: DauIN.“

„Sieh es positiv: wenigstens bist Du nicht verheiratet!“

Das war überhaupt das Positivste in meinem Leben und wäre da nicht meine nervende Nachbarin gewesen, hätte ich mich sogar relativ wohl in meiner Haut fühlen können. Aber erst einmal rein in den Polo und ab zur Kundin. Wenn Sie schon bei unserer Dependance einen PC gekauft hatte, sollte sie ja auch wissen, wie man ihn korrekt anschaltet, ob DAU oder nicht. Ich erreichte mein Ziel dank Feierabendverkehr kurzweilige 34 Minuten später und warf vor einem repräsentativen Zweifamilienhaus Anker. Mit meinem Mäppchen mit den Logfiles und Reboots bewaffnet klingelte ich schließlich.

„Na endlich!“ meckerte mich die Dame fortgeschrittenen Alters an.

„Stau auf der Kaiserallee, T‘Schuldigung. Wo ist das gute Stück?“

„Im Büro.“

Ich folgte Frau Dau, die lustigerweise wirklich so hieß, wie ein Chow-Chow Frauchen. Fehlte nur die blaue Zunge. Blau anlaufen konnte man bei sowas allerdings schon mal…

„Wenn irgendwo ein externer Datenträger steckt, bootet der PC nicht.“

„Sehen Sie hier irgendwo einen Datenkläger?“

Ich kam, ich sah…und ich fand. Und zwar auf der Rückseite. Allerdings war es kein USB-Stick, sondern – man ist ja wieder wer! – eine ganze externe 2,5 TB Festplatte. Na, das hatte sich wenigstens gelohnt…

„Frau Dau, ich habe Sie am Telefon gefragt, ob Sie auf der Rückseite nachgesehen haben!“ merkte ich mild tadelnd an, auf das Corpus delicti hinweisend.

„Sie haben auch gesagt, dass es sich dabei um ein silbriges oder schwarzes, langes, dünnes, äh, Ding handelt!“ tadelte sie mich, aber deutlich lautstärker.

„War vorher jemand hier?“

„Mein Mann!“

„Hat er gesagt, dass er Daten vom alten Gerät übertragen wollte?“

„Von seiner Arbeitsstelle. Das ist unser erster privater PC!“

„O.k., Frau Dau: also, erst den PC hochfahren, einen Ordner anlegen, dann den Datenträger in diesen Anschluss stecken und die Daten kopieren. Ich zeige Ihnen wie es geht.“

Das in solchen Fällen angemessene, da einzig mögliche Procedere: Datenträger getrennt, PC neu gestartet, nach 2 Minuten alles Paletti. Datenträger wieder angestöpselt. Erklärt, mit dem allfälligen Hinweis auf unseren Datenschutz. Ihre Daten gingen mich ja schließlich nichts an. Wäre sie 30 Jahre jünger, vollbusig und eine formidable LAN-Spielpartnerin gewesen…aber so?

Jetzt wurde sie immerhin erheblich kleinlauter, die Frau Dau. Im Gegensatz zu meiner „lieben“ Nachbarin, Isabell Heumann, hatte ich sie schnell zum rechten Glauben bekehrt.

Normalerweise hätten meine Wochenenden eine Zeit der Besinnlichkeit sein können, eine Zeit der Ruhe und Entspannung, eine Zeit der meditativen Einkehr, zwischen World of Warcraft, Assembler, Apps entwickeln und Mikrowellenessen. Aber dem war meine Appartement-Nachbarin Isabell Heumann vor, ihres Zeichens passionierte Esoterikerin. Bei ihr war alles ganzheitlich: das vegane Essen, unberührt von technischer Strahlung, das Denken – und die Tatsache, dass sie mich den ganzen Tag nervte. Da ich schon eine Mutter hatte – auch wenn diese am anderen Ende des Landes wohnte – war ich nicht sonderlich erpicht auf die Anwandlungen meiner Nachbarin mit den vielen spirituellen Haaren auf der Zunge.

Erst recht nicht am Wochenende.

Glücklich musste ich mich nach der Erledigung von Frau Dau nicht noch einmal im Büro blicken lassen, sondern konnte gleich nach Hause. Ich hatte schon mal eine, wenn auch kleine, App programmiert und abgesetzt, was mir immerhin 28.000.- in die Kasse gespült hatte. Eigentlich war ich mit meiner Arbeit – dem Kundendienst – eher unterfordert. Seit zwei Jahren und sieben Monaten hatte ich diesen Job, nicht schlecht bezahlt, aber langweilig. Seit zwei Jahren und sieben Monaten wohnte ich in der Gegend und musste demzufolge seit ebenfalls zwei Jahren und sieben Monaten meine spirituelle Nachbarin ertragen. Ich rechnete hoch: eine gebrauchte, gute Yacht gab es ab 500.000 – nach Adam Riese also noch etwa 18 Apps. Eine Yacht hatte einen handfesten Vorteil: auf dem Mittelmeer gab es wenig nervende, esoterische Nachbarinnen. Zumindest, wenn man weit genug von der Küste weg war.

Zuhause angekommen, knallte ich die Mappe mit der Boot-DVD und dem anderen Kram in die nächstmögliche Ecke und widmete mich zunächst dem Thema Ernährung. Coke light auf den Tisch, Tüte auf, Inhalt auf den Teller, rein in die Mikrowelle, eine Minute warten, …

MIST!!!

Eine Mikrowelle war ja an sich sehr schnell, aber leider nicht schnell genug: vor dem erlösenden „PING“ klopft es. Ich ahnte schon was: Isabell Heumann war wieder einmal noch schneller gewesen als die Mikrowelle. Das kannte ich schon.

„Adrian?“ Seufzend zur Tür und geöffnet. „Adrian, ich habe noch etwas von meinem veganen Auflauf übrig, wi…“

*Ping!*

„Entschuldigung, Isabell, aber ich habe mir gerade selbst was gekocht!“ Ihr Blick entglitt, das war schon fast das beste an unseren Unterhaltungen, während ich in die Küche stürmte und den Inhalt der Tüte vor der Kernschmelze rettete. Sie hinterher.

„Aber Du kannst Dir doch nicht ewig diesen Mist antun!“ gab sie sich entrüstet, „weißt Du, was das mit Deiner Gesundheit macht? Und die vielen Zusatzstoffe!“

„Isabell, wenn moderne Technik für eins gut ist, dann dazu, dass man sich in Minutenschnelle so etwas ähnliches wie Essen zubereiten kann!“

Sie ließ einfach nicht locker…

„Ich bestehe darauf, dass Du heute mal von mir mit isst. Du bist so blass wie eine Käsemilbe aus der Dunkelkammer.“ Ich setzte meine Engelsstimme auf – auf Engel stand sie ja sowieso – und flötete.

„Isabell, Du hast so ein wundervoll eingerichtetes Appartement! Halte Dich doch da auf! Oder noch besser: mache einen langen Spaziergang in der Sonne! Das setzt die Schwingung herauf!“

Wenn man sie nämlich mit einer Sache beleidigen konnte, dann war es Sarkasmus. Den ich allerdings erst entwickelt hatte, seitdem ich in diesem Mehrparteienmietshaus wohnte. Das Dumme war allerdings: meine esoterisch angepustete Nachbarin – da von angehaucht zu sprechen, wäre tiefgestapelt gewesen – war nie allzu lange beleidigt. Im Gegenteil hatte die Halbwertszeit meiner Ironie-Anfälle in den letzten Wochen bedenklich abgenommen.

Aber mit dem konstruktiven Vorschlag, dass sie Sonne tanken sollte, hatte ich wenigstens anderthalb Stunden Zeit herausgeschunden. War ja schon mal was.

Ich aß nicht viel langsamer als die Mikrowelle zum Zubereiten brauchte – und setzte meine wohlverdiente Reise von Analog- nach Digitalland an. Die zweite App wartete immerhin. In den anderthalb Stunden Freiheit kam ich immerhin 14 Zeilen weiter. Allerdings verhaspelte sich dann mein Gehirn und von den vielen Einsen und Nullen, die in meinem binär arbeitenden Oberstübchen erschienen und wieder verschwanden, vertauschten sich hinterhältiger Weise zwei. Aber das war nicht mal das Schlimmste. Denn der Bronchialtee, wie ich Isabell getauft hatte, fühlte sich schon nach 90 Minuten bemüßigt, sich wieder um mein Seelenheil zu kümmern.

*Klingeling*. Ich tat zunächst so, als wäre ich nicht da. Es klappte nicht. Logisch: da ich sowieso nie an die frische Luft ging, wenn es nicht unbedingt nötig war, wusste sie immer, wo ich mich aufhielt. Also öffnete ich.

„Ich mache mir wirklich Sorgen um Dich, Adrian.“ Sie schubste mich zur Seite und drang ohne Durchsuchungsbefehl in meine Wohnung ein. „Das ist doch keine Lebensqualität: ständig futterst Du diesen Fraß, Du kommst nie raus! Es ist Frühling draußen! Hast Du das überhaupt bemerkt vor lauter…Computer?“

„Schau mal, Isabell: ich bin am Herd ungefähr so eine Sensation wie Du am PC, und die Einen retten eben die Welt, die Anderen sorgen dafür, dass der digitale Fortschritt nicht stehen bleibt. Und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Religion fand ich schon auf der Schule scheiße!“

„Es geht hier nicht um Religion, sondern um das Leben, das an Dir vorüber zieht. Und wenn Du mit 40 krank und fertig sein willst, musst Du nur so weiter machen!“

„Wieso? Ich schone meinen Körper doch! Wenn ich irgendwo Sport sehe, mache ich einen großen Bogen darum! So hält er länger und wird nicht vorzeitig verschlissen!“

„Du kannst bei mir essen, wirklich! Und dann können wir mal was unternehmen!“

„Ich war einmal bei Deinem Meditationskreis und das hat mir gereicht.“

„Wir könnten ja auch mal…tanzen gehen!“

Ich seufzte.

„Es…tut mir leid, Bronchialtee. Mein Herz, meine Seele, all meine Emotionen…gehören dem PC – und World of Warcraft.“

Jetzt war sie richtig beleidigt. Na endlich.

„DU redest von Seele! Ausgerechnet Du! Das ist ungefähr so, als würde ich von…HMTL quatschen oder so was!“

HMTL hieß eigentlich HTML und war eine Auszeichnungssprache. Wahrscheinlich hatte sie das Wort mal irgendwann bei mir aufgeschnappt, bis auf den Buchstabendreher. Ich ging nicht davon aus, dass sie von selbst drauf gekommen wäre. Aber was das eigentlich entscheidende war: Isabell ging – und blieb diesmal weg. Bis Sonntagabend. Es war eine Wohltat. Ich hatte mal wirklich Zeit für mich und kam immerhin bis in das letzte Drittel des zweiten Realms. Und stolze 48 Zeilen auf meiner Zweitapp. Nach absolut nervtötenden zweieinhalb Jahren war dieses Wochenende endlich mal von Licht und Liebe gekennzeichnet. Zu mir selbst, dem Leben – und vor allen Dingen der digitalen Anderswelt.

An diesem Wochenende war es offiziell: wenn ich jemals etwas anderes machen würde als IT und auch noch auf die glorreiche Idee kommen würde, ein Buch zu verfassen, hätte dessen Inhalt irgendwas mit Esoterikvermeidung zu tun.

Der göttliche Blumentopfwurf

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