Читать книгу Die Patchworkfamilie - Sybille Geuking - Страница 11

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Seufzend schlug Paul auf den piependen Wecker und nach einem kurzen Blick zur Zimmerdecke, von der ihm in roten Ziffern eine projizierte „06.00“ entgegen leuchtete, rollte er sich zusammen, um noch eine kleine Mütze Schlaf zu nehmen. Doch es nützte ihm nichts. Die Türklinke knallte nach unten, zwei Pfoten legten sich auf sein Bett und Senta hechelte ihm ins Gesicht. „Ach, du alte Nervensäge“, knurrte er und kraulte die Hündin hinter den Ohren. „Ich steh auf, ist ja gut.“ Er hasste diesen Tag schon jetzt, denn er würde lang werden und Ärger bringen. Warum hatten sie diese Flüchtlinge auch gerade hier abladen müssen? Er schlurfte in die Küche und füllte Trockenfutter in Sentas Napf. Die Hündin steckte sofort ihre Schnauze hinein und zerknackte die Futterkroketten zwischen den Zähnen. Gähnend schlich Paul in Schlafanzughosen und T-Shirt zur Haustür und öffnete sie. Ein kühler Wind wehte ihm Nieselregen ins Gesicht. Er rieb sich mit den Händen über die Arme. Dann nahm er die Zeitung aus dem Briefkasten. „Scheiße!“, murmelte er nach einem Blick auf die Titelseite und fuhr sich mit der rechten Hand durch seine dunkle Igelfrisur. „Rechte Gewalt gegen Flüchtlinge in Fritzdorf“ sprang ihm die Schlagzeile in dicken Lettern entgegen, darunter ein Foto des Aufmarschs am gestrigen Abend. „Straßenschlacht zwischen Gewalttätern und Polizei fordert einen Schwerverletzten“ stand unter dem Bild. Diese verdammten Schreiberlinge, woher wussten die überhaupt, wann die Flüchtlinge kamen? Die mussten eine gute Quelle haben, genauso wie die rechten Randalierer. Er zumindest hatte seine Leute angewiesen, über den Termin Stillschweigen zu bewahren, dies hatte er auch den Mitarbeitern der Ausländerbehörde empfohlen, um Proteste zu vermeiden. Aber irgendeiner musste doch gequatscht haben, entweder aus Versehen oder um sich wichtig zu machen.

*

Hoffentlich schaffte es der Schwerverletzte. Sonst – er mochte nicht weiterdenken. Ihm graute schon vor dem Besuch im Krankenhaus. Er warf die Zeitung auf den Küchentisch, tappte ins Bad und schaute in den Spiegel, während er Rasierschaum im Gesicht verteilte. Alter, nun bist du schon 45 und hast dir im Laufe der Zeit ein dickes Fell zugelegt, aber dieser Fall, der wird dir noch zu schaffen machen, ist eben was anderes, wenn man das Opfer so gut kennt. Unzufrieden begutachtete er das Ergebnis seiner Rasur. Aus einem kleinen Schnitt quoll Blut. Das kommt davon, wenn man sich nicht konzentriert. Zischend zog er die Luft durch die Zähne, als er die Wunde mit Rasierwasser betupfte. Später, beim Frühstück, betrachtete Paul noch einmal das Foto in der Zeitung. Plötzlich stand er auf, holte die Lupe aus einer Schublade des Küchenschranks und schaute sich abermals das Bild ganz genau an. Dann hielt er die Lupe über den Namen des Fotografen, der klein gedruckt rechts unter dem Bild stand. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer der Redaktion. „Hier ist Hauptkommissar Petereins. Ist Herr Kleinert im Haus? Ich muss ihn dringend sprechen.“ „Ja, in der nächsten Stunde ist er noch da.“ „Okay, er soll auf mich warten, ich bin in einer halben Stunde da.“ Er legte auf und rief Senta. Dann zog er die Wohnungstür hinter sich zu, lief mit Senta durch den Hausflur, zog sein Fahrrad aus dem Ständer vor dem Haus, schwang sich auf den Sattel und radelte los. Senta trabte ohne Leine nebenher. Auf der Wache angekommen, zog er sich seine Uniform an und warf dann ein kurzes „Guten Morgen, ich bin beim ‚Fritzdorfer Tageblatt‘, kümmert ihr euch um Senta?“ ins Zimmer seiner Kollegen, schnappte sich seinen Autoschlüssel und lief zum Dienstwagen. Paul fuhr los und nach zehn Minuten parkte er den Wagen vor dem dunkelgrauen Gebäude der Redaktion. Stimmengewirr umfing ihn und neugierige Augenpaare richteten sich auf ihn, als er das Großraumbüro betrat. Herr Kleinert?“ „Hier!“, kam es aus der hinteren rechten Ecke. Ein kleiner, dicker Mann mit runder Nickelbrille kam auf ihn zu. „Der Polizeichef persönlich, dann muss es was Wichtiges sein.“ Die Augen hinter den Brillengläsern blitzten. „Ich brauche eine Auskunft zu Ihrem gestrigen Artikel. Haben Sie das Foto gemacht?“ „Das über den Aufmarsch gestern?“ Der Körper des kleinen Dicken spannte sich wie der eines Raubtiers, das Beute wittert. „Ja, das habe ich gemacht, was ist damit?“ „Haben Sie es noch im Computer? Ich brauche ein Detail.“ „Ja, kommen Sie, hier.“ Der Journalist führte Paul zu seinem Arbeitsplatz und holte einen zusätzlichen Drehstuhl heran. „Bitte, nehmen Sie Platz. Welches Detail?“ Der Körper des Dicken wirkte jetzt direkt drahtig, so gespannt war er. „Da, da rechts, der mit dem Handy.“ „Scheint einer der neu angekommenen Flüchtlinge zu sein, steht direkt neben dem Bus.“ „Ja, der, kann man das vergrößern?“ „Kann man, bringt aber nicht viel. Er ist nur von hinten zu sehen in seinem dunklen Kapuzenshirt. Es war ja schon fast dunkel und er ist im Hintergrund.“ Der Dicke presste die Lippen zusammen und versuchte, mit verschiedenen Bildbearbeitungen, den Kapuzenmann größer und schärfer zu bekommen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Der Polizeichef starrte mit zusammengekniffenen Augen auf das Bild. „Er hat ein Handy und filmt offensichtlich den Aufmarsch. Seine Bilder könnten vielleicht helfen.“ „Denjenigen zu finden, der den Bruder von Frau Lenk verletzt hat?“, bohrte der Journalist. „Woher wissen Sie?“, Pauls Stimme klang erstaunt. „Fritzdorf ist ein Kaff. Hier kennt man sich, insbesondere die Inhaber einer Hundepension“, fiel ihm der Dicke ins Wort. „Ist ja noch gar nicht klar, ob es jemand mit Absicht getan hat oder ob es nur ein Unfall war und er im Gedränge einfach unglücklich gestürzt ist“, erklärte Paul. „Da muss man sehen, ob dieser Flüchtling überhaupt noch hier ist und ob einer von denen was weiß oder sagt“, gab Herr Kleinert zu bedenken. „Drucken Sie mir das Bild und vor allem auch das vergrößerte Detail bitte aus. Ich werd sehen, was sich damit machen lässt.“ Der Drucker spuckte bereits das Gewünschte aus. „Ich kann Ihnen das Bild auch mailen, dann haben Sie es immer zur Verfügung“, bot der Journalist an, „dafür brauche ich allerdings Ihre Email-Adresse.“ Der Polizist gab ihm seine Visitenkarte, faltete die Ausdrucke zusammen und steckte sie in die Innentasche seiner Uniformjacke. „Man müsste sich in dem Flüchtlingsheim mal ein bisschen umhören, ob jemand den Handymann kennt“, tastete sich der Journalist vor. Seine Augen hinter den Brillengläsern blickten lauernd, denn ihr Besitzer witterte eine Sensationsstory. „Die Ermittlungen sind Sache der Polizei, da halten Sie sich mal raus“, erwiderte Paul. „Ja, aber ich denke, die Flüchtlinge werden nicht mit Ihnen jeden, die haben doch Schiss vor der Polizei. In der Beziehung halten die zusammen.“ „Hm, das mag sein, aber wie wollen Sie die Leute dann zum Reden bringen?“, fragte der Polizeichef. Der Dicke grinste: „Ich hab da so meine Quellen. Die muss ich Ihnen aber nicht verraten.“ „Na, wenn Sie meinen, kann ja nicht schaden, wenn wir zusammenarbeiten. Mir soll’s recht sein.“ Paul verabschiedete sich. Auf dem Weg zum Auto brummte er vor sich hin: „So ein Klugscheißer, diese sensationsgeilen Schreiberlinge.“ Dann drückte er auf die Fernbedienung und sein Wagen zwinkerte ihm zu. Ächzend warf er sich in den Sitz, knallte die Tür zu und fuhr zur Dienststelle.

Die Patchworkfamilie

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