Читать книгу Moppelchens Chaosbande ...Kinder lachen! - Sylvia Koppermann - Страница 9
Lass Dir nicht alles aus der Nase ziehen
ОглавлениеErzählen Eltern, in meinem Umfeld beiläufig, sie wären mit ihren Kindern beim Arzt gewesen, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich beinahe weniger fokussiert auf die Diagnose, als das Abenteuer selbst bin.
Ja, ich spreche von Abenteuer, denn zumindest mit meinen Kindern wurde fast jeder Arztbesuch zu einem. Wobei eigentlich nie vorher abzusehen war, an welcher Stelle die Spannung den Höhepunkt erreichen würde. Mal bereits bei einer Diagnose, die mich gelegentlich auch am Verstand meines Nachwuchses zweifeln ließ, manchmal bei der – für die Ärzte – schon lebensbedrohlich ausartenden Behandlung.
Jemma sorgte beispielsweise einmal fast dafür, dass eine Kinderärztin ihre Patienten verlor, da sie, entgegen ihrem Ruf, besonders geduldig und fürsorglich zu sein, scheinbar Kinder bestialisch folterte.
Meine Älteste stand kurz vor der Einschulung und in dem heißen Sommer, vermehrten sich Zecken explosionsartig. Am Abend, als meine Tochter, nach einem langen Spielenachmittag draußen, in die Wanne sollte, bemerkte ich einen kleinen, dunklen Punkt an ihrem Hals, der mich anfangs auch zunächst erschreckte, denn noch nie zuvor, hatte eines meiner Kinder eine Zecke. Hier steckte nun kopfüber eine winzige Zeckenlarve in meiner Großen und um nicht panisch zu werden, rief ich meinen Mann, den ich bat, den Parasiten heraus zu ziehen. Jemma, der allein schon die Information, etwas habe sich in ihrem Hals fest gebissen, mehr als ausreichte, um in einen Kampf ums Überleben zu gehen, weigerte sich jedoch, uns auch nur näher hinsehen zu lassen, brüllte, schrie und schlug um sich, während sie gleichzeitig verlangte, wir sollten das Ding aus ihr heraus holen.
Wie denn, wenn sie sich drehte, wie ein tanzender Derwisch?
Uns blieb nichts anderes übrig, als das Kind erst einmal abzulenken, zu beruhigen und die Nacht zu überstehen, um am Morgen, gleich als Erste, vor der Tür der Kinderärztin zu stehen.
Zumindest durfte diese sich die Zeckenlarve ansehen, doch als sie sich mit der Pinzette näherte, um sie zu entfernen, brüllte Jemma, ohne berührt zu werden auf, es tue so furchtbar weh, dass die Ärztin sie nur vom Untier befreien könne, lege sie Jemma zuvor in Vollnarkose.
Kein gutes Zureden half und nach einer gefühlten Ewigkeit, seufzte die Ärztin nur resignierend, erklärte Jemma, ihr eine Betäubungssalbe aufzutragen und wir sollten dann, zwei Stunden später, erneut zur Ärztin kommen, da unser Kind dann definitiv nichts mehr spürt, was am Entfernen der winzigen Zecke hinderte.
Ich hatte Bedenken. Könnte die Larve nicht, im Todeskampf, unter der Betäubungssalbe, Krankheitserreger absondern? Die Ärztin beruhigte mich. Bei Larven schien das eher ungewöhnlich und da die Bissstelle ohnehin keine Rötung zeigte, sollten wir diesen Weg gehen, wollte Jemma nicht warten, bis das Tierchen von allein ab fiel.
Zwei Stunden Wartezeit können lang werden und so beschlossen wir, erst einmal in ein Café zu fahren und dort ausgiebig zu frühstücken. Dort erhielten wir fast Hausverbot, als Jemma nicht müde wurde, den Mitarbeitern theatralisch und wiederholt mitzuteilen, sie habe ein gefährliches Tier im Körper, das heute entfernt würde und dieses Frühstück sei so etwas, wie eine Henkersmahlzeit.
Zurück in der Praxis, mussten wir noch etwas im Wartezimmer warten und Jemma, sehr kontaktfreudig, schlug die Werbetrommel für die Ärztin.
Mit den anderen Kindern Bauklötze stapelnd, fragte sie, ob denn die Anderen schon mal bei dieser Kinderärztin waren und als zwei verneinten, setzte meine Tochter eine gewichtige Miene auf. Es gäbe keinen Grund, Angst vor Frau Doktor zu haben. Sie tue keinem Kind gern weh.
Gleich darauf waren wir dran und auch wenn wir Erwachsenen wussten, Jemma spürt definitiv nichts mehr, kreischte und schrie sie bereits, als die Ärztin das teilweise schon lose Pflaster entfernte, an dem nun die Zeckenlarve klebte.
Etwas peinlich berührt, bedankten wir uns bei der immer noch sehr verständnisvoll lächelnden Frau, verließen das Sprechzimmer und gingen vorbei an einem seltsam leeren Wartezimmer, in dem nicht ein einziges Kind mehr spielte.
Till hatte, nach einer unschönen Erfahrung mit einem Zahnarzt, panische Angst. Auch nachdem wir einen wirklich sehr verständnisvollen Zahnarzt ausfindig gemacht hatten, der unserem Sohn viel Geduld entgegen brachte, konnte es passieren, dass er in eine Art geistesabwesenden Zustand geriet, stieg die Angst und darunter Bärenkräfte entwickelte.
Nachdem ihm ein Stück von einem Milchzahn abgebrochen war, unter dem sich bereits der sich nach oben schiebende, bleibende Zahn befand, bildete sich, in einem kleinen Hohlraum zwischen den Zähnen, eine schmerzhafte Entzündung. Um Till nun zu helfen, wollte die Kollegin des netten Zahnarztes, vorsichtig eine Spülung vornehmen, doch Till reagierte, wie auf Knopfdruck, als sei er ein Einzelkämpfer.
Völlig entrückt, nichts mehr um sich herum wahrnehmend, begann er in einer Kung Fu reifen Bewegungsserie, um sich zu schlagen und zu treten.
Und das liegend, im Behandlungsstuhl.
Während ich mit offenem Mund auf die zu Boden polternde Verkleidung des Spuckbeckens blickte, flog die zierliche Zahnärztin an mir vorbei, die mein Sechsjähriger, mit einem gezielten Fußkick, auf der Ablage landen ließ.
Zukünftig suchten wir also nicht nur Zahnärzte nach Geduld und Verständnis für unseren Angstpatienten aus, sondern auch nach körperlicher Standfestigkeit.
Ruby war, nachdem sie Jahre später geboren wurde, das komplette Gegenteil ihrer ältesten Schwester. Sie schien sogar gern zum Arzt zu gehen und stürzte sich, kam dieser ins Wartezimmer, um den nächsten Patienten aufzurufen, auf ihn, umklammerte seine Beine und schwor ihm vernehmlich ewige Liebe.
Wir hatten, in Absprache mit unserem Arzt beschlossen, unsere Kinder erst ab dem zweiten Lebensjahr impfen zu lassen und so war Ruby auch etwas älter, als die anderen Kinder, bei ihren Impfungen.
Der Pieks einer Spritze, kann von Kindern schon als schmerzhaft empfunden werden und da wir Ruby, unsere kleine Abrissbirne, gut genug kannten, um zu wissen, dass sie, wenn ihr etwas nicht gefällt, durchaus schwer zu bändigen sein konnte, beschloss Joe, mit ihr zur Impfung ins Labor zu gehen. Er würde sie, im Zweifelsfall halten können.
Minuten später, schlich eine fassungslose Sprechstundenhilfe aus eben jenem Labor, gefolgt von einem breit grinsenden Joe und einer Zähne gen Sprechstundenhilfe fletschenden Ruby.
Im Auto lachte Joe laut los und brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln. Dann berichtete er, wie er Ruby auf dem Schoss hielt, die Sprechstundenhilfe den Oberarm unserer Tochter desinfizierte und unser Kind ihr dabei schweigend, ohne das Gesicht zu verziehen, zuschaute. Die Spritze war schnell verabreicht, doch statt der möglicherweise erwarteten Tränen, schoss Ruby knurrend vor, als wollte sie sich bei der Sprechstundenhilfe im Gesicht verbeißen. Diese wich erschrocken zurück, so gar nicht einordnen könnend, dass ein Kind bereit war, auf Angriff zu gehen, statt sich jammernd beim Papa einzukuscheln.
Eine andere, in den mehr als verdienten Ruhestand verabschiedende Kinderärztin, erledigte, weitere Jahre später Tara. Ich gebe allerdings zu, dass ich bei dem Erlebnis selbst wütend die Praxis verließ, bereit, der Dame noch eine nette, verbale Erinnerung mit in das Seniorendasein zu geben.
Unsere Kinderärztin war krankheitsbedingt länger ausgefallen und eine betagte Kollegin hatte vorübergehend die Praxis übernommen.
Nun gibt es bei uns, seit einigen Jahren, das gesetzlich festgelegte U-Untersuchungsprogramm, bei dem die Kinder, in zeitlich geregelten Altersabschnitten, auf ihre Entwicklung untersucht werden müssen. In unserem Bundesland geht die Verpflichtung soweit, dass man, als Eltern, diese U-Untersuchungen, dem Landesgesundheitsministerium nachweisen muss. Erfolgt der Nachweis nicht, geht, nach Aufforderungen und Fristsetzungen, eine Meldung an das Jugendamt heraus, das dann den Gesundheitszustand des Kindes überprüfen soll. So jedenfalls, teilten es die Erinnerungsschreiben des Landesgesundheitsministerium mit.
Also machten wir einen Termin zur Vorsorgeuntersuchung bei der älteren Ärztin, der einzigen, im Ort.
Nesthäkchen Tara, ich gebe zu, etwas von der ganzen Familie verwöhnt, aufgeweckt im Geist und gewohnt, in altkluger Form, die Familie und das Umfeld um den Finger zu wickeln, schien von der Kinderärztin mächtig beeindruckt und verfiel in Verlegenheit.
Mit Autorität in der Stimme, gab diese unserer Kleinen Befehle, bestimmte Bewegungen zu vollführen, in denen Tara keinen Sinn sah und mit „Warum?“ nachfragte. Eine Eigenschaft, die wir schon von Jemma kannten und die Kinderärztin baten, unserer Tochter zu erklären, aus welchen Gründen sie eben nun dies oder das machen sollte.
Die Ärztin warf mir einen bösen Blick zu und antwortete, es habe zu reichen, wenn das Kind eine Anweisung bekommt. Das Warum sei dabei irrelevant.
Nun, genau diese Irrelevanz sorgte dafür, dass Tara sich auf taub stellte und die Kinderärztin die Befehle mehrfach bellen musste, während unsere Kleine sie nur anlächelte.
Erst wenn wir Tara baten, nun so zu hüpfen oder da einmal hoch zu klettern, antwortete sie: „Klar, mache ich doch!“ und erfüllte problemlos die Aufgaben.
Dann war es daran, Farben zu bestimmen und Tara, gerade in einer Phase, sich Vorschulsendungen gern auch in anderen Sprachen anzuschauen, wollte stolz präsentieren, dass sie die Farben auch in englisch benennen konnte.
Gelb war yellow, blau bezeichnete sie als blue.
Das wiederum reichte, um die Kinderärztin wutschnaubend attestieren zu lassen, unser Kind sei, in ihren Augen, renitent und geistig völlig unterbelichtet, was sie auch, in knappe Worte gefasst, in den Untersuchungsbericht schrieb.
Zornig auf diese, in meinen Augen, wenig feinfühlige Dame, dachte ich an den Kinderarzt zurück, dem Malte einen wohl unvergessenen Fall bescherte.
Etwa drei Jahre, war Malte damals, als wir, im frühen Sommer, einen merkwürdigen Geruch an ihm bemerkten.
Erst war es eher wie ein Hauch, bei dem wir uns nicht sicher sein konnten, ob er vielleicht gerade gepupst hatte oder mit den Schuhen in irgendetwas hinein getreten war. Doch mit jedem Tag wurde es intensiver und schließlich verströmte mein damals Jüngster, einen bestialischen Gestank nach Fäulnis und Verwesung. Es schien, als rieche jede Pore an ihm und auch exzessives Duschen oder Baden, konnte nichts daran ändern.
Wir fuhren zum Kinderarzt, der schon, als wir das Sprechzimmer betraten, den Gestank vernahm und umgehend begann, den Kleinen zu untersuchen. Aber wo er auch nachsah, ob nun Mund, Nase oder Ohren, jeden Zentimeter des Körpers ab tastend, es ließ sich bestenfalls eingrenzen, dass der Gestank am Kopf intensiver, als am restlichen Leib war.
Blut wurde Malte abgenommen, mit dem Ergebnis, die weißen Blutkörperchen waren alarmierend erhöht. Irgendwo schien also eine faulende Entzündung im Körper zu sein und der Kinderarzt verzweifelte fast, weil er einfach nicht die Ursache lokalisieren konnte.
So überwies er uns, nach inzwischen schon fast zwei Wochen, in denen alle Untersuchungen nicht die Quelle des Übels heraus kristallisieren konnten, mit Dringlichkeit zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Bis zum Termin bei diesem, einige Tage später, gab der Kinderarzt Malte Antibiotika und versuchte vor uns, seine wachsende Besorgnis zu verbergen.
Aber instinktiv begriff ich, dass es ernst um Malte stand und so hibbelte ich nervös dem Termin beim Facharzt entgegen.
Genau an dem Morgen, an dem der Termin stattfinden sollte, weckte Malte mich, indem er auf mein Bett und auf mich sprang, auf mir saß und fröhlich krähte, ich sollte aufstehen, er wolle frühstücken.
Mitten im Satz nieste er gewaltig und da er nun auf meinen Rippen saß, konnte ich von unten etwas tiefer in seine Nasenlöcher sehen. Ein gewaltiger Schnodderklumpen schien dort fest zu stecken und lachend suchte ich nach einem Taschentuch, um Malte da hinein, kräftig schnäuzen zu lassen.
Doch, auch wenn Malte schnaubte, bis sein Kopf zu platzen drohte, kam der Klumpen nicht heraus. Das war seltsam und ich holte ein Wattestäbchen. Aber auch damit ließ sich der Klumpen nicht zum Nasenloch wischen.
Letztendlich griff ich zur Pinzette, mit der ich den Klumpen zu fassen bekam und vorsichtig heraus ziehen konnte.
Während Malte lachte, wie sehr das gekitzelt habe, lag vor mir ein fauliges Stück Etwas, unvorstellbar intensiv stinkend und von Schwamm artiger Konsistenz.
Und genau da, setzte bei mir auch alles logische Denken aus und ich geriet in Panik.
Hektisch warf ich das Ding, das in meinen wirren Gedanken alles sein konnte, bis hin zu einem Tumor – ja, in einem solch seltenen Augenblick der Kopflosigkeit, kann ich unbewusst die kreativsten Ideen entwickeln – in ein Schraubdeckelglas, zog Malte und mich, in Windeseile an, missachtete dabei das komplette Programm der Morgenhygiene und raste mit meinem Jüngsten zur Kinderarztpraxis, wo ich sehr deutlich zu verstehen gab, nicht einen Zentimeter zu weichen, bis der Doktor sich diesen Alien, den ich gerade aus dem Kopf meines Kindes gezogen hatte, ansah.
Nur Minuten später, saßen wir dem Kopf schüttelnden Arzt gegenüber.
Nun öffnete sich auch endlich Malte, der bis dahin, mit keinem Wort, erwähnt hatte, was dieses Ding sein könnte.
Während der Kinderarzt mich beruhigte, fragte er Malte beiläufig aus. Und dann erklärte mein Sohn stolz, er habe mal mit seinem Bruder, Till, eine Kissenschlacht gemacht, bei der das Kissen es hätte schneien lassen.
Ich erinnerte mich an die Geschichte, die mittlerweile jedoch zwei oder drei Monate zurück lag. Die Jungen hatten alte Sofakissen in der Spielecke, die sie sich johlend um die Ohren kloppten, bis aus einem die dicken Schaumstoffflocken rieselten.
„Und dann habe ich mir eins in die Nase gesteckt und hoch gezogen. Da war es weg.“ lachte Malte den Doktor an, während wir Erwachsenen uns lediglich entsetzte Blicke zu warfen.
Scheinbar hatte mein Sohn sich den etwa 2x1 cm Schaumstoffflocken in eine Nebenhöhle gezogen, wo der Körper dann versuchte, ihn abzustoßen. Während ich mich langsam beruhigte und feststellte, Malte stank in keinster Weise mehr, schüttelte der Arzt nur den Kopf. Er erklärte mir, mein Kind habe mehr als großes Glück gehabt, denn dieser Gegenstand, vor allem hinsichtlich der körperlichen Reaktion, hätte eigentlich schon längst eine Blutvergiftung auslösen können.
Auf dem Heimweg sprach ich lange mit Malte, dass er sich nie wieder etwas in Nase oder Ohren stecken dürfte. Und als dieser unschuldig fragte, ob das auch für Erbsen gelte, schwante mir, dass ich vielleicht nicht das letzte Mal wegen Fremdkörper in Kopföffnungen meines Kindes, beim Arzt gewesen sein könnte.