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Handy-Horror

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Unabhängig vom Alter der Kinder, wenn sie ihr erstes Handy bekommen, kann man zweifelsohne behaupten, bricht eine neue Epoche für Eltern an, die man wohl durchaus mit einem Levelaufstieg und höheren Herausforderungen betrachten kann. Und dies selbst dann, wenn sie, durch ältere Kinder, bereits an Erfahrungen sammeln konnten, denn neben zunehmenden technischen Erweiterungen, verändern sich ja auch die Konditionen der Telekommunikationsanbieter. Auch wenn ich einräumen muss, dass ich über viele Anpassungen sehr dankbar bin.

Angefangen hat es damals bei Jemma, unserer Ältesten. Wir überlegten sehr lange, ob es nicht noch etwas früh sei, ihr mit dreizehn das erste Handy zu kaufen, denn, man mag es heute kaum glauben, wir gehörten noch zu einer Generation, die in Handys eine nette Spielerei sah, die einem teilweise wenige neue Freiräume bot, aber ansonsten nicht wirklich notwendig war. So etwas heute zu sagen, würde Entsetzen in die Gesichter der Gegenüber schlagen. Vor allem auch die der Eltern und deren erste Frage wäre sicherlich: „Das geht doch gar nicht, so ohne Handy! Wenn etwas passiert, die Kinder sich verlaufen und abgeholt werden müssen oder sie in Gefahren geraten, wo sie Hilfe rufen müssen!?“

Auch, wenn ich es ungern zugebe, aber genau solche Argumente schießen mir, mit jedem meiner Kinder, das in ein Alter kommt, wo wir überlegen, ihm ein Handy zu kaufen, selbst als erstes in den Kopf. Was wenn unser Kind uns braucht und nichts hat, um uns zu kontaktieren?

Erinnere ich mich zurück, an meine Kindheit und Jugend, muss ich aber auch eingestehen, dass wir ebenfalls eine Generation waren, die nicht um ihre Population zu fürchten hatte, weil wir vom Aussterben durch Verlaufen oder nicht von den Eltern abgeholt zu werden dezimiert wurden. Wir lernten unseren Ort schon als Kinder kennen, kannten Straßennamen, wussten, welche Gasse wohin führt und allein schon aus der Tatsache heraus, dass wir unsere Schulwege noch laufen mussten, gingen wir freiwillig die kürzesten und sicher beleuchteten Strecken. Es wäre uns nicht im Traum eingefallen, wie leider einigen meiner kleinen Brutergebnissen, über dunkle, einsame Wege zu schleichen, mit dem Argument, eine gute Taschenlampe am Handy zu haben.

Verabredungen? Davon hatten wir unzählige. Jeden Tag. Und das ganz ohne Handy!

Wir sprachen uns im Vorfeld ab oder marschierten einfach zu den Freunden, um bei den Eltern zu klingeln und zu fragen, ob ihr Spross Zeit habe.

Und da kommen wir eben auf die notwendige Fähigkeit der Sprache, beziehungsweise, diese auch einzusetzen. Beobachte ich heutige Generationen an Jugendlichen, frage ich mich manchmal, wozu wir unseren Kleinen das Sprechen überhaupt beibrachten. Spätestens mit dem ersten Handy, kommunizieren sie doch ohnehin nur noch zu 90% über bildliche Ausdrucksweisen der Emojis. Auch dann, wenn sie direkt nebeneinander sitzen.

Ich erlebte einmal, wie eine meiner Töchter, mit der besten Freundin, über eine Stunde, stumm, Seite an Seite auf den Stufen vor dem Haus saß. Wie hypnotisiert starrten sie auf ihre Handy, tippten wild darauf herum, kicherten manchmal verhalten, um dann irgendwann aufzustehen und sich zuzuwinken. Die Freundin ging, meine Tochter kam ins Haus und dann legte sie los, was ihre Freundin ihr so alles erzählt habe.

Erzählt? Die beiden hatten doch die ganze Zeit kein einziges Wort miteinander gesprochen!?

Miteinander zu spielen, hat, seit meiner Kindheit, auch eine neue Bedeutung bekommen. Hieß spielen, in unserer Zeit noch, unter körperlichem Einsatz, rennen, toben und gestikulieren, mit den Freunden zu kommunizieren, sitzen unsere Kinder heute mit den Handys nebeneinander, verbinden sich über eine Spiele-App und agieren wortlos und wie am restlichen Körper gelähmt, nur noch über das kleine Wunderwerk der Technik.

So viel häufiger, als früher, lese und höre ich heute von Kindern, die Verhaltensauffälligkeiten haben, emotionalen Kontrollverlust, Einschränkungen im Sozialverhalten und die als extrem impulsiv beschrieben werden. Sehe ich diese Kinder, mit einem Handy in der Hand, würde ich den Zustand eher als komatös wirkend bezeichnen.Aber ich bin nur eine Mutter. Eine nichts wissende beurteilungsunfähige Mutter, die keine medizinischen oder psychologischen Studienfächer abgeschlossen hat. Von daher sind meine Ableitungen, zwischen zunehmend zu beobachtenden Sozialverhaltensstörungen und Überflutung an technischen Errungenschaften, auch in Bereichen der elektronischen Kommunikation, ohnehin nicht ernst zu nehmen.

Als nun Jemma einst ihr erstes Handy bekam, war der Fortschritt noch ein gutes Stück entfernt von heutigen Smartphones. Es gab noch Tasten, anfangs zweifarbige Displays mit drei oder vielleicht vier Zeilen und ein Internetzugang, wie wir ihn heute als Standard kennen, hieß nicht nur anders, sondern war auch ein – in meinen Augen – recht kompliziertes, auf jeden Fall aber teures, zusätzliches Feature, dem man aber selten entgehen konnte, da, in optimaler Lage, ein Internet-Button genau da auf den Handys lag, auf den man zwangsläufig und immer wieder, unbedacht drauf kam. Man surfte dann unbewusst mit dem Handy in der Hosentasche, was einem dann erst die hämisch grinsende, seitenlange Telefonrechnung verriet, an deren Ende eine Summe stand, die den Blutdruck gefährlich in die Höhe trieb.

Bei Jemma wurde es, in den ersten Jahren, in erster Hinsicht teuer. Selbst hatte sie lediglich eine Prepaid-Karte, deren Guthaben sie schonen lernen musste, wollte sie das Handy über den ganzen Monat nutzen. Wir hatten allerdings noch ein Handy mit Vertragsanschluss, das unser Festnetz ersetzte. Zudem sollte es dem Zweck dienen, waren wir nicht zu Hause und eines der älteren Kinder musste uns erreichen, dass sie vom Haus-Handy anrufen könnten. In der Regel zahlten wir, bis zum Eintritt in Jemmas Pubertät und ihrer eigenen Handy-Aera, beim Haushandy lediglich monatliche Grundgebühren, da es so gut wie nie ausgehende Gespräche gab.

Sparsam, wie Jemma sein konnte, schonte sie nun aber ihre Prepaid-Karte und telefonierte nachts heimlich mit dem Haushandy.

In Zeiten, in denen es noch keine All-Net-Flats gab und jeder Anruf, je nachdem, in welches Fremdnetz, teilweise in Sekundentakten abgerechnet wurde.

Als dann die Telefonrechnung kam, ich glaubte, eine Tapetenrolle abzuwickeln und am Ende eine hohe dreistellige Summe las, kurzzeitig Atemaussetzer bekam, versuchte Jemma noch kurzzeitig die Unschuld zu mimen, empörte sich, wer denn so dreist sein und eine solche Telefonrechnung fabrizieren könnte, als ich vor Wut stotternd auf die einzelnen Verbindungen zeigte, die ausschließlich aus Nummern ihrer Freunde bestanden. Im Geiste ging ich durch, was sich auf die Schnelle verkaufen ließe, um diese gesalzene Rechnung zu bezahlen und ich gebe zu, dass ich für einen Moment auch die Menschenrechte verfluchte, ohne die ich meine teuer gewordene Tochter, zumindest als Magd auf einem Sklavenmarkt hätte verkaufen können.

Ich schaffte es, die Rechnung zu bezahlen, hatte noch etwas Geld aufgebracht, um eine abschließbare Kassette zu kaufen, in der das Haushandy nun abends ruhte – Schutz über Geheimzahlen auf den Geräten, gab es zu der Zeit noch nicht – und wähnte mich nun der Kostenfalle entkommen, als das große Schlachtfest der Handys bei Jemma losging. Sie nannte es eher versehentlicher Warentest, der nicht bestanden wurde.

Eigentlich dachte ich immer, auf Dinge, die einem lieb und teuer sind, achtet man besonders. Und gerade das Handy, war für Jemma von Anfang an vergleichbar mit einem Herzschrittmacher. Nur Sekunden ohne betriebsbereites Handy und man musste befürchten, sie bräche mit Herzstillstand zusammen. Wie konnte es da immer und immer wieder passieren, dass ihr die Geräte aus Fenstern fielen, offiziell völlig selbstständig gegen Wände flogen oder, ohne ersichtlichen Grund, in ihren Händen auseinander fielen?

Selbst ein noch teureres Outdoor-Handy, wie es bei einem Bekannten sogar einen Sturz aus neun Metern Höhe unbeschadet überstand, röchelte unter Jemma, nach wenigen Wochen sein Leben aus.

Wir zählten irgendwann nur die Monate, dann Wochen und Tage, um an ihrem achtzehnten Geburtstag nicht nur die Volljährigkeit unserer Großen zu feiern, sondern auch den Tag, an dem wir, ohne als Rabeneltern angesehen zu werden, offiziell jede Verantwortung für die Nachschubversorgung von Jemmas Sammlung kaputter Handys, bekannt geben konnten.

Till wurde etwas günstiger. Sein Guthabenverbrauch hielt sich in Grenzen und er zerschmetterte auch die Geräte nicht, dafür ließ er sie sich klauen. Mehrfach. Bis wir das Gefühl hatten, die Hälfte der örtlichen Teenager schaue uns dankbar an, ihnen zum neuen Handy verholfen zu haben.

Malte wurde zu unserem Lieblingskind, in Sachen Handy. Er nutzte es kaum, musste nur einmal wöchentlich das Akku laden und wenn wir zwangsläufig alle sechs Monate sein Guthaben aufluden, bekamen wir den Eindruck, ihm ein Sparbuch anzulegen, auf dem sich eine immer höher werdende Summe anhäufte.

Und dann kam, Jahre später, Elly an die Reihe. Zu ihrem 10. Geburtstag bekam sie ihr erstes Smartphone. Inklusive eines All-Net-Vertrags, mit ausreichend Datenvolumen. Eigentlich dazu gedacht, uns erreichen zu können, sollte sie, nach dem Wechsel auf eine außerhalb liegende Schule, den Bus verpassen und festsitzen.

Nun, trat dieser Fall ein, rief sie uns, in der Regel, aus dem Sekretariat an, da ihr Akku leer war.

An jenem Geburtstag, wickelte sie ihr Geschenk aus, brach in jubelnde Schreie aus, vergaß Kuchen und Gäste, um für den Rest des Tages nur noch in einer Ecke zu sitzen, das Handy bestaunend und auszuprobieren. Wir hatten es vorher bereits eingerichtet, Kontakte hinterlegt und Apps, wie einen Messenger, eingerichtet. Während wir noch grinsend an der Kaffeetafel saßen und uns über Ellys Freude amüsierten, begann es in unseren Taschen zu summen und dudeln. In einer ihr kaum zu getrauten Geschwindigkeit, sendete sie uns allen immer wieder Nachrichten, bestehend aus Emojis und Bildern, die sie dazwischen noch von Freundinnen erhielt, denen sie umgehend ihre Nummer mitgeteilt hatte.

Als ich irgendwann ins Wohnzimmer rief, sie dürfe auch gern mit uns reden, schallte es nur entnervt zurück „Och, Mama, kannst Du mir das nicht als Nachricht schreiben?“

Wir lachten. Noch.

Anfangs schien sie ja auch unseren Bedingungen noch bereitwillig zuzustimmen. Das Handy bliebe nachts in der Küche, dürfe in der Schule nicht benutzt werden und auch nachmittags nur in eingeschränktem Zeitraum. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass all diese Richtlinien geflissentlich ignoriert wurden.

Suchten wir das Handy, das eben noch in der Küche lag, während wir Elly schlafend im Bett wähnten, musste ich nur noch den Status ihres Messengers ansehen, um zu erkennen, dass sie, bis in die Nacht, noch sehr aktiv mit ihren Freunden kommunizierte.

Ihre Ausrede, warum das Smartphone bei ihr war, bezog sich dann auf den plötzlichen und unerklärlichen Unfalltod ihres Weckers und dass sie sich vom Handy wecken lassen müsse, da sie sich jetzt für zu alt hielt, von den Eltern geweckt zu werden.

Wir konnten ihr zumindest soweit vertrauen, dass sie tatsächlich wach wurde, denn jeden Morgen erhielt die gesamte Familie zuerst einmal eine Nachricht, die an die flotten Bauernweisheiten früherer Kalenderblätter erinnerten.

Vereinbart war auch, dass Elly das Handy erst nach den Herbstferien, wenn sie bewiesen habe, vernünftig damit umgehen zu können, mit zur Schule nehmen dürfe. Wenige Tage später, suchte ich morgens das Haus nach dem Smartphone ab, das nicht am besprochenen Platz lag, überprüfte schließlich im Status des Messengers, dass sie nur wenige Minuten zuvor online war und schrieb ihr eine Mitteilung, wie enttäuscht ich sei, dass sie die Regeln erneut gebrochen habe.

Ihre Antwort kam Sekunden später. Man konnte ihre Entrüstung regelrecht heraus lesen: „Mama, was soll das denn jetzt? Willst Du mich in Schwierigkeiten bringen? Ich bin im Unterricht, da kannst Du mir doch keine Nachrichten schicken!“

Es dauerte Monate, bis Elly dann einigermaßen den verantwortungsvollen Umgang gelernt hatte. Ich möchte keine wilden Behauptungen aufstellen, könnte mir aber vorstellen, die Androhungen ihrer älteren Geschwister, ihrem Handy das Schwimmen, Fliegen oder Brennen beizubringen, leisteten ihren Beitrag dazu. Mittlerweile bestand deren tägliche und Zeit raubende Aufgabe darin, die ungezählten, von Elly gesendeten Bilder, auf denen sich niedliche Tierchen, mit Fotografien des Schulkantinenessens abwechselten, zu löschen, da sämtliche Speicher der Geschwisterhandys rot leuchteten.

Nach Weihnachten war Ellys Lernfortschritt auch soweit angewachsen, dass sie nicht mehr für jedes einzelne Wort eine eigene Nachricht sendete.

Malte hatte seine Schwester vorübergehend blockiert, da er sich bereits gestalkt sah. Till tobte vormittags durchs Haus und stieß wüste Verwünschungen gegen Elly aus, die ihn morgens grundsätzlich aus dem Schlaf, nach der Nachtschicht, riss. Joes Chef fragte ihn, ob er nebenberuflich für ein Call-Center arbeitete.

Kaum hatte Elly gelernt, dass weniger manchmal mehr ist, sie ihre Nachrichten reduzierte, ging ihr das erste Handy kaputt. Warum es sich nicht mehr laden ließ, sei unbegreiflich. Es wäre nur ein einziges Mal, als sie sich aus der Dusche beugte und aufs Display schauen wollte, auf die Fliesen gefallen.

Einen ähnlichen Tod, allerdings mit dem Resultat einer Spiderman-App, erlitt auch das zweite Handy. Das Ersatzgerät, mein leihweise zur Verfügung gestelltes, treues Smartphone, hauchte ebenfalls nach einigen Wochen sein Leben aus und war nicht mehr zu reanimieren. Zum 12. Geburtstag, bekam Elly dann bereits das vierte Handy, mit dem dezenten Hinweis, versterbe dies auch wieder auf mysteriöse Weise, dürfe sie, bis sie sich selbst ein Smartphone kaufen könne, auf eine Buschtrommel zurück greifen.

Ruby war glücklicherweise etwas behutsamer mit ihrem Handy. Sie schonte es bestmöglich, dafür sah man sie eigentlich nur noch mit dem Display vorm Gesicht.

Joe seufzte. Nun stünde uns der Handy-Horror nur noch bei Tara, unsere Jüngsten bevor und die habe noch ein paar Jahre Zeit, bis auch sie eins bekäme.

Warum lässt mich das ungute Gefühl nicht los, dass sie dann den krönenden Abschluss unserer Handy-für-Kind-Aera einläutet?

Moppelchens Chaosbande ... Jugend frei!

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