Читать книгу Zum Teufel mit Barbie! - Sylvia M. Dölger - Страница 6
2 »Wen interessiert das denn?«
ОглавлениеNoch ein wenig Eyeliner, etwas Lipgloss. Das reichte schon. Wie schön, dass Vanessa heute Zeit hatte! Sue warf einen letzten Blick auf das Longshirt, das unter dem Pullover hervorschaute, rief ein »tschüss, wird spät heute!« und schmiss die Eingangstür hinter sich zu. Das Kino war ganz in der Nähe, sie konnte laufen.
Vanessa wartete schon. Sue erkannte sie schon von Weitem an ihrem hellblonden Pferdeschwanz. Doch wer waren die anderen?
»Hi, Sue!«
Sie wollte die Freundin mit dem üblichen ›Victory‹ begrüßen, ließ ihre Hand jedoch auf halber Strecke wieder sinken. Metall funkelte an Vanessas Lippe. Der Ring war neu. Früher hatte sie immer alles über die beste Freundin gewusst.
»Ich hab ein paar Klassenkameraden mitgebracht.« Vanessa rollte das ›R‹ wie eine waschechte Fränkin.
»Kein Problem«, murmelte Sue. Früher waren sie immer zu zweit ins Kino gegangen.
»Hey, das ist Benni!« Die blauen Augen ihrer Freundin leuchteten. Von dem hatte Sue schon viel gehört – immerhin handelte jede zweite SMS von dem Typen. Vanessas großer Schwarm in der neuen Schule. Ihre Freundin hatte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau begonnen und ging nun in die Berufsschule. Benni legte den Arm um Vanessa und zog sie an sich. Er war groß, schlank und hatte ein Zahnpastalächeln. Sue spürte einen Stich in der Herzgegend. Eigentlich freute sie sich für die beiden. Warum tat es nur so weh, Vanessa so verliebt zu sehen?
»Cooles Piercing, Vani!«, sagte sie.
»Ja, gell? Benni findet es auch geil.«
»Du bist also Sue. Nett, dass wir uns mal treffen.« Unter einem langen dunkelblonden Pony funkelten Sue grüne Augen an.
»Klar. Hab schon von dir gehört.« Sie warf Vanessa den Blick zu, auf den sie wartete.
»Kommt, Leute! Wir holen Bier und Popcorn«, sagte Benni, drehte sich um und zog Vanessa mit sich. Sue fühlte sich überflüssig. Es wurde nicht besser, als sich die anderen vorstellten. Chris und Pat, Leon und Julia. Alles Paare. Wenig später kamen Benni und Vanessa voll beladen zurück, und sie betraten das Kino.
Na, wenigstens kann ich gleich den Hauptdarsteller anschmachten, dachte Sue, als sie sich zwischen Vanessa und Pat setzte.
»Ist er nicht süß?«, flüsterte Vanessa von links.
»Klar«, antwortete Sue. Doch die Freundin hatte sich wieder an Benni gekuschelt.
Nach einigen Werbespots begann der Film. Es wurde dunkel im Saal. Sue wollte sich auf die Handlung konzentrieren, leider lenkten sie die verliebten Pärchen in den Sitzen neben ihr ab. Mit jeder Minute sehnte sie sich mehr nach jemandem, der sie genauso ansah wie Benni Vanessa, bevor das Licht ausgegangen war.
»Und? Wie fandet ihr den Film?« Vanessa hatte ganz rote Wangen.
»Geil«, sagte Benni, die anderen stimmten ihm zu.
»Gibt nichts Besseres als 3D-Kino. Und dann diese Farben«, säuselte diejenige, die sich als Pat vorgestellt hatte. »Die blauen Gestalten waren echt schön, gell? Und die wilden Tiere. Genial.« Ihre Augen leuchteten.
»Mir war das zu ... « Sue brach ab.
»Ja, super gezeichnet. Und sehr spannend. Richtig cool. Die Blueray muss ich haben!« Dieser Chris wirkte auch begeistert. Seine Hand spielte mit Pats langen dunklen Locken.
»Ich finde ... « Sue trat von einem Bein aufs andere.
»Den schauen wir uns noch mal bei mir Zuhause an, gell Schatz?« Er wirkte auf Sue um einiges älter als Pat. Lag wahrscheinlich auch an seinem spitzen Kinnbart. Sie wollte endlich auch etwas zum Film sagen.
»Wusstet ihr, dass Schauspieler dahinter stecken, die vorher alle Szenen drehen mussten?«, fragte sie laut in die Runde. Wie meistens interessierte sie sich mehr für die technische Umsetzung als für die teilweise kitschige Handlung. Allein dieses Happy End. War ja mal wieder typisch. Alle nickten.
»Manche hat man sogar richtig gut erkennen können«, erwiderte Leon, der bisher recht schweigsam gewesen war. Inzwischen standen sie unschlüssig im Vorraum herum. Diese Julia hatte noch keinen Ton gesagt. Was war denn mit der los? Sie hing an Leon, als müsste sie sich festhalten. Das kurze braune Haar ließ sie wie einen Jungen aussehen.
»Und jetzt? Wo wollen wir hin?« Vanessa schaute Benni an.
Sue kaute auf ihrer Unterlippe. Wollte sie noch wohin? Mit denen? Vielleicht besser als allein Zuhause mit den Eltern herumhängen und wieder über Thailand zu diskutieren.
»Wie wäre es mit einer Kneipentour?«, fragte Chris. »Irgendwo ist bestimmt was los!«
»Gute Idee! Wer ist dabei?« Benni strahlte. Das Gemurmel verriet ihr, dass die anderen begeistert waren. »Na, komm schon mit, Sue«, drängelte Vanis. Gegen ein oder zwei Kurze und ein paar Bier hatte Sue auch nichts einzuwenden. Wenn sie schnell dicht wurde, würde sie den Abend besser ertragen.
Wenig später schlenderten sie durch die Altstadt, kamen an der Mädchenrealschule vorbei. Die Pärchen Arm in Arm. Sue mummelte sich in ihre dicke Jacke.
Mitten in der Nacht war hier nicht viel los, die meisten Cafés hatten schon geschlossen. Schließlich landeten sie am Chelsea. Draußen standen viele Raucher. Drinnen empfing sie gedämpftes Neonlicht. Grelle Bilder schmückten die Wände. Nicht gerade gemütlich, aber wenigstens war es warm. Sie stellten sich an die Theke und bestellten Bier. Sue ließ den Blick schweifen. Irgendwo ein bekanntes Gesicht? Ab und zu kam sie hierher und kannte inzwischen auch ein paar Leute flüchtig. Leider war niemand da. Das Bier rann ihr herb die Kehle hinab. Die anderen erzählten von ihren Ausbildungen, lästerten über die Kunden in den Läden, in denen sie arbeiteten.
»Du weißt gar nicht, wie gut du es hast, Sue. Was machst du eigentlich genau?« Pats leichtes Lispeln irritierte Sue.
»Ich … ähm … ich will Mechanikerin werden. Bin deswegen gerade auf einer Berufsfachschule für Maschinenbau, an der Franz Oberthür. Mach da auch die mittlere Reife.« Sue trank einen Schluck Bier. Sie war schon beim zweiten Glas, während die anderen am ersten rumsüffelten.
»Sue hat schon als kleines Mädchen immer mit Autos gespielt! Sie ist da voll begabt!«, ergänzte Vanessa lachend.
»Wo ist denn deine Schule?«, fragte Julia.
»Gleich hier um die Ecke.« Sue trank einen Schluck.
»Und gefällt es dir dort?«, fragte Benni, dessen Hand Vanessas Schulter berührte.
»Ist okay, Schule halt.«
Die Kellnerin brachte eine neue Runde.
Weil Sue spät eingeschult worden war und eine dämliche Ehrenrunde in der Siebten hatte drehen müssen, waren ihre Mitschüler jünger als sie. Noch hatte sie keine neuen Freunde gefunden. Aber das ging die anderen nichts an.
»Wie fandet ihr eigentlich den Film?« Ein anderes Thema konnte nicht schaden. Begeistert tauschten sie sich über Avatar aus.
»Hoffentlich gibt es bald eine Fortsetzung. Ich mag Filme ohne Happy End«, sagte Pat.
»Ich auch«, erwiderte Sue. »Eine Fortsetzung wäre klasse. Und dann noch düsterer.«
Sie sprachen weiter über verschiedene Texte, die sie gelesen hatten. Es wurde immer enger an der Theke und stickiger. Zeit für einen Tisch. Da! Endlich stand eine Gruppe auf. Sue und die anderen gingen hinüber in den hinteren Teil der Kneipe. Hier war es so düster, dass die grellen Bilder an den Wänden weniger auffielen. Unauffällig beobachtete Sue Vanessa, die immer noch strahlte. Sie sehnte sich nach einer Zigarette und sie wollte mit Vanis allein sein. So wie früher. Mit einem großen Schluck trank Sue ihr drittes Bier leer. Ein angenehmes Taubheitsgefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Sie fühlte sich leicht schwindelig. Die Jungs standen auf und belagerten den Kicker, der doch noch mal frei geworden war.
Sofort bestürmten die Mädchen Vanessa mit Fragen. Auch Julia wurde gesprächig.
»Hey, seit wann seid ihr denn zusammen?«
»Und wie ist er denn so?«
»Kann er gut küssen?«
»Wie hast du den überhaupt rumgekriegt?«
Und Vanessa erzählte. Die übliche schnulzige Story. Sie mochte ihn, er mochte sie. Das war alles. Sue gähnte. Nichts Besonderes. Wussten die neuen Freundinnen das nicht längst? Sie gingen doch jetzt mit Vanis in eine Klasse.
»Kommst du mit raus, eine rauchen?«, fragte Sue, als Vanessa eine kurze Redepause machte.
»Klar.«
Draußen sog Sue die kühle Luft ein, holte eine Schachtel aus ihrer Jackentasche und bot Vanessa eine Kippe an.
»Lass mal stecken. Ich rauche jetzt andere.« Sie kramte eine Packung aus der Handtasche und zündete sich eine Zigarette an. Richtig vornehm sah das aus, mit Handtäschchen. »Schön dich zu sehen, Süße.« Vanessa wollte sie umarmen, aber Sue wich einen Schritt zurück.
»Hat ja länger nicht geklappt.«
»Toller Rock. Gefällt mir.« Vanessa strahlte.
»Toller Freund. Gefällt mir.«
»Ich habe mir den hübschesten Kerl der Schule geschnappt. Geil, oder? Auf den stehen nämlich so einige, aber er will nur mich.« Sie spielte mit ihrem langen Zopf, wickelte ihn um den Finger. Wieder und wieder. Das Blond leuchtete auch im Dunkeln.
»Toll. Glückwunsch.« Sue zog tief an ihrer Kippe.
»Und, wie läuft es bei dir, Sue?«
»Gut.« Sie wich Vanessas Blick aus.
»Wie ist die neue Schule?«
»Nett.«
»Na, das freut mich. Tolle Typen?« Sollte sie von Jimmy erzählen? Seit der Junge sie angeschrieben hatte, simsten sie regelmäßig. Er schien ein cooler Typ zu sein. Sie entschied sich dagegen. Vanessa würde sich eh bloß aufregen, dass sie mehr im Real Life leben sollte. Ihre Freundin hielt nicht viel vom Internet.
»Bisher nicht.« Trotzig reckte Sue ihr Kinn ein wenig. Nur nicht anmerken lassen, welches Loch dieser Small Talk in sie fraß. Was sollte sie die Freundin noch fragen? Ihr fiel nichts mehr ein. Sie drückte ihre Zigarette auf der Fensterbank aus und schnippte sie weg. Von drinnen drangen gedämpfte Stimmen nach außen.
»Na ja, die Schule hat auch gerade erst angefangen, gell?« Vanessa beobachtete den Zigarettenrauch, der sich im Nachthimmel verlor. Hastig zündete Sue sich eine neue Kippe an. Sie standen immer noch vor der Tür. Das Schweigen war dicker als der Rauch, den sie in die Luft pusteten. Sue formte Kringel aus dem Qualm, ließ sie in die Luft steigen, trat von einem Bein aufs andere.
»Ich gehe wieder rein. Benni wartet sicher schon auf mich.«
»Mach das. Ich rauche noch zu Ende.«
Sue zog ein letztes Mal an der Kippe, drückte sie an der Wand aus, ließ sie auf den Boden fallen und betrat das Chelsea, ohne sich noch mal umzudrehen.
Die Musik kam ihr nun lauter vor. Sie stellte sich an den Kicker und schaute den Jungs zu. Wenig später gesellte sich Vanessa wieder zu ihren Klassenkameradinnen. Ob es ihnen überhaupt auffiel, dass sie fehlte? Auch egal. Ab und zu verdrückte sich ein Pärchen nach draußen zum Rauchen oder Knutschen. Sie trank weiter Bier, bis sie es nicht mehr aushielt.
»Ich muss los. Ciao«, rief sie in die Runde.
»Tschüss, Sue, war nett dich kennenzulernen«, sagte Benni mit undeutlicher Stimme. Die anderen nickten. Sie wirkten ziemlich dicht, konnten kaum noch gerade stehen. Auch Sue schwankte leicht, sie brauchte dringend frische Luft.
»Wir simsen«, rief Vanessa ihr hinterher.
Ja, klar! Sims mir doch, wie süß Benni ist.
»Wen interessiert das denn?«, schrie sie in die Nachtluft, als würde jemand zuhören, reagieren, antworten. Sie torkelte durch die vertrauten Straßen, die plötzlich fremd wirkten. Vanessa und sie hatten gezittert, wenn es Noten gab, gelacht, wenn sie die Jungs ärgern konnten und geweint, wenn sie Liebeskummer hatten. Und jetzt trug Vanessa ein Lippenpiercing, von dem Sue nichts gewusst hatte. Sie konnte sich nicht mehr länger gegen ihre Tränen wehren.