Читать книгу Zum Teufel mit Barbie! - Sylvia M. Dölger - Страница 8

4 »Willst noch ‘nen Schluck?«

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»Du hast dein Wechselgeld vergessen!«

Nur das Wechselgeld! Sie nahm die Münze entgegen. Hoffentlich hörte niemand ihr pochendes Herz.

»Danke. Tschüss!«

Bevor sie den Roller startete, tastete sie mit der rechten Hand unter ihre Jacke und schon erklang Pink wieder. Eilig hatte sie es nicht, nach Hause zu kommen. Ihre Eltern waren unterwegs, um neue Möbel zu kaufen. Sie konnte ruhig noch etwas abhängen.

Am Mainufer angekommen, stellte sie den Roller ab und ging die paar Meter zum Ufer zu Fuß. Den Rucksack warf sie auf eine Parkbank, legte ihren Kopf darauf und winkelte die Beine an. Sie ließ das Feuerzeug zuschnappen, zog an der Kippe, drehte den Kopf zur Seite. Die Weinberge spiegelten sich auf der Wasseroberfläche. Sue blies den Rauch in die Luft. Obwohl die Sonne hervorgekrochen kam, war es kühl. Ob Ariya auch rauchte? Warum wollte ihre Mom sie unbedingt nach Thailand zu ihrer leiblichen Mutter schicken? Wollte sie sie etwa loswerden? Hatte sie es übertrieben? Zu viel Mist gebaut? Asche landete auf dem Boden.

Nein. Das war unmöglich. Ihre Eltern hatten sie unbedingt haben wollen, ja sogar Geld bezahlt und auf viele Dinge verzichten müssen, um das Baby der blutjungen Frau adoptieren zu können. Ihre Eltern hatten sie haben wollen. Das war das beste Gefühl der Welt. Ihr Gefühl, das ihr niemand wegnehmen konnte, das sie in ihrem Herzen wie einen Schatz hütete. Ihr Handy piepste. Eine Skype-Nachricht ploppte auf.

jimmy: hi süße, wie geht´s?

manga_girl: alles cool und bei dir? was machst du gerade?

jimmy: lese kafka für die schule

manga_girl: ?

jimmy: du kennst kafka nicht?

Der ist ja ganz schön belesen, aber irgendwie auch sympathisch. Sue kannte Goethe, aber das konnte sie ihm kaum schreiben. Vielleicht war dieser Kafka ja ganz spannend.

manga_girl: nee, du, was ist denn so cool?

jimmy: wir lesen die verwandlung von ihm, das ist besser als dope

manga_girl: worum gehts da?

jimmy: da verwandelt sich ein mann in einen käfer

manga_girl: echt jetzt? klingt cool

jimmy: ja, total abgefahren, ich lese mal weiter. cu

manga_girl: cu, hf

Weg war er. Sie döste weiter, dachte an Jimmy. Plötzlich wurden ihre Gedanken unterbrochen. Etwas Feuchtes fuhr über ihre Nase.

»Hallo Goethe, mein Süßer!« Der Hund wedelte mit dem Schwanz und war nicht zu bremsen. Er sprang auf sie zu, versuchte mit der Schnauze in ihre Jackentasche zu gelangen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen. »Ist ja gut, mein Lieber.« Sie kraulte den Mischling hinter den Ohren und hielt Ausschau nach seinem Besitzer. Der humpelte auf sie zu. Zur Begrüßung streckte sie ihm zwei Finger zum ›Victory‹ entgegen.

»Hey, Fritz!«

»Mädel, hast du auf mich gewartet?« Wie meistens trug er seine Strickmütze über beide Ohren, sah aber trotzdem aus, als würde er frieren. Kein Wunder, war seine Cordhose so durchlöchert, als wäre sie im Krieg zerschossen worden. In der einen Hand hielt er Goethes Leine, in der anderen ein Bier, das er Sue anbot. Sie nahm einen kräftigen Schluck und gab ihm die Flasche zurück. Aus ihrer großen Parkatasche fischte sie ihre Spenden. »Ich hab euch was mitgebracht.« Sie hielt ihm die Hand hin. »Für dich, Fritz, und für den Süßen!«

»Na, na, das ist aber jetzt nich nötig. Du sollst kein Geld ausgeben, für mich …« Seine Augen glänzten. Er nippte an seinem Bier und reichte Sue die Flasche. »Oh, da ist ja meine Lieblingssuppe dabei.« Er setzte sich neben sie. Goethe legte sich zu ihren Füßen und guckte Sue erwartungsvoll an.

Fritz wählte Hühnchen, zog an der Lasche aus Aluminium und stellte dem Hund das Döschen hin.

»Na, du schaust ja heute wieder fetzig aus.«

»Findest du? Ich sehe doch aus wie immer!«

»Ich friere ja schon, aber du läufst hier im Röckchen rum. Ist dir nich kalt, Mädel?«

»Nö. Ich hab doch die Leggins. Die wärmt.« Sue nahm eine Zigarette aus der Schachtel und bot sie Fritz an. Eine Weile rauchten sie schweigend.

Seine Klamotten sahen noch schlimmer aus als sonst.

»Mädel, was ist mit dir los? Du lässt den Kopf hängen. So kenne ich dich ja gar nich.« Sie lehnte sich an ihn, zog an ihrer Kippe, inhalierte tief. Goethes Kopf wärmte ihre Oberschenkel.

»Ach, Fritz, du weißt ja nicht, wie gut du es hast!«

»Ich? So toll ist das allet nich. Was meinst du denn damit, Kleine?«

»Na, dir kann es schnuppe sein, wenn sie dich abstempeln. Du brauchst ja keinen Schulabschluss!«

Dunkle Wolken fingen die Sonne ein und hielten sie fest.

»Wieso, wer stempelt dich denn ab?«

»Heute hat mich einer ›Thaischlampe‹ genannt«, antwortete Sue mit bebender Stimme. »Hier in Würzburg sind Ausländer nicht sehr beliebt.«

»Wer sagt denn so was? Na, du weißt dich schon zu wehren. Du zweifelst doch nicht an dir, Mädel! Willst noch ‘nen Schluck?« Er reichte ihr die Flasche. »Der vertreibt nicht nur Kummer.«

»Danke. Nö, ich zweifle nicht an mir. Tut aber trotzdem weh. Ich kann ja nichts dafür, dass ich eine halbe Thai bin.«

»Ich find das ganz gut so, sonst hättest nich so schöne schwarze Augen. Wie Oliven. Sie sind größer als die der Thailänder, die ich kenne«, sagte Fritz und blickte mit glasigen Augen in ihre. »Die erinnern mich immer an meine Zeit in Asien.« Sues Kopf schnellte in die Höhe, Goethe schreckte auf und wedelte mit dem Schwanz. Ein dünner Sonnenstrahl kam hinter den Wolken hervor.

»Du warst dort? Wo denn?«

»Na, auch in Thailand. Früher als ich noch Autor war, bin ich immer in die Länder gereist, über die ich geschrieben habe. Aber det weißt du doch.«

»Ich wusste nur von den Reiseführern. Nicht, wo du überall warst, Fritz.« Sie schluckte. »Wie ist Thailand denn so?«

»Oh, wunderschön. Und die Frauen. Alle haben dunkle lange Haare und schmale Mandelaugen. Nicht so Oliven wie du.«

»Die Form hab ich wohl von meinem deutschen Vater. Nur die Farbe ist von meiner Mutter, von meiner richtigen, meine ich. Erzählst du mir mehr?«

»Ein anderes Mal. Ich bin müde. Jetzt mach ich ein Nickerchen und du musst dich mal wieder zu Hause blicken lassen.«

»Wann erzählst du mir, warum du auf der Straße lebst, Fritz?« Forsch sah sie ihn an. »Freunde erzählen sich doch alles!«

»Vielleicht … irgendwann.«

In dem Moment vibrierte Sues Handy in der Tasche. Sie las die eingegangene SMS und seufzte.

»Da hast du wohl Recht.« Sie verdrehte die Augen. »Ich werde schon vermisst.«

»Hier nimm noch ‘nen Schluck für den Weg.« Er hielt ihr den letzten Schluck Bier hin.

»Nö, lass mal. Meine Mom muss das nicht unbedingt mitkriegen.« Sie schob sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund.

»Is vielleicht auch besser so. Dann bleibt mir mehr. Übrigens habe ich jetzt so was wie eine Adresse.« Fritz grinste schief, als er ihr ein Zettelchen zusteckte. Er nahm Goethes Leine und humpelte mit ihm in die andere Richtung davon.

Zum Teufel mit Barbie!

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