Читать книгу Küss mich, bis ich Sterne seh - Sylvia Reim - Страница 7
ОглавлениеKapitel 2
Der Kosmos ist in Aufruhr. Es bahnt sich etwas an, das dein Leben verändern könnte! Ein Liebeshoch liegt in der Luft.
Leos düstere Stimmung hatte sich ein wenig aufgehellt, als er am nächsten Morgen in der Redaktion eintraf. Er wusste selbst nicht genau, was da gestern Abend in ihn gefahren war.
Auf dem Weg zu seinem Büro, das er sich mit Niklas teilte, holte er sich frischen Kaffee aus der Redaktionsküche. Er goss sich Milch in die schwarze Brühe und warf fünf Stück Zucker dazu, wobei er mit Argusaugen darauf achtete, dass ihn keiner dabei beobachtete. Seine Lust, sich den Spitznamen „Süßer“ einzuhandeln und sich damit von den Herren der Sportredaktion bis zum Sankt Nimmerleinstag aufziehen zu lassen, war begrenzt. Als eine ältere Kollegin aus der Wirtschaftsredaktion in die Küche kam, machte er ihr ein Kompliment zu ihrem letzten Leitartikel, das sie wie ein junges Mädchen kichern ließ. Danach ging er weiter in sein Zimmer.
Niklas hatte bereits den Computer hochgefahren und blätterte die heutige Zeitung durch. Als Leo eintrat, klappte er die Seite zu und sah ihn fragend an. „Und, weißt du schon, wie du es angehst?“
„Wovon sprichst du?“ Leo tat so, als hätte er keine Ahnung. Obwohl er die halbe Nacht darüber nachgegrübelt hatte, war ihm nicht mal der Anflug einer Idee gekommen.
„Stell dich nicht dumm. Du weißt genau, dass ich von Carolina und unserer gestrigen Abmachung rede. Also, was ist? Weißt du schon, wie du an sie rankommst?“
„Nicht so hastig mein Lieber, gut Ding braucht Weile!“
„Heißt übersetzt, du hast noch keine Ahnung!“, feixte Niklas. „Kann es sein, dass du schon vor dem Anpfiff aufgibst?“
„Mach dich nicht lächerlich!“ Leo verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und wippte mit dem Sessel, der kleine quietschende Geräusche von sich gab. „Es wird mir schon eine Lösung einfallen. Darauf kannst du dein gesamtes Hab und Gut verwetten!“
„Was kein hoher Einsatz ist!“, unkte Niklas und stand auf. „Zeit für die Sitzung. Komm, sonst sind wir wieder die Letzten und müssen uns vom Captain eine Predigt über Pünktlichkeit anhören. Da hab ich heute echt keine Lust drauf!“
Der Konferenzsaal war bereits voll, die komplette Mannschaft war versammelt. Kaum hatten sie Platz genommen, legte der Chefredakteur auch schon los.
„Wir haben ein Problem“, sagte er unangenehm laut, wischte sich ein Krümel seines Frühstücks von der Lippe und sah mit sorgenvollem Gesicht in die Journalistenrunde. „Frau Belinda ist weg!“
Leo und Niklas sahen sich fragend an. Frau Belinda war seit grauer Vorzeit für die Horoskope der Zeitung zuständig und galt als unantastbare Instanz, auch wenn sie keiner richtig ernst nahm. Schon allein ihre blau gefärbten Haare und die feenartige Kleidung waren sehenswert.
„Sie hat jedenfalls per sofort ihre Arbeit niedergelegt“, fuhr der Chefredakteur fort. „Irgendwie spürte sie in letzter Zeit schlechte Schwingungen oder so, was weiß ich. Unser Problem ist nun: Wo bekommen wir so schnell Ersatz her? Mir graut jetzt schon vor dem Casting! Ich mag mir gar nicht ausmalen, welch schräge Gestalten da aufkreuzen werden.“ Er ribbelte sich mit einer verzweifelten Geste die Stirnglatze. „Jedenfalls – bis wir jemanden haben, der sich mit diesem ganzen Astrologiefirlefanz auskennt, muss das jemand von uns übernehmen. Ein paar Sätzchen zusammenschreiben über diesen Nonsens kann ja wohl nicht so schwer sein. Also, wer meldet sich?“ Fragend sah er in die Runde.
Der Reihe nach gingen die Köpfe nach unten, man hüstelte und hatte plötzlich dringend seine Fingernägel zu kontrollieren.
„Also niemand? Das kann nicht sein, dann muss ich jemanden bestimmen. Also ein letztes Mal: Meldet sich jemand freiwillig?“
Wieder sahen alle hastig auf ihre Handys oder kontrollierten, ob denn tatsächlich alle Knöpfe ordentlich angenäht waren.
„Ich mach’s“, sagte plötzlich jemand in die Stille hinein.
Alle starrten zu Leo, vereinzelt war Gelächter zu hören.
Auch der Chefredakteur sah ihn fragend an. „Also an dich hätte ich jetzt nicht unbedingt gedacht. Wusste gar nicht, dass du so ein Horoskop-Fan bist, aber mir soll’s recht sein. Du kannst heute schon mal loslegen, um 14 Uhr ist Abgabetermin.“
Kaum waren sie wieder in ihrem Zimmer, schloss Niklas hastig die Tür hinter ihnen. „Sag mal, was sollte das? Soll ich vielleicht schnell eine Kristallkugel für dich holen?“
„Ich hab einfach zugegriffen, als sich mir die Lösung so plötzlich anbot.“
„Welche Lösung? Suchst du die Lösung deiner Probleme jetzt in den Sternen? Wovon redest du da überhaupt?“
„Die Lösung für mein Carolina-Problem!“
Niklas setzte ein so fragendes Gesicht auf, als hätte Leo ihn nach der Quadratwurzel aus zwei gefragt. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst!“
„Ich erklär dir den Plan. Also, vorher bei der Redaktionssitzung hat der hinterste Teil meines Unterbewusstseins plötzlich überfallartig aufgeblinkt, als die Sache mit dem Horoskop besprochen wurde. Mir ist da blitzartig eingefallen, dass mir meine Schwester erzählt hat, dass die Mädels bei ihr im Sender immer das Horoskop in unserer Zeitung lesen und dass da alle ganz wild danach sind. Sie hat dann noch gemeint, eine Kollegin, die aus Spanien stammt, richtet sogar ihren Tag danach.“ Er sah Niklas eindringlich an. „Außerdem rechne ich fix mit der Hilfe meiner Schwester. Sie sieht uns ja schon als strahlendes Traumpaar vor dem Altar, oder?“
Niklas Gesicht war ein einziges überdimensionales Fragezeichen. „Ich kenn mich immer noch nicht aus. Und wie soll das Horoskop dich zu Carolina führen?“
Leo beugte sich vor und schaute verschwörerisch. „Ich werde meine Schwester anrufen und sie fragen, was denn ihre liebe Kollegin für ein Sternzeichen hat, und dann werde ich ihr Horoskop so geschickt manipulieren, dass sie direkt in meinen weit geöffneten Armen landet.“ Begeistert von seiner Idee lächelte er zufrieden vor sich hin und wartete auf Zustimmung.
„Ganz verstehe ich es immer noch nicht. Wie willst du sie denn in deine Arme treiben?“
„Lass das meine Sorge sein. Du wirst sehen, in wenigen Tagen ist die Sache gewonnen.“
„Du hast dich aber noch nie in deinem Leben mit Astrologie beschäftigt. Was willst du denn schreiben?
„Ach, da wird mir schon etwas einfallen. Wie hat unser Chef so schön gesagt: Das kann doch nicht so schwer sein! Und ich würde es nie wagen, dem Captain zu widersprechen.“ Leo lachte laut auf und Niklas sah das erste Mal seit Langem jenes Glitzern in seinen Augen, das er schon so lange vermisst hatte. Auch wenn der Plan völlig absurd war und Leo für die nächsten Monate den geballten Spott der kompletten Kollegenschaft der Sportredaktion abbekommen würde, so viel war sicher.
Carolina hatte die Augen geschlossen und versuchte sich zu entspannen, was ihr nicht so recht gelingen wollte. Zornig zog sie die Augenbrauen zusammen, sodass eine steile Falte dazwischen entstand.
„So kann ich dich nicht schminken, Carolina! Du musst locker lassen“, stellte Lissa sachlich fest. „Sonst sprüh ich dir ein paar Falten, wo du überhaupt keine hast.“ Sie fuhr geduldig mit der Airbrush-Düse über das Gesicht ihrer Kollegin und trug eine Schicht Make-up auf.
„Tut mir leid, aber ich ärgere mich eben so furchtbar über mein heutiges Horoskop. Da steht doch tatsächlich, ich zitiere: Der Kosmos ist in Aufruhr. Es bahnt sich etwas an, das dein Leben verändern könnte! Ein Liebeshoch liegt in der Luft! Von wegen Liebeshoch! Wenn ich nur an den Typ von gestern Abend denke, wird mir schon ganz übel. Weißt du, viele Kerle halten mich für süß und niedlich, für so ein kleines Plüschtierchen, das man herzeigen kann. Aber bisher hat mir noch keiner so deutlich gezeigt, dass er mich für richtig blöd hält. Und ich hab ihm nicht einmal richtig Contra gegeben!“ Ärgerlich wickelte sie eine lose Strähne über die warmen Haarwickler auf ihrem Kopf. „Wahrscheinlich bin ich sogar richtig blöd“, fuhr sie fort. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass sie ihre Stirn nicht wieder in Falten legen durfte.
Lissa fuhr mit der Fingerspitze über Carolinas Augenlid und verwischte sanft den bronzefarbenen Lidschatten. „Aber vielleicht war es nur ein Missverständnis. Normalerweise ist er wirklich ein echt netter Kerl“, versuchte sie ihren Bruder zaghaft zu verteidigen.
„Selbst geknebelt und mit zugeklebtem Mund würde der immer noch gemein sein!“ Carolina half Lissa, die Wickler aus den Haaren zu nehmen. Sie drehte sich eine gelockte Haarsträhne um den Finger und starrte darauf. „Wahrscheinlich bin ich deshalb so sauer, weil ich niemals einen passenden Mann für mich finden werde. Das hat mir der gestrige Abend wieder so richtig gezeigt. Ich will wegen meiner Persönlichkeit ernst genommen werden, verstehst du, als ganze Person!“ Ein abgrundtiefer Seufzer entfuhr ihr.
„Aber um Gottes willen, was hat Leo denn zu dir gesagt, dass du jetzt so tief in die Selbstmitleidgrube fällst?“
„Er hat eine zynische Bemerkung nach der anderen gemacht! So schreibt er ja auch seine Sportkolumne bei der Zeitung. Der macht die Spieler nach dem Match alle nieder und findet das auch noch witzig!“
„Aber er hat unglaublich viele Fans, die halten seine Kommentare für cool und pointiert!“, wisperte Lissa etwas kleinlaut.
„Warum verteidigst du ihn eigentlich so?“
„Tu ich doch gar nicht!“, antwortete Lissa hastig. „Na, gut. Ein klein wenig finde ich ihn auch cool.“ Sie wollte ihren Bruder einfach nicht so dastehen lassen.
Carolina schüttelte verständnislos den Kopf, was dazu führte, dass Lissa ihr eine ordentliche Ladung Haarspray in die Augen sprühte und sie sich ab sofort beide auf ihre Aufgabe konzentrierten.
Bei der internen Besprechung der Sportredaktion, wer welche Pressekonferenz besuchen sollte, war Leo nicht bei der Sache. Gedankenverloren trommelte er mit den Fingern auf den mit Papierstößen völlig überfüllten Schreibtisch des Sportchefs. Nur dunkel bekam er mit, dass er zu einer Presseveranstaltung mit dem berauschenden Titel „Minigolf im Wandel der Zeit“ eingeteilt wurde, was ihn normalerweise dazu gebracht hätte, sich kurz an die Stirn zu tippen und den Sportchef zu fragen, ob er nicht vielleicht auch vom letzten Fußballtraining der Kindergartengruppe berichten sollte. Er war gut angeschrieben beim Herausgeber, die Leser liebten ihn und regelmäßig versuchten andere Zeitungen ihn abzuwerben. Darum hatte er auch redaktionsintern Narrenfreiheit, was seinem Naturell sehr entgegenkam. Er konnte kommen, wann er wollte, gehen, wann er wollte – solange er seine so beliebten Sportkommentare regelmäßig ablieferte, war die Welt des Herausgebers in Ordnung. Doch heute war er gedanklich woanders.
Sofort als der Sportchef durch ein In-die-Hände-Klatschen das Signal gab, dass die Besprechung zu Ende war, sprang er auf, zog Niklas mit sich in ihr Büro und schloss sorgfältig die Tür.
„Ich weiß schon, wie ich es angehe“, sagte er und setzte sich auf die Ecke seines Schreibtisches. Ein zufriedenes Grinsen umspielte seinen Mund. „Ich werde sie einfach in meinen Bereich locken, damit ich glänzen kann. Unser Fräulein Carolina ist doch selbst so ein Scheinwerfergirl, die steht da sicher drauf!“
„Und wie stellst du dir das vor, ich meine praktisch?“, fragte Niklas.
„Morgen startet doch die Fußball-Bundesliga in die neue Saison. Da werde ich doch nach dem Spiel am Platz unten stehen, um die Interviews mit den Spielern zu führen. Im Stadion sind 60.000 Menschen und das Interview wird auf der riesigen Videowand übertragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das keinen Eindruck auf sie machen wird. Ich werde sie einfach mit meinem Wissen und ein paar Witzchen für mich begeistern. Du wirst sehen, spätestens wenn am Abend das Interview im Fernsehen wiederholt wird, hab ich sie am Hals.“
Niklas kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Hast du dir auch schon Gedanken gemacht, wie du sie ins Stadion bringen willst? Und Entführung gilt nicht!“
„Da kommt mein Schwesterchen ins Spiel“, fuhr Leo fort. „Sie soll Carolina vorjammern, sie hätte zwei Plätze für das Fußballspiel teuer gekauft und jetzt sei ein Freund abgesprungen, mit dem sie eigentlich hätte gehen wollen. Man könne doch die Karten nicht verfallen lassen und es würde doch sicher ein lustiger Mädelsabend werden und so weiter. Und ich kenne meine Schwester; der kann so schnell keiner was ausschlagen, wenn sie einmal ordentlich loslegt. Außerdem gibt es ja auch noch unsere Geheimwaffe!“
Fragend sah in Niklas an. „Welche wäre?“
„Na, das Horoskop natürlich, schon vergessen? Das wird ordentlich nachhelfen! Also, was werd’ ich schreiben?“ Er setzte sich vor seinen Computer und starrte hinein.
„Weißt du überhaupt schon, welches Sternzeichen sie ist?“
„Ja, ich habe vorhin kurz mit Lissa telefoniert und sie in meinen Plan eingeweiht. Sie war zwar nicht so wahnsinnig davon begeistert, hat mir dann aber verraten, dass Carolina Widder ist. Stell dir vor, sie ist ausgerechnet am 1. April geboren. Ist sicher immer ein total witziger Geburtstag, mit all den halblustigen Aprilscherzen.“ Er hasste Aprilscherze und stellte sich einen Geburtstag an diesem Tag als Tortur vor. Spontan war er seiner Mutter dankbar, dass sie ihn Anfang August geboren hatte, wo in Sachen übler Aprilscherze nichts zu befürchten war.
Niklas Brauen gingen merklich nach oben. „Sie ist also Widder und du Löwe. Passt das denn zusammen? Das sind doch beide Feuerzeichen, ist das nicht zu feurig? Vielleicht wollen dir die Sterne damit ein Zeichen geben und dir sagen, du solltest dich nicht mit ihnen anlegen.“
„Seit wann schwimmst du denn auf der Eso-Welle?“
„Tu ich doch gar nicht! Doch ich erkenne ein Zeichen, wenn ich eines sehe!“
„Soll ich vielleicht ein paar Räucherstäbchen anzünden?“
„Ja, verarsch mich nur. Du wirst schon sehen, was du davon hast.“
Leo kniff die Augenbrauen zusammen und starrte auf den Bildschirm. „Also, was schreibe ich? Ich will, dass sie mit Lissa ins Stadion geht!“
Mal sehen, ob er das kleine Häschen nicht aus seinem Bau locken konnte.